"Für Identität sind Historiker nicht zuständig. Identitätsstiftung ist nicht ihr Geschäft. Ich bin der Meinung, dass wir als Historiker Werte analysieren können, aber nicht bilden können, dass wir aber analytisch feststellen können, wie Europa sich von anderen großen Bereichen der Weltgeschichte unterschieden hat."
Mit einer Absage von Michael Borgolte, Professor für die Geschichte des Mittelatlers an der Humboldt Universität Berlin, beginnt eine Historikerdebatte über die "Identität Europas und den Islam". Die Historiker auf dem Podium werden dem Publikum nicht erklären können, was einen Europäer heute ausmacht. Der Historiker legt höchstens Identifikationsangebote vor. Heinz Schilling, Professor für Geschichte der Neuzeit an der Humboldt Universität Berlin, macht den Anfang.
"Über die Notwendigkeit von Identität und Identitätsbildung hbe ich mir eigentlich keine Gedanken gemacht. Mein Angebot wäre: Man entwickelt einen Zivilisationstypus, und diesen Zivilisationstypus würde ich zuspitzen. Ich würde von einem lateinisch-europäischen oder lateinisch-christlichen Zivilisationstypus sprechen und da - insbesondere bezogen auf meine Epoche seit dem ausgehenden Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert - die Rolle der Religion in ihrer Differenziertheit in Konfessionen beschreiben wollen, vergleichen mit dem griechisch/russischen orthodoxen Europa - das soll nicht heißen, hier ist ein Kulturgefälle, sondern hier sind zwei unterschiedliche Weltzivilisationen."
Eine Einheit stiftende, christlich fundierte Lebensweise macht Heinz Schilling als das die Völker Europas einigende Band in der Neuzeit aus. Auch Glaubensspaltungen und -kämpfe, die Ausdifferenzierung des christlichen Glaubens in der Reformation, können den festen Sockel "Christentum" nicht erschüttern. Die Einheit Europas, eine gemeinsame europäische Identität würde sich - so gesehen - aus einer urprünglichen Gemeinschaft im Glauben speisen. Europa ist aber auch Vielfalt - ergänzt Christian Meier, emeritierter Professor für Alte Geschichte.
"Dieses Europa ist so einzigartig, dass ich gar nicht weiß, wer da sonst noch mit in diesen Typ hineinpasst. Dieses Europa gibt's nur einmal. Ich würde sagen, dazu gehört eigentlich schon seit dem Übergang von der Spätantike bis ins frühe Mittelalter, dass sich in diesem Europa ein gewisser Pluralismus ausbildet. Also wir haben schon längst vormittelalterlich eine Dynamik, die daraus erwächst, dass wir nicht ein einziges kulturbildendes Zentrum haben, so wie man - ganz grob gesagt - für die orientalischen Reiche annehmen kann, dass der Monarch das Zentrum ist. Hier gibt es immer eine gewisse Reihe von Zentren, und daraus entstehen Spannungen, und daraus entsteht ständig eine gewisse Dynamik, die nicht gekappt werden kann."
Ohne prägenden Einfluss von Monarchen können sich die Griechen in kleinen Gemeinwesen relativ frei entwickeln und behaupten. Und hier, in der antiken Gesellschaft, macht Christian Meier nicht nur kulturelle und geistige Vielfalt sondern auch die Wiege eines modernen bürgerlichen Selbstverständnisses aus, den Ursprung von bürgerlichen Freiheitsrechten und demokratischer Teilhabe. -
Nur, was bringt es, sich auf die Tradition der griechischen Freiheit zu beziehen, wenn Geschichte unlinear in Sprüngen und Brüchen verläuft? Jedenfalls nicht die vielleicht erhoffte Kontinuität, wendet Michael Borgolte ein.
"Ich halte die antiken Kulturen für Kulturen der Indifferenz. Man lebt nebeneinander her. Ich führe das auf die polytheistische Struktur dieser Kulturen zurück. Man muss sich nicht streiten, wenn jeder seinen eigenen Gott verehren kann, dann kann man den anderen machen lassen. Wenn aber nur ein Gott die Welt regiert und geschaffen hat, dann muss man sich streiten. Wenn wir den Streit zwischen den Religionen beobachten, dann müssen wir uns darüber im klaren sein, dass das die eruptiven Aufbrüche von Konflikten sind. Dazwischen gab es Jahrhunderte oder Jahrzehnte friedlichen Nebeneinanders und Dialog. "
Die Erfahrung, die das Mittelalter uns bietet, so der Mediävist Michael Borgolte, ist, dass aus Heterogenität und Differenz Toleranz entstehen kann. Zwar bietet das Mittelalter kein modernes Konzept von Toleranz als Achtung des anderen um seiner selbst willen. Achtung des anderen im Mittelalter bezieht sich auf das Zusammenleben, beruht auf pragmatischen Verträgen, heißt praktische Duldung der anderen Religion. Immerhin hat der Islam - etwa in Spanien - einen religiös fundierten Minderheitenschutz hervorgebracht - eine Errungenschaft, die in der Neuzeit verloren geht. Hier herrscht eine kämpferische christliche Selbstdefinition.
"Es ist das Agonale, das Abgrenzen und auch das Ausgrenzen des Islams. Der Islam kommt hauptsächlich über die machtpolitische Schiene hinein, nämlich die berühmten Türken, mit denen muss man sich auseinandersetzen, aber natürlich auch schon vorher in Spanien, mit der Reconquista. Es entsteht also eine Konzentration auf das Eigene, das Ausgrenzen des anderen, aber gerade daraus - das ist meine These - entwickelt sich eine Dynamik hin zur Toleranz, hin zum Kennenlernen des anderen und auch zum Akzeptieren des anderen. Das sehe ich als einen neuzeitlichen Prozess, der im europäischen Sinne nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. "
Wenig bis gar nicht ist an diesem Abend von den Kreuzzügen die Rede, von der Expansion Europas in die Welt, von missionarischen Ansprüchen und kolonialistischem Gebaren. Viel dagegen ist die Rede davon, dass sich Geschichtswissenschaft, die Europa begreifen will, umorientieren muss. Lange hat die Geschichtswissenschaft von einer Erzählung gelebt, die die gesamte Geschichte in ein Kontinuum stellte - eine Erzählung, die heute keiner mehr glaubt. Auch wird immer deutlicher, wie selbstbezogen europäische Geschichte geschrieben wurde, wie wenig auf die Grenzen der Selbstbeschreibung reflektiert worden ist.
"Können wir über die Geschichte Europas nachdenken und abstrahieren davon, dass wir Latein-Europäer sind? Ich glaube, wir können es nicht. Wenn ich die mir liebe Denkform der Dialektik von Einheit und Differenz bemühe, bin ich selbstverständlich in der Tradition der abendländischen Philosophie-geschichte. Es wäre sehr schön, wenn wir jetzt einen Muslim hier hätten und befragen könnten, was er über die europäische Geschichte denkt."
Gibt es also einen Kanon europäischer Werte, einen Herkunftsmythos der Europäer oder ein Ziel, auf das sich alle Europäer einigen könnten? - Das sind Fragen, die das moderne Orientierungsbedürfnis spiegeln. Eine Bemerkung aus dem Publikum des ehemaligen Kulturstaatsministers Julian Nida-Rümelin fängt jedenfalls viel Beifall ein.
"Bei Ihnen allen dreien war so ein Tenor, den ich gut kenne, auch aus der europäischen Kulturpolitik, fast schon Topos. Wir reden nicht über die Identität Europas, Pluralität, Vielfalt. Ehrlich gesagt, ich glaub das nicht..Je weiter man von Europa weg ist, umso klarer ist, es gibt eine europäische Identität. Es gibt europäische Zugehörigkeitsgefühle. Ganz offenkundig. "
Vielleicht setzt die Frage, wo künftig die Ostgrenze der EU verlaufen wird,
einen europäischen Identitätsdiskurs in Gang. Schließen wir die islamische Türkei oder das christlich-orthodoxe Russland aus der Europäischen Union aus, oder finden wir, dass sie dazu gehörten? In Bosnien haben wir bereits einen EU-Beitrittskandidaten, der uns den Islam bescheren wird. Wir werden entscheiden müssen, wer und was wir sein wollen - ein Europa, das integriert, oder ein Europa, das sein Selbstbild durch Abgrenzung schärfen muss.
Mit einer Absage von Michael Borgolte, Professor für die Geschichte des Mittelatlers an der Humboldt Universität Berlin, beginnt eine Historikerdebatte über die "Identität Europas und den Islam". Die Historiker auf dem Podium werden dem Publikum nicht erklären können, was einen Europäer heute ausmacht. Der Historiker legt höchstens Identifikationsangebote vor. Heinz Schilling, Professor für Geschichte der Neuzeit an der Humboldt Universität Berlin, macht den Anfang.
"Über die Notwendigkeit von Identität und Identitätsbildung hbe ich mir eigentlich keine Gedanken gemacht. Mein Angebot wäre: Man entwickelt einen Zivilisationstypus, und diesen Zivilisationstypus würde ich zuspitzen. Ich würde von einem lateinisch-europäischen oder lateinisch-christlichen Zivilisationstypus sprechen und da - insbesondere bezogen auf meine Epoche seit dem ausgehenden Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert - die Rolle der Religion in ihrer Differenziertheit in Konfessionen beschreiben wollen, vergleichen mit dem griechisch/russischen orthodoxen Europa - das soll nicht heißen, hier ist ein Kulturgefälle, sondern hier sind zwei unterschiedliche Weltzivilisationen."
Eine Einheit stiftende, christlich fundierte Lebensweise macht Heinz Schilling als das die Völker Europas einigende Band in der Neuzeit aus. Auch Glaubensspaltungen und -kämpfe, die Ausdifferenzierung des christlichen Glaubens in der Reformation, können den festen Sockel "Christentum" nicht erschüttern. Die Einheit Europas, eine gemeinsame europäische Identität würde sich - so gesehen - aus einer urprünglichen Gemeinschaft im Glauben speisen. Europa ist aber auch Vielfalt - ergänzt Christian Meier, emeritierter Professor für Alte Geschichte.
"Dieses Europa ist so einzigartig, dass ich gar nicht weiß, wer da sonst noch mit in diesen Typ hineinpasst. Dieses Europa gibt's nur einmal. Ich würde sagen, dazu gehört eigentlich schon seit dem Übergang von der Spätantike bis ins frühe Mittelalter, dass sich in diesem Europa ein gewisser Pluralismus ausbildet. Also wir haben schon längst vormittelalterlich eine Dynamik, die daraus erwächst, dass wir nicht ein einziges kulturbildendes Zentrum haben, so wie man - ganz grob gesagt - für die orientalischen Reiche annehmen kann, dass der Monarch das Zentrum ist. Hier gibt es immer eine gewisse Reihe von Zentren, und daraus entstehen Spannungen, und daraus entsteht ständig eine gewisse Dynamik, die nicht gekappt werden kann."
Ohne prägenden Einfluss von Monarchen können sich die Griechen in kleinen Gemeinwesen relativ frei entwickeln und behaupten. Und hier, in der antiken Gesellschaft, macht Christian Meier nicht nur kulturelle und geistige Vielfalt sondern auch die Wiege eines modernen bürgerlichen Selbstverständnisses aus, den Ursprung von bürgerlichen Freiheitsrechten und demokratischer Teilhabe. -
Nur, was bringt es, sich auf die Tradition der griechischen Freiheit zu beziehen, wenn Geschichte unlinear in Sprüngen und Brüchen verläuft? Jedenfalls nicht die vielleicht erhoffte Kontinuität, wendet Michael Borgolte ein.
"Ich halte die antiken Kulturen für Kulturen der Indifferenz. Man lebt nebeneinander her. Ich führe das auf die polytheistische Struktur dieser Kulturen zurück. Man muss sich nicht streiten, wenn jeder seinen eigenen Gott verehren kann, dann kann man den anderen machen lassen. Wenn aber nur ein Gott die Welt regiert und geschaffen hat, dann muss man sich streiten. Wenn wir den Streit zwischen den Religionen beobachten, dann müssen wir uns darüber im klaren sein, dass das die eruptiven Aufbrüche von Konflikten sind. Dazwischen gab es Jahrhunderte oder Jahrzehnte friedlichen Nebeneinanders und Dialog. "
Die Erfahrung, die das Mittelalter uns bietet, so der Mediävist Michael Borgolte, ist, dass aus Heterogenität und Differenz Toleranz entstehen kann. Zwar bietet das Mittelalter kein modernes Konzept von Toleranz als Achtung des anderen um seiner selbst willen. Achtung des anderen im Mittelalter bezieht sich auf das Zusammenleben, beruht auf pragmatischen Verträgen, heißt praktische Duldung der anderen Religion. Immerhin hat der Islam - etwa in Spanien - einen religiös fundierten Minderheitenschutz hervorgebracht - eine Errungenschaft, die in der Neuzeit verloren geht. Hier herrscht eine kämpferische christliche Selbstdefinition.
"Es ist das Agonale, das Abgrenzen und auch das Ausgrenzen des Islams. Der Islam kommt hauptsächlich über die machtpolitische Schiene hinein, nämlich die berühmten Türken, mit denen muss man sich auseinandersetzen, aber natürlich auch schon vorher in Spanien, mit der Reconquista. Es entsteht also eine Konzentration auf das Eigene, das Ausgrenzen des anderen, aber gerade daraus - das ist meine These - entwickelt sich eine Dynamik hin zur Toleranz, hin zum Kennenlernen des anderen und auch zum Akzeptieren des anderen. Das sehe ich als einen neuzeitlichen Prozess, der im europäischen Sinne nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. "
Wenig bis gar nicht ist an diesem Abend von den Kreuzzügen die Rede, von der Expansion Europas in die Welt, von missionarischen Ansprüchen und kolonialistischem Gebaren. Viel dagegen ist die Rede davon, dass sich Geschichtswissenschaft, die Europa begreifen will, umorientieren muss. Lange hat die Geschichtswissenschaft von einer Erzählung gelebt, die die gesamte Geschichte in ein Kontinuum stellte - eine Erzählung, die heute keiner mehr glaubt. Auch wird immer deutlicher, wie selbstbezogen europäische Geschichte geschrieben wurde, wie wenig auf die Grenzen der Selbstbeschreibung reflektiert worden ist.
"Können wir über die Geschichte Europas nachdenken und abstrahieren davon, dass wir Latein-Europäer sind? Ich glaube, wir können es nicht. Wenn ich die mir liebe Denkform der Dialektik von Einheit und Differenz bemühe, bin ich selbstverständlich in der Tradition der abendländischen Philosophie-geschichte. Es wäre sehr schön, wenn wir jetzt einen Muslim hier hätten und befragen könnten, was er über die europäische Geschichte denkt."
Gibt es also einen Kanon europäischer Werte, einen Herkunftsmythos der Europäer oder ein Ziel, auf das sich alle Europäer einigen könnten? - Das sind Fragen, die das moderne Orientierungsbedürfnis spiegeln. Eine Bemerkung aus dem Publikum des ehemaligen Kulturstaatsministers Julian Nida-Rümelin fängt jedenfalls viel Beifall ein.
"Bei Ihnen allen dreien war so ein Tenor, den ich gut kenne, auch aus der europäischen Kulturpolitik, fast schon Topos. Wir reden nicht über die Identität Europas, Pluralität, Vielfalt. Ehrlich gesagt, ich glaub das nicht..Je weiter man von Europa weg ist, umso klarer ist, es gibt eine europäische Identität. Es gibt europäische Zugehörigkeitsgefühle. Ganz offenkundig. "
Vielleicht setzt die Frage, wo künftig die Ostgrenze der EU verlaufen wird,
einen europäischen Identitätsdiskurs in Gang. Schließen wir die islamische Türkei oder das christlich-orthodoxe Russland aus der Europäischen Union aus, oder finden wir, dass sie dazu gehörten? In Bosnien haben wir bereits einen EU-Beitrittskandidaten, der uns den Islam bescheren wird. Wir werden entscheiden müssen, wer und was wir sein wollen - ein Europa, das integriert, oder ein Europa, das sein Selbstbild durch Abgrenzung schärfen muss.