Ja, es wird heftig gefickt auf diesen 220 Seiten. Und ebenso heftig wird geflucht und gemordet. Die da ficken, fluchen und morden, nennen sich Nadine und Manu und haben bereits je einen Toten auf dem Gewissen, als der Zufall sie zusammenführt. Die ziellose Flucht der beiden durch die französische Provinz bildet den umfangreichen zweiten Teil des Romans. Im ersten Teil stellt die Autorin ihre Protagonistinnen vor, doch obgleich Virginie Despentes sie mit rührenden Geschichten versieht - Nadine verliert einen guten Freund, Manu wird vergewaltigt -, wollen dabei keine differenzierten Charakterbilder entstehen. Nadine bleibt vom Anfang bis zum Ende die Grosse, Dicke, Träge, Manu die Kleine, Dünne, Quirrlige. Dass Nadine Schwanz und Peitsche braucht, um sich wohl zu fühlen, und Manu mit derselben Routine männliche Geschlechtsteile lutscht wie sonst Marsriegel und Schokoladebonbons - solche Details wirken auf Dauer schlicht lächerlich.
Zu lachen gibt es sonst allerdings wenig in diesem Roman, es sei denn, man ist mit einer Extraportion Galgenhumor gerüstet. Despentes' Endzeitamazonen legen ihre Mitmenschen nämlich um wie Weltmeister beim Bowling die Kegel, wo immer Nadine und Manu durchziehen, hinterlassen sie ein Blutbad. Warum? Einfach so. Weil das Ballern Spass macht und weil ohnehin alles "Arschlöcher" sind in der Pariser Halbwelt, aus der sie kommen, und in der Hölle, in die sie geradewegs hineinrasen.
Geld interessiert die beiden nicht, solange es für den Whisky-, Bier- und Cola-Vorrat reicht. Einen Grund gibt es höchstens für ihren nicht eben sanften Umgang mit Männern. So mag es als Umkehrung der Rollen durchgehen, wenn die zwei ihre Bettgenossen erst vögeln, dann verprügeln, erst verführen, dann erniedrigen. Da werden die Opfer zu Täterinnen, Nadine und Manu zu Rächerinnen im Namen des missbrauchten Weibes. Tatsächlich ist aber die totale Sinnlosigkeit der eigentliche Motor dieses Romans. Hier herrscht die Lust am Frust, hier giert man nach dem Kitzel des Nichts, kurz: Virginie Despentes zelebriert, ähnlich wie Michel Houellebecq, einen Radikalpessimismus, der auf eine Bankrotterklärung sämtlicher sozialer Wertsysteme hinausläuft. Und während Houellebecq die Sexualität noch zur "Kampfzone" erklärt, ist diese bei Despentes längst zum Schlachtfeld geworden. So weit, so schlimm. Nur erweist sich Virginie Despentes dabei als überraschend inkonsequent. Anders als Houellebecq setzt sie nämlich - Apokalypse hin oder her - bei Bedarf auf grosse Gefühle. Wo ihr Kollege sich als kalter Analytiker geriert, zitiert Despentes paradoxerweise romantische Ideale. So entpuppt sich "Baise-moi" bei näherem Hinschauen als konventionell erzählter und ziemlich einfach gestricker Roman einer Freundschaft, der allen Gewaltexzessen zum Trotz ohne Sentimentalitäten nicht auskommt. Nadine lässt sich ständig von melancholischen Liedern berieseln, und Manu wird empfindsam, sobald sie das Meer sieht. Schliesslich muß Nadine auch noch zum Papiertaschentuch greifen, als sie sich tränenreich von ihrer toten Freundin verabschiedet. Es ist die Mischung aus Pathos und Perversitäten, die dieses Buch so unerträglich macht. Während Houellebecq uns seinen reaktionären Rationalismus serviert, setzt Despentes ihrem angestrengt obszönen Elaborat bittersüsse Sahnehäubchen auf. Sie bastelt am Modell "Monster mit Herz" und vergisst dabei, dass verschnulzte Provokation noch kein ästhetisches Programm und Slang-Kaskaden noch keine Literatur ergeben. Mit anderen Worten: "Baise-moi" ist ein wenig überzeugendes Stück Weltuntergangsprosa, pornographisch aufgepeppt.