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Wölfe fangen

Mitte der 90er Jahre machte in Frankreich eine Reihe junger Autorinnen und Autoren von sich reden, die im einzelnen wenig und doch etwas Wesentliches verband, nämlich das Motto: Die Welt ist am Arsch, wir zeigen ihn euch. Die Kritik sprach begeistert von einer Renaissance der "littérature réaliste" und begrüsste alle, die der Gegend unter der Gürtellinie und/oder dem Nihilismus huldigten, als Vertreter einer neuen Schriftstellergeneration. Der prominenteste dieser Profiprovokateure ist zweifellos Michel Houellebecq, ein Meister des ätzenden Zynismus, dessen politisch höchst unkorrekte Romane "Elementarteilchen" und "Ausweitung der Kampfzone" vergangenes Jahr auch im deutschen Sprachraum einiges Aufsehen erregten.

Sacha Verna |
    Die 1969 geborene Virginie Despentes hat sich ebenfalls dem Tabubruch verschrieben. Sie bearbeitet mit Vorliebe das Themenfeld Frauen-Sex-Gewalt, was bisher zu drei Romanen und einem Erzählungsband geführt hat. Ihr zweiter Roman "Les chiennes savantes" ist unter dem Titel "Die Unberührte" auch auf Deutsch erschienen. Nun folgt die Blut- und Spermaorgie "Baise-moi", ihr Erstling, der im Original 1994 herauskam und die Autorin in ihrer Heimat mit einem Schlag berühmt machte. Am Filmfestival von Locarno konnte man vor kurzem die Filmversion dieses Romans sehen, die in Frankreich bereits unter mächtigem Tamtam in die (kaum vorhandenen) Pornokinos verbannt worden ist. Noch debattiert die französische Intelligenzia mit Politikern und Sittenwächtern über den Unterschied zwischen Kunst und Pornographie - in den hiesigen Medien war davon zu lesen. Insofern ist der Zeitpunkt für die Veröffentlichung der deutschen Ausgabe von "Baise-moi" nicht schlecht gewählt. Sehr schlecht gewählt ist hingegen der sagenhaft nichtssagende Titel, den man dem Buch verpasst hat. "Wölfe fangen" heisst es im Deutschen, wo doch "Fick mich" so viel direkter und sicher auch werbewirksamer ausdrücken würde, worum es geht.

    Ja, es wird heftig gefickt auf diesen 220 Seiten. Und ebenso heftig wird geflucht und gemordet. Die da ficken, fluchen und morden, nennen sich Nadine und Manu und haben bereits je einen Toten auf dem Gewissen, als der Zufall sie zusammenführt. Die ziellose Flucht der beiden durch die französische Provinz bildet den umfangreichen zweiten Teil des Romans. Im ersten Teil stellt die Autorin ihre Protagonistinnen vor, doch obgleich Virginie Despentes sie mit rührenden Geschichten versieht - Nadine verliert einen guten Freund, Manu wird vergewaltigt -, wollen dabei keine differenzierten Charakterbilder entstehen. Nadine bleibt vom Anfang bis zum Ende die Grosse, Dicke, Träge, Manu die Kleine, Dünne, Quirrlige. Dass Nadine Schwanz und Peitsche braucht, um sich wohl zu fühlen, und Manu mit derselben Routine männliche Geschlechtsteile lutscht wie sonst Marsriegel und Schokoladebonbons - solche Details wirken auf Dauer schlicht lächerlich.

    Zu lachen gibt es sonst allerdings wenig in diesem Roman, es sei denn, man ist mit einer Extraportion Galgenhumor gerüstet. Despentes' Endzeitamazonen legen ihre Mitmenschen nämlich um wie Weltmeister beim Bowling die Kegel, wo immer Nadine und Manu durchziehen, hinterlassen sie ein Blutbad. Warum? Einfach so. Weil das Ballern Spass macht und weil ohnehin alles "Arschlöcher" sind in der Pariser Halbwelt, aus der sie kommen, und in der Hölle, in die sie geradewegs hineinrasen.

    Geld interessiert die beiden nicht, solange es für den Whisky-, Bier- und Cola-Vorrat reicht. Einen Grund gibt es höchstens für ihren nicht eben sanften Umgang mit Männern. So mag es als Umkehrung der Rollen durchgehen, wenn die zwei ihre Bettgenossen erst vögeln, dann verprügeln, erst verführen, dann erniedrigen. Da werden die Opfer zu Täterinnen, Nadine und Manu zu Rächerinnen im Namen des missbrauchten Weibes. Tatsächlich ist aber die totale Sinnlosigkeit der eigentliche Motor dieses Romans. Hier herrscht die Lust am Frust, hier giert man nach dem Kitzel des Nichts, kurz: Virginie Despentes zelebriert, ähnlich wie Michel Houellebecq, einen Radikalpessimismus, der auf eine Bankrotterklärung sämtlicher sozialer Wertsysteme hinausläuft. Und während Houellebecq die Sexualität noch zur "Kampfzone" erklärt, ist diese bei Despentes längst zum Schlachtfeld geworden. So weit, so schlimm. Nur erweist sich Virginie Despentes dabei als überraschend inkonsequent. Anders als Houellebecq setzt sie nämlich - Apokalypse hin oder her - bei Bedarf auf grosse Gefühle. Wo ihr Kollege sich als kalter Analytiker geriert, zitiert Despentes paradoxerweise romantische Ideale. So entpuppt sich "Baise-moi" bei näherem Hinschauen als konventionell erzählter und ziemlich einfach gestricker Roman einer Freundschaft, der allen Gewaltexzessen zum Trotz ohne Sentimentalitäten nicht auskommt. Nadine lässt sich ständig von melancholischen Liedern berieseln, und Manu wird empfindsam, sobald sie das Meer sieht. Schliesslich muß Nadine auch noch zum Papiertaschentuch greifen, als sie sich tränenreich von ihrer toten Freundin verabschiedet. Es ist die Mischung aus Pathos und Perversitäten, die dieses Buch so unerträglich macht. Während Houellebecq uns seinen reaktionären Rationalismus serviert, setzt Despentes ihrem angestrengt obszönen Elaborat bittersüsse Sahnehäubchen auf. Sie bastelt am Modell "Monster mit Herz" und vergisst dabei, dass verschnulzte Provokation noch kein ästhetisches Programm und Slang-Kaskaden noch keine Literatur ergeben. Mit anderen Worten: "Baise-moi" ist ein wenig überzeugendes Stück Weltuntergangsprosa, pornographisch aufgepeppt.