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Wölfe in der Lausitz

Im äußersten Nordosten Sachsens schlängelt sich der Oberlauf der Spree durch Kiefernwälder und ehemalige Tagebaulöcher. In der menschenarmen und sandigen Gegend nahe der polnischen Grenze hat die Bundeswehr einen Truppenübungsplatz abgesteckt. Hier sind neben Wiesel- und Leopardpanzern die Wölfe zu Hause. Die Biologin Gesa Kluth beobachtet das Rudel:

Von Von Leo Krause | 04.09.2003
    In der Muskauer Heide leben im Moment zehn Wölfe: Zwei Eltern, drei Jährlinge und fünf Welpen. Ich gehe davon aus, dass alle fünf Welpen noch am Leben sind.

    Im Auftrag des sächsischen Umweltministeriums wertet Gesa Kluth mit ihrer Kollegin Ilka Reinhardt die Spuren aus. Die beiden sammeln Kot und Hinweise von Jägern, Schäfern und Anwohnern. Bei Neustadt am Oberlauf der Spree gelang ihnen eine überraschende Entdeckung:

    Wir konnten im Laufe des letzten Jahres, vor allen Dingen während des letzten Winters, feststellen, dass in den Wäldern rund um Neustadt, wo ja auch Teile des Truppenübungsplatzes sind, zwei Wölfe ihr Territorium markieren und sehr ortstreu werden und uns sozusagen signalisieren: Wir wollen auch Welpen aufziehen.

    Ein neues, zweites Wolfsrudel schien zu entstehen. Seit Anfang Mai verfolgten die Biologinnen jedes noch so kleine Indiz. Jetzt wurde aus der Vermutung Gewissheit:

    Wir hatten zu einem Zeitpunkt ziemlich sichere Hinweise, dass sie hier drüben neun Welpen haben. Die haben wir nicht gesehen, wir haben nur Spuren gehabt. Inzwischen können wir aber sagen, dass sozusagen tagesaktuell nur sechs Welpen nachgewiesen werden konnten, über Spuren. Es kann sein, dass sie noch alle neun haben, es kann aber gut sein, dass welche von denen verhungert sind.

    Mindestens elf junge Wölfe sind es also - schon mehrfach hat Expertin Ilka Reinhard mit ihrem Hund Jacques einzelne Welpen gesichtet:

    Wie bei jungen Hunden, die haben jetzt schon riesengroße Pfoten und große Ohren, sehen ein bisschen schlaksig aus, wie Jugendliche - ein bisschen unproportioniert. Sie wachsen sozusagen in die Pfoten und die Ohren hinein. Also, wenn die fünf, sechs Monate alt sind, haben die schon so große Pfoten wie ein großer Wolf.

    Deshalb sind die Wolfsexpertinnen bei ihren Touren immer mit einem Lineal unterwegs. Über die Schrittlänge können sie ermitteln, ob es sich um ein junges oder altes Tier handelt. Fast täglich finden sie frische Spuren, denn die Wölfe haben einen immensen Hunger: Etwa vier Kilogramm Fleisch benötigt ein Tier pro Tag, bevorzugt Reh und Wildschwein. Vergangenes Jahr rissen die Wölfe aber auch Schafe - Wolfsexpertin Gesa Kluth glaubt nicht, dass das so schnell noch einmal passiert:

    Es sieht so aus, als hätten unsere Maßnahmen, die wir letztes Jahr eingeleitet haben, also den Zaun zu verstärken, mehr Strom auf den Zaun zu machen, den Zaun zu erhöhen - als hätten diese Maßnahmen den Wölfen genau das beigebracht, was wir wollten: Schafe tun weh, Schafe sind nicht so attraktiv, wie sie aussehen.

    Der pensionierte Oberförster und Jäger Siegfried Bruchholz hat beobachtet, dass sich die Wölfe nun auch für die zahlreichen Teiche in der Region interessieren:

    Natürlich, die Wölfe haben ja auch ihre Taktik und sind ja auch ganz kluge Tiere. Zum Beispiel hat uns überrascht: Wenn die Teiche abgefischt werden, ist noch Schlamm in den Teichen da, und da geht das Rotwild durch. Und das ist wieder die Chance für den Wolf, der dann leichte Beute hat. Der geht dann wie mit Schneereifen über den Schlamm und reißt das Rotwild. Und er zieht es dann ans Ufer, dass er nicht immer in Schlamm beißen muss.

    Übernehmen also demnächst die Wölfe die Arbeit der Jäger und halten den Wildbestand im rechten Maß? Graf Franz von Plettenberg vom Bundesforstamt Lausitz.

    Der Revierteil, den ich überblicke, der ist etwa 2.500 Hektar groß und Teil des Bundeswehrtruppenübungsplatzes Oberlausitz. Dort sind Wölfe seit etwa anderthalb Jahren wiederkehrend beobachtet worden. Diese Zeit ist zu kurz, um konkret und definitiv zu sagen, in welchem Umfang sich der Wolf am Wildbestand bedient und gegebenenfalls in welchem Umfang die Jäger dann entsprechend zurückschrauben müssten.

    Insgesamt sei ausreichend Wild als Nahrung für die Wölfe vorhanden. Jäger, Förster und Biologinnen betonen, dass sich die Wölfe nicht für Menschen interessieren. Vorstellungen vom bösen Wolf seien schlichtweg Quatsch, die Tiere seien auch im Rudel viel zu scheu. Der Abstand zwischen Mensch und Tier sei in Ostsachsen und Südbrandenburg aber genau der richtige. Deshalb geben alle Experten den beiden Wolfsrudeln mit ihren elf Welpen gute Überlebenschancen.