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Wörter lesen im Gehirn

Neurologie. - Das Gehirn beim Denken zu beobachten, ist ein Traum der Neurowissenschaftler. US-Forscher haben jetzt unterschiedliche Wörter im Gehirnscan sichtbar gemacht. In der aktuellen Ausgabe von "Science" berichten sie darüber.

Von Volkart Wildermuth | 30.05.2008
    Der Geist steckt im Gehirn. Davon sind Tom Mitchell und Marcel Just von der Carnegie Mellon Universität in Pittsburgh überzeugt. Doch ihn in den Millisekunden schnell flickernden Mustern der Nervenaktivität aufzuspüren, ist fast unmöglich. Die beiden Neurowissenschaftler ließen Versuchspersonen Strichzeichnungen und Namen von 60 konkreten Objekten betrachten, wie Tomate, Flugzeug oder Fuß. Gleichzeitig schauten sie ihnen ins Gehirn. Die bunten Bilder, die dabei herauskamen waren erst einmal nicht zu interpretieren. Mit einem linguistischen Trick gelang das Kunststück dann doch: die Substantive wurden sozusagen mit Verben eingekreist, erläutert Marcel Just.

    "”Wir glauben, dass Dinge im Gehirn über unsere Interaktion mit diesen Dingen abgespeichert werden. Nehmen sie als Beispiel das Wort Apfel. Sie können ihn essen, riechen, festhalten und diese Verben, diese Aktionen sind der Schlüssel zur Darstellung dieses Wortes im Gehirn.""

    Anhand einer Internettextsammlung mit über einer Billion Worten analysierten die Forscher aus Pittsburgh, wie häufig jedes Substantiv von 25 Verben wie essen, fahren oder reiben begleitet wird. Dabei entstand eine Art Netzwerk der Assoziationen. Just:
    "”Diese Billion Worte, die wir analysiert haben, hat keine Schreibmaschine zufällig ausgespuckt. Die stammen von Menschen, die ihre Gedanken in Worte gefasst haben.""

    Und in diesen Gedanken ist das Substantiv "Apfel" deutlich häufiger mit der Tätigkeit "essen" oder "schmecken" verknüpft, als mit "fahren" oder "hören". Mit diesem Wissen konnten die Forscher die Hirnbilder zu den verschiedenen Objekten, sozusagen durch die linguistische Brille betrachten. Sie rechneten auseinander, welcher Anteil der Nervenaktivität jeweils auf die verschiedenen Handlungen zurückgeht, die das Gehirn mit einem Wort wie Apfel verknüpft. Welche Gehirnaktivität ein unbekanntes Objekt auslöst, ist jetzt einfach zu ermitteln, meint Tom Mitchell.

    "”Nehmen Sie ein Wort wie ‚Schuh’. Das Programm guckt erst nach, wie häufig die 25 Verben mit ihm verknüpft sind und dann addiert es entsprechend die Aktivitätsmuster dieser Verben im Gehirn zusammen.""

    Das Computerprogramm war damit reif für eine wissenschaftliche Version des Gedankenlesens. Es sollte an Hand eines Gehirnbilds herausfinden, an welches von zwei Objekten, die Versuchsperson im Hirnscanner gedacht hatten: Apfel oder Flugzeug. In durchschnittlich drei von vier Versuchen lag das Programm richtig. Es schneidet damit deutlich besser ab, als jemand, der einfach raten würde. Aber es ist noch lange nicht perfekt. Marcel Just:

    "”Entscheidend ist, dass wir begonnen haben, den Code des Gehirns zu entschlüsseln. Es ist ein toller erster Schritt, aber wir müssen noch weit gehen. Werden wir irgendwann sagen können, an welchen Gegenstand ein Mensch denkt? Ich glaube, wir werden das erstaunlich gut ablesen können, vorausgesetzt die Versuchsperson macht mit.""

    Sie muss vor allem den Kopf ruhig halten und darf sich nicht ablenken lasen und statt an den Gegenstand, an das Mittagessen denken, meint Marcel Just. Er hofft mit seinem Programm einmal verstehen zu können, wie sich die Gedanken durch psychiatrische Krankheiten verändern. Dazu reicht es allerdings nicht, einzelne Worte zu analysieren. In Pittsburgh hat Tom Mitchell deshalb bereits begonnen, dem Gehirn zuzusehen, wie es Substantive mit Adjektiven kombiniert.

    "”Ich zeige Ihnen das Wort ‚Hase’ und messe neuronale Aktivität. Nun sage ich ‚schneller Hase’, oder ‚weicher Hase’ oder ‚hungriger Hase’ und das ergibt eine unterschiedliche Aktivität. Wir wollen ein Modell entwickeln, das nachvollzieht was geschieht, wenn verschiedene Worte sinnvoll kombiniert werden.""

    Marcel Just:

    "”Wie baut das Gehirn das zusammen? Sätze sind der Kern der Sprache und der Gedanken. Können wir das analysieren? Wir arbeiten hart daran, fragen sie mich nächstes Jahr!""