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Woher kommt das Fleisch?

An einer Schule in Ratekau bei Lübeck hatte im Frühjahr ein Landwirt im Unterricht ein Kaninchen geschlachtet. Im Rahmen einer Projektwoche über die Steinzeit sollten die Schüler diesen Teil der Realität erfahren. Die folgende Kritik an dem Anschauungsunterricht war massiv.

Von Friedrich Keller | 03.10.2011
    Eigentlich sollte es ein gute Sache werden, so wie die Projektwochen in den vergangenen Jahren auch. Dieses Mal hatten die Lehrer der fünften Klassen eine Reise in die Steinzeit geplant. Sie bauten gemeinsam Zelte, stellten Werkzeug her und mahlten Getreide. Und dann hatte ein Vater die Idee, vor den Augen der Kinder ein Kaninchen zu schlachten. Er wollte den Kindern demonstrieren, das Fleisch nicht aus Kühltruhe kommt, sondern dass Tiere dafür sterben müssen:

    "Es ist Teil unserer Realität und ich denke, dass Kinder damit umgehen können. Ich denke auch, dass man Kinder ganz früh damit konfrontieren kann.
    Wichtig ist: Sie brauchen da eine Begleitung bei."

    Mit seiner Idee stieß Landwirt und Sozialpädagoge Dirk Lingens bei den verantwortlichen Lehrern auf offene Ohren. Und so duften die Fünftklässler ein Kaninchen zunächst streicheln – um dann zu erleben, wie es ist, wenn es getötet wird.

    "Ja, es haben einige Schüler natürlich geweint, was sicherlich auch klar ist. Ich denke niemand schaut sich gerne an, wie ein Tier getötet wird. Das war uns schon klar. Allerdings waren wir insofern vorbereitet, dass wir als Kollegen natürlich immer dabei standen und sofort eingegriffen haben, die Schüler beiseite genommen haben und sie getröstet haben, mit ihnen geredet haben."

    Dieter Wetzelt ist Lehrer an der Schule. Auch er hatte die Schlachtung befürwortet – unter einer Bedingung – die Teilnahme sollte freiwillig sein. Doch sind Fünftklässler tatsächlich reif genug, solch eine Entscheidung zu treffen? Schulleiter Georg Kraus war sich im Nachhinein nicht mehr ganz so sicher:

    "Ich kann sicherlich auch nicht ausschließen, dass sich sicherlich ein paar Kinder hier einem Gruppendruck aussetzen mussten und daran teilgenommen haben, obwohl sie das eigentlich nicht wollten."

    Hinzu kam, dass 30 Schüler noch Unterschriften gegen die Schlachtung gesammelt hatten – ohne Erfolg. Die Eltern der Kinder erfuhren erst nach der Projektwoche von dem getöteten Kaninchen – einige von ihnen waren entrüstet. Die Elternbeiratsvorsitzende Beate Pegelow:

    "Das mag alles pädagogisch sein. Viele Kinder haben Kaninchen als Kuscheltiere. Übrig bleibt bei dieser Aktion nur das niedliche Häschen mit dem Stummelschwanz. Also, ich halte es für sehr grenzwertig."

    Hauptkritikpunkt der Eltern war, dass sie vorab nicht informiert wurden und somit ihren Kindern bei der Entscheidung nicht helfen konnten. Kritik kam auch vom Lübecker Kinderpsychologen Josef Althaus. Aus seiner Sicht sind nicht alle Kinder in der Lage, solche Erlebnisse zu verarbeiten.

    "Es kann sich in alle Muster auswirken, die wir aus dem psychiatrischen Formenkreis kennen. Also bis hin zur Angststörung, bis hin zu einer depressiven Entwicklung. Wobei das auch immer untermauert wird von Neigungen oder Bereitschaften, die das Kind sowieso hat."

    Am Ende entschuldigten sich die Lehrer bei den Eltern und sicherten zu, dass an der Schule künftig kein Tier mehr geschlachtet werde. An den Projektwochen zur Steinzeit wollen Lehrer und Eltern dagegen unbedingt festhalten. .