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Woher wird der Wind wehen?

Energie.- Das aktuelle Wissenschaftsjahr soll anders werden als die bisherigen. Interdisziplinäres Arbeiten lautet die diesjährige Devise. Was das genau bedeutet und welche Auswirkungen das auf die Energieerzeugung haben könnte, erklärt Wissenschaftsjournalist Sönke Gäthke im Interview mit Michael Böddeker.

    Böddeker: Das Jahr der Technik, das Jahr der Chemie, der Mathematik. Das waren einige der Wissenschaftsjahre in den vergangenen Jahren. Das Wissenschaftsjahr gibt es seit dem Jahr 2000, ausgerichtet werden diese Wissenschaftsjahre vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Ziel ist es, eine breite Öffentlichkeit für wissenschaftliche Themen zu interessieren. Das Motto in diesem Jahr lautet "Die Zukunft der Energie". Heute Abend wird das Wissenschaftsjahr 2010 von Bundesforschungsministerin Annette Schavan eröffnet. Mit dem Wissenschaftsjahr 2010 und den Energien der Zukunft hat sich auch mein Kollege Sönke Gäthke befasst. Herr Gäthke, dieses Wissenschaftsjahr soll jetzt anders werden als die bisherigen, heißt es in der Ankündigung, nämlich interdisziplinär. Was heißt das?

    Gäthke: Interdisziplinär heißt, dass an dem Thema Energie sehr viele Wissenschaftler aus vielen verschiedenen Disziplinen arbeiten. Da gibt es Ingenieure, da gibt es Physiker, Chemiker, Materialwissenschaftler. Da gibt es Informatiker, Kommunikationswissenschaftler, Wirtschaftswissenschaftler – die alle arbeiten an Entwicklungen und es ist ein sehr aktuelles Thema.

    Böddeker: Warum ist das Thema so aktuell?

    Gäthke: Weil sich in den nächsten zehn oder 20 Jahren sehr viel rund um das Thema Energie ändern muss. Nehmen wir den Energieverbrauch: Der wird derzeit von zwei Seiten regelrecht in die Zange genommen. Auf der einen Seite verfeuert die Menschheit zum Heizen, Fahren und Arbeiten Öl, Gas, Kohle oder Uran. Das sind alles Stoffe oder Prozesse, bei denen Kohlendioxid freigesetzt wird. Die Folgen sind der Klimawandel. Wenn wir den eindämmen wollen, müssen wir in den nächsten Jahren hier umsteuern. Zum anderen werden diese Quellen in den nächsten Jahren knapp, vor allem das Öl. Ein Ersatz für Öl muss her, besonders im Transportwesen, weil Öl eigentlich zu schade ist, um es zu verfeuern. Aber auch die Energieerzeugung ändert sich. Da haben wir ausgerechnet jetzt ein Drittel der Kraftwerke, die in Deutschland an ihre Lebensgrenze kommen – die müssen ersetzt werden. Und das ist nicht nur in Deutschland so, das ist auch in anderen Ländern so, in Großbritannien zum Beispiel. Und ebenso ausgerechnet jetzt, wird die Windenergie gerade konkurrenzfähig, holt die Sonnenergie auf. Das sind beides Techniken, mit denen man sehr viel Kohlendioxid einsparen könnte. Es besteht also in diesem Jahr die historisch einmalige Chance, die Energieerzeugung umzubauen. Und das passt, dass die Bundesforschungsministerin Annette Schavan ankündigte, den Posten für die Energieforschung in ihrem Ministerium in diesem Jahr um zehn Prozent erhöhen zu wollen, auf 400 Millionen Euro.

    Böddeker: Also der Wind wird eine große Rolle spielen in der Zukunft, wie sie eben sagten. Wind hat natürlich auch den Nachteil, dass er ja sehr unregelmäßig weht.

    Gäthke: Ja, und das ist genau der Punkt, wo die ganze Energieforschung und -entwicklung jetzt interdisziplinär wird. Es wird also gesucht, irgendeine Technik, mit der man diesen Nachteil ausgleichen könnte. Und das versucht man über den massiven Einsatz von Rechnern und von Kommunikation, von Wirtschaftswissenschaften und der klassischen Energietechnik. So ist die Idee, zum Beispiel dafür zu sorgen, dass man sagt, okay, viele Menschen sollen jetzt ihr Gerät anfangen immer dann einzuschalten, wenn tatsächlich mehr Wind weht und ausschalten, wenn weniger Wind weht. Dafür müssen die Energieversorger erstmal überhaupt wissen: Wann ist es soweit? Wann weht mehr Wind, wann weht weniger Wind? Dafür muss man Prognosetechniken haben, dafür braucht man übrigens auch Meteorologen mit ihren Vorhersagen. Dann braucht man eine Technik, um den Kunden mitzuteilen, dass es jetzt so weit ist, und ihn dazu zu animieren, dass er jetzt wirklich seine Geräte einschaltet oder ausschaltet. Das geht meistens am besten über den Preis. Also braucht man noch eine Technik, mit der man überhaupt erst mal Preise ermittelt und diese dann an den Kunden überträgt. Und wenn man das alles hat, dann muss man ausprobieren, ob der Kunde das überhaupt will.

    Böddeker: Gibt es dazu denn auch schon Projekte?

    Gäthke: Die gibt es, die laufen schon seit einigen Jahren an. Und da gibt es im Rahmen des E-Energie-Programms sechs Projekte. So will der Landkreis Harz zum Beispiel seinen Strombedarf komplett selbst decken, indem er seine Winderegieparks mit Speicherkraftwerken und Verbrauchern kombiniert und versucht, da einen gleichmäßigen Ausgleich zu erzielen.

    Böddeker: Und die Bundesregierung möchte jetzt aber die Atomkraftwerke möglicherweise noch länger laufen lassen. Wo ist da der Platz für diese Technik?

    Gäthke: Die liegen eigentlich so ziemlich quer zu diesen modernen Techniken. Denn so flexibel die neue Energieerzeugung ist und so neu die neuen Techniken werden müssen, so starr ist eigentlich die Atomkraft. Denn Atomkraftwerke sind Grundlastkraftwerke. Die laufen rund um die Uhr, die erzeugen immer möglichst dieselbe Energiemenge und man mag sie eigentlich nicht gerne umsteuern. Dieser Kraftwerkstyp wird wahrscheinlich so in den nächsten 50 Jahren, denken Experten, aussterben. Das trifft nicht nur Atomkraft, das trifft auch das Braunkohlekraftwerk. An dieser Technik festzuhalten, würde bedeuten, alte Strukturen zu erhalten, die dann der neuen Energie im Wege stehen.

    Böddeker: Vielen Dank. Sönke Gäthke war das zum Wissenschaftsjahr 2010.