Archiv


Wohin mit dem Berliner Müll?

Wohin mit dem Müll? Das ist eine Frage, die viele Gemeinden beschäftigt. Noch bis in die 70er Jahre wurde der gesamte Müll nahezu ausschließlich auf Deponien gekippt, angefangen von Hausmüll bis zu Industrieabfällen und hochgradig gefährlichem Sonderabfall. Heute rächt sich das. Denn viele Deponien sind undicht und vergiften nun die Umwelt - und zwar auch dann, wenn sie schon längst stillgelegt sind. So zum Beispiel in Berlin. Die 52 Hektar große ehemalige zentrale Deponie von West-Berlin verschmutzt den nahegelegenen Griebnitzsee und das Trinkwasser. Dass das nicht ungefährlich ist, darüber sind sich alle einig. Wie groß aber die Gefahr und damit der Handlungsbedarf ist - darüber gibt es Streit in der Hauptstadt.

von Michael Frantzen |
    Das Wasser des Griebnitzsees im Südwesten Berlins fließt träge vor sich hin. Am Ufer sattes Grün. Doch der idyllische Schein trügt. Denn keine hundert Meter entfernt liegt die Mülldeponie Wannsee, wo bis Anfang der Achtziger Jahre der gesamte Müll West-Berlins landete, darunter auch Industrieabfälle und Altöle. Die Deponie ist zwar längst stillgelegt, aber: Sie ist undicht. "Ein Skandal" - findet die Umwelt-Sprecherin der Grünen im Berliner Abgeordneten-Haus, Claudia Hämmerling:

    "Dieser Sondermüll, auch Altöle, laufen natürlich durch die Deponie inzwischen durch, gelangen in das Schichtenwasser und von dort aus in den Griebnitzsee, aber auch ins Grundwasser, in den unteren Grundwasser-Horizont und verseuchen auf diese Weise das Grundwasser der Zukunft. Wir sagen: Das ist kriminell. Man kann das Grundwasser nicht einfach so gefährden und haben deswegen Anzeige wegen Verschmutzung des Grundwassers erstattet."

    Geklagt haben die Grünen gegen den zuständigen Senat für Stadtentwicklung. Der hält schon seit fünf Jahren ein Gutachten des Berliner Ingenieur-Büros Müller-Kirchenbauer und Partner unter Verschluss, in dem die Rede ist von - Zitat - "einer hohen Beeinträchtigung des Grundwassers." Und weiter: "Die im Wasser festgestellten Stoffkonzentrationen überschreiten die Eingreifwerte bei Nickel, Arsen und Ammonium bis zum sechsfachen." Pressesprecherin Petra Reets bestreitet zwar nicht die Existenz des Gutachtens, nur:

    "Das Problem an der ganzen Sache ist, dass der Stadtentwicklungs-Senat wie das gesamte Land Berlin ein Senat der leeren Kassen ist. Wir müssen immer da handeln, wo Gefahr in Verzug ist. Wir sagen: Es ist eine potentielle Gefahr da, sie ist aber keine Gefahr im Verzug. D.h., also nicht etwas, was man sofort machen muss, weil sofort Gesundheits-Gefährdungen ausgehen können. Wir haben dort Wasserströmungen, die minimal sind. Wir haben Modell-Rechnungen, dass man sagt: Es wird 1500 Jahre dauern, bis die Schadstoffe aus der Deponie Wannsee im Wasserwerk Belitzhof angelangt sind."

    Die Grünen sind nicht die einzigen, die wegen der Deponie am Wannsee die Gerichte angerufen haben. Denn auch der ehemalige Betreiber - die Berliner Stadtreinigungsbetriebe, kurz BSR - zog letztes Jahr vor Gericht, nachdem das Unternehmen vom Stadtentwicklungs-Senat aufgefordert worden war, die Deponie zu sichern. Die BSR aber weigerte sich: Die ehemalige Müllkippe sei doch längst im Besitz des Landes. Und deshalb solle das Land auch zahlen. Eine Entscheidung steht noch aus und solange lässt die BSR lediglich das Grundwasser beobachten. Dass Tag für Tag eine Millionen Liter an verseuchtem Wasser in den Griebnitzsee fließen - BSR-Sprecherin Sabine Thümler findet das nicht weiter dramatisch:

    "Wenn man allerdings eine Millionen Liter mal auf Kubikmeter zurückfährt - dann sind das 1000 Kubikmeter. Und wenn sie dann mal sehen, wie groß so ein See ist - ist das eigentlich nicht so fürchterlich viel."

    32 Millionen Kubikmeter Abfälle landeten seit Mitte der Fünfziger Jahre auf der Deponie - egal, ob jetzt Hausmüll oder gefährliche Industrieabfälle und flüssige Giftschlämme. Dass da eine Zeitbombe tickt, haben damals nur die wenigsten gewusst. Oder wissen wollen. Der Deponie-Experte Rolf Esslinger jedenfalls meint:

    "Dass bis Mitte der 60er Jahre a) keine Sensibilität für Umweltprobleme bestand und 2. dass keine gesetzliche Regelungen da waren, die erst so Ende der 60er, Mitte der 70er Jahre einsetzten. Und im Grunde genommen hat jede Gemeinde ihre Altlast, ihre Alt-Deponie. Hier die Stadt Berlin natürlich in ner anderen Größenordnung, aber vergleichbares gibt es auch in München. Wobei man dort allerdings sagen muss: Die Mülldeponie München Nord wurde jetzt umfassend, recht teuer, recht aufwendig saniert."

    20 Millionen Mark würde die Sanierung der Deponie am Wannsee kosten - Geld, das weder der Senat locker machen will noch die BSR: Leere Kassen. Claudia Hämmerling will sich damit nicht abfinden:

    "Da werden in anderen Haushaltstiteln die Gelder zusammengekratzt, damit die Fußballweltmeisterschaften hier 2006 stattfinden können. Wenn das möglich ist, dann muss es auch möglich sein, für nachfolgende Generationen das Trinkwasser sauber zu halten. Denn: Wir dürfen ja nicht vergessen: Jeden Tag, den die Sanierung weiter verschleppt wird, läuft mehr Wasser in das Grundwasser ein und werden letztlich die Entsorgungs- und Sanierungs-Kosten in die Zukunft verlagert und größer werden."