" Wir haben die Asbestplatten mit dem Hammer kleingeschlagen, damit sie in die Container passten. Das wurde dann mit anderem Material aufgefüllt. "Passt auf, hat man uns gesagt, Asbest schlägt man nicht mit dem Hammer kaputt." Aber es hat auch niemand versucht, uns davon abzuhalten. Das ist eine Mentalitätsfrage. Die älteren Arbeiter hier sagen sich: Wir arbeiten nun mal im Dreck und wenn wir deshalb zehn Jahre früher sterben, dann ist das halt so."
Es ist diese Mischung aus Schlamperei und krimineller Gier, die das Abfallgeschäft so gefährlich macht. Manche Gegenden sind dafür offensichtlich besonders anfällig. Rund um die Abfalldeponie Charleroi, wo jetzt das Asbest gefunden wurde, brannten in den letzten Jahren immer wieder riesige alte Scheunen ab. Die Scheunen waren bis obenhin mit alten Autoreifen gefüllt. Tagelang hing der beißende Rauch in der Luft. Die Besitzer hatten für jeden Reifen ein paar Euro kassiert und die ordentliche Beseitigung zugesagt. Das Feuer hat ihnen einen satten Gewinn gebracht, ob es Brandstiftung war, konnte nie bewiesen werden.
Axel Singhofen arbeitet als Abfallexperte für die Grünen im Europaparlament:
"Der Abfallbereich ist natürlich deswegen besonders attraktiv für halbseidene Geschäfte, weil man gerade hier besonders dann Geld verdienen kann, wenn man nicht fachgerecht die beste Möglichkeit wählt, um etwas zu entsorgen, weil das normalerweise auch die teuerste Lösung ist, Sondern halt einfach versucht, es die Klippen runterzuschmeißen oder illegal zu entsorgen. Dann kann man sehr viel Geld verdienen."
Rund 150 Euro verlangen Entsorger dafür, eine Tonne Hausmüll zu beseitigen. Industriemüll kann schnell etwas teurer werden, je nachdem, wie er vorsortiert ist. Je gefährlicher die Stoffe sind, desto teurer ist die Entsorgung und desto größer die Versuchung, den Müll irgendwo verschwinden zu lassen. Vor allem, wenn man sich darauf verlassen kann, dass die Polizei nicht so genau hinschaut.
Belgien ist da keine Ausnahme. Es gibt eine ganze Reihe von Ländern, auch in der Europäischen Union, in denen Umweltvergehen noch immer als Kavaliersdelikte gesehen werden.
Dabei fehlt es nicht an Gesetzen. Allein die EU hat in den letzten Jahrzehnten nicht weniger als 12 Richtlinien beschlossen, die sich mit Abfall befassen. Alles wurde geregelt, bis ins kleinste Detail. Und weil die Müllmafia immer wieder Schlupflöcher fand, musste immer wieder nachgebessert werden.
Heute gibt es so viele Vorschriften, dass man sie nicht mehr überblicken kann, meint Udo Jessner von der Abfallgesellschaft Weseler Kreis bei Düsseldorf:
" Wir sind kaum noch in der Lage, dieser Flut von Regelungen Herr zu werden oder auch nur nachzuhalten, welcher Mitarbeiter welche Anforderungen erfüllen muss. Wir haben vor kurzem ein EDV-Programm entwickeln lassen, das uns hilft, all diese Regelungen und Fristen zu überwachen."
Das ist einer der Hauptkonflikte der Abfallpolitik: Auf der einen Seite die Gefahr der illegalen Entsorgung auf Kosten der Umwelt, auf der anderen Seite die Gefahr der Überregulierung, unter der vor allem jene Betriebe leiden, die den Umweltschutz ernstnehmen. Die EU-Kommission will nun die Vorschriften einfacher und übersichtlicher machen. "Better Regulation" heißt das Programm, mit dem die EU-Kommission den europäischen Gesetzesdschungel lichten will. Zu deutsch: "Bessere Gesetzgebung." Es geht nicht darum, Gesetze abzuschaffen, sagt EU-Industriekommissar Günter Verheugen, es geht darum, die europäischen Vorschriften benutzerfreundlicher zu machen.
" Zu komplizierte Regelungen verursachen Kosten für die Wirtschaft, die das Wachstum und die Arbeitsplätze behindern, und mein Ausgangspunkt bei der ganzen Sache war, ich will erreichen, dass die Wirtschaft von überflüssigen und zu komplizieren Regeln befreit wird, damit mehr Geld da ist für die Schaffung von Investitionen und Arbeitsplätzen."
Die zwölf europäischen Abfallgesetze sollen in den nächsten Monaten unter einer Rahmenrichtlinie zusammengefasst und vereinfacht werden. Dass die EU-Kommission ausgerechnet im heiklen Abfallsektor mit dem Bürokratieabbau anfangen will, hat im Europaparlament manche misstrauisch gemacht. Die Grünen-Abgeordnete Hiltrud Breyer glaubt, dass die EU-Kommission nicht nur überflüssige Vorschriften, sondern auch ein paar umweltpolitische Grundsätze loswerden will.
" Was die EU hier macht, ist eigentlich ein Roll-back. Man tut die Verbrennung mehr in den Mittelpunkt rücken. Das hat nichts mit Umwelt- und Verbraucherpolitik zu tun, sondern das sind klar die Interessen der Industrie, und das ist hier zu kritisieren."
Auch andere Abgeordnete sind der Meinung, dass es mit dem Ausmisten und Zusammenfassen der Vorschriften nicht getan ist. Denn die europäischen Abfallvorschriften stammen teilweise noch aus den 70er Jahren. Seitdem hat sich viel geändert, und dem muss die neue Richtlinie Rechung tragen. Der CDU-Europaabgeordnete Karl-Heinz Florenz beschreibt die Herausforderung, um die es geht.
" Ich möchte am liebsten den Begriff Abfall ganz abschaffen. Wir haben nur noch ganz ganz wenig Abfall. Fast alles sind Wertstoffe, und darauf kommt's mir an. Was heute landläufig als Abfall angesehen wird, sind Wertstoffe für unsere Kinder: Papier, Plastik, Stahl, Aluminium, Elektronikschrott. Das darf man nicht einfach auf die Müllkippe werfen oder eingraben. Das sind Stoffe, die wir Europäer ohnehin zu wenig haben. Es muss mehr aufgearbeitet werden und zwar sinnvoll aufgearbeitet werden."
Bis hierhin sind sich fast alle einig: Im Müll sind wertvolle Rohstoffe, die wir noch brauchen. Der Streit beginnt bei der Frage, wie man Industrie und Mitgliedsstaaten dazu bringt, mehr Abfälle als bisher zu recyceln. Und: Welche Kosten kann man der Wirtschaft zumuten.
Technisch wäre es möglich, 80 Prozent des Hausmülls wiederzuverwerten. Dänemark kommt bereits auf 65 Prozent Wiederverwertung. In Deutschland sind es immerhin 50 Prozent. Doch in den meisten EU-Ländern wird der größte Teil der Abfälle nach wie vor verbrannt oder auf Müllhalden deponiert. Eine unverantwortliche Verschwendung, meint Fouad Hamdan von der Umweltorganisation Friends of the Earth:
" Wenn man eine Tonne Rohstoffe verbrennt, dann muss man zehn Tonnen Rohstoffe aus den Wäldern und aus der Erde wieder rausziehen, um das wieder gutzumachen. Davon reden wir, es geht darum, wie viel Geld wird da verbrannt, wie viel Rohstoffe werden verbrannt, und wie viel weniger Ressourcen werden künftige Generationen haben, wenn man den Müll ganz einfach und dumm verbrennt. Statt kompliziert und intelligent vorher zu trennen, zu vermeiden und zu recyceln."
Auch die EU-Kommission betont, dass sie eine höhere Recyclingquote anstrebe. Nur in den konkreten Paragraphen, die die Kommission in der neuen Rahmenrichtlinie vorschlägt, findet sich davon nichts. Die europäische Zentralbehörde setzt vielmehr auf die Kräfte des Marktes.
Im Kern gibt es derzeit drei unterschiedliche Positionen zur Abfallpolitik in Europa: Die der Industrie, die der Gemeinden und die der Umweltverbände.
Die Industrie möchte sowenig Vorschriften wie möglich. Wo sich die Wiederverwertung von Abfällen rechnet, so ihr Argument, da werde sie ohnehin gemacht. Rohstoffhändler zahlen zum Beispiel für eine Tonne gut sortierten Kunststoffmüll bis zu 400 Euro. Wir brauchen keine Vorschriften, die alles nur noch teurer machen, sagen die Industrieverbände, der Markt regelt das schon.
Dem gegenüber stehen die Städte und Gemeinden. Denn eine der bisherigen Grundregeln in Europa war: Müll soll dort vernichtet werden, wo er entsteht. Damit sollte verhindert werden, dass Müll kreuz und quer durch Europa transportiert wird und dann irgendwo verschwindet. Die Städte und Gemeinden haben deshalb in den vergangenen Jahrzehnten viel Geld in Müllverbrennungsanlagen investiert. Die müssen sich lohnen, meint Udo Jessner von der Abfallgesellschaft Weseler Kreis, deshalb seien klare Vorschriften nötig. Vor allem müsse die EU klarstellen, dass Müllverbrennung, bei der Strom entsteht, auch eine Art der Wiederverwertung ist.
" Unsere Anlage hat mit der Hälfte ihrer Kapazität Abfälle zu behandeln, die aus den Kommunen kommen unter Anschluss und Benutzungszwang als Satzungsabfälle. Die andere Hälfte der Abfälle besorgen wir uns auf dem freien Markt als Abfälle zur Verwertung. Wir müssen, um einen gesicherten Betrieb gewährleisten zu können, sicher sein, dass wir diese Abfälle zur Verwertung weiter auf dem Markt einwerben können. Dazu müssen wir eine Verwertungsanlage sein, wir erhoffen uns Klarheit von der EU in dieser Frage."
Müllverbrennung als eine Form der Wiederverwertung - für die Umweltverbände ist das ein Widerspruch in sich. Sie kritisieren, dass selbst modernste Anlagen nur relativ wenig Strom erzeugen, verglichen mit den Rohstoffen, die sie verbrennen. Vor allem aber würden die Müllverbrennungsanlagen das Kernproblem nur verschleiern.
Vor 20 Jahren drohte Europa im Müll zu ersticken. 300 Kilogramm Abfälle produzierte jeder Europäer im Schnitt jedes Jahr. Die Müllhalden wurden immer größer, die Städte und Gemeinden wussten nicht mehr wohin mit dem Abfall. Die EU versprach, alles zu tun, damit nicht noch mehr Müll entstehe. Das war die Zeit, als man in der EU noch ernsthaft über Müllvermeidung und Wiederverwertung redete. Doch die Städte und Gemeinden fanden einen einfacheren Ausweg aus der Müllkrise: die Verbrennungsöfen. Seitdem ist das Problem aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden. Heute produzieren wir pro Kopf doppelt so viel Müll wie vor zwanzig Jahren. Tendenz steigend. Nur: Man sieht die Müllberge nicht mehr.
Die Verbrennungsanlagen haben das Problem nicht gelöst, meint Axel Singhofen von den Grünen, sondern verschärft:
" Ein Müllverbrenner ist über Jahrzehnte hinweg darauf angewiesen, dass der Müll kommt. Was natürlich eben genau das Problem für die Abfallvermeidung, die Wiederverwertung und das Recycling ist, dass man hier einen direkten Gegenanreiz zu diesen an sich höherwertigen Zielen schafft."
Die Umweltverbände fordern deshalb, dass die EU auch für Haus- und Industriemüll strenge Quoten festlegt, welcher Anteil wiederverwertet werden muss und wie viel verbrannt oder vergraben werden darf. So wie das für Altautos und Elektroschrott bereits der Fall ist. Dort müssen zwischen 50 und 80 Prozent der Teile wieder verwertet werden. Diese Gesetze haben dazu geführt, dass die Hersteller schon bei der Produktion darauf achten, welche Bauteile sie verwenden. Einige Materialien werden seither vermieden, weil sie nicht wieder verwertbar sind.
Solche Regelungen wären auch für ganz normalen Müll nötig, meint Fouad Hamdan von der Umweltorganisation Friends of the Earth.
" Dann sind die Gemeinden gezwungen, sich hinzusetzen und sich zu überlegen, ok, wir wollen jetzt bestimmte Arten von Müll vermeiden. Wir sagen allen möglichen Produzenten, die und die Verpackung kann nicht mehr aus drei verschiedenen Produkten sein, aus Plastik, Metall, PVC oder irgendwas. Sondern nur noch aus einem Material, das recycelbar oder wieder verwendbar sein und dann würde sich die Produktion langsam und systematisch in diese Richtung bewegen."
Doch für solche Überlegungen gibt es derzeit keine Mehrheiten. Die Grünen und auch die Umweltverbände haben im Moment wenig Einfluß in der Europäischen Union. Die EU-Kommission verfolgt seit einigen Jahren einen strikt wirtschaftsnahen Kurs, bei dem Umweltbelange kaum eine Rolle spielen. Selbst der für Umwelt zuständige Kommissar Stavros Dimas will von schärferen Vorschriften zur Müllvermeidung und Wiederverwertung nichts wissen. Er will sogar die bestehenden Vorschriften lockern.
Sein Gesetzesvorschlag kommt sowohl der Industrie als auch den Kommunen entgegen. Denn Dimas will zum einen mehr Abfälle für die Müllverbrennung zulassen, was den Gemeinden gefallen wird. Zum anderen will der EU-Umweltkommissar viele wiederverwertbare Abfälle ganz aus der Müllgesetzgebung herausnehmen. Sauber getrenntes Altpapier beispielsweise sei eine Handelsware, so Dimas, dafür brauche man keine Müllvorschriften.
Im Europäischen Parlament sieht man das mit gemischten Gefühlen. Manchen Abgeordneten geht die geplante Liberalisierung deutlich zu weit. Doch die meisten Parlamentarier sind noch dabei, sich eine Meinung zu bilden. Der CDU-Europaabgeordnete Karl-Heinz Florenz befasst sich schon länger mit dem Abfallproblem.
" Der Abfallbegriff sollte durchaus eine gewisse Hierarchie haben, dass man erst einmal vermeidet nach wie vor und dann wieder verwendet. Diese alten Strukturen wollen wir durchaus beibehalten, aber etwas flexibler gestalten. Eine alte Waschmaschine beispielsweise, die noch läuft, die aber 20 Jahre als ist, die gehört ganz schnell auf den Elektronikschrott, weil sie viel zu viel Wasser verbraucht, viel zu viel Energie. Aber, mein Gott, eine alte Motorhaube, warum sollte man die nicht wieder verwenden bei einem Auto. Also es kommt immer auf den Fall an, deswegen muss so eine Abfallhierarchie transparent sein. Und wenn sie wollen, von Produkt zu Produkt kann sie schwanken, also mal macht's Sinn und mal macht es Unsinn."
Abfallexperten sehen gerade in dieser geplanten Flexibilität ein Problem: Vorschriften, die nicht immer gelten, werden immer umgangen. Vor allem die Umdeklarierung von wiederverwertbaren Abfällen in Handelsware bereitet vielen Experten Kopfzerbrechen. Jacques Hoffenberg ist Abfallberater der dänischen Regierung. Er befürchtet, dass der Müllexport in die Dritte Welt wieder dramatisch zunehmen können.
" Solange Abfälle unter die Abfallgesetzgebung fallen, müssen sie rückverfolgbar sein. Die Regierungen können Auflagen machen, wie die Abfälle behandelt werden müssen und wie und wohin sie transportiert werden dürfen. Wenn man Abfälle dagegen zu Rohstoffen erklärt, dann sind sie Handelsware. Dann gibt es für diese Stoffe auch keine Kontrollen mehr an den Grenzen und keine Möglichkeit für Regierungen, die Einfuhr zu beschränken. "
Vor einigen Jahren war es vor allem Plastikmüll, der in die Dritte Welt exportiert wurde. In vielen Slums versuchten die Menschen dann, die brauchbaren Teile herauszufischen, der Rest landete in den Flüssen und auf wilden Deponien. Seit dem weltweiten Anstieg der Rohstoffpreise hat diese Form des Müllexports nachgelassen. Sortierter Plastikmüll bringt gutes Geld, da lohnt es sich, diese Abfälle in Europa zu lassen und hier zu sortieren.
Seit einiger Zeit ist es vor allem Elektronikschrott, der in großem Stil nach Afrika und Asien exportiert wird. Zur Wiederverwertung, wie es heißt. Doch mit schlimmen Folgen für die Umwelt, meint der Abfallexperte der Grünen im Europaparlament, Axel Singhofen.
" In Elektro- und Elektronikgeräten sind alle möglichen Substanzen drin. Wenn man das jetzt in Entwicklungsländer schickt, dann versuchen die, das was da drin ist und was sie vielleicht zu Geld machen können, rauszutrennen in einfachsten Hinterhofschmelzen. Alles was sie nicht brauchen können, wird wild entsorgt."
Schon heute ist es schwierig, den Export von gefährlichem Elektoschrott einzudämmen. Im Rotterdamer Hafen überprüfen Zollfahnder oft ganze Containerladungen, ob die alten Computer noch funktionieren oder einfach nur Sondermüll sind. Eine Sysiphusarbeit an der Steckdose. Die niederländische Regierung hat kürzlich Zahlen veröffentlicht, nach denen 50 Prozent der kontrollierten Müllexporte illegal waren.
Doch wenn die EU den Abfallbegriff lockert, dann werden Kontrollen noch schwieriger. Dann gilt fast jeder wieder verwertbare Müll als einfache Handelsware, deren Ein- und Ausfuhr nicht behindert werden darf. Das Prinzip, Abfälle möglichst nah an ihrem Herkunftsort zu verarbeiten, wird damit ausgehöhlt. Der Anreiz für Entsorgungsfirmen, in Mitteleuropa Sortier- und Verwertungskapazitäten aufzubauen, wird deutlich schrumpfen.
Jacques Hoffenberg vom Dänischen Abfallrat hält das für eine falsche Entwicklung. Aber sie war zu erwarten, sagt er.
" Das Bemühen der EU-Kommission, Abfälle immer weniger als Abfälle zu deklarieren, ist ein Ergebnis einer langen Diskussion und eines starken Druckes von Seiten der Industrieverbände. Denn eine ganze Reihe von Industrieverbänden betrachtet die Abfallgesetze als Belastung. Sie haben es zu einem gewissen Teil geschafft, die Kommission davon zu überzeugen, dass eine Deregulierung der Müllgesetze zu einem Aufschwung der Wiederverwertung führen würde."
Die Logik dahinter ist einfach. Je weniger Umweltauflagen die Entsorger erfüllen müssen, desto billiger und konkurrenzfähiger werden die aufbereiteten Abfälle. Und desto interessanter wird es, in die Produktion dieser so genannten Sekundärrohstoffe zu investieren.
Doch genau das hält Abfallberater Hoffenberg für einen Irrtum. Dänemark sei der beste Gegenbeweis, sagt er. Denn Dänemark hat die schärfsten Umweltgesetze der EU - und die höchsten Recyclingquoten. Ganz im Gegensatz zum liberalen Großbritannien, wo Wiederverwertung bis heute kaum ernst genommen wird. Trotz oder gerade wegen der strikten Vorschriften werden in Dänemark mehr als dreimal soviele Abfälle wieder verwertet wie in Großbritannien.
Fouad Hamdan von der Umweltorganisation Friends of the Earth spricht von einer verpassten Chance. Die Europäische Union hätte jetzt die Möglichkeit, eine andere Abfallpolitik einzuleiten. Doch Foud Hamdan ist Realist. Er glaubt nicht, dass sich im Europäischen Parlament Mehrheiten finden, um den Entwurf der EU-Kommission zur Abfallstrategie noch einmal von Grund auf zu verändern.
" Eines der größten Probleme, die diese Richtlinie mit sich bringen wird, ist, dass die neuen Mitgliedsstaaten der EU ermuntert werden, die gleichen Fehler zu machen, die wir hier in Westeuropa gemacht haben. Nämlich: noch mehr Verpackung, noch mehr Müll zu produzieren und sich keine Gedanken zu machen, wie man Müll vermeidet. Und am Ende, wenn man mit dem ganzen Müllberg dasteht, große schöne Müllverbrennungsanlagen zu kaufen. Die machen jetzt alle die gleichen Fehler in Osteuropa, die wir hier in Westeuropa gemacht haben."
Es ist diese Mischung aus Schlamperei und krimineller Gier, die das Abfallgeschäft so gefährlich macht. Manche Gegenden sind dafür offensichtlich besonders anfällig. Rund um die Abfalldeponie Charleroi, wo jetzt das Asbest gefunden wurde, brannten in den letzten Jahren immer wieder riesige alte Scheunen ab. Die Scheunen waren bis obenhin mit alten Autoreifen gefüllt. Tagelang hing der beißende Rauch in der Luft. Die Besitzer hatten für jeden Reifen ein paar Euro kassiert und die ordentliche Beseitigung zugesagt. Das Feuer hat ihnen einen satten Gewinn gebracht, ob es Brandstiftung war, konnte nie bewiesen werden.
Axel Singhofen arbeitet als Abfallexperte für die Grünen im Europaparlament:
"Der Abfallbereich ist natürlich deswegen besonders attraktiv für halbseidene Geschäfte, weil man gerade hier besonders dann Geld verdienen kann, wenn man nicht fachgerecht die beste Möglichkeit wählt, um etwas zu entsorgen, weil das normalerweise auch die teuerste Lösung ist, Sondern halt einfach versucht, es die Klippen runterzuschmeißen oder illegal zu entsorgen. Dann kann man sehr viel Geld verdienen."
Rund 150 Euro verlangen Entsorger dafür, eine Tonne Hausmüll zu beseitigen. Industriemüll kann schnell etwas teurer werden, je nachdem, wie er vorsortiert ist. Je gefährlicher die Stoffe sind, desto teurer ist die Entsorgung und desto größer die Versuchung, den Müll irgendwo verschwinden zu lassen. Vor allem, wenn man sich darauf verlassen kann, dass die Polizei nicht so genau hinschaut.
Belgien ist da keine Ausnahme. Es gibt eine ganze Reihe von Ländern, auch in der Europäischen Union, in denen Umweltvergehen noch immer als Kavaliersdelikte gesehen werden.
Dabei fehlt es nicht an Gesetzen. Allein die EU hat in den letzten Jahrzehnten nicht weniger als 12 Richtlinien beschlossen, die sich mit Abfall befassen. Alles wurde geregelt, bis ins kleinste Detail. Und weil die Müllmafia immer wieder Schlupflöcher fand, musste immer wieder nachgebessert werden.
Heute gibt es so viele Vorschriften, dass man sie nicht mehr überblicken kann, meint Udo Jessner von der Abfallgesellschaft Weseler Kreis bei Düsseldorf:
" Wir sind kaum noch in der Lage, dieser Flut von Regelungen Herr zu werden oder auch nur nachzuhalten, welcher Mitarbeiter welche Anforderungen erfüllen muss. Wir haben vor kurzem ein EDV-Programm entwickeln lassen, das uns hilft, all diese Regelungen und Fristen zu überwachen."
Das ist einer der Hauptkonflikte der Abfallpolitik: Auf der einen Seite die Gefahr der illegalen Entsorgung auf Kosten der Umwelt, auf der anderen Seite die Gefahr der Überregulierung, unter der vor allem jene Betriebe leiden, die den Umweltschutz ernstnehmen. Die EU-Kommission will nun die Vorschriften einfacher und übersichtlicher machen. "Better Regulation" heißt das Programm, mit dem die EU-Kommission den europäischen Gesetzesdschungel lichten will. Zu deutsch: "Bessere Gesetzgebung." Es geht nicht darum, Gesetze abzuschaffen, sagt EU-Industriekommissar Günter Verheugen, es geht darum, die europäischen Vorschriften benutzerfreundlicher zu machen.
" Zu komplizierte Regelungen verursachen Kosten für die Wirtschaft, die das Wachstum und die Arbeitsplätze behindern, und mein Ausgangspunkt bei der ganzen Sache war, ich will erreichen, dass die Wirtschaft von überflüssigen und zu komplizieren Regeln befreit wird, damit mehr Geld da ist für die Schaffung von Investitionen und Arbeitsplätzen."
Die zwölf europäischen Abfallgesetze sollen in den nächsten Monaten unter einer Rahmenrichtlinie zusammengefasst und vereinfacht werden. Dass die EU-Kommission ausgerechnet im heiklen Abfallsektor mit dem Bürokratieabbau anfangen will, hat im Europaparlament manche misstrauisch gemacht. Die Grünen-Abgeordnete Hiltrud Breyer glaubt, dass die EU-Kommission nicht nur überflüssige Vorschriften, sondern auch ein paar umweltpolitische Grundsätze loswerden will.
" Was die EU hier macht, ist eigentlich ein Roll-back. Man tut die Verbrennung mehr in den Mittelpunkt rücken. Das hat nichts mit Umwelt- und Verbraucherpolitik zu tun, sondern das sind klar die Interessen der Industrie, und das ist hier zu kritisieren."
Auch andere Abgeordnete sind der Meinung, dass es mit dem Ausmisten und Zusammenfassen der Vorschriften nicht getan ist. Denn die europäischen Abfallvorschriften stammen teilweise noch aus den 70er Jahren. Seitdem hat sich viel geändert, und dem muss die neue Richtlinie Rechung tragen. Der CDU-Europaabgeordnete Karl-Heinz Florenz beschreibt die Herausforderung, um die es geht.
" Ich möchte am liebsten den Begriff Abfall ganz abschaffen. Wir haben nur noch ganz ganz wenig Abfall. Fast alles sind Wertstoffe, und darauf kommt's mir an. Was heute landläufig als Abfall angesehen wird, sind Wertstoffe für unsere Kinder: Papier, Plastik, Stahl, Aluminium, Elektronikschrott. Das darf man nicht einfach auf die Müllkippe werfen oder eingraben. Das sind Stoffe, die wir Europäer ohnehin zu wenig haben. Es muss mehr aufgearbeitet werden und zwar sinnvoll aufgearbeitet werden."
Bis hierhin sind sich fast alle einig: Im Müll sind wertvolle Rohstoffe, die wir noch brauchen. Der Streit beginnt bei der Frage, wie man Industrie und Mitgliedsstaaten dazu bringt, mehr Abfälle als bisher zu recyceln. Und: Welche Kosten kann man der Wirtschaft zumuten.
Technisch wäre es möglich, 80 Prozent des Hausmülls wiederzuverwerten. Dänemark kommt bereits auf 65 Prozent Wiederverwertung. In Deutschland sind es immerhin 50 Prozent. Doch in den meisten EU-Ländern wird der größte Teil der Abfälle nach wie vor verbrannt oder auf Müllhalden deponiert. Eine unverantwortliche Verschwendung, meint Fouad Hamdan von der Umweltorganisation Friends of the Earth:
" Wenn man eine Tonne Rohstoffe verbrennt, dann muss man zehn Tonnen Rohstoffe aus den Wäldern und aus der Erde wieder rausziehen, um das wieder gutzumachen. Davon reden wir, es geht darum, wie viel Geld wird da verbrannt, wie viel Rohstoffe werden verbrannt, und wie viel weniger Ressourcen werden künftige Generationen haben, wenn man den Müll ganz einfach und dumm verbrennt. Statt kompliziert und intelligent vorher zu trennen, zu vermeiden und zu recyceln."
Auch die EU-Kommission betont, dass sie eine höhere Recyclingquote anstrebe. Nur in den konkreten Paragraphen, die die Kommission in der neuen Rahmenrichtlinie vorschlägt, findet sich davon nichts. Die europäische Zentralbehörde setzt vielmehr auf die Kräfte des Marktes.
Im Kern gibt es derzeit drei unterschiedliche Positionen zur Abfallpolitik in Europa: Die der Industrie, die der Gemeinden und die der Umweltverbände.
Die Industrie möchte sowenig Vorschriften wie möglich. Wo sich die Wiederverwertung von Abfällen rechnet, so ihr Argument, da werde sie ohnehin gemacht. Rohstoffhändler zahlen zum Beispiel für eine Tonne gut sortierten Kunststoffmüll bis zu 400 Euro. Wir brauchen keine Vorschriften, die alles nur noch teurer machen, sagen die Industrieverbände, der Markt regelt das schon.
Dem gegenüber stehen die Städte und Gemeinden. Denn eine der bisherigen Grundregeln in Europa war: Müll soll dort vernichtet werden, wo er entsteht. Damit sollte verhindert werden, dass Müll kreuz und quer durch Europa transportiert wird und dann irgendwo verschwindet. Die Städte und Gemeinden haben deshalb in den vergangenen Jahrzehnten viel Geld in Müllverbrennungsanlagen investiert. Die müssen sich lohnen, meint Udo Jessner von der Abfallgesellschaft Weseler Kreis, deshalb seien klare Vorschriften nötig. Vor allem müsse die EU klarstellen, dass Müllverbrennung, bei der Strom entsteht, auch eine Art der Wiederverwertung ist.
" Unsere Anlage hat mit der Hälfte ihrer Kapazität Abfälle zu behandeln, die aus den Kommunen kommen unter Anschluss und Benutzungszwang als Satzungsabfälle. Die andere Hälfte der Abfälle besorgen wir uns auf dem freien Markt als Abfälle zur Verwertung. Wir müssen, um einen gesicherten Betrieb gewährleisten zu können, sicher sein, dass wir diese Abfälle zur Verwertung weiter auf dem Markt einwerben können. Dazu müssen wir eine Verwertungsanlage sein, wir erhoffen uns Klarheit von der EU in dieser Frage."
Müllverbrennung als eine Form der Wiederverwertung - für die Umweltverbände ist das ein Widerspruch in sich. Sie kritisieren, dass selbst modernste Anlagen nur relativ wenig Strom erzeugen, verglichen mit den Rohstoffen, die sie verbrennen. Vor allem aber würden die Müllverbrennungsanlagen das Kernproblem nur verschleiern.
Vor 20 Jahren drohte Europa im Müll zu ersticken. 300 Kilogramm Abfälle produzierte jeder Europäer im Schnitt jedes Jahr. Die Müllhalden wurden immer größer, die Städte und Gemeinden wussten nicht mehr wohin mit dem Abfall. Die EU versprach, alles zu tun, damit nicht noch mehr Müll entstehe. Das war die Zeit, als man in der EU noch ernsthaft über Müllvermeidung und Wiederverwertung redete. Doch die Städte und Gemeinden fanden einen einfacheren Ausweg aus der Müllkrise: die Verbrennungsöfen. Seitdem ist das Problem aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden. Heute produzieren wir pro Kopf doppelt so viel Müll wie vor zwanzig Jahren. Tendenz steigend. Nur: Man sieht die Müllberge nicht mehr.
Die Verbrennungsanlagen haben das Problem nicht gelöst, meint Axel Singhofen von den Grünen, sondern verschärft:
" Ein Müllverbrenner ist über Jahrzehnte hinweg darauf angewiesen, dass der Müll kommt. Was natürlich eben genau das Problem für die Abfallvermeidung, die Wiederverwertung und das Recycling ist, dass man hier einen direkten Gegenanreiz zu diesen an sich höherwertigen Zielen schafft."
Die Umweltverbände fordern deshalb, dass die EU auch für Haus- und Industriemüll strenge Quoten festlegt, welcher Anteil wiederverwertet werden muss und wie viel verbrannt oder vergraben werden darf. So wie das für Altautos und Elektroschrott bereits der Fall ist. Dort müssen zwischen 50 und 80 Prozent der Teile wieder verwertet werden. Diese Gesetze haben dazu geführt, dass die Hersteller schon bei der Produktion darauf achten, welche Bauteile sie verwenden. Einige Materialien werden seither vermieden, weil sie nicht wieder verwertbar sind.
Solche Regelungen wären auch für ganz normalen Müll nötig, meint Fouad Hamdan von der Umweltorganisation Friends of the Earth.
" Dann sind die Gemeinden gezwungen, sich hinzusetzen und sich zu überlegen, ok, wir wollen jetzt bestimmte Arten von Müll vermeiden. Wir sagen allen möglichen Produzenten, die und die Verpackung kann nicht mehr aus drei verschiedenen Produkten sein, aus Plastik, Metall, PVC oder irgendwas. Sondern nur noch aus einem Material, das recycelbar oder wieder verwendbar sein und dann würde sich die Produktion langsam und systematisch in diese Richtung bewegen."
Doch für solche Überlegungen gibt es derzeit keine Mehrheiten. Die Grünen und auch die Umweltverbände haben im Moment wenig Einfluß in der Europäischen Union. Die EU-Kommission verfolgt seit einigen Jahren einen strikt wirtschaftsnahen Kurs, bei dem Umweltbelange kaum eine Rolle spielen. Selbst der für Umwelt zuständige Kommissar Stavros Dimas will von schärferen Vorschriften zur Müllvermeidung und Wiederverwertung nichts wissen. Er will sogar die bestehenden Vorschriften lockern.
Sein Gesetzesvorschlag kommt sowohl der Industrie als auch den Kommunen entgegen. Denn Dimas will zum einen mehr Abfälle für die Müllverbrennung zulassen, was den Gemeinden gefallen wird. Zum anderen will der EU-Umweltkommissar viele wiederverwertbare Abfälle ganz aus der Müllgesetzgebung herausnehmen. Sauber getrenntes Altpapier beispielsweise sei eine Handelsware, so Dimas, dafür brauche man keine Müllvorschriften.
Im Europäischen Parlament sieht man das mit gemischten Gefühlen. Manchen Abgeordneten geht die geplante Liberalisierung deutlich zu weit. Doch die meisten Parlamentarier sind noch dabei, sich eine Meinung zu bilden. Der CDU-Europaabgeordnete Karl-Heinz Florenz befasst sich schon länger mit dem Abfallproblem.
" Der Abfallbegriff sollte durchaus eine gewisse Hierarchie haben, dass man erst einmal vermeidet nach wie vor und dann wieder verwendet. Diese alten Strukturen wollen wir durchaus beibehalten, aber etwas flexibler gestalten. Eine alte Waschmaschine beispielsweise, die noch läuft, die aber 20 Jahre als ist, die gehört ganz schnell auf den Elektronikschrott, weil sie viel zu viel Wasser verbraucht, viel zu viel Energie. Aber, mein Gott, eine alte Motorhaube, warum sollte man die nicht wieder verwenden bei einem Auto. Also es kommt immer auf den Fall an, deswegen muss so eine Abfallhierarchie transparent sein. Und wenn sie wollen, von Produkt zu Produkt kann sie schwanken, also mal macht's Sinn und mal macht es Unsinn."
Abfallexperten sehen gerade in dieser geplanten Flexibilität ein Problem: Vorschriften, die nicht immer gelten, werden immer umgangen. Vor allem die Umdeklarierung von wiederverwertbaren Abfällen in Handelsware bereitet vielen Experten Kopfzerbrechen. Jacques Hoffenberg ist Abfallberater der dänischen Regierung. Er befürchtet, dass der Müllexport in die Dritte Welt wieder dramatisch zunehmen können.
" Solange Abfälle unter die Abfallgesetzgebung fallen, müssen sie rückverfolgbar sein. Die Regierungen können Auflagen machen, wie die Abfälle behandelt werden müssen und wie und wohin sie transportiert werden dürfen. Wenn man Abfälle dagegen zu Rohstoffen erklärt, dann sind sie Handelsware. Dann gibt es für diese Stoffe auch keine Kontrollen mehr an den Grenzen und keine Möglichkeit für Regierungen, die Einfuhr zu beschränken. "
Vor einigen Jahren war es vor allem Plastikmüll, der in die Dritte Welt exportiert wurde. In vielen Slums versuchten die Menschen dann, die brauchbaren Teile herauszufischen, der Rest landete in den Flüssen und auf wilden Deponien. Seit dem weltweiten Anstieg der Rohstoffpreise hat diese Form des Müllexports nachgelassen. Sortierter Plastikmüll bringt gutes Geld, da lohnt es sich, diese Abfälle in Europa zu lassen und hier zu sortieren.
Seit einiger Zeit ist es vor allem Elektronikschrott, der in großem Stil nach Afrika und Asien exportiert wird. Zur Wiederverwertung, wie es heißt. Doch mit schlimmen Folgen für die Umwelt, meint der Abfallexperte der Grünen im Europaparlament, Axel Singhofen.
" In Elektro- und Elektronikgeräten sind alle möglichen Substanzen drin. Wenn man das jetzt in Entwicklungsländer schickt, dann versuchen die, das was da drin ist und was sie vielleicht zu Geld machen können, rauszutrennen in einfachsten Hinterhofschmelzen. Alles was sie nicht brauchen können, wird wild entsorgt."
Schon heute ist es schwierig, den Export von gefährlichem Elektoschrott einzudämmen. Im Rotterdamer Hafen überprüfen Zollfahnder oft ganze Containerladungen, ob die alten Computer noch funktionieren oder einfach nur Sondermüll sind. Eine Sysiphusarbeit an der Steckdose. Die niederländische Regierung hat kürzlich Zahlen veröffentlicht, nach denen 50 Prozent der kontrollierten Müllexporte illegal waren.
Doch wenn die EU den Abfallbegriff lockert, dann werden Kontrollen noch schwieriger. Dann gilt fast jeder wieder verwertbare Müll als einfache Handelsware, deren Ein- und Ausfuhr nicht behindert werden darf. Das Prinzip, Abfälle möglichst nah an ihrem Herkunftsort zu verarbeiten, wird damit ausgehöhlt. Der Anreiz für Entsorgungsfirmen, in Mitteleuropa Sortier- und Verwertungskapazitäten aufzubauen, wird deutlich schrumpfen.
Jacques Hoffenberg vom Dänischen Abfallrat hält das für eine falsche Entwicklung. Aber sie war zu erwarten, sagt er.
" Das Bemühen der EU-Kommission, Abfälle immer weniger als Abfälle zu deklarieren, ist ein Ergebnis einer langen Diskussion und eines starken Druckes von Seiten der Industrieverbände. Denn eine ganze Reihe von Industrieverbänden betrachtet die Abfallgesetze als Belastung. Sie haben es zu einem gewissen Teil geschafft, die Kommission davon zu überzeugen, dass eine Deregulierung der Müllgesetze zu einem Aufschwung der Wiederverwertung führen würde."
Die Logik dahinter ist einfach. Je weniger Umweltauflagen die Entsorger erfüllen müssen, desto billiger und konkurrenzfähiger werden die aufbereiteten Abfälle. Und desto interessanter wird es, in die Produktion dieser so genannten Sekundärrohstoffe zu investieren.
Doch genau das hält Abfallberater Hoffenberg für einen Irrtum. Dänemark sei der beste Gegenbeweis, sagt er. Denn Dänemark hat die schärfsten Umweltgesetze der EU - und die höchsten Recyclingquoten. Ganz im Gegensatz zum liberalen Großbritannien, wo Wiederverwertung bis heute kaum ernst genommen wird. Trotz oder gerade wegen der strikten Vorschriften werden in Dänemark mehr als dreimal soviele Abfälle wieder verwertet wie in Großbritannien.
Fouad Hamdan von der Umweltorganisation Friends of the Earth spricht von einer verpassten Chance. Die Europäische Union hätte jetzt die Möglichkeit, eine andere Abfallpolitik einzuleiten. Doch Foud Hamdan ist Realist. Er glaubt nicht, dass sich im Europäischen Parlament Mehrheiten finden, um den Entwurf der EU-Kommission zur Abfallstrategie noch einmal von Grund auf zu verändern.
" Eines der größten Probleme, die diese Richtlinie mit sich bringen wird, ist, dass die neuen Mitgliedsstaaten der EU ermuntert werden, die gleichen Fehler zu machen, die wir hier in Westeuropa gemacht haben. Nämlich: noch mehr Verpackung, noch mehr Müll zu produzieren und sich keine Gedanken zu machen, wie man Müll vermeidet. Und am Ende, wenn man mit dem ganzen Müllberg dasteht, große schöne Müllverbrennungsanlagen zu kaufen. Die machen jetzt alle die gleichen Fehler in Osteuropa, die wir hier in Westeuropa gemacht haben."