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Wohlstand in Frieden

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Gerhard Schröder |
    Reporter: Adam Malysz macht sich bereit für den Absprung, er springt, zieht hinunter, weit hinunter. Und er weiß dass das reicht. Er jubelt.

    Der Triumpf des polnischen Nationalhelden Adam Malysz bei der Weltmeisterschaft löste nicht nur in seinem Heimatland eine Welle der Euphorie aus. Auch 1000 Kilometer weiter südlich, in dem slowenischen Bergdorf Begunje, knallten die Sektkorken. Denn dort werden die Ski produziert, die Adam Malysz zum Sieg trugen. Und die er nach der Landung kameragerecht in die Höhe reckte, gerade so, dass Millionen Fernseh-Zuschauer den Schriftzug des Herstellers erkennen konnten: Elan.

    Das Kreischen von Sägen und Fräsen durchbricht die Stille der abgeschiedenen Bergwelt im Norden Sloweniens. Eine schmale Dorfstraße führt zu den langgestreckten Fabrikhallen, die unauffällig am Ortsrand liegen. Aus der Ferne leuchten die schneebedeckten Gipfel der Alpen. Nicht unbedingt der Ort, an dem man eine der innovativsten Skifabriken der Welt vermuten würde.

    Rund vier Wochen dauert es, bis aus dem rohem Holz ein Ski gefertigt ist. Milimeter dünne Schichten werden verleimt und beschichtet, geschliffen und gefräst, gebogen und gehärtet. In den Büros tüfteln Ingenieure an neuen Materialien und Formen.

    Elan ist das bekannteste Unternehmen Sloweniens – und auch eines der erfolgreichsten. Und das nicht erst seit Adam Malysz die WM-Krone eroberte. Schon in den siebziger Jahren rüstete die slowenische Ski-Fabrik den schwedischen Slalom-Helden Ingemar Stenmark aus – und schaffte damit den Durchbruch in Westeuropa. Elan schaffte, was kaum einem Unternehmen jenseits des eisernen Vorhangs gelang – es etablierte sich – Jahre vor dem Mauerfall – auf den Märkten des Klassenfeindes. Elan-Chef Primos Finsgar:

    Das ehemalige Jugoslawien war immer ein offenes Land, wir waren nicht eingesperrt hinter einem eisernen Vorhang. Wir hatten immer enge Beziehungen zu unseren Nachbarn Österreich und Italien, wir konnten ungehindert ins Ausland gehen und dort Geschäfte machen. Wir gehören zu Europa. Wir sind ein Teil von Europa.

    Anfang der neunziger Jahre allerdings schlitterte Elan in die Krise. Und das gar nicht so sehr, weil die Märkte in Osteuropa zusammenbrachen und der Krieg auf dem Balkan ausbrach. Es waren millionenschwere Fehlinvestitionen, die Elan an den Rande des Bankrotts trieben – bis die Ingenieure aus dem eigenen Haus die rettende Idee hatten: Sie entwickelten einen neuen Ski, der die alpine Sportwelt revolutionierte: Ein Ski, der in der Mitte schmal und nach außen hin immer breiter wird: Der sogenannte Carving-Ski. Technik-Chef Luka Grilc:

    Elan hat den Carving-Ski erfunden. Das war Anfang der 90er Jahre. Die Ski-Industrie steckte in großen Schwierigkeiten, und da haben wir diesen neuen Ski auf den Markt gebracht. Es dauerte zwei, drei Jahre. Aber dann haben ihn alle übernommen. Es gibt heute nichts anderes mehr.

    Die Entwicklung des Carving-Skis hat den Ruf Elans gefestigt, einer der innovativsten Hersteller zu sein. Und dieser Erfingungsreichtum, so glaubt Firmenchef Primos Finsgar, werde dem Unternehmen helfen, gestärkt aus der derzeitigen Branchenflaute hervor zu gehen:

    Wir befinden uns derzeit im Abschwung. Aber wir glauben, dass wir davon profitieren können. Wenn der Markt schrumpft, dann gewinnen die Starken, die agressiven und innvoativen Unternehmen, sie profitieren, wenn die Konjunktur dann wieder anspringt.

    Elan ist ein Musterbeispiel für den erstaunlichen Aufstieg Sloweniens in den vergangenen zehn Jahren. Der Zusammenbruch der osteuropäischen Märkte, der kurze Unabhängigkeitskrieg, die verheerenden Gefechte und Massaker in Bosnien und der Zerfall Jugoslawiens – das hat Slowenien Anfang der neunziger Jahre hart getroffen. Viele Betriebe gingen pleite, die Arbeitslosigkeit schnellte in die Höhe. Aber das Land hat sich schneller als andere von dem Schock erholt, sagt Europaminister Janez Potosznik:

    Slowenien war stark, als der Umbruch kam. Wir hatten eine bessere Startposition als die anderen Länder Osteuropas. Wir hatten in den vergangenen zehn Jahren eine große wirtschaftliche Stabilität, wir hatten ein stabiles Wachstum zwischen drei und fünf Prozent. Wir haben eine geringe Arbeitslosigkeit und solide Staatsfinanzen. Nur die Inflation macht uns etwas Sorgen. Das ist unser größtes Problem, aber das bekommen wir auch in den Griff.

    Es gibt keine Zweifel: Slowenien ist das Musterland unter den Beitrittskandidaten. Kein anderes Land ist wirtschaftlich und politisch so stabil wie das kleine Land auf dem Balkan. Kein anderes Land hat es geschafft, sich so schnell auf den Westmärkten zu etablieren. Der Ökonom Jose Damijan vom Institute for Economic Research in Ljubljana:

    Slowenien war vor der Wende stärker westorientiert als andere Länder. Wir haben schon damals viel nach Westeuropa exportiert. Deshalb waren wir gut vorbereitet auf die Marktwirtschaft. Als 1991 der Krieg auf dem Balkan begann und der jugoslawische Absatzmarkt zusammenbrach, hat es Slowenien sehr schnell geschafft, sich ganz nach Westeuropa zu wenden.

    Die Exportwirtschaft ist die große Stütze der slowenischen Wirtschaft, mittlerweile landen zwei Drittel der Ausfuhren in Westeuropa. Die Wirtschaft wächst kräftig, die Arbeitslosigkeit liegt nach Angaben der Regierung derzeit bei 6,5 Prozent – und damit deutlich unter dem Durchschnitt der Europäischen Union. Slowenien hat von der Wirtschaftskraft bereits die EU-Länder Portugal und Griechenland eingeholt, was auch in der EU auf Anerkennung stößt. Der Leiter der EU-Delegation in Ljubljana Ervan Fouere:

    Slowenien hat sich beständig nach oben gearbeitet. Das Land ist wirklich gut vorbereitet auf den EU-Beitritt. Es hat eine sehr gesunde Wirtschaft. Das Land ist wirtschaftlich und politisch sehr stabil. Und das ist ein großer Erfolg, so kurz nach der Unabhängigkeit. Slowenien ist sicher eines der stärksten Länder unter den Beitrittskandidaten.

    Das Erstaunliche an der Entwicklung Sloweniens: Das Land hat den Übergang von der zentralistischen Plan- zur Marktwirtschaft ganz ohne radikale Einschnitte geschafft, ohne politische und wirtschaftliche Eruptionen. Slowenien erscheint geradezu als Gegenmodell zu den Beitrittskandidaten Polen oder Ungarn, wo sich die Wirtschaft nach schockartigen Reformen nur mühsam wieder erholte.

    Slowenien wählte einen anderen Weg. Den Weg des sanften Wandels. Die Regierung in Ljubljana folgte nicht den radikalen Markttheoretikern, öffnete nicht wie Polen oder Ungarn mit einem Schlag die nationalen Märkte für die ausländische Konkurrenz, und schlug auch nicht so ein hohes Tempo bei der Privatisierung ehemaliger Staatsbetriebe ein.

    Und das durchaus mit Erfolg: Das Land verfügt über eine sehr wettbewerbsfähige und innovative Wirtschaft, die bislang kaum Zeichen der Ermüdung zeigt. Das ist auch deshalb bemerkenswert, weil Slowenien den Aufstieg weitgehend aus eigener Kraft geschafft hat – ausländische Investoren spielen bislang keine große Rolle – außer Renault, die eine große Autofabrik aufgebaut haben, halten sich die internationalen Konzerne bislang sehr zurück. Was in Slowenien durchaus erwünscht war. Es gab und gibt dort eine große Angst vor einem Ausverkauf der Wirtschaft. Jose Mencinger war Anfang der neunziger Jahre Wirtschaftsminister in Ljubljana. Er begründet, warum die Regierung ausländisches Kapital bewusst ferngehalten hat.

    Ich weiß, dass die Ausländer nicht sehr glücklich sind mit dem Weg der Privatisierung, den wir eingeschlagen haben. Der Grund ist sehr einfach: Sie haben nicht sehr viel daran verdient. Ich denke aber, es war im slowenischen Interesse, es war der richtige Weg. Slowenien hat keinen Zusammenbruch erlebt, wir hatten nicht solche tiefgreifenden Krisen wie die anderen osteuropäischen Länder.

    Slowenien konnte es sich leisten, auf ausländische Investoren weitgehend zu verzichten. Die Wirtschaft war stark genug, um den Wandel allein zu schaffen. So kam es in dem 2-Millionen-Land nicht zu einem schnellen Verkauf ehemaliger Staatsbetrieben an internationale Konzerne. Viele Betriebe gingen stattdessen in den Besitz der Belegschaften über.

    Es gibt noch viele Unternehmen, die in der Hand der Beschäftigten sind. Und ich kann nicht erkennen, warum das nicht eine gute Lösung sein soll. Meine Erfarung ist, dass sie nicht weniger effizient sind als die Unternehmen, die in Hand von ausländischen Investoren sind. Wenn Unternehmen von transnationalen Konzernen übernommen werden, dann verlieren sie schnell den Bezug zur nationalen Ökonomie. Deshalb glaube ich, dass wir das Richtige getan haben.

    Ein moderner Glaspalast im Norden Ljubljanas, in dem weiträumigen Foyer hängt abstrakte Kunst, junge Angestellte in Jeans und T-Shirts schlurfen über die Flure, in den Büros klappern die Tastaturen.

    Hermes Softlab ist eine der erfolgreichsten Neugründungen in Slowenien. Vor 12 Jahren, das Land hatte gerade seine Unabhängigkeit erlangt, fingen vier junge Programmierer an, Software zu entwickeln. Zunächst für eine Niederlassung von Hewlett Packard, inzwischen zählen Konzerne rund um den Globus zu den Kunden von Hermes Softlab, zum Beispiel die Telekomfirmen Vodafone und Ericsson. Für den deutschen Autoverleiher Sixt entwickelten die Slowenen die Software für das Online-Geschäft. Mittlerweise arbeiten 730 Beschäftigte für Hermes Softlab. An der Spitze steht seit einem Jahr der Franzose Olivier Carron de la Carrier:

    Wir wollen nun agressiv auf den westeuropäischen und den amerikanischen Markt gehen. Vielleicht war das ein Grund, warum sich Hermes Softlab vor einem Jahr entschieden hat, einen Ausländer an die Spitze zu holen. Meine Strategie jedenfalls ist klar: Hermes Softlab muss globaler werden.

    Die Krise in der IT-Branche hat auch den slowenischen Aufsteiger nicht ungeschoren gelassen. Im vergangenen Jahr musste das unternehmen erstmals einen Verlust ausweisen. De la Carrier glaubt aber, dass das Unternehmen gut für die Zukunft gerüstet ist.

    Heute werden in Slowenien bereits UMTS-Mobilfunknetze genutzt. Und wir entwickeln die Software dafür. Wir machen das schon seit einiger Zeit. Und wir gehen jetzt nach Deutschland, Frankreich oder Großbritannien und haben dort einen Vorsprung, weil das außer uns kaum jemand gemacht hat. Slowenien ist hier führend. Dieses Land erinnert mich an Finnland. Kleine, innovative Unternehmen, die weltweit präsent sind. Wie Nokia. Ich wäre nicht überrascht, schon bald einige Namen aus Slowenien auf der internationaler Bühne zu sehen, erst recht, wenn Slowenien der EU beigetreten ist.

    Slowenien – ein europäischer Tigerstaat, ein aufstrebendes Land, ein kommender Stern am Hochtechnologie-Firmament, ähnlich wie Finnland? Nicht alle teilen solch hoffnungsvolle Erwartungen. Der Wirtschaftsforscher Jose Damijan malt ein ganz anderes Bild von der Zukunft Sloweniens. Das Land befinde sich bereits auf abschüssiger Fahrbahn, mahnt der Ökonom:

    Slowenien könnte das führende Land unter den Beitrittsländern sein. Wir stehen nicht schlecht da, Slowenien ist ein stabiles Land. Aber wir könnten noch viel stärker sein, wenn die Regierung nicht so zögerlich wäre bei den Reformen.

    Damijan hat sich die Exportbilanz genauer angeschaut. Sein Fazit: Erfolgsbeispiele wie Hermes Softlab seien die Ausnahme, Slowenien exportiere in erster Linie traditionelle Industriewaren:

    Nur 5 Prozent unserer Exporte sind High-Tech-Produkte. Bei Ungarn sind es 20 Prozent. Und das liegt daran, dass Ungarn mehr ausländisches Kapital angeworben hat. Sie haben ihre alten Staatsbetriebe an ausländische Investoren verkauft, die neue Technologien ins Land gebracht haben. Wir haben auf das ausländische Kapital verzichtet. Und deshalb ist die Umstrukturierung, die Modernisierung der Wirtschaft bei uns kaum voran gekommen. Das müssen wir in den nächsten Jahren nachholen.

    Tatsächlich hat auch die Europäische Kommission immer wieder angemahnt, Slowenien sei zu zögerlich bei der Erneuerung der Wirtschaft. Die Privatisierung verlaufe zu langsam, ausländische Investoren würden ausgegrenzt, die heimischen Märkte zu wenig für ausländische Konkurrenz geöffnet. Ervan Fouere, der Leiter der EU-Delegation in Ljubljana:

    Wir haben in unseren Berichten einige Punkte benannt. Dazu zählt die Öffnung des Landes für ausländische Investoren. Das Land muss attraktiver werden für ausländische Investoren. Die Privatisierung muss beschleunigt werden, vor allem in den Bereichen Telekom und Energie. Da sind weitere Fortschritte nötig. Und unsere Botschaft ist, dass diese Fortschritte im Interesse des Landes sind, weil sie die Wirtschaft wettbewerbsfähiger machen.

    Die Banken, der Energiesektor, die Telekommunikationsbranche ist noch weitgehend unter staatlicher Kontrolle. Der Wettbewerb im Handel nicht sonderlich stark, weshalb auch die Preise erstaunlich hoch sind. Der Ökonom und Europaminister Janez Potocnik reagiert jedoch gelassen auf diese Kritik.

    Wir haben eine stabile Wirtschaft, wir haben ein starkes Wachstum, solide Finanzen und niedrige Arbeitslosigkeit. Wir haben einen Überschuss im Außenhandel. Natürlich: Es könnte noch besser sein. Es könnte in allen Ländern noch besser sein. Aber sehen wir uns die Realität an. Wir haben ein wirtschaftliches Niveau erreicht, das dem einiger EU-Mitglieder entspricht. Andere Beitrittsländer haben nur 30, 40 Prozent unserer Stärke.

    Kein Zweifel. Slowenien zählt zu den stärksten Ländern unter den Beitrittskandidaten, das bestreiten auch die Kritiker nicht. Nur wie lange noch. Das Land verpasse die Chance, seinen Vorsprung zu halten oder sogar auszubauen, indem es die Wirtschaft modernisiere, sich auf neue Technologien konzentriere. Und das könne nur gelingen, wenn mehr ausländische Investoren ins Land kämen. Doch die Investitionen aus dem Ausland bleiben aus. Nicht nur, weil die Regierung nicht will. In den Augen westlicher Investoren hat das Land einen gravierenden Nachteil: Es ist zu teuer. Zwar sind die Löhne nur halb so hoch wie in Deutschland, aber doppelt so hoch wie etwa in Tschechien oder Ungarn. Als Standort für die Verlagerung arbeitsintensiver Produktion fällt Slowenien daher weitgehend aus. Und nicht nur das.

    Das Land selbst bekommt die Konkurrenz der billigeren Nachbarländer immer deutlicher am eigenen Leib zu spüren.

    Die Textilfabrik Mura in Murska Sobota im Nordosten Sloweniens, 50 Kilometer von der Grenze zu Ungarn entfernt. In den Werkshallen türmen sich die Stoffballen, dicht gedrängt stehen Arbeitstische, an denen überwiegend Frauen Stoffe vermessen und schneiden, nähen und bügeln. Über 6000 Menschen arbeiten bei Mura, sie schneidern Hemden, Blusen, Jackets und Hosen für internationale Modefirmen, Hugo Boss und Escada zum Beispiel. Es gibt da nur ein Problem. Konzernchef Borut Meh:

    Wir haben zuviele Mitarbeiter, wir sind zu groß. Die Textilbranche ist in einer schwierigen Lage, unsere Auftragslage hat sich verschlechtert. Deshalb haben wir ein Umstrukturierungsprogramm entwickelt. Wir wollen die Zahl der Beschäftigten bis 2006 um 1000 reduzieren.

    Mura ist das größte Unternehmen Sloweniens. Im vergangenen Jahr hat es 10 Millionen Euro Verlust angehäuft. Das liegt nicht nur an der allgemeinen Wirtschaftsflaute. Mura ist einfach zu teuer. Oder besser gesagt: Nachbarländer wie Bulgarien und Rumänien, Slowakei und Ungarn sind viel billiger, dort sind die Löhne deutlich niedriger. Die Beschäftigten in Murska Sobota fürchten um ihre Jobs:

    Wir haben große Angst um unsere Arbeitsplätze, wir machen uns Sorgen, wie es weiter gehen wird. Ich bin ja schon ein bischen älter. Wie soll ich eine andere Arbeit finden? Es gibt hier in der Region keine Arbeit. Und ich bin in einem Alter, da ist es sowie so schwierig, einen neuen Job zu finden. Mich nimmt doch niemand mehr.

    Angela Lebar ist seit 28 Jahren bei Mura, sie arbeitet in der Qualitätskontrolle, prüft, ob die Nähte richtig sitzen, die Farben und Schnitte stimmen, die Knöpfe fest angenäht sind. Die 48jährige Frau verdient 100 000 slowenische Tula, das sind umgerechnet 450 Euro im Monat. Das ist wenig in einem Land, in dem Lebensmittel fast so teuer sind wie in Deutschland:

    Es ist sehr schwer über die Runden zu kommen. Unser Gehalt geht drauf für die alltäglichen Dinge. Kleider für die Kinder, Lebensmittel, Miete. Wir können uns nichts leisten, es reicht nicht, um mal etwas zu sparen. Wir sind schon seit Jahren nicht mehr im Urlaub weggefahren.

    Wie können die Arbeitsplätze in der slowenischen Textilindustrie gerettet werden? Die Löhne sind ohnehin schon bis zu 40 Prozent niedriger als in der übrigen Industrie, für einfache Arbeiten wird sogar nur der gesetzlich fixierte Mindestlohn bezahlt, sagt Betriebsratschef Peter Gruskowniak:

    Die Angst, dass Leute entlassen werden, ist sehr groß. Die Region hier ist sehr unterentwickelt, die Arbeitslosigkeit ist sehr hoch. Das wissen unsere Mitarbeiter, sie sind daher zu großen Opfern bereit, sie arbeiten zu niedrigeren löhnen, um ihre Arbeitsplätze zu behalten.

    Ein Fünftel der Arbeitsplätze soll wegfallen, sagt Mura-Chef Meh. Die restlichen Jobs hofft er retten zu können. Er will weg von der einfachen Lohnarbeit für Boss und Escada und die eigene Marke Mura stärken. Bis 2006 sollen 50 Prozent des Umsatzes mit selbst entworfenen Kollektionen erzielt werden. Damit, so das Kalkül, können höhere Profite erzielt werden.

    Aber nicht nur der Textilkonzern Mura spürt den Druck der billigen Nachbarländer. Selbst beim Vorzeigeunternehmen Elan, dem Wintersportkonzern, macht man sich Gedanken. Noch sind dort keine Arbeitsplätze in Gefahr. Aber auch Elan-Chef Finsgar sieht die Entwicklung:

    Die Fabriken wandern nach Osten. Der amerikanische Skiproduzent K2 lässt inzwischen alle Ski in China produzieren. Französische Konkurrenten haben die Herstellung nach Rumänien verlagert, eine österreichische Firma hat Fabriken in Tschechien aufgebaut. Wer diese Entwicklung zu spät sieht, wird nicht überleben. In Slowenien haben wir noch Vorteile, drei, vier Jahre können wir noch ohne Probleme durch halten. Und dann machen wir die notwendigen Schritte.

    Die notwendigen Schritte – das heißt: die Produktion in billigere Länder verlagern. In Kroatien lässt Elan bereits Motorboote produzieren. Der Anfang ist gemacht.

    Wo aber wird das enden, fragen sich die Beschäftigten. Dusan Semulic, Präsident der Vereinigung der freien Gewerkschaften, dem größten Dachverband in Slowenien:

    Es stimmt, dass das Lohnniveau in unseren Nachbarländern niedriger ist, in Polen, in der Slowakei oder Ungarn. Aber man darf es nicht zu stark vereinfachen. Wenn es nur am Lohn hinge, dann würden alle Unternehmer nach Afrika gehen und dort investieren. Trotzdem wird auch noch in Deutschland investiert. Und auch in Slowenien. Wir haben hier Vorteile. In Europa hat Albanien das niedrigste Lohnniveau. Aber wer investiert in Albanien?

    Slowenien spürt die Schattenseiten seines Aufstiegs. Von zwei Seiten gerät das Land unter Druck. Mit den billigen Löhnen der Nachbarländer kann Slowenien nicht konkurrieren, mit der überlegenen Technologie Westeuropas auch noch nicht. Aber man sollte die Anpassungsfähigkeit des Landes nicht unterschätzen, sagt Europaminister Janez Potocnik:

    Das Lohnniveau muss immer im Verhältnis zur Produktivität gesehen werden. Wenn unsere Produktivität halb so hoch ist wie in Deutschland, dann ist es normal, wenn unser Lohnniveau halb so hoch ist. Wenn unsere Produktivität größer ist als in Ungarn und Polen, dann ist es normal, dass unsere Löhne höher sind. Das ist ein ganz simpler Mechanismus.

    Die komplizierte Mittellage könnte auch ein Vorteil sein. Das hat sich in den vergangenen Jahren gezeigt. Slowenien hat die Flaute in Westeuropa bislang kaum getroffen, denn die Wirtschaft hat sich rasch umorientiert – und die Wirtschaftskontakte zu den benachbarten Balkanländern und nach Osteuropa wieder verstärkt.

    Hier könnte die Chance des kleinen Landes liegen. Slowenien als Brücke zwischen dem alten und dem neuen Europa, zwischen EU und Balkan, zwischen arm und reich, glaubt der Ökonom Jose Damijan.

    Slowenien kann vielleicht eine ähnliche Rolle spielen wie Österreich in den vergangenen Jahren. Eine Rolle als Mittler zwischen West und Ost. Slowenische Unternehmen sind stark auf dem Balkan vertreten, haben Fabriken gekauft, die in den nächsten Jahren auch in andere Länder exportieren können. Das ist eine gute Strategie.