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"Wohnen in der Zukunft"

Der schwäbische Ingenieur und Architekt Werner Sobek hat ein "gläsernes Wohnellipsoid" entworfen. Er ist berühmt für sein experimentelles Design. Peter Sloterdijk hat einmal den provokativen Begriff "Wohnschäume" kreiert, um zu zeigen, dass unser Dasein längst kein "Behaustsein" mehr ist. Im Kunstmuseum Wolfsburg wollte man mit der Diskussion zwischen Architektur und Philosophie neue Perspektiven des Wohnens zeigen.

Von Arno Orzessek |
    Beim Betreten des überfüllten Foyers im Kunstmuseum Wolfsburg hat Peter Sloterdijk den Veranstalter noch rasch gefragt, ob sein Taxi in 75 Minuten ganz sicher vor der Tür stehen werde. Womit demonstriert war, was Werner Sobek "multi-lokale Lebensweise" nennt, andere schlicht "Terminstress".

    Tatsächlich sieht sich Avantgarde-Ingenieur Sobek, der in Stuttgart das durchsichtige Einfamilienhaus R 128 bewohnt und in der Ausstellung "Interieur-Exterieur" die raumschiffartige Herbergs-Utopie R 129 zeigt, dem "ephemeren Bauen" verpflichtet. Er und sein Projekt-Büro haben dem kathedralhaften Anspruch an Dauerhaftigkeit abgesagt.

    "Wir bauen so, dass unsere Habitate ewig stehen könnten, dass sie aber auch, wenn sie morgen für als nicht richtig befunden wurden - das heißt, die Antizipation des Herrn Sobek lag daneben -, dass sie mit Anstand von dieser Welt verschwinden können."

    Warum Vorläufigkeit bei Immobilien nach wie vor provokant wirkt, erklärte Peter Sloterdijk. Seit seiner Sesshaftwerdung, so Sloterdijk, habe sich der Mensch immer mehr verpflanzlicht; er habe Wurzeln geschlagen und als ortsfestes Geschöpf seinen geerdeten Wohnraum sakralisiert - wogegen erst die klassisch-moderne Architektur aufgestanden sei.

    "Das gotteslästerliche Wort des 20. Jahrhunderts lautet eben nicht "Gott ist tot" - das gehört allerdings noch zum 19. -, sondern es stammt eben von Le Corbusier und besteht darin, dass er die menschliche Wohnung, das menschliche Haus, eine "Wohnmaschine" genannt hat. Das heißt Gott und den Menschen gleichzeitig lästern. Weil man ihm diese Raumheiligkeit, die eigentlich immer um den Menschen und ihn herum konstruiert worden ist, auf eine Weise angetastet hat, die ganz beispiellos war."

    Werner Sobek stellt sich - mehr oder weniger - in die Wohnmaschinen-Tradition, wie sie die Stelzen-Häuser Le Corbusiers vorstellen. Er entwirft multifunktionale "Ein-Räume", in denen deformable Möbel auf Fingerschnippen aus der Wand herauszuformieren sind. Dass in seiner Wohnblasen-Studie R 129 kein Platz mehr bleibt für die Dinge und den Kram, für die Festkörper, an denen nach landläufiger Überzeugung die Erinnerung haftet, findet Peter Sloterdijk nicht weiter tragisch:

    "Nirgendwo kann man so blind über die Dinge hinwegschauen, wie bei sich zu Hause. Man kauft sich zwar Sachen, von denen man glaubt, dass sie schön sind ..., man stellt sie in seine Wohnung und das ist die beste Methode, um diese Dinge völlig unsichtbar zu machen. Die nächsten zwanzig Jahre sieht man die Dinge nicht mehr. Man könnte aus anthropologischer Perspektive sogar fragen, ob es nicht sogar so sein soll, nämlich dass die Wohnung eigentlich ein Ort ist, in dem wir unser Unbewusstes verräumlichen. Das Unbewusste ist eigentlich da am persönlichsten, wenn es auch voll gestellt ist, mit allen möglichen Traumata und Erinnerungen."

    Das Gespräch war davon geprägt, dass Werner Sobek nach sicheren Verbindungen zwischen seinen dinglich asketischen Architektur-Projekten und Sloterdijks üppigen philosophischen Assoziationen suchte - jedoch nicht immer fand. Gemeinsamkeiten ergaben sich bei der Kritik der zeitgenössischen Architektur. Für Sloterdijk waren die letzten Jahrzehnte verschenkte Zeit im Sinne der Nachhaltigkeit - erst in der akuten Krise dämmere endlich brauchbares Bewusstsein herauf.

    "Wir haben uns eine überlange Belle Epoque gestattet, eine überlange Frivolitätsperiode erlaubt, wir haben Problemdiagnosen, die in Folge der Club of Rome-Debatte in den späten 60er-Jahren und in den 70er-Jahren bis zur Klassizität ausformuliert waren, einfach in den Schrank gestellt. Weil gesagt wurde: Entwarnung auf der ganzen Linie, Öl gibt es genug, Geld gibt es genug, Energie gibt es genug und Leute die sich amüsieren wollen, wachsen auch nach."

    Werner Sobek schimpfte über Dachdecker-Richtlinie und andere Bauvorschriften, die der mentalen und ökologischen Revolution des Habitats im Wege stehen. Dass nicht alle Menschen in avantgardistisch entleerten Glasblasen wohnen möchten, gab Sobek immerhin zu.

    "Derjenige, der in einer schwierigen Situation eine Wand braucht oder ein Höhle oder Ähnliches, dem sollte man die als Architekt natürlich auch erlauben. Nur bin ich der festen Überzeugung, dass wir eines nicht tun sollten, was wir über lange Zeit gemacht haben, dass wir nur noch Höhlen bauen mit kleinen Öffnungen."

    Das Handicap des Abends war die Studie R 129 selbst. Sobek zeigt sie immer nur solo in einer schönen, auratisch einsamen Landschaft und insofern - mit Blick auf die überbevölkerte Welt - in den Gefilden reinster Utopie. R 129 löst kaum ein reales Problem. Trotzdem muss die Architektur ihr Wort sagen und das Bauen in postfossiler Zeit voraus denken.

    "Es muss ja Methoden geben, wo man fulminant, lustvoll, in atemberaubend schönen Gebäuden leben kann, die trotzdem perfekt ökologisch sind, weil sie keine Energie verbrauchen, keinen Schornstein haben und vollkommen recycelbar sind."

    ... zeigte sich Werner Sobek überzeugt. Peter Sloterdijk sann, bevor er zum Taxi lief, der Menschheit noch schnell einen neuen Hauptberuf an.
    "Wir sind jetzt alles Förster, ja. Und wir müssen diesen Ernst der regenerativen Logiken in einer Weise verkörpern, wie es die Menschen in den letzten 30 Jahren ganz, ganz offenkundig versäumt haben."