Betreuerin Gabriele Romanski deckt zusammen mit Bewohner Wolfgang die Tische im Essensraum. Ein paar Tische mehr als sonst. Denn das bundesweit erste Altersheim für Drogenabhängige bekommt heute zum Mittagessen Besuch. Eine Gruppe der Suchthilfe aus Hamm hat sich angekündigt - sie wollen sich über das Projekt informieren. Und sind damit nicht die ersten. Seit der Eröffnung im Januar kämen viele Kollegen vorbei, um sich das Modellprojekt genauer anzuschauen, sagt Sabine Lorey, die Leiterin der Einrichtung.
"Weil es überall ein Thema ist und keiner weiß, wohin mit den Leuten. Wir gehen davon aus, dass es noch mehr solcher Einrichtungen geben wird in der Zukunft - und auch geben muss." Denn Drogenabhängige werden immer älter. Durch Ersatzdrogen und bessere medizinische Versorgung ist das Sterbealter von Suchtkranken in den letzten Jahren deutlich angestiegen. Die Altersspanne der Bewohner hier in Unna reicht von 38 bis 66. Doch auf diese spezielle Art von Bewohnern sind normale Altenheime nicht vorbereitet.
"Also erstmal will auch kein Altenheim unsere Leute haben, wegen Substitution und Berührungsängsten Drogenabhängigen gegenüber. Und unsere Leute die schon in Altenheimen waren, die sind da verkümmert. Unsere Leute haben ja ein ganz anderes Leben gelebt, was überhaupt den ganzen Lebensstil angeht, die haben sich überhaupt nichts zu sagen."
Eins dieser ganz anderen Leben hat Martin gelebt. Der 50-Jährige mit dem grauen Vokuhila sitzt im Wintergarten des Hauses. Durch die große Glasfront sieht man hinaus auf die weiten Felder und die kleinen Waldstücke, die die Einrichtung umgeben. Bevor die 14 Drogenabhängigen hier eingezogen sind, stand das Gebäude am Rande des Unnaer Vororts Hemmerde leer.
Ein Zuhause, zum ersten mal seit 37 Jahren
"Viele fragten mich: Bist du von allen guten Geistern? Da ist doch gar nix los da oben. Was willst du denn da? Da kriegst du ja nicht mal Bier! Ich sag: Schön, dass ihr euch so 'nen Kopf darüber macht."
Martin genießt die Ruhe hier draußen. Er fühlt sich hier wohl, nennt es lächelnd sein Zuhause. Etwas, was er zum letzten Mal so richtig vor 37 Jahren hatte. Damals, im Alter von 13, fing alles an.
"Meine Mutter hat Selbstmord … tja. Ich hab 3.000 Mark aus dem Schrank genommen, bin zu meinem Dealer hin, der hatte kein Haschisch, ich wollte Haschisch haben, weil ich das schon geraucht hatte. Der hatte nur Heroin."
Als Martins Vater drei Monate nach dem Tod seiner Mutter wieder heiratete, rastete der Sohn aus. "Da stellste doch alles in Frage. Die ganzen Jahrzehnte vorher … ich stand direkt auf dem Tisch und hier saß mein Alter und ich hab ihn immer wieder mit dem Baseballschläger bearbeitet, die Birne. Da gab es zwei Jahre ohne für."
Zwei Jahre ohne Bewährungsstrafe im Jugendgefängnis. Danach brachte Martins Drogensucht ihn immer wieder hinter Gitter. 15 Jahre insgesamt. War er nicht im Knast, dann lebte er auf der Straße. Zuletzt in Hamm. Und lange hätte er dort nicht mehr durchgehalten. "Ich war körperlich … Vielleicht zwei, drei Wochen hätte ich noch geschafft. Aber danach ..."
Die Leute hier werden rasant krank
Der jahrelange Drogenkonsum hat bei allen Bewohnern Spuren hinterlassen. Die meisten sind nicht mehr gut zu Fuß, sie haben Probleme mit der Lunge, mit dem Herzen, mit der Leber. Einige sind HIV-positiv, manche zeigen Anzeichen von Demenz.
"Die Leute werden hier rasant kranker. Das können wir schon in den fünf Monaten hier feststellen. Also Pflege wird ein immer größeres Thema werden. Früher waren ja in der Drogenhilfe Sozialarbeiter da und ähnlich Berufe. Jetzt brauchen wir natürlich auch pflegerische Berufe und Kollegen aus der Altenhilfe, die sich aber auch mit Drogenhilfe auskennen müssen."
Doch solch einen Beruf gibt es bislang nicht, sagt Projektleiterin Sabine Lorey. Dabei wäre der Bedarf an solchen Pflegekräften unheimlich groß. Das Frankfurter Institut für Suchtforschung schätzt, dass es in Deutschland rund 48.000 Drogensüchtige über 40 gibt, die auf Ersatzstoffe wie Methadon angewiesen sind.
"Es sollte praktisch in jeder größeren Stadt, die müssen auch so ein Haus aufmachen", findet Martin. So könnten viele Drogenabhängige gerettet werden vor einem Tod auf der Straße. So könnten sie in Würde altern. Doch der Weg zu solchen Dauerwohneinrichtungen ist nicht einfach. Sabine Lorey: "Man braucht einen Kostenträger, der es finanziert. Das dauert schon lange, weil die Kostenträger keine stationären Einrichtungen mehr finanzieren wollen - ist zu teuer. Dann braucht man eine Immobilie, einen Investor, das dauert alles unheimlich Zeit."
Sechs Jahre im Fall des Unnaer Wohnprojekts. Es könnte also noch eine Weile dauern, bis das nächste Altersheim für Drogenabhängige in Deutschland eröffnet. In Berlin, Köln und Frankfurt sollen ähnliche Heime geplant sein. Und vielleicht ja auch bald in Hamm.