Donnerstag, 25. April 2024

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Wohnraumentwicklung
Die Suggestion vom besseren Leben in der Großstadt

"Innovativer, kulturell inspirierter, Hotspot der globalen Wissensökonomie" - so würden Großstädte im öffentlichen Diskurs dargestellt, sagte der Wirtschaftsgeograph Thilo Lang im Dlf. Dabei lohne der Blick auf das Land mit seinen erfolgreichen Mittelständlern. Gerade dort finde Innovation statt.

Thilo Lang im Gespräch mit Ludger Fittkau | 23.09.2018
Blick auf Frankfurt mit Skyline, Commerzbank, Hessische Landesbank, Deutsche Bank, Europäische Zentralbank, Skyper, Sparkasse, DZ Bank, Opernturm, Paulskirche, Römer, Frankfurt am Main, Hessen, Deutschland, Europa
Frankfurt von oben: weiter unten ist es laut, eng, teuer - und es herrscht eine "Wohnraumkrise" (imago )
Im Kanzleramt fand ein sogenannter Wohnungsgipfel statt, an dem eine Vielzahl von Verbänden vom Mieterbund bis zum Bund Deutscher Architekten teilnahmen. Die Gewerkschaften veranstalteten gleichzeitig einen Gegengipfel. In einem Punkt sind sich aber alle einig: Es soll mehr und schneller gebaut werden, vor allem in den Ballungsräumen. Dort mangelt es insbesondere an Sozialwohnungen. In Städten wie München oder Frankfurt am Main herrscht eine "Wohnraumkrise", die die Bewohner sogar zu Protestmärschen auf die Straße treibt.
Während aber bezahlbarer Wohnraum in vielen Ballungsgebieten Mangelware geworden ist, stehen in manchen ländlichen Regionen Häuser leer. Wie eine Wiederentdeckung des Landes gegen die Wohnungsnot helfen könnte, erklärte der Raumplaner und Wirtschaftsgeograph Thilo Lang. Er ist Forscher am Leibniz-Institut für Länderkunde in Leipzig zu Anpassungsprozessen von Städten und Regionen in Zeiten des demografischen Wandels.
Ballungsräume mit viel Zuzug "ein Problem"
Thilo Lang zog vor einigen Jahren selbst von Berlin nach Leipzig und berichtet, wie es auch in Leipzig immer enger werde - vor allem aus Perspektive der Leipziger. Der Quadratmeterpreis sei von 4,90 Euro vor einigen Jahren auf mittlerweile rund acht Euro angestiegen. Bei der Schrumpfung der Haushaltsgrößen brauche es dauerhaft mehr Wohnungen. Dabei käme es stark darauf an, wer baue und wer wo baue.
Wichtig sei eine bessere Verteilung der Bevölkerung, der Angebote, der Infrastruktur, denn die starke Polarisierung in einige, wenige Ballungsräume mit viel Zuzug sei ein Problem. In vielen Bereichen führe dies Wachstum zu Belastungserscheinungen und gesundheitlichen Problemen durch Lärm, fehlende Nachtruhe und viel Verkehr, aber auch Ressourcenverbrauch sei ein Thema, so Lang. Der Raumplaner kritisiert eine unglaublich große Zersiedelung in Deutschland, zuviel Bauen auf der "grünen Fläche".
Steuerungsinstrumente für Wohnpolitik entwickeln
Die wenigen Flächen und Bestände, die noch in öffentlicher Hand seien, müssten konsequent behalten und auch ausgebaut werden, dass mithilfe städtischer Wohnungsbaugesellschaften, mit Wohnungsgenossenschaften und gemeinnützigen Wohnungsorganisationen auch wieder mehr gebaut wird, günstiger gebaut wird, möglicherweise Erbpacht stärker genutzt wird. Damit werde ein Steuerungsinstrument wieder entwickelt, das es in vielen Städten früher gab, aber "aus Profitgier und fehlgeleiteten politischen Entscheidungen verscherbelt wurde", so Lang.
Dagegen sei Wien ein Vorbild, was den städtischen und sozialen Wohnungsbau angehe. Die Stadt könne dank der Masse von Wohnungen, auf die sie einen Zugriff hat, extrem gut steuern - der Boden gehöre der Stadt, die Wohnungen gehörten der Stadt.
Modell: Urbanes Leben auf dem Land
Grundsätzlich werde das Leben in der Großstadt im öffentlichen Diskurs sehr stark bevorzugt. Es werde suggeriert, dass in den Großstädten das "bessere Leben" möglich ist. Großstädte würden als innovativer, als kulturell inspirierter, als die Hotspots der globalen Wissensökonomie dargestellt. Aber im Grund sei dies alles durch einen Diskurs hergestellt, der dann auch handlungsleitend werde. Doch es lohne sich auch ein Blick auf die andere Seite, denn man könne auch über ein urbanes Leben auf dem Land diskutieren, das Leben außerhalb der Großstadt attraktiver gestalten und das Land nicht nur zum Wohnort degradieren.
Zwischen Ballungsraum und Land gebe es definitiv einen Ressourcenkonflikt - zum Beispiel in Regionen wie Frankfurt, wo ein massiver Wachstumsdruck unter anderem durch den Brexit herrsche - da müsse sich die Kernstadt mit dem regionalen Umfeld viel besser abstimmen. Da brauche es regionale und keine lokalen Lösungen für Themen wie Verkehrsanbindungen oder mittelgroße Städte im weiteren Umland, die stärker in die Region eingebunden werden müssten, also durch planerische Mittel.
Abwanderungskultur wird vorgelebt
Es gebe in Deutschland eine Abwanderungskultur. Das bedeute, dass es ganze Bevölkerungsgruppen gebe, die nach der Schule komplett abwanderten, weil sie es so vorgelebt bekommen, dass sich eine Dynamik entwickelt hat, dass man "woanders hingehen muss, wenn man was werden möchte". Gleichzeitig gebe es aber auch in den Regionen Unternehmen, die händeringend Leute suchten für ihre Ausbildungsplätze. Hier gehe die gefühlte Wirklichkeit von der tatsächlichen Realität weit auseinander, so Lang.
Die Bevölkerung wohne zu drei Viertel in Agglomerationsräumen und in etwa zu einem Viertel in ländlichen oder peripheren Räumen. Doch die hohe Zahl von "Hidden Champions" - von erfolgreichen Mittelständlern auf dem Land - zeige, Innovation finde nicht nur in der Stadt statt. Man komme von jedem Punkt in Deutschland an Wissen heran.
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