Sonntag, 10. Dezember 2023

Krise am Bau
Der Kampf gegen den Wohnungsmangel

Hohe Kosten verhindern den Bau neuer Wohnungen. Der Wohnungsmangel ist zur drängenden sozialen Frage geworden. Die Bundesregierung versucht, die Baukonjunktur in Schwung zu bringen - und Bundeskanzler Scholz will sogar neue Stadtteile hochziehen.

23.11.2023
    Neue Reihenhäuser im Rohbau in Glessen, einem Stadtteil von Bergheim, aus der Luft fotografiert.
    Neue Reihenhäuser im Rohbau in Glessen, einem Stadtteil von Bergheim: Künftig könnte wieder mehr auf der sogenannten grünen Wiese gebaut werden. (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
    Die deutsche Bauwirtschaft steckt in einer Krise. In der Branche wird inzwischen von einem „toxischen Mix“ gesprochen: Der Bedarf an neuem Wohnraum ist groß, doch hohe Baukosten und eine Vervierfachung der Bauzinsen innerhalb eines Jahres verhindern viele Bauprojekte.
    Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) fordert inzwischen ein radikales Umdenken in der Baupolitik und hat den Bau von neuen Stadtteilen vorgeschlagen. Auf einem Wohnungsbaugipfel im Kanzleramt im September 2023 wurde zudem ein Paket mit verschiedensten Maßnahmen auf den Weg gebracht, um der Baukonjunktur wieder mehr Schwung zu verleihen. Es ist ein Mix aus finanziellen Anreizen, schnelleren Planungs- und Genehmigungsverfahren und dem Verzicht auf geplante energetische Baustandards.

    Inhalt

    Was tut die Bundesregierung gegen die Krise am Bau?

    Der Druck auf die Politik, gegen Wohnungsmangel und hohe Mieten vorzugehen, ist groß – in Städten wie Berlin ist es für Mieter inzwischen fast aussichtslos, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Die Bundesregierung versucht schon seit Längerem, Antworten auf die prekäre Lage zu finden.
    Bundeskanzler Olaf Scholz will nun nicht mehr kleckern, sondern klotzen: "Für ganz Deutschland kann man sagen: Wir brauchen wahrscheinlich 20 neue Stadtteile in den meist gefragten Städten und Regionen – so wie in 70er-Jahren", so der SPD-Politiker.

    Bauen auf der grünen Wiese

    Das Bauen auf der sogenannten grünen Wiese habe man in den vergangenen Jahren nicht mehr gewollt, es sei aber notwendig, sagt der Bundeskanzler mit Blick auf den Wohnungsbedarf.
    Doch wie weit Scholz mit dieser Idee kommt, ist unklar. Die Grünen sind dagegen und plädieren für eine geschicktere Nutzung der bestehenden Bausubstanz, um mehr Wohnraum zu schaffen. Das sei klimafreundlicher.
    Jenseits dieser Frage hat sich die Bundesregierung inzwischen auf jede Menge Einzel-Maßnahmen zur Förderung der Baukonjunktur geeinigt. Sie wurden nach einem Wohnungsbaugipfel im Kanzleramt verkündet.
    So will die Ampel-Regierung Investitionsanreize über bessere Abschreibungsmöglichkeiten beim Wohnungsbau schaffen: Investitionen sollen sich auf diese Weise schneller refinanzieren.

    Keine strengeren Energiestandards

    Daneben sollen bereits geplante und strengere Energiestandards für neue Gebäude ausgesetzt werden. Auf EU-Ebene soll die verpflichtende Sanierung einzelner Wohngebäude ausgeschlossen werden.
    Bauen soll durch Änderungen der Musterbauordnung und der Landesbauordnungen schneller und einfacher werden. Bund und Länder verständigten sich Anfang November auf einen "Pakt für Planungs-, Genehmigungs- und Umsetzungsbeschleunigung", der sich neben dem Wohnungsbau auch auf Bereiche wie Verkehr und Energie bezieht.
    In den sozialen Wohnungsbau werden den Plänen zufolge bis 2027 mehr als 18 Milliarden Euro an Bundesmitteln fließen, aus den Ländern soll noch einmal das 1,5-Fache der Summe hinzukommen.
    Außerdem sollen mehr Familien als bisher zinsgünstige Baukredite bekommen. Staatlich geförderte Kredithöchstbeträge werden beim KfW-Neubauprogramm „Wohneigentum für Familien“ um 30.000 Euro angehoben.

    Umbau von Büros in Wohnungen

    Auch den Umbau von Gewerbeimmobilien in Wohnraum will die Bundesregierung mit einer knappen halben Milliarde fördern: Denn viele Büros werden in Folge der Coronapandemie nicht mehr gebraucht und stehen leer. Es gebe hier ein „Potenzial von bis zu 235.000 neuen Wohneinheiten“, heißt es.
    Schließlich wird auch der Erwerb von selbst genutztem Wohneigentum erleichtert. Die Bundesregierung will den Ländern hier eine flexiblere Gestaltung der Grunderwerbsteuer ermöglichen. Das könnte die Nebenkosten beim Hauskauf senken. Daneben soll es ab 2024 die sogenannte Wohngemeinnützigkeit geben: Vermieter, die dauerhaft bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung stellen, werden dann steuerlich begünstigt und gefördert.

    Was fordern die Verbände und wie bewerten sie die Baupolitik der Bundesregierung?

    Die Bauwirtschaft bewertete die Ergebnisse des Wohnungsbaugipfels als Schritt in die richtige Richtung, mahnte aber zur Eile. "Die Bundesregierung hat jetzt wohl endlich erkannt, wie ernst die Lage am Wohnungsmarkt ist", sagte der Hauptgeschäftsführer des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes (ZDB), Felix Pakleppa.
    Auch der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB) sieht eine Perspektive für die Branche. "Zur Wahrheit gehört aber auch: Die Maßnahmen müssen erst greifen, dafür braucht es Zeit, die wir eigentlich nicht haben", sagte HDB-Hauptgeschäftsführer Tim-Oliver Müller.

    Ruf nach billigen Zinsen

    Contra kam hingegen vom Spitzenverband der Wohnungswirtschaft GdW. GdW-Präsident Axel Gedaschko hatte gar nicht erst am Wohnungsbaugipfel im Kanzleramt teilgenommen und eine Verbilligung der Zinsen bei Baukrediten sowie eine Senkung der Umsatzsteuer bei Bauvorhaben von 19 auf sieben Prozent gefordert.
    Ungehört blieb auch die Forderung eines Verbändebündnisses für den Wohnungsbau, das von der Bundesregierung 50 Milliarden Euro mehr für den Bau von Sozialwohnungen verlangt hatte. Dem Vorschlag zufolge sollte das Geld von Bund und Ländern in einem Sondervermögen zur Verfügung gestellt werden. Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) wies das mit Verweis auf die Staatsverschuldung zurück.

    Warum wird in Deutschland zu wenig gebaut?

    Die Zahl der Baugenehmigungen für neue Wohnungen ist im September 2023 auf den tiefsten Stand seit über zehn Jahren fallen. Sie sank nach Angaben des Statistischen Bundesamtes um knapp 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat auf 19.300. Noch weniger Bauzusagen in einem Monat wurden zuletzt im Januar 2013 erteilt. Von Januar bis September 2023 gab es ein Minus von 28,3 Prozent auf 195.100 Einheiten im Vergleich mit dem Vorjahreszeitraum.
    Neubau eines Hochhauses mit kleinen Appartements in Berlin-Lichtenberg. Die vielen kleinen Balkone prägen die weiße Fassade des Gebäudes.
    Neubau eines Appartement-Hochhauses in Berlin-Lichtenberg. In der Hauptstadt ist der Wohnungsmangel besonders groß. (picture alliance / dpa / Caro Ruffer)
    Der Grund für die schlechten Zahlen: Bauen ist in Deutschland derzeit schlicht zu teuer, der rasante Anstieg der Bau- und Energiekosten hat den Wohnungsbau unrentabel gemacht. Laut dem Münchner Ifo-Institut lagen die Baupreise für konventionellen Wohnungsneubau im Mai 2023 um 36 Prozent höher als noch im Frühsommer 2020. Nach Berechnungen von Bauexperten bewegt sich der bundesweite Medianwert für den Bau eines Quadratmeters Wohnfläche – inklusive Grundstückskosten – aktuell deutlich über 5.000 Euro.
    Um die Kosten wieder hereinzuholen, müsste die Quadratmetermiete für eine neue Wohnung derzeit zwischen 18 und 20 Euro betragen. Das kann sich kaum noch jemand leisten – und es führt dazu, dass Bauprojekte auf Eis gelegt oder gar nicht mehr geplant werden. So hat Deutschland größte Wohnungsgesellschaft Vonovia laut Vorstandschef Rolf Buch den Bau von 60.000 Wohnungen gestoppt – die Bagger sollen erst wieder rollen, „wenn sich Bauen wieder lohnt und rechnet“.

    Wie groß ist der Mangel an Wohnraum in Deutschland?

    Nach einer Studie des Pestel-Instituts fehlen in Deutschland derzeit rund 700.000 Wohnungen. „Wir haben einen Rekord-Wohnungsmangel“, sagt Institutsleiter Matthias Günther. Es sei das größte Wohnungsdefizit seit mehr als zwanzig Jahren.
    Besonders bei den bezahlbaren Wohnungen werde das „ohnehin schon massive Versorgungsloch“ immer größer - und bei den Sozialwohnungen sei es längst ein „Krater“. Gründe dafür sieht das Institut vor allem in einer erheblichen Zunahme der Bevölkerung: Für 2022 ergebe die Bilanz aus Zu- und Abwanderung ein Plus von rund 1,5 Millionen Menschen, die nun zusätzlich in Deutschland lebten.

    Wie viele Wohnungen sollen nach den Plänen der Bundesregierung jährlich gebaut werden?

    Die Bundesregierung hat das Ziel, dass jährlich 400.000 Wohnungen gebaut werden, 100.000 davon sollen Sozialwohnungen sein. Doch 2022 wurden insgesamt nur 295.000 Wohnungen fertiggestellt. Und Immobilien- und Bauverbände rechnen damit, dass der Wohnungsbau weiter abnimmt, in diesem Jahr auf nur noch rund 245.000 Einheiten. Das Ifo-Institut erwartet sogar einen stetigen Rückgang auf 200.000 Fertigstellungen in 2025.

    405.000 neue Wohnungen pro Jahr im Schnitt

    Das Ziel von 400.000 Wohnungen entspricht ziemlich genau dem historischen Mittelwert: In der Bundesrepublik Deutschland wurden seit Beginn der Baustatistik im Jahr 1950 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes durchschnittlich 405.000 neue Wohnungen pro Jahr fertiggestellt.
    Den bisher höchsten Stand erreichte der Wohnungsbau 1973 mit gut 714.200 Einheiten im früheren Bundesgebiet. Nach der deutschen Vereinigung wurden die meisten Wohnungen 1995 gebaut, nämlich 602.800 im gesamtdeutschen Bundesgebiet. Die wenigsten Wohnungen wurden im Zuge der globalen Finanzmarktkrise im Jahr 2009 fertiggestellt (159.000). Danach stieg der Wohnungsbau bis 2020 wieder kontinuierlich auf 306.400 Fertigstellungen.

    ahe