Samstag, 27. April 2024

Bauwirtschaft in der Krise
Warum viel zu wenig Sozialwohnungen gebaut werden

Besonders in den Ballungsräumen fehlt in Deutschland bezahlbarer Wohnraum. Mit dem Bau von Sozialwohnungen wollte die Ampel-Regierung gegensteuern, liegt aber weiter hinter den eigenen Zielen zurück. Schafft sie die Wende?

27.08.2023
    Aufnahme aus der Luft: Neugebaute Wohnblöcke der Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft (LWB). Die neue Wohnanlage mit 300 Wohnungen besteht aus 18 Häusern, die in sechs Blöcken um zwei Wohnhöfe platziert sind.
    300 neue Sozialwohnungen in Leipzig: Das Gebäude wurde 2022 fertiggestellt. In Deutschland müsste sehr es viel mehr solcher Bauprojekte geben. (picture alliance / dpa / Jan Woitas)
    Die deutsche Bauwirtschaft steckt in einer tiefen Krise. "Wir befinden uns momentan im Bereich des Wohnungsbaus wirklich in einer absoluten Ausnahmesituation", sagt IG-Bau-Chef Robert Feiger. Er spricht von einem "toxischen Mix": ein hoher Bedarf an neuem Wohnraum, der auf extrem hohe Baukosten und eine Vervierfachung der Bauzinsen innerhalb eines Jahres trifft.
    Sicher ist: Es wird viel zu wenig gebaut. Das gilt auch für Sozialwohnungen. Von ihrem Ziel, in dieser Legislaturperiode 400.000 vom Staat geförderte Wohneinheiten bauen zu lassen, könnte die Ampel-Regierung kaum weiter entfernt sein. Nun wird über Gegenmaßnahmen diskutiert. Im Zentrum wie bei vielen politischen Debatten: das Geld.

    Warum werden in Deutschland zu wenig Sozialwohnungen gebaut?

    Bauen ist in Deutschland derzeit schlicht zu teuer, der rasante Anstieg der Bau- und Energiekosten macht den Wohnungsbau unrentabel – auch den von Sozialwohnungen. Dem Wohnungsbau droht nach Einschätzung von Ökonomen, Fachleuten und der Baubranche ohne grundlegende Verbesserung der Rahmenbedingungen eine jahrelange Krise.
    Nach Berechnung der Kieler Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen (Arge) liegt der bundesweite Medianwert für den Bau eines Quadratmeters Wohnfläche - inklusive Grundstückskosten - aktuell bei etwa 5150 Euro. Um die Kosten hereinzuholen, müsste die Quadratmetermiete für eine neue Wohnung derzeit etwa 18 Euro betragen. Nach Angaben des Münchner Ifo-Instituts lagen die Baupreise für konventionellen Wohnungsneubau im Mai 2023 um 36 Prozent höher als noch im Frühsommer 2020.
    Das führt dazu, dass Bauprojekte auf Eis gelegt oder gar nicht mehr geplant werden. Die Zahl der Baugenehmigungen für Wohnungen ist im ersten Halbjahr 2023 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes um rund ein Viertel eingebrochen. Von Januar bis Juni wurde demnach der Bau von 135.200 Wohnungen bewilligt – das sind 27,2 Prozent oder 50.600 weniger als noch ein Jahr zuvor. Und Immobilien- und Bauverbände rechnen damit, dass der Wohnungsbau weiter abnimmt, in diesem Jahr auf nur noch rund 245.000 Einheiten. Das Ifo-Institut erwartet sogar einen stetigen Rückgang auf 200.000 Fertigstellungen in 2025.

    Wie groß ist das Problem? Wie viele Sozialwohnungen fehlen?

    Insgesamt fehlen in Deutschland laut einer Prognose derzeit etwa 700.000 Sozialwohnungen. Einen solchen Bedarf habe es zuletzt vor 20 Jahren gegeben, heißt es in einer Studie, die das Pestel Institut für das Bündnis "Soziales Wohnen" erstellt hat. Der Fehlbedarf ergebe sich unter anderem aus einer "Rekord-Zuwanderung" von Geflüchteten aus der Ukraine und anderen Teilen Europas.
    Mehr als elf Millionen Mieterhaushalte haben laut dem Bündnis in Deutschland Anspruch auf eine Sozialwohnung. Der Bestand reiche damit nur für jeden zehnten dieser Haushalte. "Bei den bezahlbaren Wohnungen wird das ohnehin schon massive Versorgungsloch immer größer", sagt der Leiter des Pestel Instituts, Matthias Günther. Bei den Sozialwohnungen sei dieses Loch längst ein "Krater".
    Die Anzahl der Sozialwohnungen nimmt seit langer Zeit ab. Gab es in der alten Bundesrepublik noch fast vier Millionen, waren es 2010 noch rund 1,66 Millionen und 2020 nur noch rund 1,13 Millionen. Auch 2022 sank die Anzahl der Sozialwohnungen – um rund 14.000 auf 1,088 Millionen. In den Ländern wurde in dem Jahr der Bau von 22.545 Sozialwohnungen bewilligt. Zugleich fielen aber 36.500 Wohnungen aus der staatlichen Preisbindung heraus.
    Die Mieten sind bei Sozialwohnungen staatlich reguliert. Wohnen dürfen dort nur Menschen, denen die Behörden einen besonderen Bedarf bescheinigen. Sozialwohnungen werden staatlich gefördert und dürfen deswegen eine bestimmte Zeit lang nur zu günstigen Konditionen vermietet werden. Wenn der Zeitraum abgelaufen ist, können sie normal am Markt angeboten werden.

    Was hat sich die Bundesregierung vorgenommen und was hat sie umgesetzt?

    Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, dass jährlich 400.000 Wohnungen gebaut werden, 100.000 davon sollen Sozialwohnungen sein. Doch 2022 verfehlte sie ihr Ziel deutlich, insgesamt wurden nur 295.000 Wohnungen fertiggestellt. Davon waren 25.000 nach Schätzungen der Länder Sozialwohnungen.
    Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) will deswegen nun mit Steueranreizen den kriselnden Wohnungsbau ankurbeln: „Angesichts des dramatischen Einbruchs bei den Baugenehmigungen und damit verbunden dem Rückgang der Bauinvestitionen in diesem Jahr brauchen Bau- und Immobilienwirtschaft dringend neue Investitionsanreize.“
    Steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten für Neubauten sollen nun deutlich erweitert werden. Außerdem hat Geywitz in Aussicht gestellt, dass die geplante Verschärfung der Energiestandards für Neubauten verschoben wird. Im September will sie ein Hilfspaket für die kriselnde Baubranche vorstellen.
    Auch die FDP hat sich dafür ausgesprochen, schneller und billiger zu bauen. Der deutsche Wohnungsbau sei überreguliert – es gebe 20.000 Gesetze, Normen und Vorschriften, klagt der wohnungspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Daniel Föst.
    Der Druck auf die Politik, gegen Wohnungsmangel und hohe Mieten vorzugehen, ist groß – in Städten wie Berlin ist es für Mieter inzwischen fast aussichtslos, eine bezahlbare Wohnung zu finden.
    Hier rächen sich jetzt die Versäumnisse der Vergangenheit. „Als die Bedingungen noch besser waren, als die Zinsen noch niedriger waren, da hätte man vorsorgen müssen“, sagt der Politikwissenschaftler und Wohnungsbauexperte Volker Eichener. Doch das sei nicht passiert - es sei viel zu wenig gebaut worden.

    Woher könnte das Geld für mehr Sozialwohnungen kommen?

    Ein Verbändebündnis für den Wohnungsbau hat die Bundesregierung aufgefordert, 50 Milliarden Euro mehr für den Bau von Sozialwohnungen auszugeben. Zum Bündnis gehören die führenden Verbände der Bau- und Wohnungswirtschaft, die IG Bau und der Mieterbund. Ihren Vorstellungen zufolge soll das Geld von Bund und Ländern in einem Sondervermögen zur Verfügung gestellt werden. IG-Bau-Chef Robert Feiger wünscht sich einen „Milliarden-Booster bei der Förderung“. Nur so könnten die für die Legislaturperiode geplanten 400.000 neuen Wohnungen auch realisiert werden.
    Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) hat den Vorschlag allerdings bereits zurückgewiesen. Ein solches Sondervermögen sei ein „Batzen Schulden“, und die Staatsverschuldung müsse begrenzt werden, argumentiert sie. Zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus gebe der Bund bis 2026 rund 14,5 Milliarden Euro aus. Mit der Co-Finanzierung durch die Bundesländer werde man voraussichtlich auf eine Fördersumme von 36 Milliarden Euro kommen, betont die Ministerin.
    Die Fraktion der Grünen im Bundestag hat sich hingegen für mehr staatliche Förderung ausgesprochen. Die Baubranche könne Impulsgeber für Konjunktur, Jobs und Klimaschutz sein: "Um ihre Auftragslage zu stärken und bezahlbaren und energetisch hochwertigen Wohnraum zu schaffen, schlagen wir ein Programm vor, das die staatliche Förderung für die energetische Gebäudesanierung und sozialen Wohnungsbau deutlich erhöht." 30 Milliarden Euro will die Fraktion dafür in die Hand nehmen.

    Welche Alternativen gibt es zum (sozialen) Wohnungsbau?

    Eine Möglichkeit, neuen Wohnraum zu schaffen und den Wohnungsmarkt damit zu entlasten, ist der Umbau von Büros, die seit der Corona-Pandemie und der massenhaften Verbreitung des Homeoffice nun leer stehen. Büroimmobilien in Wohngebäude zu verwandeln galt lange als unrentabel, doch angesichts der hohen Neubaukosten könnte sich das ändern.
    In den kommenden Jahren könnten deutschlandweit mehr als 200.000 Wohnungen in den Innenstädten aus ehemaligen Büros entstehen, heißt es in einer Studie des „Verbändebündnis Wohneigentum“. Dietmar Walberg, Leiter des Wohnungs- und Bauforschungs-Instituts ARGE in Kiel, empfiehlt, bei der Schaffung von neuem Wohnraum stärker auf Bestandsimmobilien zu schauen: Deren Umnutzung habe „erhebliches Potenzial“. Denn hier bekomme man Wohnraum zum Teil zu einem Drittel der Neubaukosten.

    ahe, vl, dpa, rtr, afp, kna