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Wolfgang Filc: Gefahr für unseren Wohlstand. Wie Finanzmarktkrisen die Weltwirtschaft bedrohen

Seit der sprachlosen und anonymen Demonstration des Hasses am 11. September in den USA wird darüber spekuliert, was das Motiv hinter der Zerstörungswut der Täter gewesen sein mag. Eine Erklärung weist in die Richtung politischen und wirtschaftlichen Ungleichgewichts in der Welt, repräsentiert durch die militärisch abgesicherte Herrschaft der USA. Die weltweite, nicht selten gewaltförmige Durchsetzung des kapitalistischen Modells produziere wenige Gewinner und immer mehr Verlierer, die sich blutig für ihre Demütigung rächen wollten. Ob das mehr als eine plausible Vermutung ist, mag dahingestellt bleiben: Tatsache ist allerdings, dass sich immer mehr Menschen finden, auch aus den Regierungsapparaten westlicher Staaten, die erkannt haben, dass von der globalen Deregulierung der Märkte politische und wirtschaftliche Gefahren ausgehen. Dies gilt nicht zuletzt für die Finanzmärkte, deren Krisen eine Bedrohung für die gesamte Weltwirtschaft darstellen. Wolfgang Filc, Professor für Volkswirtschaft und einst Mitstreiter Oskar Lafontaines im Finanzministerium, hat seinem Buch zu diesem Thema den Titel "Gefahr für unseren Wohlstand" gegeben.

Elmar Altvater |
    Nach dem 11. September zog das globale Finanzsystem nicht wegen einer neuen Krise in Asien, Lateinamerika oder in der Türkei die Aufmerksamkeit auf sich, sondern weil die Terroranschläge von New York und Washington offenbar durch Untergrundbanken und Geldwäsche finanziert worden waren und obendrein mit dem Tod von Tausenden Menschen lukrative Insidergeschäfte gemacht worden sind. Der Abbau von Regeln und Kontrollen im Zuge der Liberalisierungspolitik in den vergangenen zwei Jahrzehnten hat also auch den bin Ladens dieser Welt genützt.

    Noch im Juni dieses Jahres hatte sich die US-Regierung aus der Kampagne der führenden Industrieländer gegen schädlichen Steuerwettbewerb und Geldwäsche zurückgezogen. In den Steuer- und Finanzoasen von Liechtenstein bis zu den karibischen Inseln konnte man jubeln ob der Geschäfte, die man ohne die von der OECD gegen "nicht-kooperative" Länder angedrohten Sanktionen machen konnte.

    Und nun dies: Nicht nur Drogenbosse und Menschenhändler, Finanzbetrüger und korrupte Politiker waschen jährlich bis zu 1,5 Billionen US-Dollar schmutziges Geld und transferieren es auf saubere Konten, so dass sie danach mit weißer Weste dastehen. So wird auch die Kriegskasse der Terrornetzwerke gefüllt. Es hat der schrecklichen Anschläge bedurft, um sehr schnell und plötzlich einige Geldwaschanlagen zu kontrollieren und verdächtige Konten zu sperren.

    Die Stabilität und Integrität der globalen Finanzmärkte sind ein hohes öffentliches Gut. So heißt es zu Recht in dem hier zur Diskussion stehenden Buch von Wolfgang Filc über die jüngsten Finanzmarktkrisen. Marktliberale Wissenschaftler und Politiker sind überzeugt davon, dass dieses öffentliche Gut entsteht, wenn man nur den globalen Wettbewerb freisetze. Doch Finanzmärkte können gar nicht stabil sein, da die auf ihnen gebildeten Preise - also Zinsen, Börsenkurse oder Wechselkurse - aufgrund von zukünftigen Erwartungen zustande kommen. Das Eintreten von Erwartungen ist unsicher, und daher gehören Risiko und Spekulation zum Funktionieren der Finanzmärkte. Dabei lässt sich kräftig verdienen. Daher ist das Interesse der großen Marktakteure und ihrer politischen Repräsentanten an einer politischen Stabilisierung eher gering. Was kümmert den "Washington-Wall Street-Komplex", wie Jagdish Bhagwati die Kumpanei von Politik und Finanz bezeichnet, schon das Elend der Menschen in den von der Asienkrise gebeutelten Ländern, wenn dabei gute Geschäfte gemacht werden können?

    Wolfgang Filc legt sich diese und viele andere Fragen in seinem neuen Buch vor. Der Titel ist ein Urteil, das im Verlauf der Darstellung wohl begründet wird: "Gefahr für unseren Wohlstand - Wie Finanzkrisen die Weltwirtschaft bedrohen": Hier wird leider nicht übertrieben. Mit Geldwäsche auf den globalen Finanzmärkten wurde ein Terrornetzwerk finanziert - darauf konnte Wolfgang Filc nicht eingehen -,und die Finanzkrisen der Jahrzehnte seit der Deregulierung und Liberalisierung der Finanzmärkte nach dem Zusammenbruch des Währungssystems von Bretton Woods 1973 haben für größere Ungleichheit in der Welt, ja, eine Zunahme der Armut in den betroffenen Ländern gesorgt. Leicht verbrämt hat dies sogar die Weltbank in ihrem diesjährigen Weltentwicklungsbericht zur Armutsbekämpfung zugeben müssen.

    Die Ungleichheit ist die Nährlösung, in der die Keime des Terrorismus gedeihen. Doch zugleich sind die Wechselkursschwankungen unregulierter Märkte eine phantastische Gelegenheit für hohe Renditen. Geldvermögensbesitzer können also hohe Gewinne einfahren, zumal die Finanzindustrie mit immer neuen Finanzprodukten lockt, während Schuldner nachgerade ausgenommen werden.

    Die Krisen, 1994 in Mexiko, 1997 in Asien, 1998 in Russland, 1999 in Brasilien, 2000 in Argentinien und 2001 in der Türkei, wirken wie ein Schock. Jedes Mal wird über eine "neue Finanzarchitektur" geredet, werden mehr Transparenz, mehr Wachsamkeit, mehr politische Steuerung der wild gewordenen Märkte verlangt. Doch keine Krise dauert bekanntlich ewig, und irgendwann kehrt Normalität ein. Dann kann auch, wie Oskar Lafontaine im Epilog zum Buch von Wolfgang Filc schreibt, die "internationale Politik zur Tagesordnung übergehen".

    Politische Ansätze zur Kontrolle der unregulierten Finanzmärkte werden, wenn denn akute Krisen vorbei zu sein scheinen, erleichtert aufgegeben. Denn, so schreibt Filc an vielen Stellen seines Buches, die Finanzindustrie ist gierig. Sie profitiert von den Wechselkursschwankungen, die dazu führen, dass Unternehmen und ganze Volkswirtschaften Einkommen und Wohlstand verlieren. Doch wo Verluste sind, da gibt es auch Gewinne.

    Über die Wachstums- und Wohlfahrtsverluste infolge der heftigen Wechselkursschwankungen und wegen überhöhter Realzinsen klagt die UNCTAD, die Konferenz der Vereinten Nationen über Handel und Entwicklung, in der vor allem die weniger entwickelten Länder vertreten sind. Die Gewinne haben Wall Street, Lombard Street und Mainhattan in den vergangenen Jahren en masse eingefahren.

    Wie funktionieren die Finanzmärkte, die dieses für die zivilisierte Menschheit unannehmbare Resultat hervorbringen? Dazu gibt es in dem Buch von Wolfgang Filc eine Fülle von Argumenten, die alle in sich stimmig sind. Es ist eine große Leistung, die hochkomplexen Funktionsmechanismen globaler Finanzmärkte in einer auch vom Laien nachvollziehbaren Weise darzustellen. Doch nicht nur die klare Darstellung fasziniert an diesem Buch. Auch die Eindeutigkeit und Überzeugungskraft der politischen Lösungsvorschläge sind beeindruckend.

    Wolfgang Filc ist Wissenschaftler, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Trier, und Politiker. Denn er gehörte als Ministerialdirektor und Leiter der Abteilung "Internationale Finanz- und Währungsbeziehungen" in der kurzen Zeit von Herbst 1998 bis Frühjahr 1999 zur Equipe des damaligen sozialdemokratischen Finanzministers Oskar Lafontaine.

    Wir erinnern uns, dass Lafontaine unter dem Eindruck der schweren Finanzkrisen den Versuch unternahm, in koordinierter Weise die Schwankungshäufigkeit und Schwankungsheftigkeit, im Ökonomendeutsch Volatilität genannt, von Wechselkursen und Zinssätzen zu reduzieren. Erfahrungen gab es ja: mit dem Europäischen Währungssystem, mit den Abkommen der G5 bzw. G7 1985 in New York oder 1987 in Paris. Doch Lafontaine und seiner Mannschaft schlug, als sie für Zielzonen von Wechselkursen und Zinsen plädierten, nichts als blanker Hass entgegen.

    Die Medien beteiligten sich daran, die internationalen Institutionen, die Regierungen, die großen Finanzinstitutionen, die Zentralbanken. Und aus den eigenen Reihen wurde offenbar gemobbt. Oskar Lafontaine hat, wie wir uns erinnern, im März 1999 das Handtuch geworfen. Auch seine Equipe räumte die Büros.

    Das Buch von Wolfgang Filc kann daher als eine Art Manifest der Lafontaine'schen internationalen Wirtschaftspolitik gelesen werden: der Analyse der finanziellen Instabilitäten folgt eine Untersuchung des Fehlverhaltens der Akteure auf den Finanzmärkten, um mit Überlegungen zu einer "neuen Finanzarchitektur" zu enden. Die Analyse der Finanzkrisen in Asien und anderswo, des Beinahe-Zusammenbruchs des Spekulationsfonds "Long Term Capital Management", der zum "melt-down" des globalen Finanzsystems hätte führen können, der Rolle der globalen Finanzinstitutionen ist außergewöhnlich scharfsinnig gedacht und obendrein so geschrieben, dass auch Nicht-Fachleute den zentralen Argumenten zu folgen vermögen.

    Und die lauten: Nicht wirtschaftspolitische Fehler in den von Finanzkrisen betroffenen Ländern haben die Krisen ausgelöst. Auch die verbreitete Korruption ist, so kritikwürdig sie ist, nicht die Ursache der Finanzkrisen. Es sind die Funktionsbedingungen der globalen Finanzmärkte, die periodisch Krisen auslösen. Man kann allerdings, wie Filc schreibt, schwer prognostizieren, wann sie ausbrechen und welches Land sie treffen.

    Eben deshalb folgt der Ruf nach besseren Regeln des Finanzsystems. Keine Gesellschaft kommt ohne Regeln aus - nur auf den Devisen- und Finanzmärkten meint man, auf Regeln verzichten zu können. Doch dies ist, so Filc, "mordsgefährlich..., weil Finanzmärkte, das Finanzsystem eines Landes, die Finanzarchitektur der Welt und schließlich die Weltwirtschaft in Krisen gerissen werden können...".

    Wenn das unregulierte Finanzsystem so "mordsgefährlich" ist -, warum gibt es keine zureichenden Regeln? Auch auf diese Frage hat der Autor eine Antwort. Erstens verdienen an den Kursschwankungen professionelle Anleger, die daher alles andere als ein Interesse an der Stabilisierung von Kursen und Zinsen haben, und zweitens haben die USA überhaupt kein Verständnis für Währungsprobleme und falsche Wechselkurse anderer Länder. Denn der Dollar wird in aller Welt akzeptiert, gleichgültig wie der Kurs steht, und die wichtigsten Waren, zumal das Erdöl, werden in Dollarpreisen abgerechnet. Warum also sollten sich die USA für eine Regulierung der Wechselkurse erwärmen? Das ist für sie kein Thema, und Leute, die es aufwerfen, gelten sehr schnell als "Planwirtschaftler", "Sozialisten" oder weltfremde Phantasten.

    Mit den USA eine neue Finanzarchitektur zu entwickeln und zu verwirklichen, ist also ein schwieriges, vielleicht aussichtsloses Unterfangen. Allenfalls auf "weiche" Regeln kann man sich verständigen: auf "verbesserte Transparenz der nationalen Wirtschafts- und Währungspolitik, eine intensivere Finanzmarktaufsicht mit länderübergreifenden Standards, die Einbeziehung des privaten Sektors bei der Bewältigung von Finanzkrisen", wie Filc schreibt.

    Härtere Regeln sind tabu: Kontrollen des Kapitalverkehrs, eine Tobin-Steuer zur "Bestrafung" der kurzfristigen und destabilisierenden Spekulation, das Verbot von Geschäften mit jenen unregulierten Finanzzentren, die sich geweigert haben, mit der OECD zu kooperieren.

    Als im Jahre 1998 Oskar Lafontaine die Richtung zu mehr Regulation der wild gewordenen Finanzmärkte einschlug und auf Kooperation und Koordination der Politik der führenden Länder abzielte, wurden er und seine Equipe, zu der der hier rezensierte Buchautor gehörte, heftig abgestraft. Die Zeiten ändern sich. Eine Lehre des 11. September könnte sein, dass auf die Wohlstandswirkung 'freier' Finanzmärkte kein Verlass ist; das globale Finanzsystem braucht Regeln. Wie diese ungefähr aussehen sollten, begründet Wolfgang Filc' Buch in überzeugender Weise.

    "Gefahr für unseren Wohlstand. Wie Finanzmarktkrisen die Weltwirtschaft bedrohen" von Wolfgang Filc. Das Buch ist im Eichborn Verlag erschienen, hat 233 Seiten und kostet 44 DM.