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Wolfgang Jacobsen und Rolf Aurich: Der Sonnensucher. Konrad Wolf.

Konrad Wolf, Sohn des Schriftstellers Friedrich Wolf und Bruder des einstigen DDR-Geheimdienstchefs Markus Wolf, war einer der engagiertesten Regisseure der DEFA, der staatlichen Filmgesellschaft der DDR. Aber wie so vielen DDR-Künstlern, die durchaus loyal zu "ihrem" Staat standen, blieben auch Konrad Wolf schmerzhafte Kollisionen mit der SED-Kulturbürokratie nicht erspart – und das, obwohl er selbst lange Jahre in diesem Apparat wichtige Funktionen bekleidete. Im Berliner Aufbau-Verlag ist nun die erste umfassende Lebensbeschreibung Konrad Wolfs erschienen.

25.04.2005
    Ein filmender Politiker oder ein Filmemacher, der unter die Politiker gefallen war? Als Konrad Wolf, der bekannteste und erfolgreichste Filmemacher der DDR, 1982 starb, hatte er 13 Filme gedreht, war einflussreicher Präsident der "Akademie der Künste" und ein Jahr lang schon Mitglied des Zentralkomitees der SED. Mit großem Pomp wurde er beigesetzt, und Kurt Hager, Mitglied des Politbüros und Sekretär des ZK, wand ihm bei der Feierstunde einen letzten Kranz aus den gängigen Politphrasen.

    "Der sozialistische Patriotismus und der proletarische Internationalismus wirken in seinen Filmen auf künstlerisch spezifische Weise, die den ihr gemäßen Ausdruck sucht. "

    Konrad Wolfs letzter Spielfilm "Solo Sunny" war 1980 ins Kino gekommen, gewann auf der Berlinale – im Westen also – einen umjubelten "Silbernen Löwen" und zog Millionen von Kinobesuchern in Ost und West an. 19 Wochen lang war allein das Kino "International" in Ostberlin ausverkauft. Mit der Geschichte einer reichlich unangepassten Schlagersängerin und ihrer Erlebnisse in der DDR-Provinz. Kein Film also über eine sozialistische Musterheldin nach dem Geschmack der Kulturbürokratie:

    Filmausschnitt "Solo Sunny"
    Sunny: "Ich komme auf die Annonce wegen der Sängerin. Ich würd´s gern machen. Ich schlaf mit jemanden, wenn’s mir Spaß macht. Ich nenn einen Eckenpinkler einen Eckenpinkler. Ich bin die, die bei den Tornados rausgeflogen ist. Ich heiß´ Sunny. "

    Das Rätsel, wie jemand Teil der DDR-Kulturbürokratie sein konnte und zugleich engagierter, aufrichtiger und auch in regimekritischen Kreisen beliebter Künstler, muss jede Biographie dieses Musterintellektuellen der DDR zu beantworten versuchen. Um es gleich zu sagen: Die Filmhistoriker Wolfgang Jacobsen und Rolf Aurich schaffen das in der ersten Biographie, die über Konrad Wolf geschrieben wurde, kaum. Manchmal gerät die Biographie wenig lesefreundlich in die Nähe der Absicherungssprache akademischer Abschlussarbeiten. Dann wieder tasten die Autoren sich mit Formulierungen wie "Man kann vermuten" oder "Er wird wohl gesehen (oder gelesen) haben" über zeitgeschichtliche Materiallücken hinweg. Was der Titel des Buches "Der Sonnensucher" verspricht: die Tragödie eines aufrichtigen Mannes in den deutsch-deutschen Wechselfällen des 20 Jahrhunderts wird nur selten eingelöst. Dabei halten die Autoren mit der Biographie Wolfs durchaus so etwas wie einen spannenden Filmstoff in Händen, über dessen Stationen man immerhin zuverlässig alles Notwendige erfährt.

    Konrad Wolf, Sohn des sozialistischen Schriftstellers und Arztes Friedrich Wolf, verteilt schon als kleiner Steppke Flugblätter für die KPD und geht gemeinsam mit seinem Bruder Markus auf eine reformpädagogische Schule. 1934 flieht die Familie vor den Nazis nach Moskau. In Moskau, im Kreise der Exildeutschen, wird Konrad Wolf zu einem - wie er selbst es formuliert - "Russen, der deutsch spricht". Als Siebzehnjähriger zur "Roten Armee" eingezogen, betritt er sein ihm nun fremdes einstiges Vaterland in russischer Uniform. Er hält Propagandareden über einen Lautsprecherwagen, verhört deutsche Gefangene und kann sie zunächst nur sehen als den faschistischen Feind, vor dem seine Familie geflohen ist. In der mit Abstand dichtesten Passage des Buches folgen die Autoren unter Verwendung der Wolf-Tagebücher seinem schwierigen Weg zurück nach Deutschland – in ein fremdes, zerstörtes und verstörtes Land. Konrad Wolf hat 1968 zu diesem Thema einen seiner schönsten und persönlichsten Filme gedreht "Ich war 19".

    Filmausschnitt "Ich war 19":
    "Lautsprecher:" Achtung Deutsche. Die rote Armee stößt unaufhörlich über die Oder vor." Stimme: "Fast täglich spreche ich solche Sätze. Schüsse sind die Antwort. Überläufer kommen selten." Lautsprecher: " Wartet nicht bis eine Minute nach 12." Stimme: "Ich bin 19." "

    Konrad Wolfs Ich-Erzähler empfindet als Russe und hasst die Deutschen, deren Gräueltaten er als Befreier von Sachsenhausen gesehen hat. Der Film orientiert sich so exakt an der echten Biographie des Konrad Wolf, dass auch dessen zeitweise Ernennung zum russischen Stadtkommandanten von Bernau nicht ausgespart bleibt. Die verschiedenen kulturpolitischen Beratertätigkeiten, zu denen er als Vertrauensperson der Russen berufen wird, befriedigen ihn auf die Dauer nicht. Also ab nach Moskau zur Filmhochschule. Bruder Markus ist dort inzwischen in der DDR-Botschaft tätig. Vater Friederich Diplomat in Warschau. Eine Musterfamilie. "Roter Adel" sozusagen. Erst 1952 gibt Konrad Wolf die sowjetische Staatsbürgerschaft auf und wird Bürger der DDR. Dann gleich Filmemacher bei der DEFA in Babelsberg, deren Chef er später werden wird. Viele seiner Filme kreisen um die Themen Faschismus und Krieg. Für einen dieser Filme, für "Sterne", wird er 1959 mit einem Spezialpreis der Jury in Cannes ausgezeichnet. Zugleich ist er schon seit seiner Rückkehr nach Deutschland SED-Mitglied und strebt politische Ämter an. Das macht ihm die Durchsetzung seiner Filmstoffe keineswegs leichter. Um den Film "Sonnensucher", der 1958 vor der Kulisse des Uranbergbaus bei der IG Wismut die Probleme bei der Formung des "Neuen Menschen" sehr kritisch verhandelt, entbrennt eine regelrechte Zensur- und Abwehrschlacht mit der Politik. Der Film verschwindet mehr als zehn Jahre im Tresor, bevor er doch noch aufgeführt wird. In der Öffentlichkeit beschwert sich Konrad Wolf nicht. Er hält Disziplin. Vielleicht weil er über Politik und Kunst so denkt wie im folgenden Interviewausschnitt.

    "Politik ist ja auch ein anderes Gebiet als Kunst. In der Kunst muss man Dinge - und besonders Film hat ja etwas mit Dramatik und Konflikten zu tun – da muss man die Dinge schon ein bisschen offener auf den Tisch legen. Ich fühle da schon eine Solidarität oder auch so "Schulter an Schulter" mit den Politikern, wobei es ja auch unter Politikern verschiedene gibt. "

    Konrad Wolf war überzeugt, im besseren Deutschland zu leben. Und alle Schwierigkeiten mit den Zensoren verstand er als notwendige Auseinandersetzungen, die nun einmal dazu gehören, wenn man eine neue Gesellschaft aufbauen will. Die gesellschaftliche Verantwortung des Künstlers hat er in seinen Filmen "Goya" 1971 und "Der nackte Mann auf dem Sportplatz" 1974 zum Thema gemacht. 1961 begrüßte er den Bau der Mauer, glaubte, damit sei der Kalte Krieg ausgesperrt und die DDR könne sich endlich in Ruhe weiterentwickeln. Er rechtfertigte den Einmarsch der fünf Staaten des Warschauer Paktes 1968 in die CSSR und auch Wolf Biermann Ausbürgerung 1976. Da war er längst Präsident der "Akademie der Künste". Ein "Linientreuer" bis zum Schluss also und doch auch jemand, der stets ansprechbar war bei Schwierigkeiten mit dem Regime, half, wo er nur konnte. Weswegen er stets auch bei Kritikern des Regimes als aufrechter Mensch galt. Er hielt Parteidisziplin, kämpfte aber im System unerschrocken für seine künstlerischen Vorstellungen. "In sich verknäuelt" nannte Christa Wolf den Mann, mit dem sie 1964 ihren Roman "Der geteilte Himmel" durchgekämpft hatte. Konrad Wolf erläutert seine Sicht der Dinge, wenn er 1980 auf die Heldin seines letzten Films "Solo Sunny" zu sprechen kommt.

    "Mich interessiert die Totalität des Lebens, und in diesem Fall der Sunny interessiert mich eben eine, die ganz gezielt Vorstellungen vom Leben hat, die nicht deckungsgleich sind mit anderen oder sogar Lebenserwartungen, Haltungen von Menschen provoziert, die sich schon mit manchem abgefunden haben. "

    Die Biografie "Der Sonnensucher Konrad Wolf" ist keine filmkritische oder filmästhetische Bestandsaufnahme. Sie setzt den anerkannten künstlerischen Rang einfach voraus, konzentriert sich auf die politischen Widersprüche im Leben des Konrad Wolf, beschreibt sehr detailliert, wie er wurde, was er war. Seine legendären "Spagatkünste" ebenso wie seinen unerschütterlichen naiven Glauben an eine bessere Zukunft, selbst dann noch, als keiner mehr "glaubte". Als wirklich überzeugter Sozialist war er für die Parteibürokratie oft sehr unbequem, und manchmal rettete ihn nur sein unantastbarer Status als "Held der roten Armee" vor deren Ungnade. Immer mehr setzte ihm das alles zu. Sein Bruder Markus besuchte ihn am Krankenbett kurz vor seinem Tod mit nur 57 Jahren. Die Fieberträume des schwer Krebskranken verraten alles über den Mann der Konrad Wolf und seine tragische Lebensgeschichte.

    "Da waren seine Gedanken in Moskau. Er war ja schon etwas verwirrt durch die Medikamente und alles, was er bekam. Und er sagte mir: Ich lebe jetzt in der Metrostation im Zentrum von Moskau Platz der Revolution. – Die Station ist auf drei Etagen, das muss man dazu wissen – so fühle ich mich jetzt. Ich weiß nicht mehr genau, bin ich in der Jugend da oder in meinen Träumen dort oder bin ich in Deutschland. Du musst mir helfen, wo ich jetzt bin. Und das sagte er mir Russisch. "

    Josef Schnelle über Wolfgang Jacobsen und Rolf Aurich: Der Sonnensucher. Konrad Wolf. Erschienen im Aufbau Verlag Berlin, 589 Seiten zum Preis von 24,90 Euro.