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Wolfgang Maderthaner, Michaela Maier (Hrsg.): "Der Führer bin ich selbst"

Auf ihrer Reise ins Exil machten Ernst und Karola Bloch 1933/34 in Wien Station. Rückblickend schrieb Karola Bloch:

Von Ursula Rütten |
    Politisch gesehen war eine Emigration nach Österreich nicht sehr vernünftig. Aber es war für uns nicht unangenehm dort. Niemand belästigte uns, Juden wurden nicht verfolgt, man gewöhnte sich an die illegalen Nazi-Demonstrationen.

    Ernst Bloch beobachtet die Unstimmigkeiten und Paradoxien der österreichischen Verhältnisse. Anlässlich des Erscheinens einer Rezension zu "Erbschaft dieser Zeit" in der Wiener Zeitung vom 7. Januar 1935 schrieb er an einen Freund:

    Diese ist die Staatszeitung, ihre Redakteure sind Staatsbeamte, die Zeitung ist so außerhalb der Zensur, dass sie selbst die Zensur ist. Dennoch ist eine so sichtbare und doch relativ sehr positive Besprechung darin möglich, das heißt, nur darin möglich. Erst nachdem diese Anzeige erschienen war, konnten andere österreichische Zeitungen selbst eine wagen. Das ist Österreich, das sonderbare Land. Aber auf dem Abonnement der "Weltbühne", ja der "Sammlung" stehen drei Monate Gefängnis. Übrigens hindert die Anzeige im amtlichen Organ nicht, dass das Buch doch noch verboten werden kann.

    Solche Dokumente aus der Zeit, als in der Alpenrepublik das Projekt Austrofaschismus noch nicht komplett realisiert und im Anschluss gemündet war, findet man in dem mit vielen Abbildungen und klugen Einzelstudien ausgestatteten Band "Asyl wider Willen, Exil in Österreich 1933 - 1938". Ursula Seeber hat ihn im Wiener Picus Verlag herausgegeben. Im Vorwort schreibt die Herausgeberin:

    Im März 1933 nützte der christlichsoziale Bundeskanzler Dollfuß eine Geschäftsordnungslücke zur Auflösung des Parlaments und regierte mit autoritativen Notverordnungen weiter. Mit dem Abbau demokratischer Grundrechte verstärkte sich der innenpolitische Druck in Richtung Diktatur. Spätestens seit dem Bürgerkrieg im Februar 1934, der ein Verbot der Arbeiterbewegung und damit eine Fluchtwelle von Sozialdemokraten und Kommunisten zur Folge hatte, war der christlich-autoritäre "Ständestaat" ein prekäres Terrain für NS-Flüchtlinge.

    Das Drehbuch für die von Dollfuss betriebene Etablierung des Austrofaschismus war zu großen Teilen von Italiens "duce" Benito Mussolini geschrieben worden. Das ist spätestens seit 1949 bekannt, als der bis dahin geheime Briefwechsel zwischen Dollfuß und Mussolini der Öffentlichkeit in einer Broschüre zugänglich gemacht wurde. Was den Wiener Löcker Verlag heute veranlasst, diese längst vergriffene Dokumentation in einer überarbeiteten und ergänzten Neuauflage auf den Mark zu bringen, sagt Ihnen nun Ursula Rütten.
    Wir haben zum 70-jährigen Gedenktag dieser Februarereignisse plötzlich wieder eine unglaubliche Debatte.

    Begründet Alexander Lellek vom Wiener Löcker-Verlag seine Entscheidung, eine kommentierte Dokumentation des Austrofaschismus just in diesen Wochen auf den österreichischen Buchmarkt zu lancieren. Wolfgang Maderthaner ist neben Michaela Maier Herausgeber und einer der Autoren:

    Es geht uns schon sehr darum, einen Beitrag zu liefern in der jetzt aktuellen Debatte über Dollfuß als großer Patriot. Dollfuß als Getriebener, der eigentlich nicht anders kann, als die Demokratie zu suspendieren, als den Verfassungsbruch in Permanenz zu begehen, als den Rechtsstaat auszuhöhlen. Das passiert alles, und es wird eine Diktatur errichtet.

    Wien im Februar 2004. In einem offiziellen Festakt gedenkt die Zweite österreichische Republik eines Schandflecks der Geschichte: der blutigen Niederschlagung des letzten sozialdemokratischen Aufbegehrens gegen die hausgemachte faschistische Diktatur vor 70 Jahren. Ansprachen, Sondersendungen, Pressedossiers, telegene Betroffenheit; das gemalte Konterfei des damaligen Bundeskanzlers Engelbert Dollfuß hängt indes nach wie vor in den Clubräumen der heute regierenden österreichischen Volkspartei. Am Tatort, dem Karl-Marx-Hof im Bezirk Heiligenstadt, gemahnen vereinzelte Grußbotschaften der SPÖ und KPÖ an die am 12. Februar 1934 von Bundesheer- und Heimwehrkanonen abgefeuerten Todesschüsse auf die Genossen. Menschenopfer zu Beginn der Ära der Liquidierung der ersten österreichischen Republik.

    Solche Tatsachen lassen sich nicht einfach von der historischen Agenda verdrängen. Auch wie es zu dieser Zuspitzung und schließlich zur Machtergreifung und Ausprägung des Austrofaschismus kam, sollte zumindest in dessen Heimat bekannt sein. Schließlich ist der einschlägige Beleg dafür in Form des Briefwechsels zwischen Dollfuß und Mussolini bereits 1949 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Diese, allerdings längst vergriffene Broschüre aus dem Verlag Wiener Volksbuchhandlung dokumentiert, in welch großem Ausmaß Bundeskanzler Engelbert Dollfuß in seinem Bemühen, den neuen Machthabern in Deutschland einen Konkurrenzfaschismus unter katholisch-ständestaatlichen Vorzeichen entgegenzusetzen, den Plänen und Weisungen des italienischen Diktators Benito Mussolini ausgeliefert war. Dies will die von Wolfgang Maderthaner und Michaela Maier herausgegebene Neuauflage noch einmal in Erinnerung rufen. Ergänzende Beiträge über den sozialen, politischen und ökonomischen Nährboden des Austrofaschismus, dessen Herrschaftssystem und dessen Legitimationsmuster erschienen zudem geboten, aktuelle Irrläufer in der öffentlichen Debatte über jenes Vergangenheitskapitel gegen den Strich zu bürsten und nicht zuletzt auch deutsche Missverständnisse auszuräumen:

    Die Debatte geht um: Hat Dollfuss als der damals verantwortliche Bundeskanzler Österreich vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten gerettet oder hat er dieses Österreich Hitler à la longue ausgeliefert und musste dieses Land mit dieser Politik direkt in den Abgrund gehen? ... Und was Vertreter des deutschen Buchhandels nicht verstehen, ... dass das, was wir in Österreich hatten, keine Persiflage des Faschismus war, sondern Faschismus war und Faschismus sein wollte oder Diktatur sein wollte. Dass es eben nicht nur eine faschistische Partei war, wie man sie sonst in Europa gekannt hat, ... sondern es waren unsere Christlich-Sozialen, vergleichbar der Vorläuferpartei der CDU, der Zentrumspartei, die ja dort eine Stütze der Demokratie war. Nicht so bei uns. Die wollten die Demokratie absolut nie haben.

    In diesem Zusammenhang haben wir uns gedacht, ... aus ganz vordergründiger Motivation heraus zu schauen, wie die großen Patrioten bei uns Politik betreiben und wie stark sie dem Mussolini ausgeliefert sind, wie unterwürfig man sich dem großen Diktator gegenüber verhält, wie massiv ihm auch der Mussolini vorschreibt, was zu tun ist, wie man die Sozialdemokraten in ihrer Hochburg Wien, da haben sie eine 2/3-Mehrheit, niederschlagen und ausschalten muss, wie man ihnen die finanziellen Mittel entzieht etc. Der Mussolini schreibt das Drehbuch der österreichischen Geschichte von 1933, das ist aus dieser Broschüre überdeutlich zu entnehmen.

    Wobei sicher auch die weiterführenden Beiträge von Wolfgang Maderthaner und Emmerich Tálos reichlich faktengestützte Argumente gegen die durchweg konstatierte Neigung zu ideologischer Verschleierung liefern.

    Letztlich hängt es immer davon ab: Was wird im Fernsehen vermittelt, in der Schule, dort ist es nach wie vor im wesentlichen doch noch die These der geteilten Schuld: Zum Streiten braucht man eben zwei, also sozusagen die Linken gegen die Rechten, und eigentlich sei es immer nur darum gegangen, den Nationalsozialismus von Österreich fernzuhalten. Wenn man dann aber diese Briefe liest, stellt sich das sehr anders da.

    Ein Beitrag von Ursula Rütten. Wolfgang Maderthaner und Michaela Maier sind die Herausgeber von "Der Führer bin ich selbst" - Engelbert Dollfuß - Benito Mussolini. Briefwechsel. Diese überarbeitete und ergänzte Neuauflage ist erschienen im Wiener Löcker Verlag. 157 Seiten, 15 Euro.