Eines vor allem hemmt diesen Wandel: Das Prinzip des Ethnischen als exklusives gesellschaftliches Organisationsprinzip bestimmt nach wie vor weite Teile von Politik und Alltag. ... Aber ein ausschließlich ethnisch definiertes Gemeinwesen hat im Europa des 21. Jahrhunderts keine Zukunft.
Dabei hätte es, so die Autoren mit Blick auf das Engagement der Internationalen Gemeinschaft im Protektorat Kosovo, durchaus Chancen für eine ethnische Annäherung gegeben. Die neu geschaffenen demokratischen Institutionen hätten am Anfang überraschend gut funktioniert. Auch die nationalen Minderheiten seien eingebunden. Doch einer konstruktiven parlamentarischen Arbeit habe der unbedingte Wille der kosovarischen Eliten zur Macht im Wege gestanden. Auch bei der Suche nach Koalitionspartnern in den eigenen Reihen hätten sie nurmehr ein - Zitat - "Trauerspiel demokratischer Unkultur" aufgeführt. Damit seien sie durchaus auch mitverantwortlich für die anhaltenden Blutfehden zwischen der albanischen Mehrheit und der serbischen Minderheit.
Erst durch die Veränderung makropolitischer Rahmenbedingungen trat eine Verhärtung der Beziehung zwischen der serbischen und der albanischen Bevölkerung ein, die dazu führte, dass die sozialen Grenzen zwischen den ethnischen Gruppen beinahe undurchlässig wurden. Ethnisch ist dieser Konflikt nicht, weil es zwischen Serben und Albanern aufgrund bestimmter Gruppenmerkmale unüberbrückbare Gegensätze gab, sondern weil bestimmte Gruppen aus spezifischen Interessen die Unüberbrückbarkeit entlang ethnischer Grenzen konstatieren.
Natürlich müsse die Frage nach dem endgültigen Status des Kosovo in naher Zukunft gelöst werden. Aber unter großen Teilen der albanischen Bevölkerung herrschten unrealistische Erwartungen hinsichtlich der Folgen einer möglichen Unabhängigkeit. Die Abspaltung von Serbien werde praktisch als Allheilmittel gegen die Probleme der Region gesehen. Da auch die politische Führung unter Ibrahim Rugova kein anderes Konzept aufbiete, dürfe es nicht verwundern, wenn eine sozial und ökonomisch chancenlose Bevölkerung ihrer Frustration Luft macht und es zu einer Eskalation der Gewalt kommen konnte wie im März dieses Jahres, mit rund 30 Toten, 900 Verwundeten, 30 niedergebrannten serbischen Klöstern und Kirchen und rund 500 zerstörten serbischen Wohnungen.
Sollte es tatsächlich keinen Frieden auf diesem balkanischen Vulkan geben können ohne einen bis zum Ende ausgetragenen Krieg?
Diese Kardinalfrage und eine weitere:
Was müsste sich grundlegend verändern, um eine friedliche Lösung des Kosovokonfliktes Realität werden zu lassen, also die ethnischen Grenzen zu überbrücken?
Will man vor allem in diesem Kompendium über den Kosovokonflikt diskutiert sehen, denn viele Fakten über die albanisch-serbischen Grabenkämpfe und international erzwungenen Friedensabkommen und Demokratieversuche im Kosovo kennt man bereits aus anderen Publikationen.
Da die Wirklichkeit aber nach wie vor von starren Fronten zwischen den ethnischen Konfliktparteien im Schacher um den endgültigen Status des Kosovo geprägt ist, können die Autoren auch dieser Studie kaum optimistische Ausblicke oder gar Lösungsaussichten offerieren. Sie müssen auf das Fehlen jeglicher Bereitschaft zur Akzeptanz zivilgesellschaftlicher Verhältnisse jenseits des nationalistischen Diskurses verweisen, auf den Unwillen, die jüngste Geschichte aufzuarbeiten und sich einer offenen Diskussion über die von beiden Seiten begangenen Kriegsverbrechen zu stellen. Solche Defizite - und das macht die Lage scheinbar aussichtslos - sind kein Spezifikum des Kosovo, sie lassen sich auch in anderen gescheiterten oder schwachen Staaten beobachten.
Stellt man die Entwicklung im Kosovo in einen größeren geografischen und politischen Kontext, so wird augenfällig, dass es insbesondere seit dem Ende der bipolaren Weltordnung zu einem Wandel der Gewaltformen gekommen ist. Es lässt sich generell eine Zunahme von innerstaatlichen Gewaltereignissen in Zusammenhang mit humanitären Katastrophen als eine Folge von institutionellen und staatlichen Zerfallsprozessen beobachten. Der schwache und gescheiterte Staat ist zur neuen Herausforderung der internationalen Politik geworden.. .. Ein weiteres Phänomen dieser neuen Form der Kriegführung besteht darin, dass lokal agierende Rebellen zu Gewaltunternehmern werden, die den Krieg als ein Mittel betrachten, sich und ihre Klientel ökonomisch zu bereichern. Menschenrechtsverletzungen werden in solchen Fällen vorgeschoben, um die eigentlichen Absichten zu verschleiern. Die Entstehung so genannter Gewaltmärkte ist nicht zufällig eine Folge sich verfestigender Gewaltstrukturen - die Fortführung des Konfliktes ist notwendig, um den Gewaltmarkt aufrecht zu erhalten.
Gern hätte man Vorschläge gelesen, wie die Internationale Gemeinschaft Probleme dieser Art in den Griff bekommen könnte. Indes wird in dieser Studie ausdrücklich auf eine Bewertung der Kosovo-Intervention und ebenso der Grundsatzdebatte über die politischen und völkerrechtlichen Folgen des NATO-Angriffs auf Jugoslawien verzichtet. Die Autoren rekonstruieren vornehmlich jene Ereignisse, die zum Scheitern einer diplomatischen Lösung des Konfliktes beigetragen haben sowie die Entwicklung nach dem Krieg. Demnach haben die einzelnen internationalen Akteure weder aufeinander abgestimmt agiert, noch über ein langfristiges Konzept zur Lösung der Krise verfügt.
"Fünf verlorene Jahre"? fragt sich Petritsch in abschließenden persönlichen Reflexionen. Wenn der gesamten Region eine wirkliche Chance gegeben werden soll, dann müsse, so Petrisch, mutig und konsequent die europäische Karte gespielt, Serbien und Kosovo in die EU integriert werden.
Mal abgesehen von den kaum lösbaren Akzeptanzproblemen in der EU, müsse schon heute mit aller zur Verfügung stehenden Macht - so Petritsch wörtlich - der Widerstand der >ethnischen Säuberer< gebrochen und Fakten zugunsten der Rückkehrer geschaffen werden. Weiteres Warten bis Mitte 2005, dem von der internationalen Kontaktgruppe anvisierten Beginn der Gespräche über den staatsrechtlichen Status der Provinz, spiele den Extremisten beider Seiten in die Hände. Belgrad werde sich vor allem fragen müssen, wie Serbien im theoretischen Fall der Wiedereingliederung des Kosovo mit einer Minderheit von zwei Millionen Albanern umzugehen gedenkt, die sich entschieden und einhellig gegen den Verbleib im selben Staatsverband stellen. Von der Kosovo-albanischen Bevölkerung müsse erwartet werden, dass sie ihr Tabu-Thema>bedingungslose Unabhängigkeit < selbstkritisch hinterfrage und in anderen Optionen zu denken beginne. Sollten die Fronten indes hart bleiben, so Petritsch, werde es nur Verlierer geben und der Balkan ein Krisenherd bleiben.
Ursula Rütten über Wolfgang Petritsch, Robert Pichler: Kosovo-Kosova. Der lange Weg zum Frieden. Wieser Verlag, Klagenfurt 373 Seiten, 20 Euro 40.
Damit sind wie am Ende unserer heutigen Revue politischer Literatur. Am Mikrophon war Hermann Theißen. Guten Abend.