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Wolfgang Schneider: Frauen unterm Hakenkreuz

Wer auf dem deutschen Buchmarkt nach Petitessen über Adolf Hitlers Verhältnis zum weiblichen Geschlecht sucht, wird gleich mehrfach fündig. Allerdings beschäftigen sich diese Bücher zumeist nur mit solchen Frauen, mit denen Hitler persönlich bekannt war - und tragen mit ihrem manchmal kolportagehaften Inhalt wenig zu einer historisch fundierten Analyse bei. Überfällig dagegen war bislang eine Gesamtdarstellung zur Rolle der Frau in der NS-Gesellschaft, die die Ansprüche der Ideologie mit dem tatsächlichen Alltagsleben von Frauen im Dritten Reich vergleicht. Wolfgang Schneider, der zuletzt mit seinem Buch "Alltag unter Hitler" für Aufmerksamkeit sorgte, hat sich nun an dieses schwierige Unterfangen gewagt.

Julia Robertz | 11.06.2001
    Adolf Hitler: Man sagte oft, Sie wollen die Frau aus allen Berufen drücken. Ich will ihr nur die Möglichkeit in weitestem Ausmaß verschaffen, heiraten zu können und eine eigene Familie mitgründen zu können und Kinder bekommen zu können, weil sie dann, und das ist nun meine Überzeugung, unserem Volk natürlich am allermeisten nützt.

    In dieser Rede Adolf Hitlers vom September 1936 wird die Einstellung des Führers zur gesellschaftlichen Position der Frau im Dritten Reich überdeutlich. Ob sich ihre "Nützlichkeit" für den Nationalsozialismus jedoch tatsächlich auf die Mutterrolle allein beschränkte, ist eine von vielen Fragen, der Wolfgang Schneider in seinem Buch "Frauen unterm Hakenkreuz" nachgegangen ist.

    Lange Zeit dominierte das Pauschalurteil, das Dritte Reich habe die Frauen völlig entrechtet, versklavt und zu Gebärmaschinen degradiert. Historische Genauigkeit und eine differenzierte Betrachtungsweise ergeben allerdings ein deutlich anderes Bild. So gab es, abgesehen von anfänglichen, meist vorübergehenden Bestrebungen, in Anbetracht hoher Arbeitslosenzahlen die weibliche Berufstätigkeit zugunsten der Männer einzuschränken, keinerlei grundsätzliche Verfügungen, das zweite Geschlecht nur um seiner selbst willen zu benachteiligen. Vielmehr galten bis zum Ende des Krieges weitreichende Mutter- und Arbeitsschutzbestimmungen, die im Ersten Weltkrieg undenkbar gewesen wären. Auch hatte Hitler zwar verkündet, Emanzipation sei ein nur vom jüdischen Intellekt erfundenes Wort, dennoch waren unter dem Diktat kriegsbedingter Notwendigkeit unfreiwillige Ansätze partieller Gleichberechtigung zu verzeichnen.

    Schneiders Analyse geht chronologisch vor: Im ersten Kapitel "Vorkriegsjahre" wird deutlich, dass die NS-Führung in diesem Zeitraum weibliche Erwerbstätigkeit aus zwei Gründen ablehnte: zum einen wollte man die hohe Arbeitslosigkeit der Männer abbauen - und zum anderen die "Gebärmaschinerie" für künftigen Soldatennachwuchs aktivieren. Trotzdem gab es während der zwölf Jahre des tausendjährigen Reichs keine grundsätzlichen Verfügungen, Frauen an Kind und Küche zu fesseln - vielmehr wurden gezielt finanzielle Anreize dafür geschaffen, freiwillig Haus und Hof zu hüten. So erhielten sozial schwache Familien ab dem dritten Kind Steuerermäßigungen, und künftigen Ehepaaren wurden zinslose Darlehen gewährt, sofern die Frau ihre Berufstätigkeit aufgab. Mehr Ehen gleich mehr Kinder- so lautete die ebenso banale wie erfolgversprechende Formel. Ein weiterer raffinierter Schachzug war, die Tilgung des Darlehens um 25 Prozent je Kind zu verringern. Nach vier Geburten war das Darlehnen "abgekindert", ein offensichtlich reizvolles Angebot für viele Familien, erhöhte sich doch die Zahl der Geburten um über 40 Prozent. Würdigungen wie die Verleihung des "Ehrenkreuzes der deutschen Mutter" ab dem vierten Kind führten zu einem wahren "Mutterkult" in der Gesellschaft. Dem "Führer" und der "Volksgemeinschaft" viele "erbgesunde" Kinder zu schenken, blieb während der gesamten Zeit des Nationalsozialismus die wichtigste Aufgabe der Frau. Doch wandelten sich die an sie gestellten Erwartungen im Verlauf des Krieges. Die Männer an die Front, die Frauen als Ersatzreservoir für die Rüstungsindustrie, so die platte Vorstellung der NS -Führung. Getreu dem NS-Primat der Mutterrolle vollzog sich die Kampagne zur Eingliederung der Frauen in den Rüstungsbetrieb allerdings nicht per Weisung, sondern per Werbung, wie dieser Ausschnitt aus einer Wochenschau vom Februar 1942 belegt:

    O-Ton Wochenschau: Reichsminister Dr. Goebbels sagte in seiner großen Sportpalast-Rede: die deutsche Frau muss spontan ihre Solidarität mit dem Kampf der Männer bekunden. Sie muss sich lieber morgen als übermorgen in die Reihen von Millionen schaffender Angestellten und Arbeiterinnen eingliedern. Jeder ist uns willkommen. Die Parole heißt: Freimachung von Arbeitern und Arbeiterinnen für die Rüstungswirtschaft. Freimachung von Soldaten für die Front. Diesem Ziel muss alles untergeordnet werden.

    Die flammenden Aufrufe verpufften jedoch nahezu wirkungslos. Sie offenbarten dadurch das Dilemma der praktischen Politik, in das sich das Regime durch seine diffuse, ja widersprüchliche Haltung zum weiblichen Geschlecht selbst hineinmanövriert hatte. So wurden einerseits massive Werbungen zur Berufstätigkeit betrieben, andererseits den Soldatenfrauen - im krassen Gegensatz zum ersten Weltkrieg - reichlich bemessene Unterstützungszahlungen gewährt, die es ihnen in der Regel ermöglichten, auf einen Zusatzverdienst zu verzichten. Die für die NS-Wirtschaftsstrategie fatale Folge war, dass der Anteil weiblicher Arbeitskräfte in den ersten Kriegsjahren stetig schrumpfte.

    Schneiders Recherchen belegen, dass die Bereitschaft der Frauen, ihren Platz als Hüterin der Familie aufzugeben, gering war. Der Einsatz von Fremdarbeitern, die aus den besetzten Ländern zwangsrekrutiert wurden, konnte dies nur bedingt kompensieren. Und so wurden mit Fortschreiten des Krieges die Forderungen nach einer allgemeinen Dienstpflicht für Frauen immer lauter. Albert Speer resümierte später:

    Albert Speer: Unschwer hätte Hitler 1941 eine doppelt so stark ausgerüstete Armee haben können, sofern nur die gleichen Maßstäbe angesetzt worden wären, wie sie für die Frauenarbeit in England oder den Vereinigten Staaten gültig waren. Rund fünf Millionen Frauen hätten dann für die Rüstungswirtschaft bereitgestanden.

    Doch Hitler lehnte eine allgemeine Arbeitspflicht für Frauen ab. Eine endgültige Entscheidung, die bis auf die letzten Kriegswochen nie in Frage gestellt wurde. Warum verzichtete er so leichtfertig auf dieses enorme Arbeitskräftereservoir? Den Grund sieht Wolfgang Schneider nicht nur im nationalsozialistischen Frauenbild, sondern auch in Hitlers ambivalentem Verhältnis zum weiblichen Geschlecht. Einerseits wertete er die Frau bis auf die Gebärfähigkeit ab, andererseits verehrte er einzelne Frauen, wie die Regisseurin Leni Riefenstahl, geradezu kultisch. Doch Schneider nennt noch eine weitere Erklärung für die fast schonend erscheinende Behandlung des weiblichen Geschlechts:

    Hitlers Furcht vor inneren Unruhen saß tief. Er misstraute der Verlässlichkeit der Volksgemeinschaft, beargwöhnte die Belastbarkeit der eigenen Heimatfront, an der die Frauen eine immer dominierendere Rolle spielten. Sie hatten die schwerste Bürde der Kriegsfolgen im Reich zu tragen, waren verantwortlich für die Versorgung der Familien, die Erziehung der Kinder, die zumindest moralische Unterstützung der Männer und Söhne an der Front, zusätzlich eingebunden in millionenfache Erwerbstätigkeit. Noch stand der Großteil des weiblichen Geschlechts hinter dem Regime, dessen Führung sich hütete, diese Massenloyalität durch überzogene Belastungen und Zwangsmaßnahmen wie beispielsweise die Einführung der staatlichen Dienstverpflichtung aller deutschen Frauen und Mädchen zu gefährden - es hätte tödlich sein können!

    "Endkriegsjahre" heißt das letzte Kapitel in Schneiders Buch. Aus dem Blitzkrieg war der totale Krieg geworden. Das Regime, von außen und innen in die Enge getrieben, mobilisierte die letzten Reserven: Handelseinrichtungen, Theater und weitere Betriebe wurden zugunsten der Rüstungsindustrie geschlossen. Wieder und wieder wurden die Listen der "unabkömmlichen" Männer überprüft, um neue Frontreserven zu gewinnen. Und die Frauen? Zwar waren die nicht berufstätigen unter ihnen seit Anfang 1943 durch eine Bestimmung zum Arbeitseinsatz gehalten, doch blieb eine allgemeine Dienstverpflichtung weiterhin aus. Die arbeitsmarktpolitischen Bemühungen des NS-Regimes blieben erfolglos. Zu keiner Zeit waren auch nur annähernd so viele deutsche wie englische Frauen zur Arbeit mobilisiert. Während in Großbritannien eine allgemeine weibliche Dienstpflicht bestand, setzte man in Deutschland auf weitere Ströme von Zwangsarbeitern. Die überwiegend weiblichen Verschleppten wurden in Deutschland zu einer sklavenähnlichen Arbeit gezwungen. Ähnlich inkonsequent waren die Bemühungen der NS-Führung, Frauen in der Wehrmacht einzusetzen. Zwar wurden ab Herbst 1943 sogenannte Kriegshilfsdienstmaiden zum Einsatz in der Luftverteidigung verpflichtet, jedoch blieb die Zahl der Rekrutinnen aufgrund der vielen Ausnahmeregelungen sehr gering. Erst im April 1945, als bereits das totale Chaos ausgebrochen war, rückte Hitler von seiner Schonhaltung gegenüber den Volksgenossinnen ab: "Ob Männer oder Frauen ist ganz wurscht: Eingesetzt muss alles werden", tönte der in die Enge getriebene Demagoge. Es wurde tatsächlich ein Frauenbataillon aufgestellt, doch war der weibliche Einsatz auf militärischem Gebiet viel zu unkoordiniert, um noch wirksam sein zu können. Immerhin strafte die Einrichtung eines solchen Bataillons die früheren Bekenntnisse Hitlers ein weiteres Mal Lügen. Fast zehn Jahre zuvor, am 13. September 1935, hatte er noch erklärt:

    Adolf Hitler: Wenn ich heute lese, dass in marxistischen Ländern Frauenbataillone aufgestellt werden und überhaupt Frauenregimenter, dann kann ich nur sagen: Das wird bei uns niemals geschehen. Es gibt Dinge, die macht der Mann, und für die steht er alleine ein.

    Wolfgang Schneider stellt ein bisher unterbelichtetes Kapitel des Dritten Reichs in seiner Relevanz für das damalige politische System dar. Er zeigt auf, wie sich der Stellenwert von Frauenarbeit mit Fortschreiten des Krieges veränderte, und findet dafür plausible Erklärungen. Von "Vorkriegsjahre" bis "Endkriegsjahre" zeichnet er den Wandel des nationalsozialistischen Frauenbildes in vier zeitlich geordneten Abschnitten nach - eine für den Leser sehr gut nachvollziehbare Chronologie. Schneider gelingt der Spagat, eine wissenschaftliche Analyse in eine auch den Laien ansprechende Form zu bringen. Gewiss kann man mit dem Autor über einige Detailfragen streiten - etwa darüber, ob angesichts der unzureichenden beruflichen Perspektiven für Frauen von partieller Gleichberechtigung die Rede sein konnte -, eindrucksvoll aber bleibt die Leistung im Gedächtnis, die bisher lesbarste Darstellung zur Situation des weiblichen Geschlechts im Dritten Reich vorgelegt zu haben.

    Julia Robertz über Wolfgang Schneider: Frauen unterm Hakenkreuz. Hoffmann und Campe, Hamburg, 240 Seiten mit 112 Fotos zum Preis von DM 39,90.