Der us-amerikanische Soziologe C. Wright Mills beklagte Ende der Fünfziger, dass auch Jahrzehnte nach der letzten Schlacht keine abschließende Untersuchung über Ursachen und Konsequenzen des Zweiten Weltkriegs vorliege. Immerhin habe es sich doch um eine spezifische Form der Kriegsführung gehandelt, die als "Angelpunkt" einer Epoche gelten müsse. Aus dieser "Kritik der soziologischen Denkweise" hat sich Wolfgang Sofsky einen Aspekt zu Herzen genommen: Sein als "profunde Untersuchung" des jüngsten Irakkriegs annonciertes "Journal eines Beobachters" lag in den Verkaufsregalen, kaum war das Ende der Kampfhandlungen am Golf ausgerufen. Das Aktualitätskriterium hatte der Göttinger Soziologe bereits mit seinen vorab in Tageszeitungen publizierten Schnellschüssen erfüllt. Nun muss die Lektüre des Buches zeigen, ob eine bloße Sammlung aktueller Glossen Mills’ Einwänden gegen "wirre Wortspiele" und einem oberflächlichen "Fetischismus der Begriffe" standhält. Taktisch ist Sofsky im Vorteil: Auf seinem akademischen Feldherrnhügel – immer auf dem Laufenden durch vorgeschobene Beobachter wie CNN, New York Times oder n-tv – hält der Diskurs-Stratege die eigenen Begriffe gut bedeckt, jongliert stattdessen mit den Meinungen anderer. Und gegen diese Pappkameraden, gegen massenmediale Klischees und Stereotype auf beiden Seiten, bei antiamerikanischen Friedensfreunden wie unter transatlantischen Kriegswilligen, lässt sich trefflich fechten.
Flächenbombardements, Feuerstürme und Flüchtlingstrecks sind ausgeblieben, die apokalyptischen Prophezeiungen der Pazifisten haben sich nicht erfüllt. Das, so doziert Sofsky, habe er immer gewusst, denn "Präzisionsmunition wirkt eher in die Tiefe als in der Breite". Von seinen Argumenten allerdings, von der durch keinerlei Quellenhinweis oder Register aufgeschlüsselten Glossen-Collage, gilt eher das Gegenteil, da wird in Bausch und Bogen mit viel Theaterdonner räsoniert:
Die ersten Angriffe zielten gegen das Gemüt der Militärführung. Die Generäle und Obristen sollten demoralisiert, ihr Widerstandswille durch Terror gebrochen werden. Die punktgenaue Demolierung des Herrschaftszentrums hat einen handgreiflichen Abschreckungswert. Doch ist dieses Skalpell des Schreckens alles andere als zielgenau. Solange der Terror der Despotie nicht gebrochen ist, muss jeder Soldat, der die weiße Fahne hisst, fürchten, von den Schergen des Regimes aufgehängt zu werden. Also muss der Terror des Luftkriegs die Schrecken der Despotie übertreffen. Weil die Koalition auf ein rasches Kriegsende setzt, muss sie in der Mitte Bagdads das Gewaltniveau höher schrauben, als es militärisch nötig ist. Symbole zu planieren kostet mehr Sprengstoff als die Destruktion militärischer Einrichtungen.
Dieser eigenwilligen Rechnung dürfte jeder Feuerwerker widersprechen – aber es geht ja nicht um Empirie, um Erfahrung und Fachwissen, sondern um Feuilletonismus: Um ein stilistisch hochtoupiertes Raunen, das im Zweifelsfall und einige Seiten später auch andersherum "funktioniert".
Das Arsenal für den Luftangriff umfasst mittlerweile 80 Prozent Präzisionsmunition. Der enorme Fortschritt der Waffentechnologie erlaubt einen bislang ungeahnten Sprung in der Rationalisierung der Kriegsarbeit. Aber der feste Glaube an die Wundertechnik kann die alte Einsicht schwerlich widerlegen, dass im Krieg auch die Zahlen zählen.
Abzählreime und kryptische Statistiken, Meinungsforschung aus dritter Hand und die wenig transparente Wiedergabe bunt gemischter Medienberichte stehen einem Soziologen nicht besonders gut an, der sich beredt mokiert über eine Gesellschaft empörter Zuschauer, die sich nur am Rande für "die Wirklichkeit des Gefechtes" interessiere. Genau dagegen führte C. Wright Mills einst "Men against fire" ins Feld, eine Art analytischer Kriegs-Reportage des Generalstabsoffiziers S.L.A. Marshall. Sein Kollege Sofsky aber gefällt sich darin, die Wirklichkeit des Golfkriegs im schneidigen Kasino-Ton zu skizzieren, mit martialisch groben Begriffen wie "verwegene Panzervorstöße", "Handstreich", "Trommelfeuer" oder "Panzerriegel".
Eine kritische Wissenschaft, eine wirkliche Militär-Soziologie, dagegen hätte mit der differenzierten Kunst der Darstellung zu beginnen. Das ahnte – bereits im Ersten Weltkrieg – der expressionistische Maler Franz Marc:
Ich denke so viel über diesen Krieg nach und komme zu keinem Resultat; wahrscheinlich, weil die "Ereignisse" mir den Horizont versperren. Man kommt nicht über die "Aktion" hinweg, um den Geist der Dinge zu sehen.
Nicht auf den Geist, sondern auf die Mechanik der Macht der Großmacht USA konzentriert sich Sofsky. Wie ein Zwerg Allwissend sieht der allseits informierte Zeitgenosse die Ereignisse kommen, kommentiert sie – und spottet, weil man am Lauf der Welt naturgemäß nichts ändern kann, über Moralisten und Diplomaten:
Der moralische Diskurs hat große Mühe, auf der Höhe der Zeit zu sein. Die Wirklichkeit der Macht eilt der Moral weit voraus. Politik besteht nicht nur aus Verhandlungen, Kompromiss und Vertrag. Diplomaten haben offenbar Mühe, über ihr angestammtes Arbeitsfeld, den Streit um Worte, hinauszublicken.
Ein ganz ähnlicher Vorwurf trifft allerdings auch die Gegenseite, die Falken im Weißen Haus. Solche Politiker sind für Sofsky kriegslüsterne "Zivilisten, die nie ein Gefechtsfeld mit eigenen Augen gesehen haben". Unter diesem Manko leidet vermutlich auch ihr Kritiker, doch der kann die Scharte mit markigen Phrasen aus dem Clausewitz für Anfänger auswetzen:
Die Operationen auf den Schwerpunkt des Feindes auszurichten, entspricht den Lehren strategischer Kriegsführung.
Der "Schwerpunkt", das war das irakische Machtzentrum, die Clique um den Diktator. Ein direkter Angriff auf Saddam Hussein aber gilt wenig später nicht mehr als Präzisionsschlag im Krieg, sondern als Mord, als terroristischer Akt. Nicht näher bezeichnete "Kommandoaktionen" klassifiziert der deutsche Frontbeobachter umstandslos als "Terroranschläge", Sabotagetrupps sind ihm gleichbedeutend mit "Stoßtrupps", aus einer Angriffs-Kolonne wird ein "Konvoi", und "Sperrfeuer" kommt – man höre – aus Gewehren. Soviel Unkenntnis lässt die feinste Waffe der Kritik abstumpfen: Dass britische Soldaten dieses von Sofsky "Operation Freiheit" betitelten Feldzuges Menschen am Rande der Stadt Basra vor irakischem Mörserbeschuss geschützt haben sollen, indem sie sich "zwischen die Flüchtenden und die Feuerstellungen drängten", ist kaum anzunehmen – Mörser schießen steil über alle Hindernisse hinweg. Weltpolitisch ist das gewiss nicht von Bedeutung, und deshalb verwendet der global denkende Autor militärische Begriffe gern metaphorisch. Neben den guten alten Fußsoldaten – wer dächte da nicht ans römische Imperium? – treten Füsiliere auf, die in den "urbanen Schlachtraum" vordringen. Die Fliegerbombe figuriert als "Grundprinzip asymmetrischer Kriegführung" und steht in der Zivilisationsgeschichte gleich neben der Guillotine:
Sie tötete ohne die Qualen der alten Martern. Rasch, mit präziser Unerbittlichkeit trennt das Fallbeil den Kopf vom Rumpf. Der Genauigkeit der Todesstrafe entspricht die Treffsicherheit der Kriegsmunition.
Die detaillierte Kritik der Waffen wird am Ende überflüssig. "Im Krieg", so verrät Sofsky, nachdem er die Ausfahrt des britischen Flugzeugträgers Ark Royal im Stile antiker Heldenepen geschildert hat, "im Krieg geht es ums Töten, die Krieger fahren ab, um den Tod zu verbreiten." Wie das Gesetz ihnen befahl - möchte man hinzufügen und könnte sich viele Klischees, drastisch ausgeschmückte Gewaltphantasien oder heftig spekulierende Ferndiagnosen über subjektive Befindlichkeit von Soldaten und politische Motive der Zivilisten ersparen.
Jochen Stöckmann war das über die "Operation Freiheit" von Wolfgang Sofsky. Das Buch, bei S. Fischer erschienen, hat 206 Seiten zum Preis von 17,90 Euro.
Flächenbombardements, Feuerstürme und Flüchtlingstrecks sind ausgeblieben, die apokalyptischen Prophezeiungen der Pazifisten haben sich nicht erfüllt. Das, so doziert Sofsky, habe er immer gewusst, denn "Präzisionsmunition wirkt eher in die Tiefe als in der Breite". Von seinen Argumenten allerdings, von der durch keinerlei Quellenhinweis oder Register aufgeschlüsselten Glossen-Collage, gilt eher das Gegenteil, da wird in Bausch und Bogen mit viel Theaterdonner räsoniert:
Die ersten Angriffe zielten gegen das Gemüt der Militärführung. Die Generäle und Obristen sollten demoralisiert, ihr Widerstandswille durch Terror gebrochen werden. Die punktgenaue Demolierung des Herrschaftszentrums hat einen handgreiflichen Abschreckungswert. Doch ist dieses Skalpell des Schreckens alles andere als zielgenau. Solange der Terror der Despotie nicht gebrochen ist, muss jeder Soldat, der die weiße Fahne hisst, fürchten, von den Schergen des Regimes aufgehängt zu werden. Also muss der Terror des Luftkriegs die Schrecken der Despotie übertreffen. Weil die Koalition auf ein rasches Kriegsende setzt, muss sie in der Mitte Bagdads das Gewaltniveau höher schrauben, als es militärisch nötig ist. Symbole zu planieren kostet mehr Sprengstoff als die Destruktion militärischer Einrichtungen.
Dieser eigenwilligen Rechnung dürfte jeder Feuerwerker widersprechen – aber es geht ja nicht um Empirie, um Erfahrung und Fachwissen, sondern um Feuilletonismus: Um ein stilistisch hochtoupiertes Raunen, das im Zweifelsfall und einige Seiten später auch andersherum "funktioniert".
Das Arsenal für den Luftangriff umfasst mittlerweile 80 Prozent Präzisionsmunition. Der enorme Fortschritt der Waffentechnologie erlaubt einen bislang ungeahnten Sprung in der Rationalisierung der Kriegsarbeit. Aber der feste Glaube an die Wundertechnik kann die alte Einsicht schwerlich widerlegen, dass im Krieg auch die Zahlen zählen.
Abzählreime und kryptische Statistiken, Meinungsforschung aus dritter Hand und die wenig transparente Wiedergabe bunt gemischter Medienberichte stehen einem Soziologen nicht besonders gut an, der sich beredt mokiert über eine Gesellschaft empörter Zuschauer, die sich nur am Rande für "die Wirklichkeit des Gefechtes" interessiere. Genau dagegen führte C. Wright Mills einst "Men against fire" ins Feld, eine Art analytischer Kriegs-Reportage des Generalstabsoffiziers S.L.A. Marshall. Sein Kollege Sofsky aber gefällt sich darin, die Wirklichkeit des Golfkriegs im schneidigen Kasino-Ton zu skizzieren, mit martialisch groben Begriffen wie "verwegene Panzervorstöße", "Handstreich", "Trommelfeuer" oder "Panzerriegel".
Eine kritische Wissenschaft, eine wirkliche Militär-Soziologie, dagegen hätte mit der differenzierten Kunst der Darstellung zu beginnen. Das ahnte – bereits im Ersten Weltkrieg – der expressionistische Maler Franz Marc:
Ich denke so viel über diesen Krieg nach und komme zu keinem Resultat; wahrscheinlich, weil die "Ereignisse" mir den Horizont versperren. Man kommt nicht über die "Aktion" hinweg, um den Geist der Dinge zu sehen.
Nicht auf den Geist, sondern auf die Mechanik der Macht der Großmacht USA konzentriert sich Sofsky. Wie ein Zwerg Allwissend sieht der allseits informierte Zeitgenosse die Ereignisse kommen, kommentiert sie – und spottet, weil man am Lauf der Welt naturgemäß nichts ändern kann, über Moralisten und Diplomaten:
Der moralische Diskurs hat große Mühe, auf der Höhe der Zeit zu sein. Die Wirklichkeit der Macht eilt der Moral weit voraus. Politik besteht nicht nur aus Verhandlungen, Kompromiss und Vertrag. Diplomaten haben offenbar Mühe, über ihr angestammtes Arbeitsfeld, den Streit um Worte, hinauszublicken.
Ein ganz ähnlicher Vorwurf trifft allerdings auch die Gegenseite, die Falken im Weißen Haus. Solche Politiker sind für Sofsky kriegslüsterne "Zivilisten, die nie ein Gefechtsfeld mit eigenen Augen gesehen haben". Unter diesem Manko leidet vermutlich auch ihr Kritiker, doch der kann die Scharte mit markigen Phrasen aus dem Clausewitz für Anfänger auswetzen:
Die Operationen auf den Schwerpunkt des Feindes auszurichten, entspricht den Lehren strategischer Kriegsführung.
Der "Schwerpunkt", das war das irakische Machtzentrum, die Clique um den Diktator. Ein direkter Angriff auf Saddam Hussein aber gilt wenig später nicht mehr als Präzisionsschlag im Krieg, sondern als Mord, als terroristischer Akt. Nicht näher bezeichnete "Kommandoaktionen" klassifiziert der deutsche Frontbeobachter umstandslos als "Terroranschläge", Sabotagetrupps sind ihm gleichbedeutend mit "Stoßtrupps", aus einer Angriffs-Kolonne wird ein "Konvoi", und "Sperrfeuer" kommt – man höre – aus Gewehren. Soviel Unkenntnis lässt die feinste Waffe der Kritik abstumpfen: Dass britische Soldaten dieses von Sofsky "Operation Freiheit" betitelten Feldzuges Menschen am Rande der Stadt Basra vor irakischem Mörserbeschuss geschützt haben sollen, indem sie sich "zwischen die Flüchtenden und die Feuerstellungen drängten", ist kaum anzunehmen – Mörser schießen steil über alle Hindernisse hinweg. Weltpolitisch ist das gewiss nicht von Bedeutung, und deshalb verwendet der global denkende Autor militärische Begriffe gern metaphorisch. Neben den guten alten Fußsoldaten – wer dächte da nicht ans römische Imperium? – treten Füsiliere auf, die in den "urbanen Schlachtraum" vordringen. Die Fliegerbombe figuriert als "Grundprinzip asymmetrischer Kriegführung" und steht in der Zivilisationsgeschichte gleich neben der Guillotine:
Sie tötete ohne die Qualen der alten Martern. Rasch, mit präziser Unerbittlichkeit trennt das Fallbeil den Kopf vom Rumpf. Der Genauigkeit der Todesstrafe entspricht die Treffsicherheit der Kriegsmunition.
Die detaillierte Kritik der Waffen wird am Ende überflüssig. "Im Krieg", so verrät Sofsky, nachdem er die Ausfahrt des britischen Flugzeugträgers Ark Royal im Stile antiker Heldenepen geschildert hat, "im Krieg geht es ums Töten, die Krieger fahren ab, um den Tod zu verbreiten." Wie das Gesetz ihnen befahl - möchte man hinzufügen und könnte sich viele Klischees, drastisch ausgeschmückte Gewaltphantasien oder heftig spekulierende Ferndiagnosen über subjektive Befindlichkeit von Soldaten und politische Motive der Zivilisten ersparen.
Jochen Stöckmann war das über die "Operation Freiheit" von Wolfgang Sofsky. Das Buch, bei S. Fischer erschienen, hat 206 Seiten zum Preis von 17,90 Euro.