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"Wolfsburg unlimited"
Die Stadt als Weltlabor

Wolfsburg ist eng mit dem Autobauer Volkswagen verbunden. 1938 legte Hitler den Grundstein für das Volkswagen-Werk. Wolfsburg entstand am Reißbrett und wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zur Musterstadt des Wirtschaftswunders. Die Ausstellung "Wolfsburg unlimited" will nun zeigen, dass Wolfsburg mehr ist als VW.

Von Carsten Probst |
    Ein VW-Logo glänzt am 25.09.2015 in der Morgensonne am VW Werk in Wolfsburg.
    Das VW-Werk in Wolfsburg (picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte)
    Vom Titel dieser Ausstellung sollten man sich nicht täuschen lassen. "Wolfsburg Unlimited" ist keine Leistungsschau für das Stadtmarketing, auch keine Apotheose des städtischen Kraftfahrzeugbaus als demonstrativer Schulterschluss in schweren Zeiten.
    Vielmehr kündigt sich schon in dieser Titelwahl der ironische, wenn nicht sarkastische Unterton an, der das gesamte Vorhaben wie ein Generalthema durchzieht und den man bei aller Beflissenheit, der Stadt mit dem 1994 gegründeten Kunstmuseum einen ernst zunehmenden Kunststadtort zu kreieren, in Wolfsburg bislang eben so nicht kannte.
    Der aus Darmstadt nach Wolfsburg gewechselte Museumsdirektor Ralf Beil aber hat ganz offensichtlich keine Lust, dem bisherigen Programm lediglich einige schöne und teure Fußnoten hinzuzufügen. Er hat sich der Stadt und der – freilich unübersehbaren – wunden Punkte ihrer so jungen Geschichte und Gestaltung frontal angenommen.
    Das beginnt schon mit dem im Foyer des Hauses ausgebreiteten Vorschlag, die denkbar unattraktive Fußgängerzone Wolfsburgs mit Kanälen und Bassins in eine Art niedersächsisches Klein-Venedig zu verwandeln.
    Enge Verbindung mit der NS-Geschichte
    Ideen dieser Art kommen in der Regel eher von Bürgermeistern, die sich unter die Knute von Eventmanagern begeben haben – ebenso wie die Gestaltung einer "Hall of Fame" zur Stadtgeschichte, deren ältestes Exponat 10.000 Jahre zurückreicht und mit der diese Schau ihre überaus gewagte, vielstimmige Genealogie der nationalsozialistischen Modellstadt Wolfsburg mit ihren vier Konzentrationslagern einleitet.
    Dass diese Stadt buchstäblich auf Gedeih und Verderb mit dem Volkswagen-Konzern und seiner NS-Geschichte verbunden ist, wird im Folgenden zu einem überraschenden Quell zahlreicher künstlerischer und kuratorischer Inspirationen.
    Das integrierte "Museum König Nordhoff" präsentiert eigene Kunstwerke des legendären VW-Generaldirektors der Nachkriegszeit und dokumentiert gleichzeitig dessen fast schon stalineske Verehrung in der Stadt. Julian Rosefeldt zeigt seinen neuen Film "Swap" in einer die ganze Haupthalle einnehmenden Großinstallation aus Frachtcontainern, in deren Nischen sich die Matratzenlager von Obdachlosen und ein an die Gemälde Edward Hoppers erinnerndes Autokino versammeln.
    Doch mehr noch sucht Ralf Beil mit dieser Ausstellung den Ort des Kunstmuseums selbst inmitten des historisch lastenden Erbes. Er bedient sich wichtiger Referenzobjekte aus der hauseigenen Sammlung, die sich im Wesentlichen auf die Pop Art stützt, von Nam June Paik bis Michel Majerus und zieht en passant auch den esoterisch angehauchten Modernitätsbegriff seines Vorgängers Marcus Brüderlin durch den Kakao.
    Dieser hatte 2006 im Hof des Kunstmuseums einen Japangarten als Ruhezone anlegen lassen. Ralf Beil lässt diesen nun durch ein Schild als Wellness-Oase mit Massage-Bänken ausweisen, die nur gerade "leider geschlossen" ist.
    Zahlreiche weitere Themenräume etwa von Rémy Markowitsch, Pia Lanzinger oder Janet Cardiff und George Bures Miller sowie Erweiterungen in den Stadtraum machen diesen Auftritt zu einem furiosen Neubeginn in der Geschichte des Kunstmuseums und sorgen erstmals für eine sichtbare inhaltliche Emanzipation aus dem Dunstkreis der Kunststiftung des Volkswagenkonzerns.