Archiv


Wolken, Wind und Handelsgeist

Jede bedeutende europäische Großstadt hat ihren Mythos. Das Besondere am Mythos Amsterdam ist, dass es ein Mythos der Mentalität dieser Stadt ist. In Paris oder Rom wird der Besucher von monumentalen Bauten beeindruckt, durch breite Avenuen geführt, deren Namen an ruhmreiche Schlachten erinnern. In Amsterdam findet man davon wenig. Dafür vermischen sich die Naturelemente mit der Stadtwahrnehmung: Wolken, Wind und vor allem Wasser.

Autorin: Ursula Gaßmann |
    Am Beginn der Geschichte der Niederlande stand der gemeinsame Kampf der Menschen gegen das Wasser. Dem Wasser wurde gemeinsam der Lebensraum abgetrotzt. Darin gründet die bis heute gültige Konsenskultur, die vielen Deutschen erst mal fremd erscheint.

    Wenn man von den Wochenend-Touristen, die oft nur die Coffieshops frequentieren, absieht, hat der alltägliche Umgang mit Amsterdamern für Deutsche viele Überraschungen parat. Die unterschiedlichen geschichtlichen Entwicklungen, die sich auch in Kunst und Literatur ausdrücken, machen ihren Einfluss geltend. Außerdem ist es inzwischen bis nach Deutschland durchgedrungen, dass die sprichwörtliche holländische Toleranz auf dem Prüfstand steht. Das Land befindet sich seit zwei Jahren in der Rezession, es wird über den Umgang mit Migranten gestritten, das Erbe des Populisten Pim Fortuyn ist in den bürgerlichen Parteien präsent. Und trotzdem "Amsterdam ist Amsterdam..."

    www.amsterdam.nl/...
    www.bmz.amsterdam.nl/adam/index.html

    Am schönsten ist es, in Amsterdam mit dem Zug anzukommen. Mitten in der Stadt. Obwohl es viele Neubauten gibt, ist die Innenstadt noch immer geprägt vom typisch-holländischen Baustil vergangener Jahrhunderte - und natürlich vom Wasser. Der Bahnhof, Ende des neunzehnten Jahrhunderts erbaut, wirkt für den Neuankömmling im Herbst 2004 chaotisch. Er wird seit Monaten in seinem Innern total umgebaut, aber Wegweiser in der Baustelle fehlen fast völlig. Eine vielfarbige Menschenmenge wuselt durcheinander. Sicher trägt dieser erste Eindruck bei vielen Deutschen dazu bei, das relativ kleine Amsterdam sofort als "weltstädtischer" zu empfinden als deutsche Großstädte. Die Gründe liegen in der Kolonialgeschichte des Landes, in der Handelsgeschichte, gerade der Seehäfen und - jedenfalls bis vor einiger Zeit- in der sprichwörtlichen Toleranz gegenüber Fremden. Übrigens bilden die Deutschen nach den Indonesiern die zweitgrößte Gruppe der Fremden in Holland. Und Deutsche nehmen meistens mit großem Erstaunen zur Kenntnis, wie anders es in den Niederlanden zugeht, obwohl sie doch Nachbarn sind und die Sprache ähnlich klingt.

    Deutschsprachige, nichtoffizielle Seite über Amsterdam:

    www.amsterdam.de
    niederlande.aus-germanien.de/

    Für die niederländische Schriftstellerin Connie Palmen war der Mord an dem Populisten Pim Fortuyn 2002 Anlass für ihr Buch über Fans und Fanatiker, die manchmal bis zum Mord gehen. Ein Essay in diesem Buch trägt den Titel "Einen Narren ermordet man nicht!"

    Connie Palmen in der Wochenzeitung Die Zeit Mitte November 2004:

    "Schriftsteller und Filmemacher gestalten die Wirklichkeit zu einem eigenen Werk der Einbildung um und schenken dieses der Gesellschaft, der sie angehören. Der Mörder tut genau das Gegenteil, er macht Wirklichkeit aus seiner Einbildung, seiner eingebildeten Überlegenheit, und nimmt der Gesellschaft eine Person des öffentlichen Lebens. ... Wort und Mord- in Buchstaben kein so großer Unterschied, doch in Wirklichkeit liegen dazwischen Welten."

    Idole und Ihre Mörder
    Leinen, 112 S.
    ISBN 3-257-06472-1
    Euro 16.90 / sFr 29.90
    erscheint: März 2005 bei Diogenes

    Was haben die Morde an John F. Kennedy, John Lennon, Pim Fortuyn und Gianni Versace miteinander gemein? Es sind "moderne Morde", denn in ihnen spiegelt sich die Pathologie unserer heutigen Erlebenskultur, das Verschwimmen der Grenzen von Wirklichkeit und Fiktion.

    Geboren am 25.11.1955 in St. Odilienberg (Niederlande). Als kleines Kind wollte Connie Palmen nur eins können: lesen und schreiben, der Rest interessierte sie nicht. Es wurde ihr zum Genus, zu Strafen verdonnert zu werden: Nur allzu gerne schrieb sie immer wieder dieselben Sätze ab. 1978 kam Connie Palmen von Limburg im Süden Hollands, wo sie aufgewachsen war, nach Amsterdam. weiter lesen:
    www.diogenes.de/4DACTION/...
    www.diogenes.de/... (pdf)

    Ursula Brinkmann lebt seit vielen Jahren in Amsterdam und Umgebung. Sie kennt sich aus in den kulturellen Unterschieden zwischen Niederländern und Deutschen. Die erste holländische Station der Wirtschaftspsychologin war Nijmegen.

    Ihre Intercultural Business Improvement bietet internationalen Firmen Trainings- und Beratungsprogramme
    www.ibinet.nl/ub.htm

    Das Deutschlandsinstitut in Amsterdam, gegründet 1996, hat es sich zur Aufgabe gemacht, durch aktuelle Informationen die Nachbarländer einander näher zu bringen und so auch Klischees und Vorurteilen entgegenzuwirken.
    de.duitslandinstituut.nl/Home/index.html

    Susanne Raven lebt seit 1990 in Amsterdam. "Ich lebe sehr gerne hier. Meine Kinder sind hier groß geworden. Sie sind zweisprachig aufgewachsen. Positiv an den Niederlanden finde ich, dass ich hier beruflich doch das durchsetzen konnte, was, ich wollte und ich bin eine allein stehende Mutter von zwei Kindern. Ich könnte nie Vollzeit arbeite. Ich habe immer Möglichkeiten gefunden, Teilzeit zu arbeiten in den Niederlanden. Das hätte ich in Deutschland in diesem Sinn sicher nie machen können."

    Marianne Schönbach ist Literaturagentin. Sie lebt mit ihrer Familie in einem ruhigen, gutbürgerlichen Viertel. Auch dort werden bei den ersten Sonnenstrahlen Tische und Stühle nach draußen geschleppt und die Nachbarschaft versammelt sich an der Straße und knüpft Kontakte." Das ist auf der einen Seite sehr nett, fand ich ausgesprochen freundlich, dass die Nachbarn uns so herzlich und interessiert begrüßt haben, aber es hat natürlich auch eine Kehrseite, dass man diese Freundlichkeit im Laufe der Zeit nicht mehr los wird. Dass die Leute immer auf dem Laufenden gehalten sein wollen. Ich war es gewohnt, in allen Städten, in denen ich lebte, dass die Leute einen in Ruhe ließen, außer man wollte aufeinander zugehen. Dann war es ein bewusstes Aufeinanderzugehen. Aber hier ist es also so, dass man doch das Gefühl hat, sich integrieren zu müssen. Das man z.B. sehr schnell zu Geburtstagen eingeladen wird, zusammen mit der ganzen Familie, sehr schnell alle Geschwister, Großeltern, Eltern der Nachbarn kennen lernt, ob man will oder nicht. Und das hat mich etwas verstört am Anfang, weil ich will in der Stadt leben, ich will selber entscheiden, mit wem ich näher zu tun habe, mit wem ich nicht näher zu tun habe. ... In Amsterdam gehen die Leute sehr aufeinander zu. Es wird sehr viel mehr miteinander geredet.

    In der Straßenbahn oder im Supermarkt oder auf der Straße bekommt man sehr schnell Blickkontakt. Die Leute gucken einander an, lächeln einander an. In der Straßenbahn setzt man sich neben jemandem, der einem fremd ist und der sagt zwei Sätze zu einem. Das passiert ständig. So etwas habe ich in Deutschland, außer in Berlin, noch nie erlebt.
    www.lektorat.de/lektorat/Vorstellung_e.php?id=12

    Der Publizist Paul Scheffer, der zur Zeit die Professur für großstädtische Angelegenheiten an der Universität von Amsterdam innehat, hatte im Jahre 2000 mit seinem Essay "Das multikulturelle Drama" auf die missglückte Integrationspolitik der Niederlande hingewiesen und damit eine heftige Diskussion ausgelöst. Er wies als erster auf die entstandenen Parallelwelten hin und sieht die "Toleranz" der letzten zwanzig, dreißig Jahre heute kritisch, eher als ein Laisser-faire. Aber er sagt auch deutlich, dass die Migranten keine Opfer sind sondern Bürger der niederländischen Gesellschaft.
    www.renner-institut.at/download/texte/scheffer.pdf
    Das Scheitern eines Traumes - Die multikulturelle Gesellschaft ist eine Illusion - von Paul Scheffer

    www.das-parlament.de/2004/47/Ausland/002.html
    www.sueddeutsche.de/ausland/schwerpunkt/987/42945/4/

    Geert Mak (geboren 1946 in einem friesischen Dorf) war viele Jahre Redakteur des "NRC Handelsblad". Er ist einer der bekanntesten Publizisten der Niederlande und gehört nach drei großen Bestsellern zu den wichtigsten Sachbuchautoren des Landes.

    Sein "Engel von Amsterdam", "Amsterdam. Biographie einer Stadt" (deutsch 1997) und "Wie Gott verschwand aus Jorwerd" sind schon heute Klassiker.
    www.randomhouse.de/author/author.jsp?per=67861

    Geert Mak
    Amsterdam.
    Biographie einer Stadt.
    1997 Siedler

    Geert Mak
    Das Jahrhundert meines Vaters.
    2003 Siedler

    Geert Mak in einer Passage aus seinem vor kurzem auf deutsch erschienen Werk "Das Jahrhundert meines Vaters": "Gerüche. Teer und Taue. Das müssen die ersten Dinge gewesen sein, die mein Vater gerochen hat. Außerdem war da der Geruch von Salz und Wellen, von Großsegeln und Vorsegeln, Focksegeln und Bramsegeln, Rahsegeln und Sturmfokken, die in der Werkstatt zum Trocknen hingen. Es gab eine Küche, in der es nach Milch und Brot roch und später am Tag nach Grieben und gebratenen Fisch und schließlich war da noch ein Hauch von Holz und von der Kälte der Stahls.

    Die ersten Geräusche. Im Haus war manchmal aus der Werkstatt das Rattern eines Flaschenzugs zu hören. Oder das Schleppen einer Segeltuchrolle. Hin und wieder die Stimme meines Großvaters und seiner ältesten Söhne Koos und Ari. Draußen hörte man die Schritte auf der Straße, das Rumpeln der Karren und das Bimmeln der Pferdebahn. Und da waren all die in der Nähe arbeitenden Menschen in der Schmiede und der Blockmacherei ein Stückchen weiter wo der Bruder meines Großvaters Masten und Flaschenzüge herstellte, oft draußen auf dem Kai, weil seine Werkstatt zu klein war. Abends dann die Schritte der wenigen späten Spaziergänger. Die Stimme des Blockmachers, der zu einem kleinen Schnack herübergekommen war, der Wind in den Kastanien, das Scheuern der Kutter und Schoner an der Kaimauer, das Tuten eines kräftigen Horns, zweimal, dreimal. In der Ferne das Flüstern von Heckwellen und Dampfmaschinen. Ein merkwürdiges fernes, hell erleuchtetes Schloss, das vorüber fuhr auf dem Weg in eine andere Welt."

    Der polnische Autor Zbigniew Herbert hat sich intensiv mit der Kultur der Niederlande beschäftigt : "Die Freiheit, über die in den Traktaten so viel geschrieben wird, dass sie zum blassen und abstrakten Begriff geworden ist, war für die Holländer ebenso einfach wie das Atmen, Sehen und Berühren von Gegenständen. Deshalb gibt es in ihrer Kunst keine Einteilung in Großes und Kleines. Wichtiges und Unwesentliches, Erhabenes und Gewöhnliches. Sie malten ihre Äpfel, Porträts von Seidenwarenhändlern, Zinnteller und Tulpen mit so geduldiger Liebe, dass daneben die Bilder des Jenseits und die Geschichten von irdischen Triumphen verblassen."

    Thomas Rosenboom, Jahrgang 1956, hat einen Roman geschrieben, der vor kurzem auf deutsch erschienen ist, "Neue Zeiten". Er macht das Amsterdam des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts wieder lebendig, auch eine Umbruchszeit.

    Thomas Rosenboom
    Neue Zeiten
    Roman
    2004 DVA
    Der Verlag schreibt über dieses Buch: Der Roman spielt an der Schwelle zu einer neuen Epoche, erzählt vom Wandel der Zeiten, der die Menschen in Unruhe, aber auch in einen Taumel der Euphorie versetzt. Mit Neue Zeiten ist Thomas Rosenboom eine großartige Parabel über das menschliche Scheitern gelungen.
    Amsterdam 1888. Der Aufschwung ist überall spürbar. An jeder Ecke der Stadt wird gebaut. Es scheint, als seien die dunklen Tage gezählt - die Zukunft gehört neuen Ideen, der Fortschritt verheißt Geld und Wohlstand. Es ist der Aufbruch in eine neue Zeit. Dass da so mancher umdenken muss, um mit dem Tempo Schritt halten zu können, spürt auch Walter Vedder. Dessen Häuschen steht dem Neubau eines Grandhotels im Weg, doch schnell wittert der gewitzte Mann seine Chance, Profit aus der Sache zu schlagen: Er fordert eine viel zu hohe Summe von den Bauunternehmern, an der auch ein Verwandter Gefallen findet ...
    Thomas Rosenbooms Interesse gilt der Zeit des Umbruchs gegen Ende des 19. Jahrhunderts, die er atmosphärisch, bild- und temporeich beschreibt und am Beispiel der Geschichte seiner tragikomischen Figuren Vedder und Anijs zum Leben erweckt.
    www.dva.de/sixcms/...

    Janwillem van de Wetering, Jahrgang 1931, schrieb zahlreiche Krimis, die in Amsterdam spielen. Er lief neun Jahre in der Stadt als Polizist Streife. Die realen Liquidationen in den letzten Jahren im hochkriminellen Drogen- und Spekulantenmilieu gab es damals noch nicht.

    Janwillem van de Wetering
    Outsider in Amsterdam
    Roman
    2002 Rowohlt TB.
    Mit dem Romandebüt "Outsider in Amsterdam" begründete Janwillem van de Wetering seinen Weltruhm.

    Für viele Autoren ist Amsterdam mehr als nur eine Kulisse. Sie bildet mit ihren Protagonisten eine Einheit. Margriet de Moor in "Ich träume also" : Einmal, im Sommer, merkt Marie Anne, dass ihr jemand folgt. Sie geht die Leidsestraat entlang, unter den Ulmen an der Gracht, und mit einemmal bekommt sie Spaß an ihrem Spaziergang, es ist, als ob sie Flügel hätte, gleichzeitig aber durch eine Schnur um ihren Fußknöchel zurückgehalten wird. Der Mann verringert den Abstand zwischen ihnen nicht, auch wenn sie stehen bleibt, um sich - ganz bestürzt - in einer Schaufensterscheibe zu spiegeln, tritt er nicht näher. Die Sonne wandert bereits nach Westen, als sie endlich dazu kommt, ihm ihre Adresse zu zeigen: Sie legt die Hand auf eine Zahl neben einem Hauseingang und nimmt ihren Schlüssel. Tatsächlich bekommt sie am nächsten Vormittag Post. Zum ersten Mal in ihrem Leben liest sie ein Liebesgedicht."

    Margriet de Moor
    Ich träume also
    Erzählungen.
    1999 DTV

    A.F.Th. van der Heijden, Anfang Fünfzig, lebt in Amsterdam. Von ihm erschien der umfangreiche Zyklus "Die zahnlose Zeit".

    Die zahnlose Zeit.
    (De tandeloze tijd).
    Limitierte und signierte Ausgabe in 950 Exemplaren.
    Sieben Bände und ein Supplementband in Kassette.
    3640 Seiten. 2003.
    Euro 128,-
    (ISBN 3-518-41433-X)
    Die Kassette enthält:
    Prolog: Die Schlacht um die Blaubrücke
    Band 1: Fallende Eltern
    Band 2: Das Gefahrendreieck
    Intermezzo: Der Widerborst
    Band 3.1: Der Gerichtshof der Barmherzigkeit
    Band 3.2: Unterm Pflaster der Sumpf
    Band 4: Der Anwalt der Hähne
    Begleitband: Gruppenporträt. Wer ist wer in der "Zahnlosen Zeit"?

    www.suhrkamp.de/autoren/index.htm

    Ad van Liempt
    Kopfgeld
    Bezahlte Denunziation von Juden in den besetzten Niederlanden.
    2005 Siedler (erscheint im März 2005)
    Der Autor ist Journalist und Buchautor und Chefredakteur der TV-Geschichtsreihe "Andere Tijden" (Andere Zeiten)
    Jochen Langer war von Dezember 2000 bis Januar 2001 auf Einladung des niederländisch-deutschen Kulturaustauschs in Amsterdam. Neben anderen Arbeiten (einer Komödie über die deutsch-deutsche Wiedervereinigung ) ist dort die vierteilige Lyrik-Suite entstanden, die er auf seiner Site unter
    www.jochenlanger.de/amsterdam.html