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Wolkenstein - Ein Schmarrn

Der Ritter und Sänger Oswald von Wolkenstein war ein Kind des späten Mittelalters, dennoch seltsam modern, profiliert und - weit gereist. Er hat anscheinend auch genug Stoff hinterlassen, um sein Leben zu einer musikalischen Doku-Soap zu machen. Der Münchner Komponist Wilfried Hiller hat dies versucht; das Libretto schrieb der Südtiroler Dramatiker Felix Mitterer; und Filmemacher Percy Adlon führte Regie. Resultat ist die Oper "Wolkenstein".

Von Holger Noltze | 07.03.2004
    Wie viel unser Bild des Dichters Oswald wohl mit jenem berühmten Bild zu tun hat, auf dem er uns aus seinem späten Mittelalter so ernst und doch irgendwie kumpelhaft zuzuzwinkern scheint. Dabei fehlte ihm doch bloß - in Literaturgeschichten steht: seit früher Kindheit- das eine Auge. Es steht aber nicht da, warum er es verlor. Aber auch wenn er nicht zwinkert: dieser bis nach Persia und Ungarn und Portugal weit gereiste dichtende und komponierende Raufbold, zeitlebens, so scheint es in Liebes- und Erbschaftshändeln Verstrickte, dieser aus Verzweiflung kosmopolite und bis zur Öbszönität sinnenfrohe und unerhört direkte Oswald von Wolkenstein steht uns irgendwie näher als die meisten anderen, älteren Dichter des Mittelhochdeutschen. Es war nicht zufällig Dieter Kühns "Wolkenstein"-Buch von 1977, das für eine ganze Generation von Lesern die Tür zum gar nicht mehr so fernen Mittelalter aufstieß.

    Als irgendwie Wahlverwandten muss auch der meist mit Wagner beschäftigte Bariton Bernd Weikl den Sänger Oswald erlebt haben, der sich diese nun "Lebensballade" genannte Oswaldoper von Wilfried Hiller hat auf den Leib schreiben lassen. Das Libretto lieferte der Tiroler Theater- und Drehbuchautor Felix Mitterer. Der weiß auch, wie Wolkenstein sein Auge verlor: Der böse Bruder war’s, im Zorn über eine in der Tat üble Intrige Oswalds gegen die Ehre seiner Schwägerin. Jämmerlich liegt der große Mann am Boden, geh, sagt der Bruder, eh ich mich vergess’, und dann vergisst er sich doch und sticht es ihm aus. So waren sie halt, die alten Rittersleut’: immer ein bisschen brutaler, böser, versauter, aber wieder auch feiner und frommer als unsere wohltemperierte Gegenwart. Schreit das nach Musik? Es schreit:

    Wilfried Hiller, Erfolgsopernkomponist vor allem seit seiner Zusammenarbeit mit Michael Ende, holt sich aus verschiedenen Weltenden der Musik, was er für seinen Wolkenstein-Patchworkteppich gebrauchen kann, hier aus Weills eiligem Amerika, da aus dem entschleunigten japanischen No-Theater, viel aus Carl Orffs bayrisch geerdeter Rhythmik; allerhand Geräuschgerät klingklangt. Hohe Flöten und nervöses Schlagwerk prägen den Hillersound aus dem Graben; auf der Bühne dagegen ein bis zu achtköpfiges Oswald-Ensemble mit Harfe und Hackbrett, Handtrommeln und Geigen, die tun, als wären sie Fideln. Als "Übermalung" hat Hiller seinen Umgang mit den eingestreuten Oswald-Liedern bezeichnet: das mag angehen; mit Hans Zenders genialen Verfahren des komponierenden Weiterdenkens, etwa von Schuberts "Winterreise", sollte man Hillers Mittelaltermalereien aber wegen schierer Harmlosigkeit besser nicht vergleichen, und was er aus Oswalds fragil-fremdartigem "Durch Barbarei, Arabia" macht, ist beinah selbst schon eine. Streckenweise geht die musikalische Kleinteiligkeit bis ins Collagehafte, setzt unablässig auf klanglich "interessante" Momentreize, aber das Heterogene fügt sich nicht zum Ganzen. Alles bloß angerissen. Man ist schon dankbar, wenn es mal einen Augenblick in der mittelalterlichen Faktur bleibt, als Jung-Oswald Hans Kittelmann die Musik entdeckt:

    Mit ihrer bunten Bruchstückhaftigkeit folgt Hillers Wolkenstein-Musik fatal dem heillos überfrachteten Schulfunk-Historical, das Mitterer aus dem – im Falle Oswalds tatsächlich ergiebigen – biographisch-historischen Material gebastelt hat. In acht Bildern kübelt es uns sämtliche Wolkenstein- und Weltprobleme auf die unter all der Last bedenklich ächzende Nürnberger Verwandlungsbühne: Der Gegensatz von Glück und Gesang, der Sänger als Außenseiter, weil Krieg und Kunst, Leier und Schwert nicht zusammengehen; die Liebesdramen und das Bruderdrama, die Wechselhaftigkeit der Welt- und Nachbarschaftspolitik, Kirche, Korruption und Ketzerei, Weltklage, Schisma, Sex im Badezuber: alles muss raus und rein ins Stück. - Was Sie schon immer vom Mittelalter wissen wollten.

    Von der rasenden Revue, wie Percy Adlon sie brav textgetreu mit Klappmechanik und Projektionen vor Wappentapete spielen lässt, bleibt am Ende wenig mehr als die schlichte "I-did-it-my-way"-Philosophie des sterbenden Oswald. Beklommen fragt man sich, ob es das breitbeinig Grobianische, das Hände-in-die-Seiten- stemmende, zwischen Weltverachtung und Selbstbejammerung oszillierende war, was Bernd Weikl an der Oswald-Figur so reizte. So steht er nun da, eben: breitbeinig, Hände in die Seiten gestemmt, mit etwas Übergröße, dazu von den rasch wechselnden Anforderungen der Partie vor allem in punkto Eloquenz hörbar belastet. Dafür wird angestrengt geaugenzwinkert. Weil aber kein Mensch einen Abend lang zwinkern kann, trägt er eine Augenklappe wie ein ins Spätmittelalter versprengter Leder-Wotan. Ja, so warn's, die alten Rittersleut’ von Nürnberg. Am Ende Jubel, aber auch Buhs. Und irgendwo in Südtirol dreht sich vielleicht noch einer im Grabe um.