MICHAEL CHABON: Hollywood stellt einen Schriftsteller von heute vor die Entscheidung, es entweder völlig zu ignorieren oder sich ihm in die Arme zu werfen. Einen Kompromiß gibt es da nicht. Wer in den USA aufgewachsen ist, wird in einem Maße den Erzeugnissen Hollywoods ausgesetzt, daß es zwangsläufig nicht ohne Auswirkung darauf bleibt, wie man denkt und die Welt betrachtet. In meinem Roman "Wonder Boys" gibt es eine Figur, die regelrecht vom Film besessen ist, einen Studenten namens James Leer. Ich selbst teile diese Leidenschaft für den Film, doch sie inspiriert mich weniger zu Ideen, Handlungen oder gar Geschichten, als zu Vergleichen und Möglichkeiten, meine Figuren zu charakterisieren. Wenn man schreibt, der Lieblingsschauspieler von jemandem sei James Mason, dann sagt man damit genauso etwas über diesen Menschen aus, wie wenn man schreibt, er habe braunes Haar, trage Schuhe einer bestimmten Marke oder irgend so etwas. Hinter den Vorlieben für Filme, Schauspieler und Schauspielerinnen verbirgt sich meiner Meinung nach sehr viel, das mit Hollywood gar nichts zu tun hat.
SCHECK: Neu und interessant an Ihrem Stil ist die kreative Kombinatorik, die Sie zu Formulierungen wie "eine Vivien-Leigh-Hochnäsigkeit" gelangen läßt für den Gesichtsausdruck eines Rassehundes. Doch beschleicht Sie mitunter nicht auch so etwas wie Neid, wenn Sie sehen, daß die Rolle des "inoffiziellen Gesetzgebers der Welt", wie Shelley noch die Aufgabe des Dichters beschrieb, inzwischen auf den Filmregisseur übergegangen ist?
CHABON: Gewiß, aber dieser Wandel liegt nun schon so lange zurück, daß es keinen Sinn mehr hat, deswegen Krokodilstränen zu vergießen. In den zwanziger und dreißiger Jahren haben sich viele Schriftsteller den Kopf darüber zerbrochen, welche Bedeutung der Film für die amerikanische Kultur hat, ob er die Literatur an den Rand drängt. Und ich glaube, die Antwort auf diese Frage lautet ja, die Literatur ist tatsächlich marginalisiert worden. Aber damit habe ich mich abgefunden. Ich resigniere zwar nicht, halte das aber für eine so zwangsläufige Entwicklung, daß es schlicht sinnlos ist, sich damit abzugeben.
SCHECK: Um noch einmal auf das Kino als Anregung für Bilder und Vergleiche zurückzukommen - steckt dahinter der Gedanke, eine Brücke zwischen Unterhaltung und Kunst zu schlagen, wie Andy Warhol zwischen Pop- und Hochkultur zu vermitteln?
CHABON: Unbedingt. Ich persönlich fand immer an beidem Geschmack. Teilweise liegt das an meiner Erziehung, vor allem an meinem Vater, dessen Vorlieben von Schönbergs Musik bis zu japanischen Monsterfilmen reichten. Als Kind war ich mir gar nicht bewußt, daß man solche Unterscheidungen zwischen den Künsten traf. Mein Vater war für mich der erste Vermittler von Kunst, der erste, der mir sagte, lies mal das, schau dir das mal an oder hör dir das mal an. Und weil mein Vater zwar eine durchdachte Ästhetik besaß, in der Wahl der Gegenstände, auf die er diese Ästhetik anwandte, aber recht unterschiedslos vorging, übernahm ich das von ihm. Das schlägt sich sogar in meinem Stil nieder. Wenn ich meinen Prosastil beschreiben müßte, würde ich sagen, daß er eine Mischung versucht. Einerseits benutze ich eine recht förmliche Sprache, die grammatikalisch wie syntaktisch ziemlich komplex ist, andererseits Slangausdrücke und umgangssprachliche Redewendungen. Mein Vergnügen beim Schreiben liegt in der Mischung dieser Sprachebenen. Es macht Spaß, in einen Wust von Nebensätzen einen schockierend saloppen oder derben Ausdruck einzustreuen, der dann für eine recht bizarre Wirkung sorgt.
SCHECK: "Wonder Boys" heißt Ihr Roman, und wer Ihre literarische Laufbahn verfolgt hat, fühlt sich daran erinnert, daß Sie selbst einmal als Wunderkind der amerikanischen Literatur galten - 1988, als Sie 24 Jahre alt waren und Ihr Debüt "Die Geheimnisse von Pittsburgh" erschien. Ist diese Satire auf die New Yorker Verlagswelt und den Literaturbetrieb eine Reaktion auf Ihre eigene Erfahrungen als so ein Wunderknabe?
CHABON: Einesteils wohl schon. Andernteils entstammt es meinen Beobachtungen. Ich bin mit Schriftstellern befreundet und verfolge natürlich, wie es ihnen ergeht. Außerdem habe ich selbst an einigen dieser Autorenkonferenzen teilgenommen, wo Agenten und Lektoren auf der Suche nach dem nächsten großen Star sind. Ich habe zum Beispiel miterlebt, wie auf einer dieser Konferenzen die Bestsellerautorin Amy Tan "entdeckt" wurde. Und seither fragt jeder: Na, wer wird denn die diesjährige Amy Tan werden? Ich bin mir auch gar nicht so sicher, ob ich mit diesem Roman eine satirische Absicht verfolgte. Mir ging es eher darum, die Gedanken meines Erzählers so genau wie möglich aufzuzeichnen. Nicht ich, Grady nimmt eine satirische Haltung ein. Das mag wie eine Ausflucht klingen, als wollte ich mich hinter der von mir erfundenen Figur verschanzen. Aber ich bin wirklich davon überzeugt, daß es an meiner Auffassung von Grady und seiner Sicht der Dinge lag - er ist in seiner literarischen Karriere an einem Punkt angelangt, wo er ziemlich verbittert ist und das Gefühl hat, das große Talent, mit dem er als Schriftsteller angefangen hat, vergeudet zu haben. Dafür fühlt er sich verantwortlich, und daraus resultiert seine Verbitterung und seine Verdrossenheit. Die satirischen Elemente erklären sich also aus Gradys Charakter und dem Umstand, daß er der Erzähler der Geschichte ist.
SCHECK: Lassen Sie uns noch auf einen anderen Aspekt Ihres Schreibens eingehen. Im Mittelpunkt sowohl von den "Geheimnissen von Pittsburgh" als auch von "Wonder Boys" stehen homosexuelle Beziehungen, einmal zwischen Art Bechstein und Arthur LeComte, einmal zwischen einem Lektor und einem jungen Autor. Welchen Reiz übt dieses Sujet auf den Schriftsteller Michael Chabon aus?
CHABON: Ich weiß nicht, ob "Reiz" das richtige Wort dafür ist. Eher versuche ich, meine Romane mit demselben Personal zu bevölkern, dem ich auch in meinem Leben begegne. Bei den "Geheimnissen von Pittsburgh" lag der Fall ein wenig anders - da schrieb ich über einen jungen Mann, der, wie es eine Figur des Romans ausdrückt, "mit seinem Sexperimentierkasten herumspielt". In diesem Buch war es also ganz zwangsläufig, daß es einen Schwulen wie Arthur LeComte geben mußte und ein Verhältnis zwischen ihm und meinem Helden, der versessen darauf war, alles auszuprobieren. Bei "Wonder Boys" dagegen lag es eher daran, daß ich mir einfach nicht mehr vorstellen kann, eine in der Gegenwart angesiedelte Geschichte zu schreiben, in der keine Schwulen vorkommen. Einige meiner besten Freunde sind schließlich Schwule. Ich weiß, das klingt wie ein Lippenbekenntnis, aber es ist einfach wahr. Wenn ich mir eine Nebenfigur ausdenken muß, dann fällt es mir schwer, keinen Schwulen daraus zu machen, einfach weil es so natürlich ist. Zugegeben, das hat auch mit einer Art positivem Klischee zu tun: auf diese Weise erhält man eine Figur, die intelligent und gutaussehend sein kann, sich für Kleidung ebenso wie für Kino, Kunst und Musik interessiert und viel Wert auf Geist und persönlichen Charme legt - alles Eigenschaften, die eine Figur für einen Schriftsteller reizvoll machen. Außerdem kommen eine Reihe anderer Themen ins Spiel, sobald man über schwule Figuren schreibt, Themen, die ich spannend finde: Beziehungen zwischen Männern, Männerfreundschaften und Liebe zwischen Männern, seien es nun Liebende, Väter und Söhne oder einfach gute Freunde. Das wirft Fragen auf nach Identität und Charakter, Fragen nach Zugehörigkeit und Außenseitertum, nach dem Wahrnehmen des Verhaltens einer Mehrheit, wenn man selbst in einer Minderheit ist. Alle diese Dinge interessieren mich und geben exzellente Stoffe für Geschichten ab.
SCHECK: Ein anderer Aspekt, der mir in Ihrem Schreiben auffällt, ist sehr bezeichnend für die zeitgenössische amerikanische Literatur allgemein, sehen Sie es mir also nach, wenn ich Ihr Werk da pars pro toto nehme: die Sphäre des Politischen bleibt in Ihren Büchern völlig ausgespart - es sei denn, sie vertreten den Standpunkt, das Persönliche sei das Politische, wie in den sechziger Jahren Leute wie Ronald D. Laing argumentiert haben.
CHABON: In meinen Büchern kommen auch selten Rodeos vor.
SCHECK: Zugegeben. Aber wenn ich das mit der europäischen Literatur vergleiche, wo politische Themen einen so großen Raum einnehmen, muß ich mich doch fragen, ob das Politische fehlt, weil es im amerikanischen Alltag einfach keine Rolle spielt, oder ob es Sie einfach nicht interessiert.
CHABON: Im Gegenteil, Politik interessiert mich brennend. Ich halte mich für politisch recht gut informiert, aber Politik interessiert mich außerhalb meines Schreibens. Ich glaube, die einfachste und ehrlichste Antwort auf Ihre Frage wäre, daß immer dann, wenn ich etwas Politisches zu schreiben versuche, mir nicht gefällt, wie es sich anhört. Mir mißfällt der Ton meines Textes, wenn er offen politisch wird, er klingt in meinen Ohren dann falsch, als würde ich bloß nachahmen, was andere Schriftsteller politisch geschrieben oder gesagt haben. Deshalb lasse ich diese Stellen dann einfach ganz weg. Ich glaube einfach, daß mir zum politischen Schreiben das Talent fehlt, ich kann sehr schlecht politische Elemente in meine Texte integrieren. Ich habe mich zum Beispiel vor "Wonder Boys" sehr lange an einem Roman versucht, der "Fountain City" heißen sollte und in dem es einen ganzen Handlungsstrang gab, der sich um Umweltschutz drehte. Eine meiner Figuren war sehr engagiert, fast eine Art Öko-Terrorist. Doch am Ende mußte ich einsehen, daß es ein Fehlschlag war. Obwohl ich überzeugter Umweltschützer und durchaus bereit bin, persönlich sehr viel auf dem Altar einer intakten Ökologie zu opfern, hat es mich einfach nicht überzeugt, darüber zu schreiben und meinen Figuren derartige Ansichten ins Herz zu pflanzen und in den Mund zu legen. Und da ich mich selbst nicht überzeugen konnte, war ich mir ziemlich sicher, daß der Roman auch nicht andere Menschen überzeugen würde.
SCHECK: "Mitternachtskrankheit" nennen Sie in Ihrem Roman jene Sucht zu schreiben, die Ihren schlaflosen Helden Grady um- und antreibt. Hand in Hand damit geht eine "emotionale Schlaflosigkeit", die Grady von seiner Umwelt entfremdet, ihm das Erfunde so real erscheinen läßt wie das Wirkliche. Auch Sie schreiben vorzugsweise nachts, steckt hinter dieser Mitternachtskrankheit also ein Stück Autobiographie?
CHABON: Meine Erfahrungen mit Schlaflosigkeit, mein Empfindungen dabei, haben sehr viel mit dem Gefühl zu tun, als einziger Mensch auf der ganzen Welt wach zu sein. In diesem Moment fühlt man sich, als sei man mit einem Fluch beladen, während alle anderen selig schlafen. Mit "emotionaler Schlaflosigkeit" wollte ich jenes Gefühl beschreiben, das mich beim Schreiben überkommt und manchmal auch bei anderen Gelegenheiten, wenn ich auf einer Party oder an einem öffentlichen Ort, wo rings um einen das Leben brandet, einen Schritt zurücktrete und mich völlig vom Geschehen löse. Es ist durchaus kein angenehmes Gefühl, als laste ein Bann auf einem, man möchte einfach teilhaben an dem, was da vor sich geht, und nicht nur beobachten. Doch aus irgendeinem Grund bin ich so damit beschäftigt, bestimmte Dinge wahrzunehmen, sie mir einzuprägen - eine Farbe, eine Eigenschaft oder einen Vergleich -, daß ich mich innerlich distanziere. Und da wünscht man sich dann, man könnte selbst einfach präsent sein und müßte nicht anderen Menschen dabei zusehen und sich nach Kräften bemühen, sich ihr Aussehen einzuprägen. Und ich bin keineswegs der einzige, dem diese Dualität aufgefallen ist. In "Wonder Boys" finden sich einige Anspielungen auf das Werk von Jorge Louis Borges, denn Borges hat häufig über dieses Gefühl der Entfremdung geschrieben, über die Kluft zwischen dem Menschen, der schreibt, und dem Menschen, der seinen Alltag bewältigt, zum Beispiel in seinem berühmten Essay "Borges und ich". Der Schriftsteller als Doppelgänger. Und bei Nabokov findet sich das ebenfalls, auch in seinem Werk taucht häufig das Doppelgänger-Motiv auf. Ich bin da keineswegs der erste.
SCHECK: Nabokov hat einmal die Unterscheidung getroffen, es gäbe nur zwei Sorten von Schriftstellern: eine, die sich auf die Tradition des Hordenclowns beruft, der die Menschen der Steinzeit in ihren Höhlen am Lagerfeuer unterhalten hat, und die andere Sorte, die sich aus der Tradition der Propheten und Priester ableitet. Vor diese Alternative gestellt, für welche Tradition würden Sie sich entscheiden?
CHABON: Auf jeden Fall für die des Hordenclowns. Für die Priester fehlt mir jedes Verständnis. Ich muß da gar nicht lange überlegen, denn wenn ich ganz aufrichtig bin, muß ich sagen, daß ich mit meinem Schreiben in erster Linie unterhalten will. Für mich ist Unterhaltung eine ziemlich ernste Sache - jedenfalls kann sie es potentiell sein -, und die beste Unterhaltung ist die, die auf vielen Ebenen unterhält, die sowohl den Intellekt anspricht als auch unser Verlangen nach Spannung, Komik oder was auch immer befriedigt. Am liebsten höre ich von meinen Lesern, daß sie das Buch in einer Nacht gelesen haben, daß sie nicht aufhören konnten und bis vier Uhr morgens aufgeblieben sind, um es zu Ende zu lesen. Wenn mir das jemand sagt, dann freue ich mich darüber mehr als über alles andere, denn dann weiß ich, daß sie unterhalten wurden.
SCHECK: Neu und interessant an Ihrem Stil ist die kreative Kombinatorik, die Sie zu Formulierungen wie "eine Vivien-Leigh-Hochnäsigkeit" gelangen läßt für den Gesichtsausdruck eines Rassehundes. Doch beschleicht Sie mitunter nicht auch so etwas wie Neid, wenn Sie sehen, daß die Rolle des "inoffiziellen Gesetzgebers der Welt", wie Shelley noch die Aufgabe des Dichters beschrieb, inzwischen auf den Filmregisseur übergegangen ist?
CHABON: Gewiß, aber dieser Wandel liegt nun schon so lange zurück, daß es keinen Sinn mehr hat, deswegen Krokodilstränen zu vergießen. In den zwanziger und dreißiger Jahren haben sich viele Schriftsteller den Kopf darüber zerbrochen, welche Bedeutung der Film für die amerikanische Kultur hat, ob er die Literatur an den Rand drängt. Und ich glaube, die Antwort auf diese Frage lautet ja, die Literatur ist tatsächlich marginalisiert worden. Aber damit habe ich mich abgefunden. Ich resigniere zwar nicht, halte das aber für eine so zwangsläufige Entwicklung, daß es schlicht sinnlos ist, sich damit abzugeben.
SCHECK: Um noch einmal auf das Kino als Anregung für Bilder und Vergleiche zurückzukommen - steckt dahinter der Gedanke, eine Brücke zwischen Unterhaltung und Kunst zu schlagen, wie Andy Warhol zwischen Pop- und Hochkultur zu vermitteln?
CHABON: Unbedingt. Ich persönlich fand immer an beidem Geschmack. Teilweise liegt das an meiner Erziehung, vor allem an meinem Vater, dessen Vorlieben von Schönbergs Musik bis zu japanischen Monsterfilmen reichten. Als Kind war ich mir gar nicht bewußt, daß man solche Unterscheidungen zwischen den Künsten traf. Mein Vater war für mich der erste Vermittler von Kunst, der erste, der mir sagte, lies mal das, schau dir das mal an oder hör dir das mal an. Und weil mein Vater zwar eine durchdachte Ästhetik besaß, in der Wahl der Gegenstände, auf die er diese Ästhetik anwandte, aber recht unterschiedslos vorging, übernahm ich das von ihm. Das schlägt sich sogar in meinem Stil nieder. Wenn ich meinen Prosastil beschreiben müßte, würde ich sagen, daß er eine Mischung versucht. Einerseits benutze ich eine recht förmliche Sprache, die grammatikalisch wie syntaktisch ziemlich komplex ist, andererseits Slangausdrücke und umgangssprachliche Redewendungen. Mein Vergnügen beim Schreiben liegt in der Mischung dieser Sprachebenen. Es macht Spaß, in einen Wust von Nebensätzen einen schockierend saloppen oder derben Ausdruck einzustreuen, der dann für eine recht bizarre Wirkung sorgt.
SCHECK: "Wonder Boys" heißt Ihr Roman, und wer Ihre literarische Laufbahn verfolgt hat, fühlt sich daran erinnert, daß Sie selbst einmal als Wunderkind der amerikanischen Literatur galten - 1988, als Sie 24 Jahre alt waren und Ihr Debüt "Die Geheimnisse von Pittsburgh" erschien. Ist diese Satire auf die New Yorker Verlagswelt und den Literaturbetrieb eine Reaktion auf Ihre eigene Erfahrungen als so ein Wunderknabe?
CHABON: Einesteils wohl schon. Andernteils entstammt es meinen Beobachtungen. Ich bin mit Schriftstellern befreundet und verfolge natürlich, wie es ihnen ergeht. Außerdem habe ich selbst an einigen dieser Autorenkonferenzen teilgenommen, wo Agenten und Lektoren auf der Suche nach dem nächsten großen Star sind. Ich habe zum Beispiel miterlebt, wie auf einer dieser Konferenzen die Bestsellerautorin Amy Tan "entdeckt" wurde. Und seither fragt jeder: Na, wer wird denn die diesjährige Amy Tan werden? Ich bin mir auch gar nicht so sicher, ob ich mit diesem Roman eine satirische Absicht verfolgte. Mir ging es eher darum, die Gedanken meines Erzählers so genau wie möglich aufzuzeichnen. Nicht ich, Grady nimmt eine satirische Haltung ein. Das mag wie eine Ausflucht klingen, als wollte ich mich hinter der von mir erfundenen Figur verschanzen. Aber ich bin wirklich davon überzeugt, daß es an meiner Auffassung von Grady und seiner Sicht der Dinge lag - er ist in seiner literarischen Karriere an einem Punkt angelangt, wo er ziemlich verbittert ist und das Gefühl hat, das große Talent, mit dem er als Schriftsteller angefangen hat, vergeudet zu haben. Dafür fühlt er sich verantwortlich, und daraus resultiert seine Verbitterung und seine Verdrossenheit. Die satirischen Elemente erklären sich also aus Gradys Charakter und dem Umstand, daß er der Erzähler der Geschichte ist.
SCHECK: Lassen Sie uns noch auf einen anderen Aspekt Ihres Schreibens eingehen. Im Mittelpunkt sowohl von den "Geheimnissen von Pittsburgh" als auch von "Wonder Boys" stehen homosexuelle Beziehungen, einmal zwischen Art Bechstein und Arthur LeComte, einmal zwischen einem Lektor und einem jungen Autor. Welchen Reiz übt dieses Sujet auf den Schriftsteller Michael Chabon aus?
CHABON: Ich weiß nicht, ob "Reiz" das richtige Wort dafür ist. Eher versuche ich, meine Romane mit demselben Personal zu bevölkern, dem ich auch in meinem Leben begegne. Bei den "Geheimnissen von Pittsburgh" lag der Fall ein wenig anders - da schrieb ich über einen jungen Mann, der, wie es eine Figur des Romans ausdrückt, "mit seinem Sexperimentierkasten herumspielt". In diesem Buch war es also ganz zwangsläufig, daß es einen Schwulen wie Arthur LeComte geben mußte und ein Verhältnis zwischen ihm und meinem Helden, der versessen darauf war, alles auszuprobieren. Bei "Wonder Boys" dagegen lag es eher daran, daß ich mir einfach nicht mehr vorstellen kann, eine in der Gegenwart angesiedelte Geschichte zu schreiben, in der keine Schwulen vorkommen. Einige meiner besten Freunde sind schließlich Schwule. Ich weiß, das klingt wie ein Lippenbekenntnis, aber es ist einfach wahr. Wenn ich mir eine Nebenfigur ausdenken muß, dann fällt es mir schwer, keinen Schwulen daraus zu machen, einfach weil es so natürlich ist. Zugegeben, das hat auch mit einer Art positivem Klischee zu tun: auf diese Weise erhält man eine Figur, die intelligent und gutaussehend sein kann, sich für Kleidung ebenso wie für Kino, Kunst und Musik interessiert und viel Wert auf Geist und persönlichen Charme legt - alles Eigenschaften, die eine Figur für einen Schriftsteller reizvoll machen. Außerdem kommen eine Reihe anderer Themen ins Spiel, sobald man über schwule Figuren schreibt, Themen, die ich spannend finde: Beziehungen zwischen Männern, Männerfreundschaften und Liebe zwischen Männern, seien es nun Liebende, Väter und Söhne oder einfach gute Freunde. Das wirft Fragen auf nach Identität und Charakter, Fragen nach Zugehörigkeit und Außenseitertum, nach dem Wahrnehmen des Verhaltens einer Mehrheit, wenn man selbst in einer Minderheit ist. Alle diese Dinge interessieren mich und geben exzellente Stoffe für Geschichten ab.
SCHECK: Ein anderer Aspekt, der mir in Ihrem Schreiben auffällt, ist sehr bezeichnend für die zeitgenössische amerikanische Literatur allgemein, sehen Sie es mir also nach, wenn ich Ihr Werk da pars pro toto nehme: die Sphäre des Politischen bleibt in Ihren Büchern völlig ausgespart - es sei denn, sie vertreten den Standpunkt, das Persönliche sei das Politische, wie in den sechziger Jahren Leute wie Ronald D. Laing argumentiert haben.
CHABON: In meinen Büchern kommen auch selten Rodeos vor.
SCHECK: Zugegeben. Aber wenn ich das mit der europäischen Literatur vergleiche, wo politische Themen einen so großen Raum einnehmen, muß ich mich doch fragen, ob das Politische fehlt, weil es im amerikanischen Alltag einfach keine Rolle spielt, oder ob es Sie einfach nicht interessiert.
CHABON: Im Gegenteil, Politik interessiert mich brennend. Ich halte mich für politisch recht gut informiert, aber Politik interessiert mich außerhalb meines Schreibens. Ich glaube, die einfachste und ehrlichste Antwort auf Ihre Frage wäre, daß immer dann, wenn ich etwas Politisches zu schreiben versuche, mir nicht gefällt, wie es sich anhört. Mir mißfällt der Ton meines Textes, wenn er offen politisch wird, er klingt in meinen Ohren dann falsch, als würde ich bloß nachahmen, was andere Schriftsteller politisch geschrieben oder gesagt haben. Deshalb lasse ich diese Stellen dann einfach ganz weg. Ich glaube einfach, daß mir zum politischen Schreiben das Talent fehlt, ich kann sehr schlecht politische Elemente in meine Texte integrieren. Ich habe mich zum Beispiel vor "Wonder Boys" sehr lange an einem Roman versucht, der "Fountain City" heißen sollte und in dem es einen ganzen Handlungsstrang gab, der sich um Umweltschutz drehte. Eine meiner Figuren war sehr engagiert, fast eine Art Öko-Terrorist. Doch am Ende mußte ich einsehen, daß es ein Fehlschlag war. Obwohl ich überzeugter Umweltschützer und durchaus bereit bin, persönlich sehr viel auf dem Altar einer intakten Ökologie zu opfern, hat es mich einfach nicht überzeugt, darüber zu schreiben und meinen Figuren derartige Ansichten ins Herz zu pflanzen und in den Mund zu legen. Und da ich mich selbst nicht überzeugen konnte, war ich mir ziemlich sicher, daß der Roman auch nicht andere Menschen überzeugen würde.
SCHECK: "Mitternachtskrankheit" nennen Sie in Ihrem Roman jene Sucht zu schreiben, die Ihren schlaflosen Helden Grady um- und antreibt. Hand in Hand damit geht eine "emotionale Schlaflosigkeit", die Grady von seiner Umwelt entfremdet, ihm das Erfunde so real erscheinen läßt wie das Wirkliche. Auch Sie schreiben vorzugsweise nachts, steckt hinter dieser Mitternachtskrankheit also ein Stück Autobiographie?
CHABON: Meine Erfahrungen mit Schlaflosigkeit, mein Empfindungen dabei, haben sehr viel mit dem Gefühl zu tun, als einziger Mensch auf der ganzen Welt wach zu sein. In diesem Moment fühlt man sich, als sei man mit einem Fluch beladen, während alle anderen selig schlafen. Mit "emotionaler Schlaflosigkeit" wollte ich jenes Gefühl beschreiben, das mich beim Schreiben überkommt und manchmal auch bei anderen Gelegenheiten, wenn ich auf einer Party oder an einem öffentlichen Ort, wo rings um einen das Leben brandet, einen Schritt zurücktrete und mich völlig vom Geschehen löse. Es ist durchaus kein angenehmes Gefühl, als laste ein Bann auf einem, man möchte einfach teilhaben an dem, was da vor sich geht, und nicht nur beobachten. Doch aus irgendeinem Grund bin ich so damit beschäftigt, bestimmte Dinge wahrzunehmen, sie mir einzuprägen - eine Farbe, eine Eigenschaft oder einen Vergleich -, daß ich mich innerlich distanziere. Und da wünscht man sich dann, man könnte selbst einfach präsent sein und müßte nicht anderen Menschen dabei zusehen und sich nach Kräften bemühen, sich ihr Aussehen einzuprägen. Und ich bin keineswegs der einzige, dem diese Dualität aufgefallen ist. In "Wonder Boys" finden sich einige Anspielungen auf das Werk von Jorge Louis Borges, denn Borges hat häufig über dieses Gefühl der Entfremdung geschrieben, über die Kluft zwischen dem Menschen, der schreibt, und dem Menschen, der seinen Alltag bewältigt, zum Beispiel in seinem berühmten Essay "Borges und ich". Der Schriftsteller als Doppelgänger. Und bei Nabokov findet sich das ebenfalls, auch in seinem Werk taucht häufig das Doppelgänger-Motiv auf. Ich bin da keineswegs der erste.
SCHECK: Nabokov hat einmal die Unterscheidung getroffen, es gäbe nur zwei Sorten von Schriftstellern: eine, die sich auf die Tradition des Hordenclowns beruft, der die Menschen der Steinzeit in ihren Höhlen am Lagerfeuer unterhalten hat, und die andere Sorte, die sich aus der Tradition der Propheten und Priester ableitet. Vor diese Alternative gestellt, für welche Tradition würden Sie sich entscheiden?
CHABON: Auf jeden Fall für die des Hordenclowns. Für die Priester fehlt mir jedes Verständnis. Ich muß da gar nicht lange überlegen, denn wenn ich ganz aufrichtig bin, muß ich sagen, daß ich mit meinem Schreiben in erster Linie unterhalten will. Für mich ist Unterhaltung eine ziemlich ernste Sache - jedenfalls kann sie es potentiell sein -, und die beste Unterhaltung ist die, die auf vielen Ebenen unterhält, die sowohl den Intellekt anspricht als auch unser Verlangen nach Spannung, Komik oder was auch immer befriedigt. Am liebsten höre ich von meinen Lesern, daß sie das Buch in einer Nacht gelesen haben, daß sie nicht aufhören konnten und bis vier Uhr morgens aufgeblieben sind, um es zu Ende zu lesen. Wenn mir das jemand sagt, dann freue ich mich darüber mehr als über alles andere, denn dann weiß ich, daß sie unterhalten wurden.