Archiv


Worte für die Ewigkeit

Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten, Bibliotheken, Forschungsstellen und Museen - sie alle besitzen Sammlungen von Tondokumenten. Doch gerade die älteren Bänder zerbröseln langsam. Die Archivare haben deshalb damit begonnen, die Tondokumente konsequent zu digitalisieren.

Von Kay Müllges |
    "Irgendeiner ist immer dabei, von der ganz leisen Polizei. Und wenn's Du nicht bist, bin's ich."

    Berlin, Alexanderplatz, 4. November 1989. Als der bekannte Liedermacher Kurt Demmler diesen Song über die Allgegenwärtigkeit der Stasi auf der großen Protestkundgebung vorträgt, weiß er wohl nicht, das auch an diesem Tag nur wenige hundert Meter entfernt, im Palast der Republik, ein Spähtrupp des Ministeriums für Staatssicherheit die Demonstranten filmt.

    "Im Bildhintergrund PKW vom Typ Lada Kombi, Farbe beige. Polizeiliches Kennzeichen Ida Marta Ypsilon 6 Trennung 36 mit Anhänger. Verteilt Transparente, Plakate und Ähnliches."

    Das Beobachtungsvideo befindet sich im Audio- und Videoarchiv der Jahn-Behörde. Insgesamt lagern dort circa 28.500 Tonträger mit relevanten, verwendbaren Aufnahmen.

    "Das ist wirklich ein Schatz, weil sich auch da so die Geschichte und die Mentalität die man im Staat, im Staatswesen so seit den 50er-Jahren hatte, in die kann man rein hören. Wenn man die Hilde Benjamin hört, ist man auf einmal 1950 im Gerichtssaal. Das ist Grusel. Oder Mielke, wenn der davon spricht, dass man die Bürger lieber erschießen soll an der Grenze, anstatt das man sie weglässt."

    Silvia Oberhack verwaltet diesen grausigen Schatz. Grob gesprochen unterteilt sich diese Überlieferung in zwei unterschiedliche Dokumentengruppen. Da sind zum einen die offiziellen Mitschnitte, etwa von Dienstkonferenzen. Den größeren Anteil der Stasi-Arbeit hatte aber die operative Arbeit des VEB Guck und Horch. Die eigenen Bürger, aber auch ausländische Diplomaten oder Journalisten wurden zum Beispiel von der Hauptabteilung 26 – Telefonüberwachung bespitzelt. Allerdings sind viele dieser Dokumente heute nur noch als Mitschrift auf Papier und nicht als Tondokument erhalten.

    "Das wurde denn in aller Regel transkribiert und dann zur Akte genommen, weil das Material, also das Tonband teuer war. Also nicht in der Aufbewahrung, sondern es war einfach teuer. Und das wollte man halt wieder einsetzen."

    Deshalb wurden viele dieser Mitschnitte überspielt. Dennoch sind immer noch zahlreiche Tondokumente solcher Aktionen erhalten. Im Verlauf der Wende seit Oktober 1989 wurden aus überlegenen Überwachern dann zunehmend Verunsicherte und Gejagte, insbesondere nach der völlig überraschenden Ankündigung von Politbüro-Mitglied Günter Schabowski, man werde die Grenze sofort öffnen am 9. November 1989:

    "Das tritt ... nach meiner Kenntnis ist das sofort."

    In der Stasi-Zentrale war man völlig überrascht und keineswegs amüsiert:

    "Diensthabender: Du, das sag ich dir: Keiner weiß hier, was hinten und vorne ist. So langsam habe ich die Schnauze voll, du.' Anrufer: Schnauze halten, weiter dienen. Diensthabender: Ja, ach Mensch, hör doch auf Mensch. Anrufer: Bleib stark, halt durch. Diensthabender: Mach's gut. Anrufer: Mach's gut."

    Solche Dokumente geben in der Tat tiefe Einblicke in die Mentalität der Stasi-Mitarbeiter. Bei der Erschließung dieser Bestände stellen sich allerdings Probleme, weiß Silvia Oberhack:

    "Es ist kaum, also technische Beschreibungen sind sowieso nicht dabei. Wir wissen nicht, wenn wir das Tonband nehmen, welche Geschwindigkeiten, welche Spurlage hat das, das wissen wir nicht. Das müssen unsere Tonarchivare wirklich akribisch durch Probieren und durch Erfahrung, die sie ja auch haben, rausbekommen."

    Zudem habe die Stasi vielfach mehrere Vorgänge auf einem Tonband zusammengeschnitten, sodass auch auf ein und demselben Band zum Beispiel unterschiedliche Geschwindigkeiten und Spurlagen existieren können. Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich daraus, dass den Tonbändern oftmals kein Vorgang zugeordnet ist und die Zusammenhänge durch die Archivare erst mühsam erschlossen werden müssen.

    "Da ist es so, der Archivar sagt ja immer Provenienz, also wo kommt das her' Und das ist bei uns wirklich oft sehr, sehr schwierig, die Provenienzbestimmung. Oftmals geht das, denn erst wenn das zugehörige Schriftgut erschlossen ist. Manchmal gibt es auch gar kein Schriftgut mehr und nur die Tonbänder sind überliefert."

    Zudem kämpfen die Archivare der Jahn-Behörde mit einem Problem, das auch die NASA oder andere schon lange existierende Organisationen haben. Die Bänder sind alt und zerbröseln langsam. Und weil die Tondokumente aus einem Zeitraum von fast vierzig Jahren stammen, sind sie oftmals nur auf den seinerzeit benutzten Originalgeräten noch abspielbar.

    "Ansonsten eigentlich alles, worauf man Ton speichern konnte, ist vorhanden. Inklusive der Gerätschaften. Also die hegen und pflegen wir. Die haben wir auch alle noch im Bestand, also mir würde jetzt nichts einfallen, was wir nicht haben und was nicht funktioniert. Und was nicht funktioniert, wir haben drei Tontechniker, zum Glück, die auch sehr bastelfreudig sind und die dann die Dinge dann natürlich auch versuchen brauchbar zu halten und gegebenenfalls wieder herzustellen."

    Auf Dauer ist das alles natürlich keine Lösung, weshalb die Archivare ihre Bestände seit einiger Zeit konsequent digitalisieren.

    "Wir haben bis jetzt etwa 5000 Stunden digitalisiert. Wir haben zwar Tonbänder aber manchmal sind da nur fünf Minuten drauf und manchmal sind da aber auch acht Stunden drauf. Das wird sich dann so um die schätzungsweise 25.000 Stunden, fragen sie in fünf oder sechs Jahren noch mal, dann weiß ich's genauer, dann so einpegeln."

    Digitalisierte Bestände haben den Vorteil, dass man mit ihnen komfortabler arbeiten kann. Zudem werden Ton- und Textdokumente dann in einer gemeinsamen Datenbank vorliegen und die Recherche vereinfachen. Allerdings muss, wer heute seine Bestände digitalisiert, auch mit der ungeheuren Schnelllebigkeit der Technik rechnen.

    "Wenn man anfängt mit der Digitalisierung, da muss man über das Problem nachdenken. Wie rette ich es nicht nur kurzfristig über fünf Jahre, sondern wie rette ich es langfristig über fünfzig oder hundert Jahre' Und da muss man sich überlegen, welche Metadaten muss ich mitnehmen, welche sind kompatibel, zu welchem Datenmodell entschließe ich mich' Und da haben wir eine Voruntersuchung gemacht und damit sind wir jetzt soweit durch."

    Zwar seien noch einige technische Probleme zu lösen, aber insgesamt sind die Archivare zuversichtlich, dass sie ihre wertvollen Töne auch für die nächsten Generationen sichern können.