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Wortspielzeugbauers und Buchstabenverwechslers

Woher Dichter ihre Einfälle nehmen, ist eins der ungelösten Rätsel der Menschheit. Nicht für den kybernetischen Alchemisten Stephan Krass. 36 Zeichen – also 26 Buchstaben und 10 Zahlzeichen – genügen ihm völlig als Beschreibungshorizont der Poesie, in dem potenziell jedes Wort mit jedem andern Wort gleichen Zahlenwerts intime Beziehungen aufnimmt.

Von Beatrix Langner | 26.01.2011
    "Gab mir ein Gott zu sagen, was ich leide", ließ ein gewisser Torquato Tasso durchblicken, seines Zeichens Dichter, in dem gleichnamigen Stück eines andern Dichters – Goethe. Aber wo ist schon immer ein Gott zur Hand, um Haikus und Hexameter aus der ionisierten Luft der schönen Rede und der schönen Seelenlandschaften zu fischen, wenn einem grade danach ist?

    Woher Dichter ihre Einfälle nehmen, ist eins der ungelösten Rätsel der Menschheit. Nicht für den kybernetischen Alchemisten Stephan Krass. 36 Zeichen – also 26 Buchstaben und 10 Zahlzeichen – genügen ihm völlig als Beschreibungshorizont der Poesie, in dem potenziell jedes Wort mit jedem andern Wort gleichen Zahlenwerts intime Beziehungen aufnimmt, das heißt ganz von allein poetische Texte generiert.

    Metrologie nennt er seine Texterzeugungspoetik auf alphanumerischer Basis. Jeder Buchstabe wird nach seiner natürlichen Ordnungszahl im Alphabet gewertet oder, wie Stephan Krass das nennt, gewichtet und gewogen. Also A=1, B=2 bis Z=26. Durch Addition der Zahlenwerte wird dann das spezifische Gewicht jedes Worts ermittelt. Nach "Tropen im Tau" und Lichtbesen aus Blei" bietet "Das Konzil der Planeten", der dritte bei Elfenbein erschienene Band des Wichters, Wortspielzeugbauers und Buchstabenverwechslers Krass allerlei typografische, anagrammatische und intarsierte Übungsanweisungen für Hochleistungswortsportler und Sprachmuskeljogger: von der Epiphanie zum Remix, vom Rhapsoden zum Rapper, vom Gott-Code zum Lullus-Code, von der Lesbarkeit der Welt zum Scrabble. Während sich Heere von Dichtern zeitalterweise abmühten, die ganze Welt im zierlichen Defilee der Wörter, Reime, Strophen, Akte oder Kapitel unterzubringen, zeigt uns Stephan Krass, wie der Große Generator, die kombinatorische Supermaschine, die Welt aus sieben Zahlen zwischen 65 und 123 erschuf, wobei am fünften Tag das titelgebende Konzil der Planeten die 87-er Wörter zum Empfangskomitee der Geschichte formiert: Akrobaten, Schwalben, Präambeln etc.pp..
    Das Kunststück besteht darin, aus solcher spielerischen Aleatorik sinn-und sogar kunstvolle Texte zu gewinnen. Ich hat zB den Zahlenwert 9+3+8=20. Gedicht hat den Zahlenwert 56- sinnigerweise denselben wie das Wort Sinn, aber zufällig auch denselben wie Alchemie, Kraft, träge und tumb und noch ein halbes Dutzend andrer.

    Aber Deutungssucht ist nicht nur die Mutter der Astrologie, sondern auch der Wortakrobaten. Das Mysterium der Schreib- und Sagekunst liegt einzig in den unendlichen Kombinationsmöglichkeiten einer endlichen Menge von Zeichen. Jedes Ich, das einem Gesicht, Gewicht, Verzicht, schlimmer: der Geschichte, dem Licht , ganz schlimm: dem Gedicht oder gar dem nichtenden Nichts gewaltsam entzogen wird, rächt sich durch Unmengen ungebeten hereinschneiender Zahl-Verwandter. Vom Verzicht zum Monolog, Automat, Realität, Widerrede, Desaster und Koloss ist nur ein winziger Sprung über den Abgrund, die Leerstelle des emigrierten -ich oder sogenannten lyrischen Subjekts.

    Natürlich lässt sich dieses Verfahren auch spielend auf ganze Werke anwenden, die nach alphanumerischer Umrechnung beziehungsweise Konvertierung immer noch ziemlich sinnvoll, um nicht zu sagen schön klingen, wie Krass an "Wanderers Nachtlied" von Goethe, Rilkes "Herbsttag" und selbst an englischsprachigen Texten von Emily Dickinson exemplifiziert. Angekommen bei der Zahl 111, der Narrenzahl, dem Ziffer-Palindrom, das vorwärts und rückwärts gelesen werden kann oder 207, dessen alphanumerischer Wert mit sich selbst übereinstimmt, stehen jede Menge philosophischer Implikationen ins Haus.

    Roland Barthes strukturalistisches Verdikt vom "Tod des Autors" wird umgedacht zum ewigen Kreisen der Buchstaben um sich selbst. Alain Robbe-Grillets Feststellung, "dass die Arbeit des Schreibenden ... anonym ist: ein einfaches kombinatorisches Spiel, das letzten Endes einer Maschine anvertraut werden könnte", erkennt in Georg Philipp Harsdörffers poetischem Trichter und barocker Wortkombinatorik ferne Vorfahren - die alle als Abgesandte des sinnreichen Unsinns auf dem Konzil der Planeten auftreten. "Komm herbei! O Sprachkunst! Mit Deinem Buchstabenheeere!" rief Quirinus Kuhlmann aus, der Erfinder des poetischen Wechselrads. Wenig später erblickte Swifts Mister Gulliver in der Akademie von Lagado eine große Maschine, gewissermaßen schon die Parodie auf die universalistischen Texterzeugungsmaschinen von Lullus, Kircher und Leibniz, mit dessen Hilfe " der dümmste Mensch ohne Genie und Studien bei sehr geringen Unkosten und mäßiger Leibesbewegung beliebig viele philosophische, politische, juristische, mathematische und theologische Bücher schreiben" könne.

    Von Raimundus Lullus über Raymond Queneau bis zu Oskar Pastior zieht sich der Lullus-Code durch die Geschichte der poetischen Kombinationskunst. Wer's selber versuchen will, wird ohne den Alphanumerischen Thesaurus von Stephan Krass schwer auskommen, der vor zwei Jahren im Müller Verlag erschienen ist und 17.000 Wörter verziffert: sein Lebenswerk, das Sesam-Öffne-Dich zur Vatikanischen Bibliothek des sinnreichen Unsinns. Zur Not kann man aber ungeniert die eigenen Finger Zuhilfe nehmen. In jedem Fall bestärkt uns diese Anthologie in der Überzeugung, wie nützlich ein ponderabler, also ausrechenbarer Gott für die Literatur ebenso wie für eine valuierbare, mithin unbestechliche Literaturkritik sein könnte. Krass oder Grass? Grünbein oder Holbein? Alles nur eine Frage der Gewichtung.

    Stephan Krass, Das Konzil der Planeten. Poetische Konstellationen
    Elfenbein Verlag Berlin 2010, 174 S.
    Stephan Krass: Das Konzil des Planeten
    Stephan Krass: Das Konzil des Planeten (Elfenbein Verlag)