Wowereit: Die historische Chance besteht, und die sollte genutzt werden. Dazu bedarf es, dass alle Beteiligten Mut zeigen, Mut zeigen, über den eigenen Schatten zu springen im Interesse einer verbesserten Situation für die gesamte Republik. Das heißt, Bundesregierung, Bundestag, Bundesrat müssen sich teilweise ein Stück zurücknehmen im Interesse des Ganzen. Und wenn das passiert, dann gibt es eine gute Chance, dass die Föderalismuskommission die Neuordnung der bundesstaatlichen Ordnung im Sinne einer Verfassungsänderung – einer durchgreifenden Verfassungsänderung – zu mehr Transparenz führt, zu einer besseren Zuständigkeitsregelung, klare Verantwortlichkeit entweder beim Bund oder bei den Ländern, was auch ganz wichtig ist für die Bürgerinnen und Bürger, die dann auch besser durchschauen können, wer hat eigentlich die Verantwortung für die eine oder andere Maßnahme.
Hellmich: Aber so ganz sicher sind Sie nicht, dass das gelingt?
Wowereit: Sicher kann man sich da nicht sein. Es ist ein labiles Gebilde, es gibt ganz unterschiedliche Positionen und unterschiedliche Interessen. Und es kann natürlich auch scheitern. Es ist jetzt der Zeitpunkt, wo öffentlich deutlich gemacht werden muss, dass die Politiker eine hohe Verantwortung haben und dementsprechend sich selbst überprüfen müssen, ob sie einen Beitrag zu einer notwendigen Reform liefern wollen oder ob sie verhindern wollen. Das wäre traurig für das Land.
Hellmich: Wenn es denn scheitert, liegt das am Bund?
Wowereit: Das kann man heute noch nicht sagen. Der Bund hat bislang in dieser Arbeit in der Föderalismuskommission – er ist ja praktisch nur Beteiligter, er ist ja nicht, also jedenfalls die Bundesregierung -, der Bundestag ist richtig paritätisch besetzt mit den Ländervertretern, aber die Bundesregierung beispielsweise ist ja nur in einem Status des Beteiligten. Da habe ich manchmal den Eindruck gehabt, dass die klare Linie des Bundes nicht zu erkennen war. Es wird letzten Endes auf ein Machtwort des Kanzlers ankommen. Der Kanzler muss den Knoten durchschlagen auf Seiten des Bundeskabinetts, sonst wird es da sicherlich schwierig werden.
Hellmich: Nun hat ja gerade der Kanzler Bedenken geäußert, dass eine Regelung, die zu Lasten des Bundes geht, dann am Ende das Land unregierbar macht.
Wowereit: Es kann keine Regelung rauskommen, die einseitig zu Lasten der einen oder anderen Seite geht. Die Länder sind bereit, Kompetenzen abzugeben an den Bund. Die Länder sind ja in einer komfortablen Situation, die Länder haben weitestgehende Zustimmungsregelungen. Die führen ja gerade dazu, dass über komplizierte Vermittlungsverfahren zwischen Bundestag und Bundesrat lange Prozesse durchgeführt werden müssen.
Und obwohl der Bund oft Regelungskompetenzen originär in materiellen Fragen hat, hat der Bundesrat trotzdem seine Zustimmungspflichtigkeit und kann dadurch materiell Einfluss nehmen. Das wollen wir entflechten. Es ist auch eine Aktion, die im Interesse der Bundesebene läuft, klarer zu sagen, es gibt originäre Zuständigkeiten des Bundes und originäre Zuständigkeiten der Länder, und nicht so viele Mischformen zu machen.
Hellmich: Und die Länder ziehen da alle an einem Strang, jenseits von einer parteipolitischen Orientierung?
Wowereit: Es war lange die Hoffnung des Bundes, sowohl der Bundesregierung wie auch des Bundestages, dass die Länder sich zerstreiten werden und dementsprechend man sich zurücklehnen kann. Es ist meine Aufgabe jetzt als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz, aber davor war es die Aufgabe von Edmund Stoiber, die Länder zusammen zu halten, auch zu sagen, Einzelinteressen müssen zurückgestellt werden im Sinne eines guten Ganzen. Und dies ist die Arbeit, die zu leisten ist. Die haben wir bislang bewältigt. Wir haben viele Konflikte aus dem Weg geräumt, wir haben einheitliche Beschlusslagen herbeigeführt. Wir haben jüngst auf der letzten Ministerpräsidentenkonferenz das noch einmal bekräftigt. Und es kann auch sein, dass wir noch zu Sondersitzungen zusammenkommen, um ein einheitliches Verfahren auch noch besser zu koordinieren.
Hellmich: Jetzt soll ja erst mal am Montag koordiniert werden die einheitliche Linie der Sozialdemokraten. Wird denn Franz Müntefering das schaffen?
Wowereit: Er will es, und ich bin sicher, dass er auch die SPD koordinieren kann. Ich glaube, Edmund Stoiber und Franz Müntefering, beide als Vorsitzende der Föderalismuskommission, haben erkannt, dass sie eine große Verantwortung tragen, eine Verantwortung tragen, diese historische Chance zu nutzen, grundlegende Reformen durchzuführen. Wenn diese Chance nicht bis Dezember genutzt wird, dann wird sie über Jahre hinaus wieder vertan sein. Dies weiß Franz Müntefering, dies weiß Edmund Stoiber. Ich werde Franz Müntefering auf jeden Fall unterstützen, weitergehende Reformen zu machen, als das vielleicht dem einen oder anderen lieb ist. Wir müssen springen, wir müssen deutlich machen: Egoismen haben hier keine Chance.
Hellmich: Erwarten Sie denn, dass die Bundesregierung, anders als letzte Woche, dann an diesem Mittwoch ihre Pläne auf den Tisch legt, rechtzeitig noch vor der Konferenz?
Wowereit: Das ist dringend notwendig. Wenn der Bund selber sagt, er möchte auch Rechte haben, beispielsweise im Sicherheitsbereich, dann muss er sie artikulieren, dann muss er Vorschläge auf den Tisch legen, die wir dann auch diskutieren können. Das ist jetzt höchste Eisenbahn und letzter Moment, dass man da etwas machen kann, weil wir natürlich dann die Zeit brauchen, um auch natürlich diese Vorschläge zu diskutieren.
Hellmich: Es gibt ja bestimmte Konfliktfelder, Beispiel ist das Beamtenrecht. Da ist es ja bisher so, dass der Bund eine Rahmenregelung macht – ein Beispiel von vielen, wo es Rahmenrechtsregelungen gibt durch den Bund. Wie kann, wenn man daran denkt, dass ja irgendwie noch einheitliche Verhältnisse sein sollen in der Bundesrepublik, jedes Land in den Stand versetzt werden, da sein eigenes Ding zu machen, seine eigenen Rechtsgrundlagen zu schaffen?
Wowereit: Da bin ich relativ optimistisch, dass wir da zu einvernehmlichen Regelungen kommen. Das ist ein Bereich, der relativ weit ausdiskutiert ist in der Föderalismuskommission – also die Abschichtung der Kompetenzen im Dienst- und auch Besoldungsrecht auf die Länder. Es gibt einen kleinen Bereich, der bei der Bundeskompetenz bleiben muss. Aber beispielsweise würde das Land Berlin dann selber in der Lage sein, über die Beamtenbesoldung entscheiden zu können, auch über dienstrechtliche Fragen. Das ist ein Zustand, den hatten wir in der Bundesrepublik Deutschland schon gehabt. Das war eigentlich Verfassungspraxis, jetzt gab es eine andere Entwicklung. Wir haben auch heute schon eine Konkurrenz.
Ein Beispiel: Berlin hat ja zwei Mitbewerber um den öffentlichen Dienst. Das sind einmal die Bundeseinrichtung und einmal das Land Brandenburg. Beide Einrichtungen zahlen mehr Geld den einzelnen Mitarbeitern im Vergleich bei den Stufen, als das Berlin tut. Das gibt es heute schon.
Also, wir haben einerseits schon eine Konkurrenz, und wir müssen uns diesem Wettbewerb stellen. Es gibt immer die Befürchtung der kleineren Länder, der ärmeren Länder, die sagen: Wir können da nicht mehr so viel bezahlen für einen Lehrer, wie das ein reiches Land wie Bayern machen kann. Das ist Illusion. Heute haben alle Länder mit den hohen Personalkosten zu kämpfen. Und trotzdem gibt es Unterschiede, und die sollen auch wahrgenommen werden.
Warum soll das Land Berlin nicht selber über die Mitarbeiter des Landes Berlin entscheiden? Ich habe gar kein Interesse daran, dass der Bundesinnenminister, der gar nicht davon betroffen ist – der hat zehn Prozent Personalkosten in seinem Haushalt, der Bund. Wir haben 40 Prozent, oder manche Länder bis zu 50 Prozent. Wenn der Bund eine Besoldungserhöhung beschließt, das trifft ihn gar nicht, weil er über die Einkommensteuer sogar noch von uns Geld abnimmt und damit seine Erhöhung bezahlen kann. Ich möchte selber entscheiden, ich muss das auch rechtfertigen vor den Berlinerinnen und Berlinern. Ich möchte nicht, dass der Bund das entscheidet.
Hellmich: Herr Wowereit, Sie wollen ja, wenn es nach Ihnen ginge, am liebsten auch gleich auch die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums, so wie sie in der Formulierung des Grundgesetzes immer noch festgehalten sind, aus demselben entfernen. Warum denn das?
Wowereit: Weil sich herausgestellt hat, dass das eine Legitimation ist für Stillstand, für Konservatismus. Wir wollen nicht die Abschaffung des Beamtentums, das ist Konsens in der Föderalismuskommission. Wir haben aber eine Situation, dass sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf diesen Artikel berufen, dass sehr viele Gerichte, inklusive des Bundesverfassungsgerichts, diesen Artikel noch weitgehend ausdehnen. Und das steht im Wege einer vernünftigen Verwaltungsreform. Wir wollen ja eine Dienstleistung erbringen für den Bürger, für die Bürgerin. Das bedeutet heute auch andere Strukturen als vor fünfzig Jahren.
Und es bedeutet auch, dass sich heute von Mitarbeitern eine Flexibilität verlangen muss, die früher vielleicht gar nicht nötig gewesen ist. Und ich möchte heute auch ein modernes Personalmanagement betreiben - also beispielsweise ein Abteilungsleiter, der erkennbar nicht mehr seinen Anforderungen genügt, da möchte ich auch mal in der Lage sein, ihm ein anderes Aufgabengebiet geben, das vielleicht nicht so im Dienstleistungsbereich liegt. Das kann ich heute aus Statusgründen oftmals nicht. Ich muss heute in jedem Fall damit rechnen, dass geklagt wird. Oft kriegen die Klagen sogar Erfolg. Und damit kann man heute kein modernes Management machen. Das ist auch nicht gegen die Beamten gerichtet, sondern für eine Flexibilität, für einen modernen Einsatz auch von Beamten im öffentlichen Dienst.
Hellmich: Können Sie sich denn vorstellen, dass angesichts der Zusammensetzung der Parlamente und überhaupt der Entscheider in diesen Dingen tatsächlich da eine Regelung zustande kommt, bei der auf bestimmte Privilegien verzichtet wird?
Wowereit: Das scheint ganz schwierig zu sein. Ich bin immer wieder überrascht in der Debatte, von welcher Seite ein Beharrungsvermögen an den Tag gelegt wird. Das geht quer durch alle Reihen. Das ist nicht nur eine Frage von links und rechts oder progressiv und konservativ. Da geht das auch in meine Partei hinein, die sagen: Um Gotteswillen, da dürfen wir nicht rangehen. Es besteht natürlich eine besondere Mentalität bei etlichen. Die sagen: Nein, das ist alles ausreichend.
Ich sage ganz klipp und klar: Gar keine Frage der parteipolitischen Sichtweise, gar nicht eine Frage, ob man Beamte haben will oder nicht haben will. Wir brauchen moderne Instrumentarien. Deshalb sage ich: Es ist sehr schwer, das durchzusetzen. Aber auch darüber waren wir uns bei der Ministerpräsidentenkonferenz einig, dass viele Länder auch gesagt haben: Werft nicht gleich die Flinte ins Korn, sondern kämpft. Wir kämpfen noch darum, dass es da eine vernünftige Veränderung im Grundgesetz gibt, damit auch die Rechtsprechung sich verändert.
Hellmich: Ein anderer Punkt, der umstritten ist zwischen Bund und Ländern sind die Gemeinschaftsaufgaben. Auch da geht es letztendlich natürlich irgendwo um einheitliche Verhältnisse, zum Beispiel im Bereich des Bildungswesens, angesprochen die Hochschulen. Kann man da tatsächlich alles in die Kompetenz der Länder geben?
Wowereit: Die Kulturhoheit der Länder ist ein Kernelement der bundesstaatlichen Verfassung. Die kann auch nicht im Ernst angetastet werden. Dementsprechend wird es auch bei der Neuregelung eine Abschichtung geben müssen. Das Hochschulrahmengesetz muss wesentlich verschlankt werden. Das heißt, es müssen nur die Dinge auf der Bundesebene geregelt werden, die zentral geregelt werden müssen wie beispielsweise bestimmte Abschlüsse, Voraussetzungen für Abschlüsse, Anerkennung von Abschlüssen aus dem Ausland und so weiter und so fort. Aber beispielsweise ein klassisches Moment, der Hochschulbauförderung, was bislang eine Gemeinschaftsaufgabe war, das kann das Land selber entscheiden, und das muss das Land auch selber entscheiden. Oder die Frage, ob Studiengebühren eingeführt werden oder nicht ist eine Entscheidung, die im Land zu treffen ist und nicht auf Bundesebene.
Hellmich: Da wäre die Frage nach den einheitlichen Lebensverhältnissen in der Bundesrepublik. Wir leben ja nicht in den Vereinigten Staaten von Deutschland, sondern in der Bundesrepublik Deutschland. Ist das nicht erforderlich, auch im europäischen Rahmen, dass ein konsistentes Staatsgebilde da ist?
Wowereit: Das ist die Verantwortung, die die Länder natürlich auch zu tragen haben. Selbstverständlich gerade im Bildungsbereich wollen wir, dass natürlich ein Abschluss, der erzielt wird, in Bayern genau so wie in Mecklenburg-Vorpommern oder Berlin gilt. Auf der anderen Seite muss man auch sehen: In der Europäischen Union sind natürlich kleine Länder wie Litauen, Estland, Lettland vertreten, oder Luxemburg. Da kommt auch keiner auf die Idee, dass die nicht selber ihre Fragen regeln können.
Wir haben Mechanismen des Konsenses in der Bundesrepublik Deutschland und man muss die Grundfrage immer stellen: Will man klare Zuständigkeiten haben oder will man Blockade haben. Die nicht klaren Zuständigkeiten haben in der Vergangenheit oftmals zu einer Blockade geführt, auch zu einer Verwässerung von Gesetzen, auch in Fragen, wo eigentlich originär die Bundesregierung zuständig war durch die Zustimmungspflichtigkeit des Bundesrates. Die Länder wollen etwas abgeben, sie wollen dem Bund mehr eigene Entscheidungsbefugnis geben, wollen aber im Umkehrschluss dann auch selber mehr Rechte haben, auch Rechte für die Länderparlamente.
Hellmich: Wo sind denn die Angebote der Länder in diesem Bereich?
Wowereit: Das ist beispielsweise auf Zustimmungspflichtigkeiten in einem erheblichen Umfang zu verzichten. Wir wollen da das so genannte Instrument des Zugriffsrechts einführen. Wir haben heute eine Situation, dass für Gesetze, wo der Bund materiell alleine zuständig ist, in dem Moment, wo er eine Verfahrensfrage, eine Organisationsfrage regelt, eine automatische Zustimmungspflichtigkeit des Bundesrates vorhanden ist. Darauf wollen wir verzichten.
Wir sagen, der Bund soll sein materielles Gesetz machen, wenn er der Meinung ist, er will einen Vorschlag machen für Organisations-, für Verwaltungsfragen zur Umsetzung dieses Gesetzes, soll er es tun. Länder, die damit zufrieden sind, sollen sie eins zu eins übernehmen. Andere Länder, die sagen: Nein, wir haben eine besondere Struktur bei uns in Verwaltungs- und Organisationsfragen, sagen: Wir wollen es selber regeln, dann können sie zugreifen. Und dann regeln sie es selber, ohne das materielle Gesetz damit verändern zu können, sondern nur die Organisations- und Verwaltungsfragen. Und das führt alleine im Bundesrat zu einer erheblichen Entflechtung im Vermittlungsverfahren und auch in den Diskussionen über Zustimmung oder Nichtzustimmung.
Hellmich: Die Umweltpolitik beispielsweise ist ja auch ein Streitpunkt. Kann man da klare Trennung schaffen zwischen Landeszuständigkeit und Bundeszuständigkeit?
Wowereit: Kann man, sollte man, und ich glaube auch, das ist ein Bereich, genau so wie der Bereich der inneren Sicherheit, wo auch Vorschläge von der Bundesregierung auf den Tisch gelegt werden sollten, die wir ernsthaft diskutieren sollten. Ich bin auch offen für solche Diskussionen, auch Kompetenzen der Länder abzugeben, wenn es für die Weiterentwicklung der Bundesrepublik Deutschland wichtig ist. Im Umweltbereich, ganz klar: Bestimmte Dinge machen nicht halt an der Landesgrenze, und insofern muss es da auch Zuständigkeiten geben, die originär der Bund hat. In Sicherheitsfragen, bei der internationalen Terrorismusbekämpfung beispielsweise, muss auch die Bundesebene in der Lage sein, durchgreifend tätig zu sein. Das ist ein schwieriges Thema. Da hängt es jetzt von der einzelnen Formulierung ab, auch von der einzelnen Regelung. Da erwarte ich Vorschläge, und da kann man das prüfen. Und ich bin jemand, der sagt: Offen prüfen, auch bis hin zur Abgabe von Kompetenzen an den Bund.
Hellmich: Den Sicherheitsbereich noch einmal angesprochen: Wie könnte da eine Regelung zwischen Land und Bund aussehen, also im Bereich Verfassungsschutz, im Bereich "Bundespolizei" in Anführungsstrichen?
Wowereit: Ja, da reagieren alle wieder gleich allergisch. Ich habe ja den Vorschlag gemacht, dass ich mir auch vorstellen könnte, dass die Verfassungsschutzämter in die Bundeszuständigkeit kommen. Das ist von vielen abgelehnt worden, auch in Berlin gibt es dazu eine kontroverse Debatte. Es gibt Bereiche, wie gesagt, wo ich sage – auch als ausgesprochener Föderalist –, die Zeiten haben sich geändert und es müsste bundeseinheitlich verfahren werden.
Hellmich: Ein Ergebnis der Föderalismuskommission zeichnet sich ja bereits ab. Man ist ziemlich einig darüber, dass die Hauptstadtfunktion ins Grundgesetz geschrieben werden soll und darüber hinaus Berlin auch die Zusage des Bundes erhalten soll, bestimmte Aufgaben zumindest finanziert zu bekommen. Ist das schon eine Garantie dafür, dass Berlin seine Finanzmisere los wird?
Wowereit: Nein, das ist überhaupt keine Garantie dafür. Dies ist eine grundgesetzliche Regelung. Erstens bin ich zufrieden, dass der Prozess der Diskussion dazu geführt hat, dass wir heute tatsächlich davon ausgehen können, dass die Hauptstadt verankert wird, und zwar nicht nur mit dem Satz: "Berlin ist Hauptstadt", sondern dass der Bund auch für die gesamtstaatliche Repräsentanz in der Hauptstadt verantwortlich ist und natürlich dementsprechend auch die Kosten zu tragen hat. Und das nähere regelt ein Bundesgesetz. Daraus leitet sich nicht direkt die Zahlung einer Summe X ab, sondern es ist einerseits die Anspruchsberechtigung überhaupt für den Bund, tätig zu werden in Berlin.
Das ist ein Aspekt, der überhaupt gar nicht gesehen wird, weil natürlich im föderalen System andere Länder sonst sagen können: "Ja, warum tust du überhaupt etwas in Berlin, das darfst du gar nicht". Das ist also auch durchaus eine Anspruchsbegründung, die nicht nur das Land gegenüber dem Bund hat, sondern auch der Bund gegenüber den anderen Ländern, dass er in Berlin auch tätig werden kann. Das ist das eine.
Das zweite: Natürlich sind daraus auch Erwartungen abzuleiten, Erwartungen, die ja auch heute teilweise erfüllt werden. Es stellt ja keiner in Frage, dass der Bund auch für eine erhöhte Sicherheit für Kultureinrichtungen in Berlin auch eine Verantwortung übernehmen darf. Es ist aber ein stärkeres Moment, und für mich ist neben der grundgesetzlichen Regelung auch der Prozess, bis wir dort hin gekommen sind, wichtig, weil er war ein Teil einer Bewusstseinsmachung, auch bei den Kollegen aus den Ländern oder im Bundestag, auch zu begreifen: Berlin ist die Hauptstadt aller Deutschen und nicht nur der Berlinerinnen und Berliner. Und es gibt eine Verpflichtung des Gesamtstaates, in Berlin Flagge zu zeigen und auch dafür natürlich die notwendigen Aufwendungen zu leisten.
Schauen wir uns doch einmal an: Wer aus dem Ausland auf Deutschland schaut, schaut zuerst auf Berlin. Und das, was in anderen Ländern natürlich selbstverständlich, allein durch die historische Entwicklung so ist, dass die Hauptstädte auch der Fokus sind für viele Entwicklungen, auch in föderalen Strukturen, haben wir in Berlin eine atypische Situation. Das ist bedingt durch die Teilung der Stadt, durch die Teilung Deutschlands, dass ja viele Entwicklungen an Berlin zwangsläufig vorbei gegangen sind.
Jetzt sind wir auf dem Weg einer Normalität. Das bedeutet, auch in einem föderalen Staatensystem gibt es eine Hauptstadt. Und die Hauptstadt ist auch für die Länder da, für Bayern, für Sachsen, für alle anderen. Einer, der das am besten rechtzeitig erkannt hat, ist Edmund Stoiber. Ich bin ja nicht bereit, ihn immer zu loben, aber in dem Fall muss ich ihn wirklich kräftig loben. Die Bayern waren die ersten, die ihre Landesvertretung hier eröffnet hatten und sie zeigen deutlich Flagge in ihrer Hauptstadt. Wir sind auch die Hauptstadt für die Bayern und für die anderen.
Hellmich: Ein großes Thema des Föderalismus hat die Bundesstaatskommission ja von vornherein ausgeklammert, nämlich die Länderneugliederung. Sie müssen sich ja jetzt damit abfinden, dass Brandenburg auch nach der Landtagswahl den Terminplan für die Fusion mit Berlin abgesagt hat. Muss sich Berlin jetzt nicht eigentlich anders orientieren?
Wowereit: Wir müssen uns nicht anders orientieren. Ich bin nach wie vor der Auffassung, dass das Zusammengehen der beiden Länder Berlin und Brandenburg richtig wäre für die Zukunft dieser Region. Selbstverständlich würden dadurch nicht alle Probleme beseitigt sein. Aus zwei armen Ländern macht man nicht durch den Zusammenschluss zwei reiche Länder. Aber wir hätten bessere Chancen, gemeinsam die Probleme anzupacken. Auch für das Bewusstsein des dann gemeinsamen Landesparlaments oder der Landesregierung wäre das aus vielerlei Gründen sinnvoll.
Berlin stand bereit und steht auch heute noch bereit. Die Parteien in Berlin, und da ist es genau so bei der Opposition wie bei der Regierungskoalition: Sie stehen alle zur Fusion. Die Mehrheit der Berliner Bevölkerung ist auch eindeutig für die Fusion. Nur ich komme mir ein bisschen vor wie ein geschmückter Bräutigam oder Braut vor dem Altar und der Partner kommt nicht. Schmerzhaft mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass das Thema Zusammenschluss in Brandenburg sang- und klanglos beerdigt worden ist. Und anders kann man es auch nicht ausdrücken.
Trotzdem werden wir natürlich nicht wie die beleidigte Leberwurst jetzt durch die Lande ziehen, sondern wir sagen: Wir haben viele gemeinsame Projekte mit Brandenburg in der Vergangenheit angeschoben und Zusammenfassung gemacht, wie beispielsweise jüngst bei den Oberlandesgerichten oder die Rundfunkanstalten zusammengelegt, ORB und SFB zum RBB. Andere Projekte, Flughafen, Medienförderung, Filmförderung, all das sind ja Dinge, die wir auch erfolgreich gemeinsam tun. Dabei wird es bleiben. Bei anderen Projekten, wo sich eine Zusammenarbeit anbietet, werden wir das auch tun.
Aber eines muss ich auch ganz deutlich sagen: Es ist natürlich ein Unterschied, ob man die Perspektive hat, ein gemeinsames Land zu werden, oder ob man zwei befreundete Nachbarländer darstellt. Es gibt unterschiedliche Interessen, und die werden sich dann auch artikulieren.
Hellmich: Aber die Fusion ist doch erst mal vom Tisch?
Wowereit: Richtig.
Hellmich: Eine Länderneugliederung, über die ja doch immer wieder diskutiert wird, sehen Sie die auf längere Zeit irgendwann kommen?
Wowereit: Ich glaube, Berlin und Brandenburg hätten ein Zeichen für die Republik setzen können. Die kleineren Länder, die anderen Länder, haben ganz argwöhnisch auf diesen Prozess in Berlin-Brandenburg geschaut, weil sie Angst hatten, dass es klappt. Diese Angst ist ihnen nun von Brandenburg genommen worden. Aber sonst hätte es natürlich eine bundesweite Diskussion gegeben, ob andere kleinere Länder sich nicht auch mit ihren Nachbarn zusammentun sollten. Aus meiner Sicht wäre es sinnvoll. Ich kann verstehen, warum das Thema aus der Föderalismusdebatte ausgeklammert worden ist. Es wäre zu keinem Konsens gekommen. Aber ich halte es durchaus für sinnvoll, dieses Thema nicht aus den Augen zu verlieren, wobei, wenn man mich nach Chancen befragt, ich da eher pessimistisch bin.
Hellmich: 2006 wird gewählt, im Bund und in Berlin. Glauben Sie denn, dass die Bundesregierung, die Bundes-SPD für Sie dann eine Wahlkampfhilfe sein wird oder werden Sie die Bilder von sich lieber ohne Parteinamen plakatieren lassen?
Wowereit: Also erstens glaube ich nicht, dass ein Landesverband gegen seine Bundespartei Wahlkampf machen kann. Das haben die Erfahrungen gezeigt, die Bürger trennen das nicht. Aber natürlich sind Landtagswahlkämpfe über Landtagsthemen zu führen und Bundestagswahlkämpfe über Bundestagsthemen. Wenn man zeitlich zusammen liegt, dann wird das ganz schwer sein, das auseinander zu halten. Wir sehen ja, dass die Entwicklung zumindest in den Umfragen einen deutlichen Aufstieg der SPD in den letzten Wochen ja praktisch hervorgerufen hat.
Aber auf der anderen Seite weiß man natürlich auch, wie latent das sein kann. Wenn man innerhalb von kurzer Zeit aufsteigen kann, kann man auch innerhalb von kurzer Zeit absteigen. Natürlich, die Reformen im Arbeitsmarktbereich, die sind nicht am 1. Januar 2005 verwirklicht, sondern die Programme müssen anlaufen. Die Menschen müssen merken, dass ihnen konkret geholfen wird. Und das braucht seine Zeit. Aber ich gehe davon aus, dass im Jahr 2006 viele dieser Reformen auch Wirkung zeigen. Und insofern glaube ich, dass es ein gutes Klima auch gibt, sowohl die erfolgreiche Arbeit der Bundesregierung fortzuführen, wie auch die erfolgreiche Arbeit der rot-roten-Koalition hier in Berlin.
Hellmich: Aber so ganz sicher sind Sie nicht, dass das gelingt?
Wowereit: Sicher kann man sich da nicht sein. Es ist ein labiles Gebilde, es gibt ganz unterschiedliche Positionen und unterschiedliche Interessen. Und es kann natürlich auch scheitern. Es ist jetzt der Zeitpunkt, wo öffentlich deutlich gemacht werden muss, dass die Politiker eine hohe Verantwortung haben und dementsprechend sich selbst überprüfen müssen, ob sie einen Beitrag zu einer notwendigen Reform liefern wollen oder ob sie verhindern wollen. Das wäre traurig für das Land.
Hellmich: Wenn es denn scheitert, liegt das am Bund?
Wowereit: Das kann man heute noch nicht sagen. Der Bund hat bislang in dieser Arbeit in der Föderalismuskommission – er ist ja praktisch nur Beteiligter, er ist ja nicht, also jedenfalls die Bundesregierung -, der Bundestag ist richtig paritätisch besetzt mit den Ländervertretern, aber die Bundesregierung beispielsweise ist ja nur in einem Status des Beteiligten. Da habe ich manchmal den Eindruck gehabt, dass die klare Linie des Bundes nicht zu erkennen war. Es wird letzten Endes auf ein Machtwort des Kanzlers ankommen. Der Kanzler muss den Knoten durchschlagen auf Seiten des Bundeskabinetts, sonst wird es da sicherlich schwierig werden.
Hellmich: Nun hat ja gerade der Kanzler Bedenken geäußert, dass eine Regelung, die zu Lasten des Bundes geht, dann am Ende das Land unregierbar macht.
Wowereit: Es kann keine Regelung rauskommen, die einseitig zu Lasten der einen oder anderen Seite geht. Die Länder sind bereit, Kompetenzen abzugeben an den Bund. Die Länder sind ja in einer komfortablen Situation, die Länder haben weitestgehende Zustimmungsregelungen. Die führen ja gerade dazu, dass über komplizierte Vermittlungsverfahren zwischen Bundestag und Bundesrat lange Prozesse durchgeführt werden müssen.
Und obwohl der Bund oft Regelungskompetenzen originär in materiellen Fragen hat, hat der Bundesrat trotzdem seine Zustimmungspflichtigkeit und kann dadurch materiell Einfluss nehmen. Das wollen wir entflechten. Es ist auch eine Aktion, die im Interesse der Bundesebene läuft, klarer zu sagen, es gibt originäre Zuständigkeiten des Bundes und originäre Zuständigkeiten der Länder, und nicht so viele Mischformen zu machen.
Hellmich: Und die Länder ziehen da alle an einem Strang, jenseits von einer parteipolitischen Orientierung?
Wowereit: Es war lange die Hoffnung des Bundes, sowohl der Bundesregierung wie auch des Bundestages, dass die Länder sich zerstreiten werden und dementsprechend man sich zurücklehnen kann. Es ist meine Aufgabe jetzt als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz, aber davor war es die Aufgabe von Edmund Stoiber, die Länder zusammen zu halten, auch zu sagen, Einzelinteressen müssen zurückgestellt werden im Sinne eines guten Ganzen. Und dies ist die Arbeit, die zu leisten ist. Die haben wir bislang bewältigt. Wir haben viele Konflikte aus dem Weg geräumt, wir haben einheitliche Beschlusslagen herbeigeführt. Wir haben jüngst auf der letzten Ministerpräsidentenkonferenz das noch einmal bekräftigt. Und es kann auch sein, dass wir noch zu Sondersitzungen zusammenkommen, um ein einheitliches Verfahren auch noch besser zu koordinieren.
Hellmich: Jetzt soll ja erst mal am Montag koordiniert werden die einheitliche Linie der Sozialdemokraten. Wird denn Franz Müntefering das schaffen?
Wowereit: Er will es, und ich bin sicher, dass er auch die SPD koordinieren kann. Ich glaube, Edmund Stoiber und Franz Müntefering, beide als Vorsitzende der Föderalismuskommission, haben erkannt, dass sie eine große Verantwortung tragen, eine Verantwortung tragen, diese historische Chance zu nutzen, grundlegende Reformen durchzuführen. Wenn diese Chance nicht bis Dezember genutzt wird, dann wird sie über Jahre hinaus wieder vertan sein. Dies weiß Franz Müntefering, dies weiß Edmund Stoiber. Ich werde Franz Müntefering auf jeden Fall unterstützen, weitergehende Reformen zu machen, als das vielleicht dem einen oder anderen lieb ist. Wir müssen springen, wir müssen deutlich machen: Egoismen haben hier keine Chance.
Hellmich: Erwarten Sie denn, dass die Bundesregierung, anders als letzte Woche, dann an diesem Mittwoch ihre Pläne auf den Tisch legt, rechtzeitig noch vor der Konferenz?
Wowereit: Das ist dringend notwendig. Wenn der Bund selber sagt, er möchte auch Rechte haben, beispielsweise im Sicherheitsbereich, dann muss er sie artikulieren, dann muss er Vorschläge auf den Tisch legen, die wir dann auch diskutieren können. Das ist jetzt höchste Eisenbahn und letzter Moment, dass man da etwas machen kann, weil wir natürlich dann die Zeit brauchen, um auch natürlich diese Vorschläge zu diskutieren.
Hellmich: Es gibt ja bestimmte Konfliktfelder, Beispiel ist das Beamtenrecht. Da ist es ja bisher so, dass der Bund eine Rahmenregelung macht – ein Beispiel von vielen, wo es Rahmenrechtsregelungen gibt durch den Bund. Wie kann, wenn man daran denkt, dass ja irgendwie noch einheitliche Verhältnisse sein sollen in der Bundesrepublik, jedes Land in den Stand versetzt werden, da sein eigenes Ding zu machen, seine eigenen Rechtsgrundlagen zu schaffen?
Wowereit: Da bin ich relativ optimistisch, dass wir da zu einvernehmlichen Regelungen kommen. Das ist ein Bereich, der relativ weit ausdiskutiert ist in der Föderalismuskommission – also die Abschichtung der Kompetenzen im Dienst- und auch Besoldungsrecht auf die Länder. Es gibt einen kleinen Bereich, der bei der Bundeskompetenz bleiben muss. Aber beispielsweise würde das Land Berlin dann selber in der Lage sein, über die Beamtenbesoldung entscheiden zu können, auch über dienstrechtliche Fragen. Das ist ein Zustand, den hatten wir in der Bundesrepublik Deutschland schon gehabt. Das war eigentlich Verfassungspraxis, jetzt gab es eine andere Entwicklung. Wir haben auch heute schon eine Konkurrenz.
Ein Beispiel: Berlin hat ja zwei Mitbewerber um den öffentlichen Dienst. Das sind einmal die Bundeseinrichtung und einmal das Land Brandenburg. Beide Einrichtungen zahlen mehr Geld den einzelnen Mitarbeitern im Vergleich bei den Stufen, als das Berlin tut. Das gibt es heute schon.
Also, wir haben einerseits schon eine Konkurrenz, und wir müssen uns diesem Wettbewerb stellen. Es gibt immer die Befürchtung der kleineren Länder, der ärmeren Länder, die sagen: Wir können da nicht mehr so viel bezahlen für einen Lehrer, wie das ein reiches Land wie Bayern machen kann. Das ist Illusion. Heute haben alle Länder mit den hohen Personalkosten zu kämpfen. Und trotzdem gibt es Unterschiede, und die sollen auch wahrgenommen werden.
Warum soll das Land Berlin nicht selber über die Mitarbeiter des Landes Berlin entscheiden? Ich habe gar kein Interesse daran, dass der Bundesinnenminister, der gar nicht davon betroffen ist – der hat zehn Prozent Personalkosten in seinem Haushalt, der Bund. Wir haben 40 Prozent, oder manche Länder bis zu 50 Prozent. Wenn der Bund eine Besoldungserhöhung beschließt, das trifft ihn gar nicht, weil er über die Einkommensteuer sogar noch von uns Geld abnimmt und damit seine Erhöhung bezahlen kann. Ich möchte selber entscheiden, ich muss das auch rechtfertigen vor den Berlinerinnen und Berlinern. Ich möchte nicht, dass der Bund das entscheidet.
Hellmich: Herr Wowereit, Sie wollen ja, wenn es nach Ihnen ginge, am liebsten auch gleich auch die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums, so wie sie in der Formulierung des Grundgesetzes immer noch festgehalten sind, aus demselben entfernen. Warum denn das?
Wowereit: Weil sich herausgestellt hat, dass das eine Legitimation ist für Stillstand, für Konservatismus. Wir wollen nicht die Abschaffung des Beamtentums, das ist Konsens in der Föderalismuskommission. Wir haben aber eine Situation, dass sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf diesen Artikel berufen, dass sehr viele Gerichte, inklusive des Bundesverfassungsgerichts, diesen Artikel noch weitgehend ausdehnen. Und das steht im Wege einer vernünftigen Verwaltungsreform. Wir wollen ja eine Dienstleistung erbringen für den Bürger, für die Bürgerin. Das bedeutet heute auch andere Strukturen als vor fünfzig Jahren.
Und es bedeutet auch, dass sich heute von Mitarbeitern eine Flexibilität verlangen muss, die früher vielleicht gar nicht nötig gewesen ist. Und ich möchte heute auch ein modernes Personalmanagement betreiben - also beispielsweise ein Abteilungsleiter, der erkennbar nicht mehr seinen Anforderungen genügt, da möchte ich auch mal in der Lage sein, ihm ein anderes Aufgabengebiet geben, das vielleicht nicht so im Dienstleistungsbereich liegt. Das kann ich heute aus Statusgründen oftmals nicht. Ich muss heute in jedem Fall damit rechnen, dass geklagt wird. Oft kriegen die Klagen sogar Erfolg. Und damit kann man heute kein modernes Management machen. Das ist auch nicht gegen die Beamten gerichtet, sondern für eine Flexibilität, für einen modernen Einsatz auch von Beamten im öffentlichen Dienst.
Hellmich: Können Sie sich denn vorstellen, dass angesichts der Zusammensetzung der Parlamente und überhaupt der Entscheider in diesen Dingen tatsächlich da eine Regelung zustande kommt, bei der auf bestimmte Privilegien verzichtet wird?
Wowereit: Das scheint ganz schwierig zu sein. Ich bin immer wieder überrascht in der Debatte, von welcher Seite ein Beharrungsvermögen an den Tag gelegt wird. Das geht quer durch alle Reihen. Das ist nicht nur eine Frage von links und rechts oder progressiv und konservativ. Da geht das auch in meine Partei hinein, die sagen: Um Gotteswillen, da dürfen wir nicht rangehen. Es besteht natürlich eine besondere Mentalität bei etlichen. Die sagen: Nein, das ist alles ausreichend.
Ich sage ganz klipp und klar: Gar keine Frage der parteipolitischen Sichtweise, gar nicht eine Frage, ob man Beamte haben will oder nicht haben will. Wir brauchen moderne Instrumentarien. Deshalb sage ich: Es ist sehr schwer, das durchzusetzen. Aber auch darüber waren wir uns bei der Ministerpräsidentenkonferenz einig, dass viele Länder auch gesagt haben: Werft nicht gleich die Flinte ins Korn, sondern kämpft. Wir kämpfen noch darum, dass es da eine vernünftige Veränderung im Grundgesetz gibt, damit auch die Rechtsprechung sich verändert.
Hellmich: Ein anderer Punkt, der umstritten ist zwischen Bund und Ländern sind die Gemeinschaftsaufgaben. Auch da geht es letztendlich natürlich irgendwo um einheitliche Verhältnisse, zum Beispiel im Bereich des Bildungswesens, angesprochen die Hochschulen. Kann man da tatsächlich alles in die Kompetenz der Länder geben?
Wowereit: Die Kulturhoheit der Länder ist ein Kernelement der bundesstaatlichen Verfassung. Die kann auch nicht im Ernst angetastet werden. Dementsprechend wird es auch bei der Neuregelung eine Abschichtung geben müssen. Das Hochschulrahmengesetz muss wesentlich verschlankt werden. Das heißt, es müssen nur die Dinge auf der Bundesebene geregelt werden, die zentral geregelt werden müssen wie beispielsweise bestimmte Abschlüsse, Voraussetzungen für Abschlüsse, Anerkennung von Abschlüssen aus dem Ausland und so weiter und so fort. Aber beispielsweise ein klassisches Moment, der Hochschulbauförderung, was bislang eine Gemeinschaftsaufgabe war, das kann das Land selber entscheiden, und das muss das Land auch selber entscheiden. Oder die Frage, ob Studiengebühren eingeführt werden oder nicht ist eine Entscheidung, die im Land zu treffen ist und nicht auf Bundesebene.
Hellmich: Da wäre die Frage nach den einheitlichen Lebensverhältnissen in der Bundesrepublik. Wir leben ja nicht in den Vereinigten Staaten von Deutschland, sondern in der Bundesrepublik Deutschland. Ist das nicht erforderlich, auch im europäischen Rahmen, dass ein konsistentes Staatsgebilde da ist?
Wowereit: Das ist die Verantwortung, die die Länder natürlich auch zu tragen haben. Selbstverständlich gerade im Bildungsbereich wollen wir, dass natürlich ein Abschluss, der erzielt wird, in Bayern genau so wie in Mecklenburg-Vorpommern oder Berlin gilt. Auf der anderen Seite muss man auch sehen: In der Europäischen Union sind natürlich kleine Länder wie Litauen, Estland, Lettland vertreten, oder Luxemburg. Da kommt auch keiner auf die Idee, dass die nicht selber ihre Fragen regeln können.
Wir haben Mechanismen des Konsenses in der Bundesrepublik Deutschland und man muss die Grundfrage immer stellen: Will man klare Zuständigkeiten haben oder will man Blockade haben. Die nicht klaren Zuständigkeiten haben in der Vergangenheit oftmals zu einer Blockade geführt, auch zu einer Verwässerung von Gesetzen, auch in Fragen, wo eigentlich originär die Bundesregierung zuständig war durch die Zustimmungspflichtigkeit des Bundesrates. Die Länder wollen etwas abgeben, sie wollen dem Bund mehr eigene Entscheidungsbefugnis geben, wollen aber im Umkehrschluss dann auch selber mehr Rechte haben, auch Rechte für die Länderparlamente.
Hellmich: Wo sind denn die Angebote der Länder in diesem Bereich?
Wowereit: Das ist beispielsweise auf Zustimmungspflichtigkeiten in einem erheblichen Umfang zu verzichten. Wir wollen da das so genannte Instrument des Zugriffsrechts einführen. Wir haben heute eine Situation, dass für Gesetze, wo der Bund materiell alleine zuständig ist, in dem Moment, wo er eine Verfahrensfrage, eine Organisationsfrage regelt, eine automatische Zustimmungspflichtigkeit des Bundesrates vorhanden ist. Darauf wollen wir verzichten.
Wir sagen, der Bund soll sein materielles Gesetz machen, wenn er der Meinung ist, er will einen Vorschlag machen für Organisations-, für Verwaltungsfragen zur Umsetzung dieses Gesetzes, soll er es tun. Länder, die damit zufrieden sind, sollen sie eins zu eins übernehmen. Andere Länder, die sagen: Nein, wir haben eine besondere Struktur bei uns in Verwaltungs- und Organisationsfragen, sagen: Wir wollen es selber regeln, dann können sie zugreifen. Und dann regeln sie es selber, ohne das materielle Gesetz damit verändern zu können, sondern nur die Organisations- und Verwaltungsfragen. Und das führt alleine im Bundesrat zu einer erheblichen Entflechtung im Vermittlungsverfahren und auch in den Diskussionen über Zustimmung oder Nichtzustimmung.
Hellmich: Die Umweltpolitik beispielsweise ist ja auch ein Streitpunkt. Kann man da klare Trennung schaffen zwischen Landeszuständigkeit und Bundeszuständigkeit?
Wowereit: Kann man, sollte man, und ich glaube auch, das ist ein Bereich, genau so wie der Bereich der inneren Sicherheit, wo auch Vorschläge von der Bundesregierung auf den Tisch gelegt werden sollten, die wir ernsthaft diskutieren sollten. Ich bin auch offen für solche Diskussionen, auch Kompetenzen der Länder abzugeben, wenn es für die Weiterentwicklung der Bundesrepublik Deutschland wichtig ist. Im Umweltbereich, ganz klar: Bestimmte Dinge machen nicht halt an der Landesgrenze, und insofern muss es da auch Zuständigkeiten geben, die originär der Bund hat. In Sicherheitsfragen, bei der internationalen Terrorismusbekämpfung beispielsweise, muss auch die Bundesebene in der Lage sein, durchgreifend tätig zu sein. Das ist ein schwieriges Thema. Da hängt es jetzt von der einzelnen Formulierung ab, auch von der einzelnen Regelung. Da erwarte ich Vorschläge, und da kann man das prüfen. Und ich bin jemand, der sagt: Offen prüfen, auch bis hin zur Abgabe von Kompetenzen an den Bund.
Hellmich: Den Sicherheitsbereich noch einmal angesprochen: Wie könnte da eine Regelung zwischen Land und Bund aussehen, also im Bereich Verfassungsschutz, im Bereich "Bundespolizei" in Anführungsstrichen?
Wowereit: Ja, da reagieren alle wieder gleich allergisch. Ich habe ja den Vorschlag gemacht, dass ich mir auch vorstellen könnte, dass die Verfassungsschutzämter in die Bundeszuständigkeit kommen. Das ist von vielen abgelehnt worden, auch in Berlin gibt es dazu eine kontroverse Debatte. Es gibt Bereiche, wie gesagt, wo ich sage – auch als ausgesprochener Föderalist –, die Zeiten haben sich geändert und es müsste bundeseinheitlich verfahren werden.
Hellmich: Ein Ergebnis der Föderalismuskommission zeichnet sich ja bereits ab. Man ist ziemlich einig darüber, dass die Hauptstadtfunktion ins Grundgesetz geschrieben werden soll und darüber hinaus Berlin auch die Zusage des Bundes erhalten soll, bestimmte Aufgaben zumindest finanziert zu bekommen. Ist das schon eine Garantie dafür, dass Berlin seine Finanzmisere los wird?
Wowereit: Nein, das ist überhaupt keine Garantie dafür. Dies ist eine grundgesetzliche Regelung. Erstens bin ich zufrieden, dass der Prozess der Diskussion dazu geführt hat, dass wir heute tatsächlich davon ausgehen können, dass die Hauptstadt verankert wird, und zwar nicht nur mit dem Satz: "Berlin ist Hauptstadt", sondern dass der Bund auch für die gesamtstaatliche Repräsentanz in der Hauptstadt verantwortlich ist und natürlich dementsprechend auch die Kosten zu tragen hat. Und das nähere regelt ein Bundesgesetz. Daraus leitet sich nicht direkt die Zahlung einer Summe X ab, sondern es ist einerseits die Anspruchsberechtigung überhaupt für den Bund, tätig zu werden in Berlin.
Das ist ein Aspekt, der überhaupt gar nicht gesehen wird, weil natürlich im föderalen System andere Länder sonst sagen können: "Ja, warum tust du überhaupt etwas in Berlin, das darfst du gar nicht". Das ist also auch durchaus eine Anspruchsbegründung, die nicht nur das Land gegenüber dem Bund hat, sondern auch der Bund gegenüber den anderen Ländern, dass er in Berlin auch tätig werden kann. Das ist das eine.
Das zweite: Natürlich sind daraus auch Erwartungen abzuleiten, Erwartungen, die ja auch heute teilweise erfüllt werden. Es stellt ja keiner in Frage, dass der Bund auch für eine erhöhte Sicherheit für Kultureinrichtungen in Berlin auch eine Verantwortung übernehmen darf. Es ist aber ein stärkeres Moment, und für mich ist neben der grundgesetzlichen Regelung auch der Prozess, bis wir dort hin gekommen sind, wichtig, weil er war ein Teil einer Bewusstseinsmachung, auch bei den Kollegen aus den Ländern oder im Bundestag, auch zu begreifen: Berlin ist die Hauptstadt aller Deutschen und nicht nur der Berlinerinnen und Berliner. Und es gibt eine Verpflichtung des Gesamtstaates, in Berlin Flagge zu zeigen und auch dafür natürlich die notwendigen Aufwendungen zu leisten.
Schauen wir uns doch einmal an: Wer aus dem Ausland auf Deutschland schaut, schaut zuerst auf Berlin. Und das, was in anderen Ländern natürlich selbstverständlich, allein durch die historische Entwicklung so ist, dass die Hauptstädte auch der Fokus sind für viele Entwicklungen, auch in föderalen Strukturen, haben wir in Berlin eine atypische Situation. Das ist bedingt durch die Teilung der Stadt, durch die Teilung Deutschlands, dass ja viele Entwicklungen an Berlin zwangsläufig vorbei gegangen sind.
Jetzt sind wir auf dem Weg einer Normalität. Das bedeutet, auch in einem föderalen Staatensystem gibt es eine Hauptstadt. Und die Hauptstadt ist auch für die Länder da, für Bayern, für Sachsen, für alle anderen. Einer, der das am besten rechtzeitig erkannt hat, ist Edmund Stoiber. Ich bin ja nicht bereit, ihn immer zu loben, aber in dem Fall muss ich ihn wirklich kräftig loben. Die Bayern waren die ersten, die ihre Landesvertretung hier eröffnet hatten und sie zeigen deutlich Flagge in ihrer Hauptstadt. Wir sind auch die Hauptstadt für die Bayern und für die anderen.
Hellmich: Ein großes Thema des Föderalismus hat die Bundesstaatskommission ja von vornherein ausgeklammert, nämlich die Länderneugliederung. Sie müssen sich ja jetzt damit abfinden, dass Brandenburg auch nach der Landtagswahl den Terminplan für die Fusion mit Berlin abgesagt hat. Muss sich Berlin jetzt nicht eigentlich anders orientieren?
Wowereit: Wir müssen uns nicht anders orientieren. Ich bin nach wie vor der Auffassung, dass das Zusammengehen der beiden Länder Berlin und Brandenburg richtig wäre für die Zukunft dieser Region. Selbstverständlich würden dadurch nicht alle Probleme beseitigt sein. Aus zwei armen Ländern macht man nicht durch den Zusammenschluss zwei reiche Länder. Aber wir hätten bessere Chancen, gemeinsam die Probleme anzupacken. Auch für das Bewusstsein des dann gemeinsamen Landesparlaments oder der Landesregierung wäre das aus vielerlei Gründen sinnvoll.
Berlin stand bereit und steht auch heute noch bereit. Die Parteien in Berlin, und da ist es genau so bei der Opposition wie bei der Regierungskoalition: Sie stehen alle zur Fusion. Die Mehrheit der Berliner Bevölkerung ist auch eindeutig für die Fusion. Nur ich komme mir ein bisschen vor wie ein geschmückter Bräutigam oder Braut vor dem Altar und der Partner kommt nicht. Schmerzhaft mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass das Thema Zusammenschluss in Brandenburg sang- und klanglos beerdigt worden ist. Und anders kann man es auch nicht ausdrücken.
Trotzdem werden wir natürlich nicht wie die beleidigte Leberwurst jetzt durch die Lande ziehen, sondern wir sagen: Wir haben viele gemeinsame Projekte mit Brandenburg in der Vergangenheit angeschoben und Zusammenfassung gemacht, wie beispielsweise jüngst bei den Oberlandesgerichten oder die Rundfunkanstalten zusammengelegt, ORB und SFB zum RBB. Andere Projekte, Flughafen, Medienförderung, Filmförderung, all das sind ja Dinge, die wir auch erfolgreich gemeinsam tun. Dabei wird es bleiben. Bei anderen Projekten, wo sich eine Zusammenarbeit anbietet, werden wir das auch tun.
Aber eines muss ich auch ganz deutlich sagen: Es ist natürlich ein Unterschied, ob man die Perspektive hat, ein gemeinsames Land zu werden, oder ob man zwei befreundete Nachbarländer darstellt. Es gibt unterschiedliche Interessen, und die werden sich dann auch artikulieren.
Hellmich: Aber die Fusion ist doch erst mal vom Tisch?
Wowereit: Richtig.
Hellmich: Eine Länderneugliederung, über die ja doch immer wieder diskutiert wird, sehen Sie die auf längere Zeit irgendwann kommen?
Wowereit: Ich glaube, Berlin und Brandenburg hätten ein Zeichen für die Republik setzen können. Die kleineren Länder, die anderen Länder, haben ganz argwöhnisch auf diesen Prozess in Berlin-Brandenburg geschaut, weil sie Angst hatten, dass es klappt. Diese Angst ist ihnen nun von Brandenburg genommen worden. Aber sonst hätte es natürlich eine bundesweite Diskussion gegeben, ob andere kleinere Länder sich nicht auch mit ihren Nachbarn zusammentun sollten. Aus meiner Sicht wäre es sinnvoll. Ich kann verstehen, warum das Thema aus der Föderalismusdebatte ausgeklammert worden ist. Es wäre zu keinem Konsens gekommen. Aber ich halte es durchaus für sinnvoll, dieses Thema nicht aus den Augen zu verlieren, wobei, wenn man mich nach Chancen befragt, ich da eher pessimistisch bin.
Hellmich: 2006 wird gewählt, im Bund und in Berlin. Glauben Sie denn, dass die Bundesregierung, die Bundes-SPD für Sie dann eine Wahlkampfhilfe sein wird oder werden Sie die Bilder von sich lieber ohne Parteinamen plakatieren lassen?
Wowereit: Also erstens glaube ich nicht, dass ein Landesverband gegen seine Bundespartei Wahlkampf machen kann. Das haben die Erfahrungen gezeigt, die Bürger trennen das nicht. Aber natürlich sind Landtagswahlkämpfe über Landtagsthemen zu führen und Bundestagswahlkämpfe über Bundestagsthemen. Wenn man zeitlich zusammen liegt, dann wird das ganz schwer sein, das auseinander zu halten. Wir sehen ja, dass die Entwicklung zumindest in den Umfragen einen deutlichen Aufstieg der SPD in den letzten Wochen ja praktisch hervorgerufen hat.
Aber auf der anderen Seite weiß man natürlich auch, wie latent das sein kann. Wenn man innerhalb von kurzer Zeit aufsteigen kann, kann man auch innerhalb von kurzer Zeit absteigen. Natürlich, die Reformen im Arbeitsmarktbereich, die sind nicht am 1. Januar 2005 verwirklicht, sondern die Programme müssen anlaufen. Die Menschen müssen merken, dass ihnen konkret geholfen wird. Und das braucht seine Zeit. Aber ich gehe davon aus, dass im Jahr 2006 viele dieser Reformen auch Wirkung zeigen. Und insofern glaube ich, dass es ein gutes Klima auch gibt, sowohl die erfolgreiche Arbeit der Bundesregierung fortzuführen, wie auch die erfolgreiche Arbeit der rot-roten-Koalition hier in Berlin.