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"Wozu noch Philosophie?"

Die Neurowissenschaften bezweifeln die Willensfreiheit, Moral wird auf biochemische Vorgänge zurückgeführt. Die Philosophie steht zunehmend gegenüber den Naturwissenschaften unter Rechtfertigungsdruck. Sie muss aus dem Elfenbeinturm der akademischen Forschung heraustreten, um ihre Unverzichtbarkeit öffentlich unter Beweis zu stellen. Dies haben Philosophen auf einer Tagung an der Universität in Bonn gefordert.

Von Inge Breuer | 27.11.2008
    "Die ethischen Fragen bilden einen großen Raum. Aber wenn sie an die Fragen der Gerechtigkeit, mit der Versorgung mit den Grundgütern der Medizin denken, dann sind die anders gelagert. Es geht dabei um Verteilungsgerechtigkeit, also um Fragen der Umschichtung von Mitteln. Und es muss natürlich auch um Fragen der Umsetzung der Menschenrechte gehen."

    "Wozu - noch - Philosophie?" hieß die Tagung, die von Montag bis Mittwoch dieser Woche an der Universität Bonn stattfand. Wozu noch Philosophie? - Das klingt nach Krise! In einer Zeit, in der die Erfolge der Naturwissenschaften philosophische Grübeleien überstrahlen, in der die Neurowissenschaften die Willensfreiheit bezweifeln und Moral auf biochemische Vorgänge zurückgeführt wird, steht Philosophie unter Rechtfertigungsdruck. Sie muss aus dem Elfenbeinturm der akademischen Forschung heraustreten, um so wie vormals Sokrates auf dem Markt ihre Unverzichtbarkeit öffentlich unter Beweis zu stellen. Findet auch Professor Theo Kobusch, Mitveranstalter der Bonner Tagung:

    "Die Philosophie ist zu bestimmter Zeit in den Elfenbeinturm gegangen und hat verzichtet, auf das öffentliche Leben einzuwirken. Ich glaube aber, dass das im Wandel begriffen ist, dass die Philosophie inzwischen begriffen hat, dass ihre Aufgabe inzwischen darin besteht. Das Logon didonai war immer ihre Aufgabe, das Rechenschaft geben. Und das kann nur vor dem Forum der Öffentlichkeit geschehen. Dass man auch in den Medien sich platzieren muss und Farbe bekennen muss - und nicht nur Bücher schreiben darf."

    Die Philosophie beschäftige sich vornehmlich mit drei Fragen, hieß es bei Immanuel Kant: Was kann ich wissen, also der Frage nach der Erkennbarkeit der Welt. Was darf ich hoffen - also der Frage nach Gott. Und: Was darf ich tun? - also der Frage nach dem richtigen, dem ethischen Handeln. Letztere Frage, meint Professor Theo Kobusch, ist heute in den Vordergrund getreten.

    "Was soll ich tun? - die Fragen aller Fragen derzeit, deswegen gibt es so viele Ethik-Kommissionen und die Ethik ist zur ersten Disziplin innerhalb der Philosophie geworden, das ist keine Frage. Aber die anderen Fragen, was kann ich hoffen, also die Frage der Religion ist wichtig geblieben, und was wir erkennen können, die Frage wird nie obsolet werden."

    Mittlerweile kann der Mensch mehr, als er verantworten kann. Je mehr er aber kann, desto mehr muss er über das nachdenken, was er tut. Die rasante Entwicklung von Natur- und Biowissenschaften nötigt zu einer Auseinandersetzung mit den Chancen, den Risiken und vor allem der moralischen Bewertung der Möglichkeiten, die sich damit auftun. Wann beginnt und wann endet menschliches Leben? Ist Natur ein Wert "an sich" oder darf man sie zum Instrument menschlicher Interessen machen? Wie wägt man Chancen und Risiken neuer Technologien gegeneinander ab?

    "Das Programm von Descartes, dass wir "Maître et possesseur de la nature" sind, haben wir längst durchgeführt und die sich daran anschließende Frage lautet prompt, ob wir denn auch mit der Natur alles machen dürfen, was wir können? Alsbald kommt dann auch der andere, die andere Kultur mit ins Spiel, die wir womöglich verletzen, wenn wir total die Meisterschaft über die Natur gewinnen wollen. In anderen Disziplinen ist das noch viel evidenter, die Fragen der Medizin sind per se auch ethische Fragen."

    Professor Volker Gerhard, Philosoph an der Humboldt-Universität, ist Mitglied im Nationalen Ethikrat sowie verschiedener Ethik-Kommissionen. Er begleitet die biopolitische Debatte um Stammzellenforschung oder Sterbehilfe mit moralphilosophischen Reflexionen. Aber nimmt die Politik solche Reflexionen wirklich zur Kenntnis - oder entscheidet sie am Ende doch nach jeweils parteipolitischen oder ökonomisch pragmatischen Kalkülen?

    "Meine Erfahrung ist, dass der Rat nicht nur gefragt wird, sondern dass er auch gehört wird. Und wenn ich jetzt mal den Erfolg der Empfehlungen des alten nationalen Ethikrates ansehe, dann ist er ganz offenkundig. Er hat sich in der Veränderung der Einstellung zur Stammzellenforschung gezeigt, das Importgesetz wäre damals nicht entstanden ohne die Empfehlung des Ethikrats. Auch zur Revision der Stichtagsregelung wäre es nicht gekommen ohne die Empfehlung des Ethikrats. Ich geh davon aus, dass es alsbald zu einem Gesetz über die Patientenverfügung kommt, auch da liegen Empfehlung des alten nationalen Ethikrates vor, und es gibt im Augenblick eine ganz starke Bewegung auf die Selbstbestimmung am Lebensende."

    Doch Volker Gerhard warnt vor einer Engführung der Philosophie auf bloß ethische Fragen. Fragen nach der Gerechtigkeit, nach universalen Werten, nach Menschenrechten machen die Philosophie zur Partnerin der Politik. Schließlich sei es der Philosophie in einigen Teilen der Erde ja sogar gelungen, die lange lediglich moralisch geforderten Grundwerte des Menschen in einklagbare Grundrechte zu transformieren - und sie in den politischen Verfassungen niederzulegen.

    "Mit den Fragen des Menschenrechts seiner Institutionalisierung, sind wir im Bereich der großen Fragen von Philosophie und Politik. Und wenn sie daran denken, dass Menschenrechtsfragen elementar sind auch im Umgang mit China, überhaupt dem Verhältnis Europas zu seinem östlichen Nachbarn, dann muss man sagen, ist die Philosophie zentral mit Aufgaben, gedanklich natürlich, beschäftigt, die für die Politik im Mittelpunkt stehen."

    Vor allem aber dürfe Philosophie, warnt Volker Gerhard, nicht allzu "modernistisch", allzu "zeitgeistig" sich gerieren. Zwar lässt sich ein reges Interesse an außerakademischer Philosophie verzeichnen, erklimmen philosophische Bücher Bestenlisten, gibt es ein philosophisches Quartett im Fernsehen. Und populärphilosophische Fragen nach dem Glück oder dem Sinn des Lebens haben ebenfalls Konjunktur. Dennoch: Philosophie dürfe nicht lediglich mediengerecht Stellung beziehen zu allem Brandaktuellen, Spektakulären oder Abseitigen.

    Die Aufgabe der Philosophie sei vielmehr, eine skeptische "Distanz zu allem Selbstverständlichen", allem scheinbar Offenbaren zu wahren. Querzudenken sozusagen, und Fragen und Problemstellungen der jeweiligen Zeit im Kontext einer Geschichte zu verstehen, die uns zu dem werden ließ, was wir heute sind.

    Weiterzufragen da, wo andere schon lange eine Antwort gefunden haben. Denn auch Sokrates, der Stammvater der Philosophie, begab sich zwar auf den Markt, um seine Argumente zu erproben - ein Marktschreier war er aber deshalb noch lange nicht.
    "Die Ansprüche, die an die Philosophie gestellt werden, sind oft Anspruche an die Tagesaktualität, sie hängen auch mit dem Modernitätsbewusstsein zusammen. Und da möchte man natürlich gern steile Thesen, etwas Unerhörtes, etwas Sensationelles etwas Alarmistisches. Und hier muss man allerdings nüchtern sagen, dass sich die Philosophie als Fach hier sehr zurückhalten sollte und sehen sollte, dass sie hier auch nicht reagieren muss. Sie braucht Augenmaß, sie braucht den Blick für die Gründe, sie muss größere Zusammenhänge deutlich machen."