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Wozu Weltethos? - Religion und Ethik in Zeiten der Globalisierung

Die Debatte über Globalisierung wird nicht nur politisch und ökonomisch geführt, sondern auch ethisch und theologisch. Der Tübinger Moraltheologe Hans Küng, dem der Papst 1979 die kirchliche Lehrbefugnis entzog, propagierte bereits 1990 sein Projekt Weltethos, das auf die Globalisierung sowohl ethisch als auch theologisch antwortet.

Hans-Martin Schönherr-Mann | 19.08.2002
    Gerade stellt Küng seine Thesen und seine Person in einem leicht lesbaren Interview-Band vor. Er wiederholt darin seine bekannte Kritik an der katholischen Kirche, speziell an der Vorherrschaft des Papsttums und plädiert für die Einheit der Christen. Er verweist auf sein jahrzehntelanges Engagement für den Dialog der Kulturen, das gerade nach dem 11. September 2001 neue Aktualität gewinnt.

    Ich habe die Feststellung gemacht, daß es seither viel leichter ist, über Weltethos zu reden. Früher haben Leute häufig, gerade Intellektuelle, etwas gemäkelt, ja ob das denn überhaupt so sei mit dem Dialog und wie das sei mit den Werten in den verschiedenen Religionen. Diese Tragöde von WTC und Pentagon hat vielen die Augen geöffnet, daß man tatsächlich nur die Alternative hat, daß letztlich entweder man spricht miteinander oder man schießt aufeinander. Und wenn man miteinander leben will, dann braucht es auch einige gemeinsame ethische Standards, also wenn ich dem anderen nicht vertrauen kann, wenn ich mich nicht auf seine Wahrhaftigkeit verlassen kann, wenn ich denke, der belügt mich ja ohnehin, dann ist auch kein Dialog möglich.

    Die Globalisierung erzwingt - so der Ausgangspunkt für Küngs Wethethos-Projekt - die Suche nach gemeinsamen ethischen Grundsätzen und Orientierungen, die die Globalisierung ethisch abfedern sollen. Küng entwickelt dabei seine Konzeption eines Weltethos aus den ethischen Gemeinsamkeiten nicht nur der großen Weltreligionen, sondern auch der philosophischen Traditionen heraus.

    Also wir brauchen und können auch aufweisen gemeinsame ethische Standards aus den großen philosophischen Traditionen, aus den großen religiösen Traditionen und das ist uns glücklicherweise neu bewußt geworden in einem Zeitalter, wo man nun ohnehin von Globalisierung spricht.

    Es geht dabei um die innere Grundhaltung des Einzelnen, um die konkreten Werte und Normen, denen er folgt, nicht um ein bestimmtes ethisches System, sei es das von Kant oder das des Aristoteles. Insofern fragt das Weltethos auch nicht primär nach der Wahrheit, sei es nun die wissenschaftliche oder die einer der Religionen. Weltethos sucht vielmehr nach der Praxis, nach dem richtigen Handeln.

    Selbstverständlich gibt es so etwas wie eine systemische Moral in unseren Institutionen und Konstitutionen, um das man etwas generell auszudrücken. Es ist natürlich eine Menge von Ethos investiert worden im Laufe der Jahrhunderte. Aber ich bin der Überzeugung, daß die Institutionen und Konstitutionen nicht funktionieren ohne die Moralität von Personen.

    Im globalen Kontext ist dazu zunächst Respekt vor dem anderen Menschen erforderlich, der wie man selbst auf seine Weise nach der Wahrheit sucht. In einer globalisierten Welt darf man Menschen anderer kultureller oder ethnischer Herkunft nicht mehr als Fremde, nicht mehr als Gefahr betrachten. Ausgehend vom Respekt wird man sie vielmehr als Bereicherung erfahren. --Natürlich ähnelt eine solche Konzeption eines Weltethos einer Art Minimalkonsens. Küng will mit dem Weltethos auch keine umstrittenen ethischen Fragen lösen, z. B. jene der Gentechnologie und des Embryonenschutzes. Hier endet denn auch ganz klar die ethische Reichweite seines Konzeptes. Küng mischt sich also in die wirklich heiß umstrittenen ethischen Fragestellungen gar nicht ein, also just dort wo ethische Vermittlung dringend nötig wäre. Statt dessen soll das Weltethos einen ethischen Rahmen zur Verfügung stellen, um die Entwicklungen der Globalisierung ethisch zu zähmen. Ob sich beides so auseinander halten läßt, das kann man auch bezweifeln.

    Höhepunkt von Küngs Arbeit am Weltethos war sein Entwurf für die Erklärung zum Weltethos des Parlaments der Weltreligionen 1993 in Chicago, die im vorliegenden Band mit abgedruckt ist. Diese Erklärung enthält zwei Grundprinzipien, nämlich daß es keine neue Weltordnung ohne ein Weltethos geben kann, und daß alle Menschen menschlich behandelt werden müssen. Weitere Weisungen fordern Gewaltlosigkeit, Ehrfurcht vor dem Leben, soziale Gerechtigkeit, Toleranz, Wahrhaftigkeit und Gleichberechtigung von Mann und Frau. --Küng erhofft sich davon einen gewissen ethischen Einfluß auf die Chefetagen in Politik und Wirtschaft. Denn der Sinn des Weltethos ist primär politisch. Küng will dazu beitragen, den Primat der Politik wiederherzustellen, den diese an die Wirtschaft beinahe verloren zu haben scheint.

    Es ist eine ganz große Gefahr, daß wir heute einen Ökonomismus betreiben, (. .) daß es dann einfach wirklich nur noch ums Geld geht, um Profit geht. Ich bin wahrhaftig nicht ein Idealist, der sagt, wir müssen auf das nicht Rücksicht nehmen. Selbstverständlich jeder Mensch braucht Geld, jeder Betrieb muß Gewinn machen. Das ist alles unbestritten. Aber es darf doch das nicht einfach der oberste Wert sein. (. .) Es muß der Politik auch da in der Tat eine gewisse Handlungsfreiheit entweder zurückgegeben werden oder auch einfach mal genützt werden.

    Das Weltethos verknüpft Küng in der Politik eng mit den Menschenrechten. Noch bevor 1997 das InterAction Council, ein Club von ehemaligen Staats- und Regierungschefs, die Menschenpflichten propagierte - Küng erarbeitete die Formulierung -, verwies er als einer der ersten darauf, daß zu den Menschenrechten auch Pflichten gehören, die der einzelne zu beachten habe.

    Andererseits braucht der Dialog der Zivilisationen - eine Konzeption an der Küng im Auftrag von Kofi Annan mitarbeitet - ein verändertes Verständnis von Politik, die sich nicht mehr im Sinne Carl Schmitts durch den Feind bestimmen darf. Niemals Kriege, sondern nur Frieden und wirtschaftliche Zusammenarbeit haben die soziale Wohlfahrt gefördert.

    Wir haben immerhin mit Deutschland und Frankreich angefangen in Europa ja sogar in der ganzen OECD-Welt von der ostdeutschen Grenze bis nach Japan fast 50 Jahre Frieden, weil wir eine andere Mentalität haben, nicht mehr Revanche, nicht mehr ein Feindbild nicht mehr wie das vorher ständig üblich war aufeinander einzuschlagen, (. .) Wenn ich einen Feind habe, dann versuche ich den zu liquidieren. . . . Was wir heute brauchen sind Partner, sind unter Umständen Kontrahenten, man braucht Opponenten, aber nicht Feinde.

    Insofern - und das ist wohl das wichtigste Verdienst der Konzeption Weltethos - trägt es zu einer Veränderung des Politikverständnisses bei: Es hilft jene Ideen der beiden letzten Jahrhunderte zu verabschieden, die Politik noch primär ideologisch und nicht pragmatisch kooperativ entwarfen.

    Ich gehe sogar im Projekt Weltethos davon aus, daß die Fortschrittsideologien des Westens wie des Ostens, die revolutionäre wie die evolutionäre praktisch abgewirtschaftet haben. Heute glaubt im Westen auch niemand mehr daran, daß es immer alles besser wird.(. .) Wir können nicht mehr an eine Partei glauben, an einen Führer glauben, auch nicht an einen religiösen Führer glauben. Wir brauchen natürlich die Verfassung. Aber man hat mit Recht festgestellt, gerade Juristen wie Böckenförde haben ja das herausgestellt, daß auch der Rechtsstaat Voraussetzungen ethischer Art machen muß, für die er selber nicht garantieren kann. Also das, was wir in der Weltethoserklärung von Chicago drin hatten, muß imgrunde schon einigermaßen funktionieren, wenn wir nicht Zustände haben wollen, wie wir sie zum Teil in gewissen Bereichen der Welt haben, wo faktisch die gesamte staatliche Ordnung zusammengebrochen ist.