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Wuchtige Lyrik

Tomaz Salamun, 1941 in Zagreb geboren, wird von jungen Dichtern nicht nur in Slowenien, sondern auch in den USA und in Polen viel rezipiert. Der sorgsam übersetzte zweisprachige Band "Rudert! Rudert" überzeugt mit Lyrik, die aus dem Alltag, aus Lieben, Freundschaften und der eigenen Geschichte schöpft.

Von Anja Kampmann | 12.02.2013
    "Wir haben noch nicht alle von den / weißen Fichten trinken lassen und betrunken gemacht",

    heißt es in Tomaž Šalamuns Gedichtband "Rudert, Rudert!", der nun in deutscher Übersetzung erschienen ist. Der Wunsch, den Leser "trunken" zu machen, markiert nach über vierzig Jahren die unaufhaltsame Bewegung einer Sprache, die Šalamun selbst als vollständig intuitiv bezeichnet. In frühen Jahren orientiert sich Šalamun an slowenischen Dichtern wie Dane Zajc, Vasco Popa oder auch an Baudelaire, befragt als Mitherausgeber der Zeitschrift "Perspektive" kritisch die Dichtungen und Philosophien der Moderne und sucht dann den Kontakt zu amerikanischen Dichtern wie dem damals noch jungen John Ashbery. Diese wiederum zeigen sich fasziniert von dem freien, fast rebellischen zu nennenden Stil von Šalamuns ersten Gedichten aus dem Band "Poker" (1966).

    Salamun Track: "Ich arbeite vollkommen intuitiv. Als ich jünger war, habe ich eine Menge Theorien gelesen, auch in den späten 60ern. Ich bin auf eine Weise frankophon erzogen worden und habe immer erwartet, dass ich dadurch aus diesem slowenischen Ghetto ausbrechen könnte, aus diesem kleinen Land, eben durch Frankreich. Barthes und der junge Derrida beeinflussten mich, aber das war auch ein ungemeiner Druck. Als ich 1971 nach Amerika kam dachte ich, ja, das ist Freiheit, vergiss die Theorien."

    In Šalamuns Dichtung werden Zeitebenen und unzugehörige Wortfelder zusammengebracht, ohne einen Anspruch auf Kohärenz. Die Leichtigkeit, die oft mit viel Humor einhergeht, offenbart jedoch an vielen Stellen eine Abgründigkeit, die sich oft in einfachen Sätzen spiegelt. So heißt es etwa in "Gedächtnis":

    "Ich habe im Tal einen Damm gebaut.
    Ich warte auf den Fall der Säulen. Das Tal wird
    geflutet werden. Wir wissen nur noch nicht, wann. Hier ist
    die Straße auf der chinesischen Mauer. Von hier aus
    fliegen Vögel aus dem Unkraut auf. Menschliche Seelen
    sind Erdbeeren. Sie überdauern ihr Verbrennen."


    Aus den weit entfernt liegenden Bildelementen entfaltet sich oft eine ungewöhnliche Kraft; dabei spielen Erinnerungsprozesse eine große Rolle, der Dichter schöpft aus Alltagsmaterial, Freundschaften, Lieben, und der eigenen Geschichte. Wegen der Veröffentlichung seiner ersten Gedichte 1964 wurde Šalamun inhaftiert, Mitte der 70er-Jahre fand er aus politischen Gründen keine Anstellung. Aber auch, nachdem er mit dem Gedichtband "Ballade für Metka Krasovec" international anerkannt und durch zahlreiche Veröffentlichungen etabliert schien, ließen ihn die politischen Entwicklungen in Bosnien sein dichterisches Tun noch einmal radikal hinterfragen:

    "Ich habe von 1989 bis 1994 überhaupt nicht geschrieben, ich lebte in totaler Angst vor der Dichtung und fühlte mich schuldig wegen meiner furchtbaren Sprache. Meine Sprache ist wild, manchmal absolut gewalttätig, und viele entsetzliche Dinge geschehen in meinen Gedichten. Es war die Zeit des Balkankrieges und Karadžiæ war einer von den jungen bosnischen Dichtern. Ich wurde in den 80er-Jahren in Jugoslawien als ein Kopf der jugoslawischen Avantgarde angesehen und Josip Osti hatte mich mehrfach zu dem Poesiefestival nach Sarajevo eingeladen. Und Karadžiæ war auch da. Er war ein sehr untalentierter Dichter - aber ich dachte - oh- vielleicht bin ich schuldig, ich bin ein Teil dieser furchtbaren Geschehnisse, die jetzt stattfinden. Also war ich absolut still, ich war einfach verstummt."

    Motive wie Soldaten, Lager und Krieg tauchen auch in "Rudert, Rudert!" wiederholt und oft unerwartet auf. "Kalte graue Augen können die Küste über Nacht / mit Beton beziehen", heißt es in einer Anspielung auf den damaligen diktatorischen Präsidenten Josip Broz Tito. Aber vor allem die Liebe bleibt in "Rudert! Rudert!" ein wichtiges Motiv. "Wie gefährlich liebe ich dich", heißt es da; was dem Leser begegnet, ist eine nicht zu beherrschende Empfindung - das einzige Wort, das im Original auf deutsch zu lesen ist. Der Kampf um die Liebe kann bei Šalamun zärtlich sein, Körper laugen einander aus, und das Gefühl kann abhängig machen. "Jetzt bin ich dein Stein. Und angeschmiedet." Auch der Vortrag seiner Gedichte spiegelt die große Intensität dieses Empfindens.

    In "Rudert, Rudert!" sind Gedichte versammelt, an deren Übersetzung Šalamun bereits 1997 mit dem Dichter Bob Herman zu arbeiten begann. Darin ist eine sprachliche Wucht zu erkennen, vor der Šalamun selbst bisweilen erschreckt:

    "Ich glaube, inzwischen ist meine Arbeitsweise vollkommen verrückt geworden. Ich versuche etwas zu greifen, was als Bild oder als Ton zu mir kommt, noch bevor es überhaupt eine Form hat, also vor dem Bild, vor dem Wissen, und vor jedem Sinn. Es ist wie ein Reisen zu einem vor- vor-historischen, -bewussten und vorsprachlichen Ort."

    Die Sprache, die den Leser in "Rudert, Rudert!" trunken machen soll, markiert eine Bewegung der Befreiung, die zum Teil auch biografisch begründet ist. Seit seinem fünften Lebensjahr spielte Šalamun exzessiv Klavier. Doch mit den überhöhten Erwartungen an das "Wunderkind", konnte er erst brechen, als er sich als Zwölfjähriger für das Rudern entschied und das Klavierspiel ganz aufgab. Der Gedichtband ist durchzogen von direkten Ansprachen an den Leser, der teilhaben soll an einer Bewegung eines Aufbruchs, die auch in dem Gedicht "Tromba" umschrieben ist:

    "Es war nicht einfach, mir vorzustellen,
    wie Seemänner sich hier herunterstießen, wo es doch nichts gibt
    wovon man sich herunterstoßen kann. Steine sind künstlich.
    Molen sind gemacht. "


    Die Befreiung, die mit dem "Abstoßen" gemeint sein kann, erfährt der Leser im Zusammenbruch all seiner Erwartungen an einen logischen "Sinn". Wir lernen, uns in der Sprache abzustoßen, in der Šalamun selbst seit 40 Jahren um "Liebe kämpft" und "Sterne schmiedet". Dass darin Kriege vorkommen, Liebe und Verluste, enthebt die Gedichte Šalamuns vom Verdacht artistischer Wortklauberei. Er entlässt den Leser, der gewillt ist sich darauf einzulassen, in eine ihm eigene Welt von emotionaler Zerrissenheit, und einer fast zärtlichen Ironie:

    "Habt ihr jemals der See eine Insel entrissen? Und wirklich
    das Geräusch des Wassers gehört, der Leere entgegenstürzend?
    Habt ihr jemals ein Nebelchen in der eigenen Hand beschützt?"


    Das ganze Buch zu übersetzen, schreibt Monika Rinck in ihrem Nachwort, sei eine Entscheidung gewesen, "von der Art, wie sie Wanderer mit dem Leben bezahlen". Mit großer Genauigkeit taucht sie zusammen mit Gregor Podlogar in den Šalamunschen Sprachkosmos ein. Die beiden Übersetzer geben Wortkreationen wie "Bergflundern" und "Elefantenklappen" einen lebendigen Raum. In der zweisprachigen, sorgfältig gesetzten Ausgabe lassen sich die Übersetzungen klar nachvollziehen. Die Gedichte von Tomaz Šalamun erschließen sich bei jedem Lesen auf neue Weise - sie beschenken den, der bereit ist, sich seiner gewohnten Logik zu widersetzen mit bisweilen sehr zarten Bildern - Sprache wird hier aber auch zu einem grausam bewegten Spiegel. Gerade das nahe beieinander dieser Erfahrungsebenen macht "Rudert, Rudert!" so kostbar.

    Tomaž Šalamun: "Rudert! Rudert!"
    Gedichte, zweisprachig, Übersetzt von Gregor Podlogar und Monika Rinck
    Edition Korrespondenzen, Wien, 160 Seiten, 21 Euro