" Wenn es anfängt zu regnen wird sich hier in ein, zwei Wochen alles verändern. Hinunter in Richtung Mauretanien hat man weite Felder. Wenn du dann im Auto bist, sieht es aus, als sei alles grün. Und der Sand ist so weiß wie Schnee." "
Bei dem Besuch im Winter in Dakhla, der südlichsten Stadt der Westsahara, hatte ich ihn getroffen. Er saß an der Bar des einzigen komfortablen Hotels der Stadt auf der Dachterrasse und sprach fließend Deutsch. Ein etwas mysteriöser Brite, der auch in Norddeutschland gewohnt hatte. So undurchsichtig oder irritierend wie manch ein Ausländer hier in der Dreiländerwüste Marokko-Algerien-Mauretanien. Manch einer kommt Monate lang hierher und bis nach Mauretanien hinunter, die Grenze ist 400 km weit. Nennen wir die Bekanntschaft einmal Rick, denn er liebt den Vergleich der Bar an der Terrasse mit dem Café-Restaurant des Filmes "Casablanca". 60 Jahre nach diesem Film, so sagt er, sei diese Bar hier oben auch so ein Ort der Suchenden und vielleicht sogar Gestrandeten, von Geschäftemachern, Schmugglern, möglichen Geheimdienstlern und wirklichen Business-Menschen. Denn Dakhla hat begonnen sich zu verändern. Heute noch ist eine das vermoderte riesige Schwimmbad einer spanischen Kolonialvilla unten am Platz die Attraktion - die Villa Francos, des spanischen Diktators. Morgen überragen neue Hotels und Infrastruktur die alten Erinnerungen an die spanische Kolonialzeit. Die Lagune von Dakhla ist ein paradiesischer Ort, der jetzt vom Tourismus entdeckt wird.
Unser sogenannter Rick ist überall in Dakhla als der Mann mit dem roten Jeep und dem deutschen Kennzeichen bekannt. Wir fahren hinaus an die Markierung PK 25, Kilometer 25 an der Lagune, vom Meer aus gerechnet. Das ist fast an ihrem Ende, und so orientiert sich hier alles und jeder an dieser Bay. Wir fahren durch steiniges Gelände, Rick zeigt auf Steinhäufchen etwas weiter rechts und links des von ihm sicher gewählten Weges. Die Steine markieren wo Landminen liegen, und es sind nicht nur vereinzelte, die ganze Region ist außerhalb der Städte übersäht von diesen Überbleibseln aus dem Krieg zwischen der Polisario und Marokko bis 1991. Die Leute hier haben sich daran gewöhnt, sie zu umgehen und zu umfahren. Am Ende der Piste winkt nämlich ein Traum von Naturschauspiel.
"Sollen wir los?"
In der Westsahara treffen sich die drei Unendlichkeiten der Natur, das Meer und seine Gezeiten, der Himmel und die Wüste - endlos. Hier, am Ende der Lagune erwartet uns eine Heerschar von Flamingos. Im Wasser draußen, sagt Rick, tauchen immer wieder Delphine auf. Und dann soll ich die Augen schließen, nachdem wir den Jeep weit hinter uns gelassen haben. Wir erreichen die Höhe einer Düne - DER weißen Düne von Dakhla. Ich öffne die Augen: Ein Bild ohne Vergleich. Unter mir, in 15-20 m Tiefe rundet sich, öffnet sich die Düne weit zum Wasser der Lagune, das Weiß des Sandes knallt auf ein Grünblau, eine Türkisfarbe ohne Gleichen.
Rick fährt mich an ein zehn Minuten weiter an der Lagune entlang in ein Zeltdorf. Die braunen, dicken Leinen Zelte der Nomaden. Es gibt Tee. Wir sind in "Dakhla Attitude", das war vor Jahresfrist noch der einzige Internet-Eintrag neben dem Hotel mit der Dachterrasse und der Bar. Ein Club für Kite-Surfing und Wassersport aller Art, aber vor allem Entspannung und Ruhe sondergleichen. Einige Individual-Reisende sind aus Brüssel, Paris und Casablanca angereist. Der junge Marokkaner Mohamed liest buddhistische Literatur und Philosophie am Strand. Er war ein paar Monate zuvor in Indien und schreibt an einem Buch über die Gemeinsamkeiten zwischen seiner islamischen Religion und dem Buddhismus - der Sufi-Philosophie. "Be Zen und Muslim", heißt es, Zen und Sufismus sind für ihn vergleichbar. Für Muslime normaler Weise eine unvorstellbare Blasphemie.
" Eine phantastische Landschaft, auch wenn man gar keinen Sport macht, diese Stille, die Wellen und die Fische, die du darin durch schimmern siehst. Selbst wir Marokkaner kennen das nicht, vier Flugstunden von Casablanca und fünf von Paris um ein völlig unbekanntes Urlaubsziel zu entdecken. Das sollte man vor allem nicht zu sehr entwickeln. Wenn du das siehst, die Geologie hier, Fossile, archäologisch gesehen, und wenn dann der Tourismus sich entwickelt, dann droht diese Gegend überlaufen zu werden. Das ist noch Urlaub in der Natur, völlig unberührt, Camping, Miteinander und überhaupt nicht kommerziell. Das ist der Geist von Dakhla. "
Der Club heißt deshalb auch "Attitude", das bedeutet eine "Haltung", ein Verhalten. Auch Rick überlegt sich wie so mancher Hiesige, wie man die Waage zu halten vermag zwischen dem Erhalt der Exklusivität und den notwendigen Einnahmen. Aber sein Geheimnis umwobenes Verhalten seinerseits erlaubt ihm nicht vor dem Mikrofon zu reden. Nächste Station ist die Schwefelquelle 8 km weiter. Auf einem Steinblock vor einer Betonhütte stehen drei Duschen.
Warmes stark schwefelhaltiges Wasser ergießt sich daraus und über die Steine hinaus in einen kleines Terrain im Sand. Über 50-60 m ist mit der Zeit eine kleine grüne Oase entstanden. Hier wird kurzfristig ein Hotel mit Thalasso-Therapie gebaut. Die Entwicklung der Region steht im ehrgeizigen Tourismus-Plan Marokkos, dem ehrgeizigen Projekt mit dem Ziel 10 Millionen Touristen bis 2010 ins Land zu holen. Und das gilt eben auch in die Westsahara, die nach internationalem Recht gesehen, immer noch und nur von Marokko als besetzt gilt.
In diesen Tagen und Monaten begeben sich die Befreiungsbewegung Polisario und Marokko wohl erstmals in - noch recht geheime - Verhandlungen, um endlich und nach fast 25 Jahren zu einer Lösung in einem der weltweit am längsten schwelenden Regionalkonfliktes zu kommen. Und das ist von Bedeutung für ganz Nordafrika und - wie so oft - steht auch dahinter die Spekulation über Erdöl, das womöglich doch noch landeinwärts in der Wüste oder zumindest vor der Küste abzuschöpfen sein mag.
Zurück im Hotel lässt sich eine ganz andere - auch wieder geheime - Aktivität als eine touristische beobachten: Das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR führt regelmäßig seit Jahren Besuchsprogramme für die Sahraouis, die wirklich einheimische Bevölkerung durch. Dies sind je nach politischer Einschätzung zwischen 180.000 und 250.000 Personen zu beiden Seiten. Die einen leben auf marokkanischer und die anderen vegetieren förmlich in Flüchtlingslagern auf algerischer Seite dahin: in Tindouf, wo auch die Polisario ihren Stützpunkt hat. Ansonsten haben sich viele Marokkaner aus dem Norden angesiedelt - begünstigt durch staatliche Programme und Subventionen
Die Austauschprogramme erlauben es Familienmitgliedern, sich nach Jahrzehnten wiederzusehen. Zweimal in der Woche landen hier in Dakhla die beigefarbenen Maschinen der UNO mit Sahraouis aus Tindouf, um nach vielen Jahrzehnten ihre Verwandten wieder zu sehen. Es spielen sich immer wieder, alle paar Monate für eine Woche lang, am frühen Morgen im kleinen Flughafengebäude - abgeschirmt von der UNO - rührende Szenen ab. Dieselben Maschinen fliegen am Nachmittag im Gegenzug nach Tindouf die Leute aus Dakhla zum Besuch. Die sehr diskrete, unnahbare indische Leiterin der UNHCR-Gruppe ist wie ihre acht Kollegen im Hotel stationiert und an Souveränität in ihrem Job kaum zu überbieten ...
Nicht zu übersehen sind auch in Dakhla ein Teil der 7000 internationalen Soldaten und Offiziere der MINURSO, der UNO-Truppen, deren Präsenz zum x-ten Male für ein halbes Jahr bis Ende Oktober verlängert wurde. Eigentlich waren sie einmal gekommen, vor vielen Jahren, Anfang der 90er Jahre, um die Durchführung eines Referendums über die Zugehörigkeit zu Marokko oder Unabhängigkeit unter der Sahraoui-Bevölkerung zu überwachen. Das führt die Truppe auch so in ihrem Namen, mit ihrer Herkunft zumeist aus arabischen und afrikanischen Staaten. Niemand - erzählt ein französischer Militärbeobachter "off the record" im Taxi - fast niemand scheint in der Westsahara ein Ende dieses unmerklichen und scheinbar unendlichen Konflikts befördern zu wollen. Alle, mit Ausnahme der Flüchtlinge in Tindouf, auch die UNO-Militärs haben sich hier gewissermaßen eingerichtet. Oder, sollte sich in diesem Jahr 2007 doch endlich eine Veränderung abzeichnen?
Die Kultur der Sahraouis, heißt Hassani, wie auch ihre Sprache und ihre Musik. Es ist eine uralte Berberpopulation aus vorislamischer Zeit. In religiöser Hinsicht hat hier der mystische Sufismus starke Wurzeln. Es ist das Ende der Welt gewesen für die Suchenden und Heiligen, für die Mystiker des Islam, an dem sie hier vor dem Atlantik zur Ruhe kamen. Die großen Cheiks und Fürsten der 25 Stämme der Sahrouis führen diese Tradition fort und haben bis heute die wichtigste, auch politische Rolle in der Bevölkerung behalten. Weiten, beigefarbenen Gewänder sind ihre Insignien.
Die Frauen tragen traditioneller Weise ihre Melhfas, ebenfalls Ganzkörpertücher, die aber nicht ganz das Haupt verschließen und die Haare durchaus nicht verbergen. Oft werden die Kopfteile auch einmal verführerisch fallen gelassen. Die Sahraoui-Frauen unterscheiden sich gerne und deutlich in der Anpassung an den Trend zu traditionellen und neuen, immer häufiger zu sehenden islamischen Schleierordnung der marokkanischen Frauen. Sie unterscheiden sich auch in ihrer Rolle in Familie und Gesellschaft durch eine sogar traditionelle, grundsätzliche Gleichstellung - wenn dies auch nicht mit unseren Maßstäben gemessen werden soll. In der regionalen Radio- und Fernsehstation arbeiten heute mehr junge Frauen als Männer.
In Dakhla ist es aber durchaus möglich zu erleben, dass eine Frau am Abend allein durch die Straßen nach Hause geht. Das wäre im Norden, in Rabat oder Casablanca fast unmöglich oder anrüchig. Zahlreich sind die jungen sahraouischen Frauen unter den Studenten im Norden Marokkos vertreten. Im Straßenbild der großen Städte und an den Universitäten setzten sie mit ihren Melhfas farbige Akzente. Der Bildungsstandard unter den Sahraouis ist hoch, hat doch die Regierung in Rabat über die Jahrzehnte viele Milliarden an Subventionen in die sogenannten Südprovinzen gepumpt. Die jungen Sahraouis flogen über mehrere Generationen zu Low-cost-Preisen und studierten auf Staatskosten. Ihr Selbstbild ist geprägt von dieser Sonderbehandlung und ihr Stolz ist groß. Das bedeutet aber nicht, dass sie sich angepasst hätten und ihr Streben nach Unabhängigkeit ist groß. Sie wissen, was sie an Marokko haben und sie sind doch ganz eigen und empfinden sich als ein eigenes Volk. Dem wollen König Mohamed VI. und die Regierung mit einem zukünftigen weitgehenden Autonomie-Status Rechnung tragen. Und da orientiert man sich gern in der Argumentation am deutschen Föderalismus.
Die Friedlichkeit in den Straßen Dakhlas ist auch geprägt von der seit 24 Jahren andauernden Militärpräsenz der Marokkaner. Insgesamt sind 40.000 Soldaten hier im Süden, 400 km vor der mauretanischen Grenze stationiert. Nur weiter oben im Norden, in der Hauptstadt Laayoune, kommt es immer noch und immer wieder zu vereinzelten Ausschreitungen. Wenn man aus Dakhla in Richtung Meer hinausfährt sind auch Elendsviertel zu sehen. Hinter den in Marokko an den Ausfallstraßen üblichen Feldern voll von schwarzen Plastiktütenresten, reiht sich ein großes Zeltlager von Fischern an das andere. Hinter dem alten Hafen liegt die Investitionsruine eines neuen Hafens. Unbegreiflich, wenn man nicht wüsste, was die Korruption in der Lage ist anzurichten, denn der Atlantik ist hier ein Fischparadies. Die Schwärme sind endlos und der alte Hafen zu klein für diesen "Goldrausch", den hier die Großfischerei feiert. Schwimmende gigantische Fischfabriken aus aller Herren Länder liegen draußen vor der Küste. Was ist toll an Dakhla?
Patschkowski: "Die Lagune, das Baden, die Delphine kommen... Die Fische sind hier ja nur kleine, aber groß am Atlantik."
Herr und Frau Traute und Joachim Patschkowski aus der Lüneburger Heide kommen seit 17 Jahren nach Marokko und doch vielleicht einige Jahre später erst bis nach Dakhla, mit einem Wohnmobil. Denn bis 1991 herrschte in der Westsahara noch Krieg. Es sind mitunter 15-20 Deutsche Rentner-Ehepaare, inzwischen auch der Nachbar aus Gifhorn. Sie stehen ungefragt auf Plätzen am Meer als Dauerparker und richten sich Jahr für Jahr erneut ein. Wenn es auch in Portugal im November kalt wird und im Dezember auch in Agadir zu kühl, dann fahren sie noch einmal 1200 km südwärts bis hierher. Jetzt gerade, im Mai wurde erst ein nicht enden wollender Rückkehrer-Konvoi aus Deutschland auf der Durchfahrt in Casablanca gesichtet.
" Vor 17 Jahren sind wir das erste Mal hierher gefahren, sind aber nicht die einzigen gewesen. Ich habe mich damals gründlich vorbereitet, war aber erstaunt schon an der Fähre, wie viele Reisemobile aus Deutschland da waren. "
Sie sparen hier ja Geld, können so Ihre Rente aufbessern.
" Ich will eingestehen, dass man hier besser wegkommt, Sie zahlen 1 Dirham, 10 Cent für 1 Baguette, dafür kriegt man gerade mal ein Brötchen bei Lidl, wenn man Glück hat. Dann haben wir hier immer frisches Gemüse, Obst, für 4-5 MAD, fürs Kilo Mandarinen "
Die 1000 Liter Trinkwasser holen sich die Patschkowkis für sage und schreibe 11 Dirhams bei einem Tankwagen, der vorbeigefahren kommt. Am Rande der Wüste, in einem Land größter Wasserknappheit, das seit 25 Jahren unter Trockenheit leidet - auch wenn der Klimawandel in den letzten Jahren Kapriolen schlagen mag. Kein Bewusstsein für den Aufenthalt in einer Konfliktzone, keine Ahnung, dass hier Sahraouis leben - Herr Patschkowski nennt sie kurzerhand Berber, was historisch gesehen ja dann auch stimmt. Aber dass es bis 1991 hier Krieg gab?
" "Wir fahren seit 1987 hierher und seitdem gehört die Westsahara zu Marokko", "
sagt Herr Patschkowski entschieden. Das bedeutet aber auch die Minenfelder draußen vor der Stadt nicht zu kennen und jedwede Vorstellung einer Selbstgefährdung ohne sorgsame Betreuung durch einheimische und Tourist-Guides. Von Fahrten durch die Westsahara rät das auswärtige Amt grundsätzlich immer noch ab - soweit zur offiziellen Reiseempfehlung der Bundesregierung.
Mittlerweile ist eine Investitionslawine über die atlantische Sahara und besonders das - insgesamt - so recht friedliche Dakhla im Süden hereingefallen. Ein deutscher Babykosthersteller hat in unserem Vier-Sterne-Hotel schon vor Jahren den Vorreiter gespielt und sein Betriebsfest hier ausgerichtet. Da waren es in Dakhla noch 160 Zimmer, davon 60 mit Komfort.
Unser geheimer britischer Begleiter hat sich mittlerweile mit seiner Lebensgefährtin ein Haus an der Lagune gebaut. 25 Angeln hat er in einem Zimmer hängen und bietet mit dem Hotelbesitzer Youness Hochseeangeln als besondere Touristenattraktion an. Herr Patschkowski aus der Lüneburger Heide angelt derweil dicke Fische von der Küste aus - und verkauft sie den Einheimischen auf dem Markt, soweit er sie nicht selber isst. Das Angeln wird ihm nicht schwer gemacht: die Fischschwärme färben vor Dakhla direkt am Strand das Meer in großen Flecken in grau und schwarz.
Bei dem Besuch im Winter in Dakhla, der südlichsten Stadt der Westsahara, hatte ich ihn getroffen. Er saß an der Bar des einzigen komfortablen Hotels der Stadt auf der Dachterrasse und sprach fließend Deutsch. Ein etwas mysteriöser Brite, der auch in Norddeutschland gewohnt hatte. So undurchsichtig oder irritierend wie manch ein Ausländer hier in der Dreiländerwüste Marokko-Algerien-Mauretanien. Manch einer kommt Monate lang hierher und bis nach Mauretanien hinunter, die Grenze ist 400 km weit. Nennen wir die Bekanntschaft einmal Rick, denn er liebt den Vergleich der Bar an der Terrasse mit dem Café-Restaurant des Filmes "Casablanca". 60 Jahre nach diesem Film, so sagt er, sei diese Bar hier oben auch so ein Ort der Suchenden und vielleicht sogar Gestrandeten, von Geschäftemachern, Schmugglern, möglichen Geheimdienstlern und wirklichen Business-Menschen. Denn Dakhla hat begonnen sich zu verändern. Heute noch ist eine das vermoderte riesige Schwimmbad einer spanischen Kolonialvilla unten am Platz die Attraktion - die Villa Francos, des spanischen Diktators. Morgen überragen neue Hotels und Infrastruktur die alten Erinnerungen an die spanische Kolonialzeit. Die Lagune von Dakhla ist ein paradiesischer Ort, der jetzt vom Tourismus entdeckt wird.
Unser sogenannter Rick ist überall in Dakhla als der Mann mit dem roten Jeep und dem deutschen Kennzeichen bekannt. Wir fahren hinaus an die Markierung PK 25, Kilometer 25 an der Lagune, vom Meer aus gerechnet. Das ist fast an ihrem Ende, und so orientiert sich hier alles und jeder an dieser Bay. Wir fahren durch steiniges Gelände, Rick zeigt auf Steinhäufchen etwas weiter rechts und links des von ihm sicher gewählten Weges. Die Steine markieren wo Landminen liegen, und es sind nicht nur vereinzelte, die ganze Region ist außerhalb der Städte übersäht von diesen Überbleibseln aus dem Krieg zwischen der Polisario und Marokko bis 1991. Die Leute hier haben sich daran gewöhnt, sie zu umgehen und zu umfahren. Am Ende der Piste winkt nämlich ein Traum von Naturschauspiel.
"Sollen wir los?"
In der Westsahara treffen sich die drei Unendlichkeiten der Natur, das Meer und seine Gezeiten, der Himmel und die Wüste - endlos. Hier, am Ende der Lagune erwartet uns eine Heerschar von Flamingos. Im Wasser draußen, sagt Rick, tauchen immer wieder Delphine auf. Und dann soll ich die Augen schließen, nachdem wir den Jeep weit hinter uns gelassen haben. Wir erreichen die Höhe einer Düne - DER weißen Düne von Dakhla. Ich öffne die Augen: Ein Bild ohne Vergleich. Unter mir, in 15-20 m Tiefe rundet sich, öffnet sich die Düne weit zum Wasser der Lagune, das Weiß des Sandes knallt auf ein Grünblau, eine Türkisfarbe ohne Gleichen.
Rick fährt mich an ein zehn Minuten weiter an der Lagune entlang in ein Zeltdorf. Die braunen, dicken Leinen Zelte der Nomaden. Es gibt Tee. Wir sind in "Dakhla Attitude", das war vor Jahresfrist noch der einzige Internet-Eintrag neben dem Hotel mit der Dachterrasse und der Bar. Ein Club für Kite-Surfing und Wassersport aller Art, aber vor allem Entspannung und Ruhe sondergleichen. Einige Individual-Reisende sind aus Brüssel, Paris und Casablanca angereist. Der junge Marokkaner Mohamed liest buddhistische Literatur und Philosophie am Strand. Er war ein paar Monate zuvor in Indien und schreibt an einem Buch über die Gemeinsamkeiten zwischen seiner islamischen Religion und dem Buddhismus - der Sufi-Philosophie. "Be Zen und Muslim", heißt es, Zen und Sufismus sind für ihn vergleichbar. Für Muslime normaler Weise eine unvorstellbare Blasphemie.
" Eine phantastische Landschaft, auch wenn man gar keinen Sport macht, diese Stille, die Wellen und die Fische, die du darin durch schimmern siehst. Selbst wir Marokkaner kennen das nicht, vier Flugstunden von Casablanca und fünf von Paris um ein völlig unbekanntes Urlaubsziel zu entdecken. Das sollte man vor allem nicht zu sehr entwickeln. Wenn du das siehst, die Geologie hier, Fossile, archäologisch gesehen, und wenn dann der Tourismus sich entwickelt, dann droht diese Gegend überlaufen zu werden. Das ist noch Urlaub in der Natur, völlig unberührt, Camping, Miteinander und überhaupt nicht kommerziell. Das ist der Geist von Dakhla. "
Der Club heißt deshalb auch "Attitude", das bedeutet eine "Haltung", ein Verhalten. Auch Rick überlegt sich wie so mancher Hiesige, wie man die Waage zu halten vermag zwischen dem Erhalt der Exklusivität und den notwendigen Einnahmen. Aber sein Geheimnis umwobenes Verhalten seinerseits erlaubt ihm nicht vor dem Mikrofon zu reden. Nächste Station ist die Schwefelquelle 8 km weiter. Auf einem Steinblock vor einer Betonhütte stehen drei Duschen.
Warmes stark schwefelhaltiges Wasser ergießt sich daraus und über die Steine hinaus in einen kleines Terrain im Sand. Über 50-60 m ist mit der Zeit eine kleine grüne Oase entstanden. Hier wird kurzfristig ein Hotel mit Thalasso-Therapie gebaut. Die Entwicklung der Region steht im ehrgeizigen Tourismus-Plan Marokkos, dem ehrgeizigen Projekt mit dem Ziel 10 Millionen Touristen bis 2010 ins Land zu holen. Und das gilt eben auch in die Westsahara, die nach internationalem Recht gesehen, immer noch und nur von Marokko als besetzt gilt.
In diesen Tagen und Monaten begeben sich die Befreiungsbewegung Polisario und Marokko wohl erstmals in - noch recht geheime - Verhandlungen, um endlich und nach fast 25 Jahren zu einer Lösung in einem der weltweit am längsten schwelenden Regionalkonfliktes zu kommen. Und das ist von Bedeutung für ganz Nordafrika und - wie so oft - steht auch dahinter die Spekulation über Erdöl, das womöglich doch noch landeinwärts in der Wüste oder zumindest vor der Küste abzuschöpfen sein mag.
Zurück im Hotel lässt sich eine ganz andere - auch wieder geheime - Aktivität als eine touristische beobachten: Das UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR führt regelmäßig seit Jahren Besuchsprogramme für die Sahraouis, die wirklich einheimische Bevölkerung durch. Dies sind je nach politischer Einschätzung zwischen 180.000 und 250.000 Personen zu beiden Seiten. Die einen leben auf marokkanischer und die anderen vegetieren förmlich in Flüchtlingslagern auf algerischer Seite dahin: in Tindouf, wo auch die Polisario ihren Stützpunkt hat. Ansonsten haben sich viele Marokkaner aus dem Norden angesiedelt - begünstigt durch staatliche Programme und Subventionen
Die Austauschprogramme erlauben es Familienmitgliedern, sich nach Jahrzehnten wiederzusehen. Zweimal in der Woche landen hier in Dakhla die beigefarbenen Maschinen der UNO mit Sahraouis aus Tindouf, um nach vielen Jahrzehnten ihre Verwandten wieder zu sehen. Es spielen sich immer wieder, alle paar Monate für eine Woche lang, am frühen Morgen im kleinen Flughafengebäude - abgeschirmt von der UNO - rührende Szenen ab. Dieselben Maschinen fliegen am Nachmittag im Gegenzug nach Tindouf die Leute aus Dakhla zum Besuch. Die sehr diskrete, unnahbare indische Leiterin der UNHCR-Gruppe ist wie ihre acht Kollegen im Hotel stationiert und an Souveränität in ihrem Job kaum zu überbieten ...
Nicht zu übersehen sind auch in Dakhla ein Teil der 7000 internationalen Soldaten und Offiziere der MINURSO, der UNO-Truppen, deren Präsenz zum x-ten Male für ein halbes Jahr bis Ende Oktober verlängert wurde. Eigentlich waren sie einmal gekommen, vor vielen Jahren, Anfang der 90er Jahre, um die Durchführung eines Referendums über die Zugehörigkeit zu Marokko oder Unabhängigkeit unter der Sahraoui-Bevölkerung zu überwachen. Das führt die Truppe auch so in ihrem Namen, mit ihrer Herkunft zumeist aus arabischen und afrikanischen Staaten. Niemand - erzählt ein französischer Militärbeobachter "off the record" im Taxi - fast niemand scheint in der Westsahara ein Ende dieses unmerklichen und scheinbar unendlichen Konflikts befördern zu wollen. Alle, mit Ausnahme der Flüchtlinge in Tindouf, auch die UNO-Militärs haben sich hier gewissermaßen eingerichtet. Oder, sollte sich in diesem Jahr 2007 doch endlich eine Veränderung abzeichnen?
Die Kultur der Sahraouis, heißt Hassani, wie auch ihre Sprache und ihre Musik. Es ist eine uralte Berberpopulation aus vorislamischer Zeit. In religiöser Hinsicht hat hier der mystische Sufismus starke Wurzeln. Es ist das Ende der Welt gewesen für die Suchenden und Heiligen, für die Mystiker des Islam, an dem sie hier vor dem Atlantik zur Ruhe kamen. Die großen Cheiks und Fürsten der 25 Stämme der Sahrouis führen diese Tradition fort und haben bis heute die wichtigste, auch politische Rolle in der Bevölkerung behalten. Weiten, beigefarbenen Gewänder sind ihre Insignien.
Die Frauen tragen traditioneller Weise ihre Melhfas, ebenfalls Ganzkörpertücher, die aber nicht ganz das Haupt verschließen und die Haare durchaus nicht verbergen. Oft werden die Kopfteile auch einmal verführerisch fallen gelassen. Die Sahraoui-Frauen unterscheiden sich gerne und deutlich in der Anpassung an den Trend zu traditionellen und neuen, immer häufiger zu sehenden islamischen Schleierordnung der marokkanischen Frauen. Sie unterscheiden sich auch in ihrer Rolle in Familie und Gesellschaft durch eine sogar traditionelle, grundsätzliche Gleichstellung - wenn dies auch nicht mit unseren Maßstäben gemessen werden soll. In der regionalen Radio- und Fernsehstation arbeiten heute mehr junge Frauen als Männer.
In Dakhla ist es aber durchaus möglich zu erleben, dass eine Frau am Abend allein durch die Straßen nach Hause geht. Das wäre im Norden, in Rabat oder Casablanca fast unmöglich oder anrüchig. Zahlreich sind die jungen sahraouischen Frauen unter den Studenten im Norden Marokkos vertreten. Im Straßenbild der großen Städte und an den Universitäten setzten sie mit ihren Melhfas farbige Akzente. Der Bildungsstandard unter den Sahraouis ist hoch, hat doch die Regierung in Rabat über die Jahrzehnte viele Milliarden an Subventionen in die sogenannten Südprovinzen gepumpt. Die jungen Sahraouis flogen über mehrere Generationen zu Low-cost-Preisen und studierten auf Staatskosten. Ihr Selbstbild ist geprägt von dieser Sonderbehandlung und ihr Stolz ist groß. Das bedeutet aber nicht, dass sie sich angepasst hätten und ihr Streben nach Unabhängigkeit ist groß. Sie wissen, was sie an Marokko haben und sie sind doch ganz eigen und empfinden sich als ein eigenes Volk. Dem wollen König Mohamed VI. und die Regierung mit einem zukünftigen weitgehenden Autonomie-Status Rechnung tragen. Und da orientiert man sich gern in der Argumentation am deutschen Föderalismus.
Die Friedlichkeit in den Straßen Dakhlas ist auch geprägt von der seit 24 Jahren andauernden Militärpräsenz der Marokkaner. Insgesamt sind 40.000 Soldaten hier im Süden, 400 km vor der mauretanischen Grenze stationiert. Nur weiter oben im Norden, in der Hauptstadt Laayoune, kommt es immer noch und immer wieder zu vereinzelten Ausschreitungen. Wenn man aus Dakhla in Richtung Meer hinausfährt sind auch Elendsviertel zu sehen. Hinter den in Marokko an den Ausfallstraßen üblichen Feldern voll von schwarzen Plastiktütenresten, reiht sich ein großes Zeltlager von Fischern an das andere. Hinter dem alten Hafen liegt die Investitionsruine eines neuen Hafens. Unbegreiflich, wenn man nicht wüsste, was die Korruption in der Lage ist anzurichten, denn der Atlantik ist hier ein Fischparadies. Die Schwärme sind endlos und der alte Hafen zu klein für diesen "Goldrausch", den hier die Großfischerei feiert. Schwimmende gigantische Fischfabriken aus aller Herren Länder liegen draußen vor der Küste. Was ist toll an Dakhla?
Patschkowski: "Die Lagune, das Baden, die Delphine kommen... Die Fische sind hier ja nur kleine, aber groß am Atlantik."
Herr und Frau Traute und Joachim Patschkowski aus der Lüneburger Heide kommen seit 17 Jahren nach Marokko und doch vielleicht einige Jahre später erst bis nach Dakhla, mit einem Wohnmobil. Denn bis 1991 herrschte in der Westsahara noch Krieg. Es sind mitunter 15-20 Deutsche Rentner-Ehepaare, inzwischen auch der Nachbar aus Gifhorn. Sie stehen ungefragt auf Plätzen am Meer als Dauerparker und richten sich Jahr für Jahr erneut ein. Wenn es auch in Portugal im November kalt wird und im Dezember auch in Agadir zu kühl, dann fahren sie noch einmal 1200 km südwärts bis hierher. Jetzt gerade, im Mai wurde erst ein nicht enden wollender Rückkehrer-Konvoi aus Deutschland auf der Durchfahrt in Casablanca gesichtet.
" Vor 17 Jahren sind wir das erste Mal hierher gefahren, sind aber nicht die einzigen gewesen. Ich habe mich damals gründlich vorbereitet, war aber erstaunt schon an der Fähre, wie viele Reisemobile aus Deutschland da waren. "
Sie sparen hier ja Geld, können so Ihre Rente aufbessern.
" Ich will eingestehen, dass man hier besser wegkommt, Sie zahlen 1 Dirham, 10 Cent für 1 Baguette, dafür kriegt man gerade mal ein Brötchen bei Lidl, wenn man Glück hat. Dann haben wir hier immer frisches Gemüse, Obst, für 4-5 MAD, fürs Kilo Mandarinen "
Die 1000 Liter Trinkwasser holen sich die Patschkowkis für sage und schreibe 11 Dirhams bei einem Tankwagen, der vorbeigefahren kommt. Am Rande der Wüste, in einem Land größter Wasserknappheit, das seit 25 Jahren unter Trockenheit leidet - auch wenn der Klimawandel in den letzten Jahren Kapriolen schlagen mag. Kein Bewusstsein für den Aufenthalt in einer Konfliktzone, keine Ahnung, dass hier Sahraouis leben - Herr Patschkowski nennt sie kurzerhand Berber, was historisch gesehen ja dann auch stimmt. Aber dass es bis 1991 hier Krieg gab?
" "Wir fahren seit 1987 hierher und seitdem gehört die Westsahara zu Marokko", "
sagt Herr Patschkowski entschieden. Das bedeutet aber auch die Minenfelder draußen vor der Stadt nicht zu kennen und jedwede Vorstellung einer Selbstgefährdung ohne sorgsame Betreuung durch einheimische und Tourist-Guides. Von Fahrten durch die Westsahara rät das auswärtige Amt grundsätzlich immer noch ab - soweit zur offiziellen Reiseempfehlung der Bundesregierung.
Mittlerweile ist eine Investitionslawine über die atlantische Sahara und besonders das - insgesamt - so recht friedliche Dakhla im Süden hereingefallen. Ein deutscher Babykosthersteller hat in unserem Vier-Sterne-Hotel schon vor Jahren den Vorreiter gespielt und sein Betriebsfest hier ausgerichtet. Da waren es in Dakhla noch 160 Zimmer, davon 60 mit Komfort.
Unser geheimer britischer Begleiter hat sich mittlerweile mit seiner Lebensgefährtin ein Haus an der Lagune gebaut. 25 Angeln hat er in einem Zimmer hängen und bietet mit dem Hotelbesitzer Youness Hochseeangeln als besondere Touristenattraktion an. Herr Patschkowski aus der Lüneburger Heide angelt derweil dicke Fische von der Küste aus - und verkauft sie den Einheimischen auf dem Markt, soweit er sie nicht selber isst. Das Angeln wird ihm nicht schwer gemacht: die Fischschwärme färben vor Dakhla direkt am Strand das Meer in großen Flecken in grau und schwarz.