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Wunden der Vergangenheit

Als unlängst in Kiew Demonstranten im Greisenalter handgreiflich wurden und aufeinander losgingen, führte die Vergangenheit Regie: Denn es standen sich Veteranen aus dem 2. Weltkrieg unversöhnlich gegenüber. Die einen von der Roten Armee. Die anderen von der UPA, der ehemaligen Ukrainischen Volksarmee, die mit der deutschen Wehrmacht kollaborierte. Aus Kiew berichtet Florian Kellermann.

    Olga Kruptnischenko, eine 41-jährige Buchhalterin, reiste extra aus der Kleinstadt Tscherkassy nach Kiew. In der Hand hielt sie eine Sowjetfahne mit Hammer und Sichel. Eine Rehabilitierung der UPA-Kämpfer wäre für sie ein Verbrechen.

    Olga Kruptnischenko: "Diese UPA-Kämpfer, das waren Faschisten. Sie haben meinen Großvater umgebracht, der für die Rote Armee gekämpft hat. Das war 1941 in Lemberg. Und jetzt, über 60 Jahre später, wollen sie rehabilitiert werden. Mit welchem Recht? Ich bin strikt dagegen, diesen Verrätern den Status von Kriegsteilnehmern zu verleihen oder sie auch noch als Helden zu ehren."

    Die UPA-Gegner werfen den ehemaligen Freischärlern vor allem vor, dass sie sich 1941 mit der deutschen Wehrmacht verbündeten. Manche von ihnen nahmen sogar am Feldzug gegen Russland teil.

    "Schande den Banderowtsy" skandierten die UPA-Gegner und spielten damit auf einen von deren Anführern an: den legendären Stepan Bandera, der nach dem Krieg in München von einem KGB-Agenten ermordet wurde.

    Tatsächlich aber hielt das Zweckbündnis von Banderas UPA mit der Wehrmacht nicht lange. Die Westukrainer verstanden schnell, dass die Deutschen sie nur benutzten. Faschisten seien die UPA-Kämpfer nicht gewesen, sagt der Geschichtsprofessor Stanislaw Kultschinski:

    "Den Westukrainern ging es um einen unabhängigen Staat. Sie kämpften ja nicht nur gegen die Rote Armee, sondern später auch gegen die deutschen Besatzer und die polnische Heimatarmee. Dabei haben sie in Wolhynien auch Tausende Angehörige der polnischen Minderheit ermordet. Aber nicht anders sind die Polen mit ukrainischen Zivilisten umgegangen. Die UPA führte einen Krieg innerhalb des zweiten Weltkriegs, das darf man nicht vergessen."

    Auch auf der anderen Seite der Polizeikette auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz schlugen die Emotionen hoch. Der 78-jährige Mykola Totolskyj war schon seit vier Tagen in der Hauptstadt, um für die Anerkennung seiner Armee zu werben - der ukrainischen Befreiungsarmee.

    Mykola Totolskyj: "Wir haben für die Freiheit unseres Volkes gerungen, für die Demokratie. Jede Nation hat ein Recht auf Selbstbestimmung. Die Rote Armee war eine totalitäre Streitmacht in den Händen ihres grausamen Anführers Stalin. Wir fordern vom Parlament, dass die UPA als reguläre Armee der Ukraine anerkannt wird."

    Das Thema ist nicht nur für die Veteranen auf beiden Seiten wichtig. Auch Jugendliche kamen auf den Unabhängigkeitsplatz, so die 17-jährige Schülerin Natalka Klitka.

    Natalka Klitka: "Ich finde, die UPA-Kämpfer haben den Status als Helden verdient. Bei allen Fehlern, die sie vielleicht gemacht haben. Die Leute da drüben, auf der anderen Seite des Platzes, die verteidigen doch in Wahrheit die Sowjetunion. Aber wir Jungen wollen eine unabhängige Ukraine."

    Die Ukraine ist ein gespaltenes Land. Das zeigte schon die Präsidentenwahl im vergangenen Herbst. Damals unterstützten der Westen und die Mitte des Landes den neuen Präsidenten Viktor Juschtschenko. Im Osten dagegen gewann sein Konkurrent Viktor Janukowytsch über 90 Prozent der Stimmen.

    Immerhin: Die Ukraine als eigenständigen Staat stellen heute nur noch die wenigsten in Frage. Nicht einmal Olga Krupnitschenko, die mit der Sowjetfahne in der Hand.
    Olga Krupnitschenko: "Ich habe mich wohl gefühlt in der Sowjetunion, sie war meine Heimat. Jetzt haben wir die Unabhängigkeit, damit kann ich auch leben. Aber denen die Hand zu reichen, die meinen Opa umgebracht haben, das kann ich nicht. Das tut mir zu sehr weh."

    Noch hat das ukrainische Parlament nicht entschieden, ob es die Regierungsvorlage annimmt und die UPA-Veteranen tatsächlich rehabilitiert. Eines aber wird es dabei so oder so nicht erreichen: eine Versöhnung zwischen Ost- und Westukrainern. Auf sie muss die Ukraine wohl noch mehrere Generationen warten.