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Wundersame Rückmeldung aus dem Web

Mit Werbung versuchen Firmen, neue Kunden zu locken. Doch es geht auch umgekehrt: Suchmaschinen im Internet lassen Rückschlüsse auf Surfer zu, die wiederum Reaktionen bei den Anbietern provozieren. US-Informatiker haben sich dieses Sachverhalts jetzt wissenschaftlich angenommen.

Von Michael Gessat | 07.10.2006
    Auch im Internet gibt es im übertragenen Sinne gewaltige soziale Unterschiede: Der Auftritt von "Spiegel online" und die Webseiten der "Dithmarscher Landeszeitung", der Webshop von "Amazon" und die Homepage der "Buchhandlung Niehörster" in Dortmund: Da liegen Welten dazwischen, was die Besucherzahlen und damit die Reichweite der angebotenen Informationen, Meinungen oder Produkte angeht. Welche Rolle spielen nun in diesem Netz der ungleichen Akteure die Suchmaschinen? Verstärken sie die Tendenz, dass ohnehin populäre Websites noch populärer werden? Oder sorgen sie dafür, dass auch Webauftritte mit Spezialthemen, Spezialprodukten oder mit vom Mainstream abweichenden Sichtweisen ihr Publikum bekommen? Eine Gruppe von amerikanischen Informatikern hat die Sache wissenschaftlich unter die Lupe genommen.

    "Wenn man einmal als Ausgangspunkt auf die Struktur des Web blickt, auch ganz ohne irgendwelche Suchmaschinen, dann sieht man: Das Web ist eindeutig eine "Reiche-werden-immer-reicher"–Konstruktion, in der einige Websites sehr, sehr viele Links haben und sehr populär sind, und andere nicht."

    Diese Grundtatsache, sagt Filippo Menczer, Informatikprofessor an der Indiana University, schaffen natürlich auch Suchmaschinen nicht völlig aus der Welt. Man könnte sogar sehr leicht meinen, dass sie das Ungleichgewicht verstärken. Denn stark verlinkte Seiten landen auch in den Trefferlisten tendenziell an vorderer Stelle.

    "Der Verlinkungsgrad, der so genannte "Page Rank", wird als Maßstab für die Bedeutung einer Seite genommen. Er wird, zusammen mit anderen Kriterien, zum Beispiel von Google dazu verwendet, die Suchergebnisse in eine Reihenfolge zu bringen."

    Alle Anwender klicken nun bevorzugt auf die ersten Treffer einer Ergebnisliste und setzen womöglich wiederum einen Link auf die erhaltenen Treffer, die dadurch in den Suchmaschinen noch höher bewertet werden:

    "Und das ist dann der Teufelskreis, in dem die populären Seiten mehr und mehr Popularität dazu gewinnen. Und die seltener besuchten oder neuen Seiten haben keine Chance, irgendwelche Aufmerksamkeit zu erhalten."

    Ein ebenso plausibles wie unerfreuliches Szenario. Aber richtig nachgeprüft hatte dies bislang noch niemand. Menczer und seine Kollegen nahmen also einmal die – zumindest für amerikanische Surfer - 2000 populärsten und dazu noch 26.000 zufällig ausgesuchte Websites genauer unter die Lupe.

    "Das Ergebnis war, dass der Zusammenhang von Besucherzahlen und Verlinkungsgrad nicht überproportional war, wie man es für das Teufelskreis-Modell erwartet hätte, sondern unterproportional. Und das deutete darauf hin, dass Suche das Popularitätsungleichgewicht im Web eher abmildert. Wir waren überrascht von diesem Ergebnis und fragten uns, was die Ursache sein könnte. Wir kamen zu dem Schluss, es liegt daran, dass die User eben doch sehr spezifische Dinge suchen."

    Auf alle Anfragen liefert eine Suchmaschine jeweils eine ganz konkrete Untermenge ihres Gesamtbestandes, mal eine größere, mal eine kleinere. Und warum das einen Unterschied macht, zeigt ein Beispiel: Bei einer Suche wie "Paris Hilton" bekommt man zehn Millionen Ergebnisse. Und wenn man auf irgendeinen der 20 ersten Treffer klickt: man landet mit Sicherheit auf einer schon sehr populären Seite.

    "Und jetzt Frage Nummer zwei, etwa nach einem Fabelwesen aus einem Roman. Nun gibt es bloß 50 Treffer, weil die Anfrage so obskur ist. Und auch hier klicken wir höchstens auf einige aus den ersten zwanzig Ergebnissen. Aber diese 20 haben wahrscheinlich keinen hohen "Page Rank", es sind eben nur die "Top Twenty" aus einer sehr kleinen Anzahl. Hier leitet die Suchmaschine also Besucher auf Seiten mit geringer Verlinkung, mit niedrigem "Page Rank", weil die Anfrage sehr spezifisch war."

    Momentan also eher eine Chance, denn eine Gefahr für die Kleinen. Trotzdem, die Idee erscheint nicht ganz abwegig, dass Suchmaschinenbetreiber ihre Algorithmen anpassen, um Besucherströme zu bestimmten Websites hin zu lenken. Das Geschäftsmodell von Google und Konsorten besteht schließlich darin, Werbung einzublenden. Und da könnten manche Seiten interessanter sein als andere, sogar bei ansonsten gleicher Popularität. Ganz zu schweigen von irgendwelchen politischen oder weltanschaulichen Motiven. Auffallen würden einigermaßen subtile Manipulationen den Anwendern kaum.

    "Das sind schon fast philosophische Fragen nach der Rolle, die Suchmaschinen in unserer Gesellschaft spielen, weil wir ja so abhängig von ihnen sind. Aber ich denke, zumindest momentan erlaubt uns unser Ergebnis, von der bloßen Spekulation hin zu einem gewissen Verständnis davon zu gelangen, wie die Dinge zurzeit funktionieren. Und wir sind sehr froh, dass diese Ängste momentan unbegründet scheinen, der Teufelskreis nicht existiert und das Web insoweit ein relativ demokratischer Ort zu sein scheint. Was allerdings in der Zukunft passieren wird, das wissen wir nicht."