Archiv


Wundersame Wolfswanderungen

Biologie. - Seit 120 Jahren gelten Wölfe im Westen Deutschlands als ausgestorben, doch sie könnten bald wieder gesichtet werden. Eine Studie des Bundesamtes für Naturschutz zum Wanderungsverhalten von sechs beispielhaften Tieren aus Sachsen erbrachte erstaunliche Ergebnisse.

Von Lucian Haas |
    "Wölfe kommen keineswegs, wie man es spontan denken mag, nur oder ausschließlich in dichten Waldgebieten vor. Gebiete mit einem hohen Anteil von Feldfluren werden zwar eher gemieden, aber sie werden von den Wölfen auf Wanderschaft durchaus auf viele Kilometer weite Distanzen durchquert. Das zeigt uns schon mal, Wölfe sind ausgesprochen anpassungsfähig. Und es ist ganz erstaunlich, in welcher Nähe zu Menschen sie auch ohne größere Konflikte leben können."
    Beate Jessel ist die Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz BfN in Bonn. Wölfe liegen ihr besonders am Herzen. Denn die Tiere gelten in Deutschland als vom Aussterben bedroht. Doch das ist eigentlich eine gute Nachricht. Denn seit Anfang des 20. Jahrhunderts bis ins Jahr 2000 galt der Wolf hierzulande schon als komplett ausgerottet. Jetzt ist er wieder da, von Polen aus eingewandert. Rund 60 Wölfe sind mittlerweile in Deutschland beheimatet, die meisten davon in Sachsen und Brandenburg. Jessel:

    "Die Rückkehr des Wolfes nach Deutschland kann als ein echter Erfolg für den Naturschutz bezeichnet werden, steht aber immer noch auf sehr wackeligen Beinen."

    Wackelig gilt auch deshalb, weil Experten noch wenig darüber wissen, wie der Wolf mit der mitteleuropäischen Kulturlandschaft zurecht kommt. Große Siedlungsflächen, weite Äcker, Flüsse, Straßen, gar Autobahnen. Das alles könnten Hindernisse dafür darstellen, dass der Wolf neue Territorien erschließt und sich darin wohlfühlt. Um diese Theorie mit der Praxis abzugleichen, beauftragte das BfN das Wildbiologische Büro Lupus damit, erstmals das Wanderverhalten von Wölfen in Deutschland zu verfolgen. Sechs Tiere wurden dafür im Jahr 2009 in Fallen gefangen, betäubt, mit einem Halsband samt GPS-Sendern bestückt und wieder frei gelassen. Bis zu ihrem technischen Ausfall nach sieben bis 23 Monaten meldeten die Geräte alle vier Stunden die aktuelle Position der Tiere. Für Ilka Reinhardt vom Wildbiologischen Büro Lupus boten die Daten einige Überraschungen.

    "Einerseits diese großen individuellen Unterschiede. Dass man jetzt nicht sagen kann: Der Wolf in Deutschland lebt so. Man braucht viel viel mehr Daten, um solche Aussagen treffen zu können."

    Denn die sechs besenderten Tiere zeigten ein sehr heterogenes Wanderverhalten. Die Fähe Lisa zum Beispiel entfernte sich kaum von ihrem Geburtsort. Wolf Karl zog es von der Lausitz aus bis vor die Tore Berlins, bevor er nach 400 Kilometer Rundweg wieder in seine Heimat zurückkehrte. Sein Bruder Alan wiederum wanderte in nur zwei Monaten von der Lausitz durch ganz Polen bis nach Weißrussland, insgesamt mehr als 1500 Kilometer. Ilka Reinhard:

    "Das hat auch uns verblüfft, vor allem, in wie kurzer Zeit er diese Strecke zurückgelegt hat. Und auch wie schnell solche Wölfe eingezäunte Autobahnen überqueren. Wir hatten mehr damit gerechnet, dass das Barrieren sind, sind es aber nicht."

    Für Beate Jessel vom Bundesamt für Naturschutz ist mit der Studie zumindest eines deutlich geworden:

    "Wölfe haben eine enorme Ausbreitungsfähigkeit und eine große Anpassungsfähigkeit. Das ermöglicht es ihm letzten Endes sich in unsere Kulturlandschaft einzugliedern. Wölfe können prinzipiell innerhalb kurzer Zeit eigentlich überall in Deutschland auftauchen. Ein gewisser Schwerpunkt, wo die Wahrscheinlichkeit besonders groß ist, dürfte in den Mittelgebirgslagen und dem alpinen Raum liegen."

    Ob und wann auch in Westdeutschland die ersten Rudel einwandern und heimisch werden, ist für die Fachleute nicht vorhersehbar. Aber es ist nicht mehr ausgeschlossen, dass Eifel oder Schwarzwald in einigen Jahren auch wieder Wolfesland sein werden. Für die Eifel, wo der letzte Wolf 1888 geschossen wurde, wäre es eine Rückkehr nach mehr als 120 Jahren.