Archiv


Wunderwelten und Polit-Theater

Aus Anlass des deutsch-russischen Kulturjahres haben die Berliner Festspiele in Zusammenarbeit mit dem Moskauer Festival "New European Theatre" das zwölftägige Festival "RusImport" veranstaltet. Dabei wurde nicht nur Theater, sondern auch Film, Musik, Literatur und bildende Kunst aus Russland gezeigt.

Von Hartmut Krug |
    Das schmale Programm von RusImport, ein Film, zwei Ausstellungen, vier Theatergastspiele und zahlreiche Diskussionen, erwies sich als erstaunlich informativ und künstlerisch durchaus produktiv.

    So klang das Schlusslied in "Unser bestes Stück" von Dmitri Bykow, Michael Jefremow und Andrej Wassiljew. Das war eine Art satirisch-literarische Stegreifveranstaltung, die sich nur dem des Russischen mächtigen Besucher erschloss. Da aber schätzungsweise dreihunderttausend Russisch sprechende Menschen aus Russland und den ehemaligen Sowjetrepubliken in Berlin leben, hatte RusImport kaum Zuschauersorgen.

    In Moskau gibt es mindestens 200 staatlich geförderte Bühnen. Aus dieser Fülle hat Kuratorin Andrea Tatjana Wigger ihre Auswahl getroffen:

    "Die 'Drei Schwestern' stehen, - es war die Idee für einen aufgeklärten Umgang mit Tradition, ich sehe Fomenko vor allem in der Tradition von Wachtangow, das Theater als Fest. Krymow steht für jemanden, der eine eigene Bild- und Theatersprache gefunden hat, aber sich trotzdem mit der Vergangenheit auseinandersetzt, um zu wissen, wie man in der Gegenwart denken muss, um irgendwie Pläne für die Zukunft schmieden zu können. AKHE stehen für mich für die Leute, die ihr Eigenes versuchen zu machen, unabhängig von Politik oder Gesellschaft"

    Die ehemalige Untergrund-Gruppe AKHE aus St.Petersburg bot mit ihrem "Depot für geniale Irrtümer", in dem sie sich mit wissenschaftlichen Irrtümern auseinandersetzte, eine so faszinierende wie ganz in sich surreal versponnene Bilderfolge und setzte dabei modernste Technik wie das 3-D-Video-Mapping-Verfahren in einem Raum ein, vor dem der Zuschauer mit der Drehbühne kreiste.

    In großen Kontrast dazu stand die Eröffnungsveranstaltung mit Tschechows "Drei Schwestern". Die berühmte Inszenierung des Fomenko-Studios mit ihrer verstaubten Schauspieler-Künstlichkeit gehört zu den 90 Prozent der Moskauer Theater, deren Programm und konventionelle Publikumsbedürfnisse Marina Dawydova als kleinbürgerlich bezeichnete:

    "Das russische Theater befindet sich in einem hermetisch abgeschlossenen Raum. Die meisten thematisieren so etwas wie Politik nicht. Das Theater stellt eine zauberhafte Welt der Wunder dar, und da beschäftigt man sich eben nicht mit solchen Persönlichkeiten wie Putin oder Medwedew. Die russischen Theatermacher leben wie auf einem Olymp in einer völlig abgeschotteten Welt. Sie widersetzen sich Putin nicht, sie himmeln ihn nicht an. Ich spreche dabei über die 90 Prozent der Theater."

    Dabei befindet sich das Theater, anders als die Informationsmedien, kaum im Fokus der Zensur. Regisseur Dmitri Krymow meint, im Theater dürfe man derzeit alles. Seine szenische Auseinandersetzung mit Schrecken des Zwanzigsten Jahrhunderts unter dem Titel "Gorki 10" war der Höhepunkt von Russimport.

    Dreimal Lenin-Satire mit Pogodins "Das Glockenspiel des Kreml", dann eine Auseinandersetzung mit dem Krieg als Puppentheater mit den Soldatinnen aus Boris Wassiljews "Im Morgengrauen ist es noch still", und schließlich die Erschießung von Comicfiguren und den Schauspielern nach Falschanschuldigung frei nach Wischnewskis "Optimistischer Tragödie". Dmitrij Krymow:

    "Ich hätte natürlich auch ein Stück machen können, in dem ich zeigen würde, wie eine wunderbare und talentierte Ausnahmeschauspielerin kaputtgemacht wird vom System, um für Putin in der Wahlkampagne zu werben. Aber ich mache nun mal Märchen, und für mich ist Lenin und der dicke Ingenieur nicht vergessene oder erkaltete Erinnerung. Für mich sind es Figuren, die zeigen, wie man früher, wie man jetzt, und ich fürchte auch, in der Zukunft, kaputtgemacht, gebrochen werden kann."

    Allein dafür, mit Dmitrij Krymows Inszenierung ein auch ästhetisch faszinierendes Beispiel für modernes politisches Theater kennengelernt zu haben, muss man Russimport dankbar sein.