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Wunschmaschine Welterfindung

Oft wird vergessen, daß das christliche Abendland auf der Vision eines Zu-kunftsromans gründet - auf der Offenbarung über das kommende Weltende. Aber anders als dem Zukunftsroman, wie wir ihn heute kennen, ist der Apokalypse die detailversessene Schilderung wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher modischer und technischer Neuerungen noch gänzlich fremd; sie beschreibt das Unvermeidliche. Mit der Apokalypse teilt der Zukunftsroman die Vorstellung von einer linear ablaufenden Zeit - mit dem Unterschied, daß er nicht mehr ein Ende akzeptiert. Nach vorne ist prinzipiell alles offen - und nicht nur das: Es ist sogar planbar. Plan- und machbar - oder auch zerstörbar - erscheint die Zukunft allerdings nur im Licht der Technik und des mit ihr unauflöslich gedachten Fortschritts. Der Apokalypse steht von der Haltung her also nichts so sehr entgegen wie die sogenannte Science fiction - und wenn diese ihrerseits ein düsteres und dem Untergang geweihtes Morgen malt, dann ist das nicht das Resultat einer mythischen Erbsünde, sondern vielmehr das technischen Versagens, etwa von fehlerhaften Programmen.

Thomas Palzer |
    Ein Blick in die Geschichte der Technikvisionen seit dem 18. Jahrhundert riskiert ein aufwendig gemachtes Buch, das fünfunddreißig Essays versammelt und das als Beggleitband zu der letztjährigen Wiener Ausstellung im Springer Verlag erschienen ist. In dem dickleibigen und informativen Reader erfahren wir u. a. von einem gewissen Chevalier de Beauve, der um 1715 herum einen Taucheranzug entwickelte - das erste Konzept eines Cyborg - eines kybernetischen Organismus -, von dem wir wissen.

    Tatsächlich geht es in Wunschmaschine Welterfindung" in der Hauptsache um den Cyborg - um Konzepte, die Mensch und Maschine zu etwas Drittem zu-sammenführen, zu einem mit seinen Prothesen verschmolzenen Organismus - so wie heute Fernsehen und Internet das neuronale Netz des Menschen weit in die Außenwelt hinein verlängern. "Die Träume sind älter als die Erfindungen", ist ein Aufsatz von Thomas Macho betitelt, ein anderer "Vom Ikarus zum Airbus", und wieder ein anderer "Zukunft ohne Ende". Friedrich Kittler geht dem Wandel von der optischen zur elektrischen Telegraphie nach, Slavoj Zizek beschäftigt sich mit der "Virtualisierung des Herrn", und Georg Seeßlen fragt, ob Roboter von elektronischen Orgasmen träumen - mit anderen Worten: Wie männlich ist der Dialog zwischen Mensch und Maschine? Wir nehmen die Antwort vorweg: sehr männlich.

    Die Autoren betrachten als typische Zeitgenossen des ans Ende gekommenen 20. Jahrhunderts die Visionen der Vergangenheit, skeptisch und postindustriell, auch wenn sie deren literarische, fiktive und anrührende Qualitäten gelten lassen. Der Wunsch, Raum und Zeit dem Menschen verfügbar zu machen, wird als ein Wunsch entlarvt, der mit der Realisierung regelmäßig sein getreues Gegenteil erzeugt und zu immer lebensfeindlicheren Verhältnissen führt. Erst das Technotop macht als Korrektiv das Biotop notwendig. Technik überhaupt wird verdächtigt, nichts anderes als das Spielzeug eines hybrid gewordenen Selbst zu sein, welches seine Allmachtsphantasien auszuleben und auszudehnen sucht. Mit den kühnen Visionen von künstlicher Intelligenz und künstlichen Welten kaschiert sich sonach nur schlecht das Verlangen nach Herrschaft, Macht und Kontrolle. Das gilt für die klassischen Visionen wie für die modernen, die trotz aller inzwischen verfügbaren Erfahrungen den Geist der Infantilität nur fort-schreiben. Wenn die Materie Gott, der Geist aber dem Menschen unterworfen ist, wie Hegel meinte, dann beginnt mit der Technik die Kolonisierung der Herrschaftsbereiche Gottes, bereitet diese doch den Einzug des Weltgeistes in Materie und Energie" vor. Dafür gibt das kürzlich geklonte Schaf Dolly nur ein Beispiel. Ein anderes liefert die Vision von "verlustfrei miteinander und an virtuelle Welten verkoppelten Gehirnen" - wie es zum Beispiel mit dem World Wide Web projektiert ist, mit Datenhandschuh und Datenbrille.

    Heinrich von Kleists >>Über das Marionettentheater<< schließt mit der Frage, welchen Weg man beschreiten müsse, um die bedauerlichen Fehler der Geschichte wiedergut-zumachen - und gibt als Antwort, daß wir ein zweites Mal vom Baum der Erkenntnis essen müßten, um in den Stand der Unschuld zurückzufallen. Die Geschichte der Technikvisionen kann durchaus als ein Versuch gelesen werden, ein weiteres Mal vom Baum der Erkenntnis zu essen.