Eine junge Palästinenserin über Frieden und Vergeltung:
Meine Generation sagt, wir möchten keinen Krieg mehr haben. Das ist nicht wichtig für uns, dass wir sind stark, für uns ist wichtig, dass wir haben normales Leben. Und deswegen ist es so schwierig, jetzt in Israel zu leben - wenn das hat viel viel Angst. Und meine Generation sagt: o.k. wir haben genug. Wir möchten etwas anderes.
Ein junger Israeli über Wunsch und Wirklichkeit:
Ein Typ, der mit meiner Schwester auf dem College war - er war einer der letzten Selbstmordattentäter. Diese Leute sind sehr religiös, sie haben ihren eigenen Glauben. Und wir akzeptieren das. Sie sind Araber wie wir. Sie tun das Richtige: Sie verteidigen ihr Land, und das ist ihr gutes Recht. Es ist das einzige Recht, das sie noch haben in diesen Tagen.
Junge Menschen aus Israel und Palästina sprechen über den Konflikt, der ihr Dasein bestimmt; über ihr Lebensgefühl, ihre Sorgen und Hoffnungen. Ein Wunsch ist ihnen allen gemein: Sie wollen Frieden. Wie aber ist er zu erreichen? Ist Frieden überhaupt möglich in dieser seit Jahrzehnten von Gewalt und Gegengewalt, Angst und Attentaten, Kriegen und Krisen geschüttelten Region? Camp David eins und zwei, Oslo, Taba; Tenet-Plan, Mitchell-Plan, Roadmap - Synonyme für gescheiterte Versuche. Und nun Genf. Eben dort wurde am 1. Dezember wurde unter großer öffentlicher Anteilnahme die Genfer Vereinbarung unterzeichnet, ein inoffizielles Abkommen. Die Initiatoren: hochrangige Politiker der israelischen Opposition und Spitzenpolitiker der palästinensischen Autonomiebehörde. Seit 2001 hatten sie im Geheimen verhandelt - und mit Erfolg, sagt Yasser Abed Rabbo, Mitglied im Exekutiv-Komitee der PLO.
Wir haben ein Modell einer friedlichen Einigung vorgestellt. Und wir glauben, dass es die Phase des Leidens verkürzen wird, dass es der Konfrontation ein Ende bereiten wird. Dieses Modell ist ein Vorbild für alle Länder im Nahen Osten, vielleicht sogar weltweit: Das ist die Art und Weise, wie man heute Konflikte löst: durch Verhandlung, Aussöhnung und ein tiefes Verständnis für die Interessen und Hoffnungen der anderen Seite. Das ist heute unsere Botschaft.
Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube, unken Beobachter. Das weiß auch Avi Primor, bis 1999 israelischer Botschafter in Deutschland und Mit-Initiator auf israelischer Seite. Der Diplomat argumentiert solchem Argwohn zum Trotz, die Geschichte habe oft genug bewiesen, dass die Aussöhnung zwischen Feinden, ja Erzfeinden aus der Zivilgesellschaft heraus angestoßen werden könne:
Die haben keine Chance, sagt man uns, weil es kein Regierungsprojekt ist. Normalerweise unterzeichnen Regierungen solche Verträge. Sehr oft in der Geschichte hat die Zivilbevölkerung der Regierung den Weg geebnet. Die Entwaffnung im Kalten Krieg hat damit begonnen, dass die Zivilbevölkerung auf beiden Seiten sich getroffen hat, so hat es auch in Südafrika und in Nordirland begonnen. In vielen Konflikten haben die Zivilbevölkerungen, die die Schnauze voll hatten, den Weg geebnet, dem die Regierung dann gefolgt ist.
Tatsächlich werden im Genfer Dokument erstmals alle strittigen Punkte im Detail ausgearbeitet: Grenzverlauf und Siedlungen, das Rückkehrrecht palästinensischer Flüchtlinge, Jerusalem. Dies sind die heiklen Kernfragen - fast alle früheren Friedensinitiativen haben sie aufgeschoben oder scheiterten daran. Zuletzt die Verhandlungen in Camp David und Taba im Jahr 2000. Yossi Beilin, ehemaliger israelischer Justizminister:
Und die Leute haben damals nach Taba gesagt: Wenn nicht mal ihr moderaten Leute Euch einigen könnt - wer um Himmels willen soll sich dann jemals einigen? Und dann haben wir uns vorgenommen zu beweisen, dass es möglich ist. Dass wir es schaffen können - wir, also mehr oder weniger die gleichen Leute wie in Taba. Wir wollten beweisen, dass Gott im Detail steckt - nicht der Teufel.
Was ist dabei herausgekommen? Im Grund genau das, wovon wohl jeder halbwegs realistische Mensch sagt, dass so, nur so oder sehr ähnlich der Frieden aussehen könnte: Es soll zwei Staaten geben, deren Grenze sich am Zustand vor dem Sechs-Tage-Kriege 1967 orientiert - das entspricht den UN-Sicherheitsrat-Resolutionen 242 und 338. Das im Sechs-Tage-Krieg besetzte Gebiet fällt fast vollständig an den palästinensischen Staat. Damit ist ein Großteil der Siedlungen zu räumen. Die Souveränität über Jerusalem wird geteilt. Und - dies war der heikelste Punkt: Die palästinensische Seite verzichtet auf ein generelles Rückkehrrecht für die Flüchtlinge des Krieges von 1948/49.
Also, Jerusalem war ein schwieriger Punkt, ein schmerzlicher, emotionaler Punkt. Aber mit den Flüchtlingen war es bedeutend schwieriger, obwohl die Palästinenser ganz gut verstehen, dass die Flüchtlinge nicht mehr nach Israel zurückkehren können. Zunächst einmal gibt es kein Palästina, wie sie es damals verlassen haben. Und Israel wird so was nie zulassen, weil das das Ende des israelischen Staates bedeuten würde. Aber das ist ein emotionaler Punkt, und sie wollten nicht klipp und klar sagen, dass es kein Rückehrrecht mehr gibt. Und wir konnten darauf nicht verzichten, weil die israelische Bevölkerung das als eine Lebensfrage empfindet.
Das ist eine sehr schmerzliche Frage. Wir haben trotzdem versucht, in diesem Dokument trotzdem, die Rechte der Flüchtlinge zu garantieren. In dem Dokument ist das Recht auf Rückkehr garantiert als ein Prinzip, es ist dennoch limitiert, was die Implementierung des Rechtes anbetrifft. Den Flüchtlingen werden verschiedene Varianten gegeben: in den palästinensischen Staat zurückzukehren, nach Israel zurückzukehren - das bedarf natürlich der Zustimmung der israelischen Regierung -, zu bleiben, wo sie sind, oder in Drittländer zu gehen.
Salah Abdel Shafi, Direktor des "Gaza Community Mental Health Programme". Ihm wie allen anderen Beteiligten ist bewusst, dass man sich mit Kompromissbereitschaft nicht nur Freunde macht. Anfeindungen und Drohungen blieben nicht aus. Israels Premier sprach von Subversion, der "Vertrag", so Scharon, käme einem israelischen Selbstmord gleich. Insbesondere die Idee einer geteilten Hauptstadt lässt sich auf beiden Seiten nur schwer vermitteln. General Suhair Manassr, Gouverneur von Bethlehem, berichtet von wutentbrannten und scheinheiligen Reaktionen: Als Verräter seien die Genfer Initiatoren beschimpft worden. Auf der israelischen Seite hieß es: Israel gibt Jerusalem auf. Auf der palästinensischen Seite war es umgekehrt. Nichts weiter als billige Slogans, deren sich Politiker beider Seiten bedienten, um Stimmung zu machen. Aber:
Wir haben nicht miteinander verhandelt als Leute, die versucht haben Gewinner zu sein und den anderen zum Verlierer zu machen. Wir haben versucht, Partner zu sein und anzuerkennen, dass Jerusalem wichtig für alle ist. Es ist nicht richtig, dass wir Ost-Jerusalem aufgegeben haben, es ist auch nicht richtig, dass wir Jerusalem ganz geteilt haben. Wir haben das offen gelassen für die Zukunft, wir haben Mechanismen eingebaut, dass jeder, der kommen will, auch kommen kann, dass Israelis und Palästinenser frei nach Jerusalem kommen können. Und in diesem Sinne bleibt Jerusalem vereint. Also, ich würde sagen: Jerusalem - politisch getrennt, und für die Menschen doch eine vereinte, offene Stadt. Das war die Lösung.
Für diese Lösung aber braucht es die Zustimmung der Bevölkerung. Nach aktuellen Umfragen stimmen zwar 40 Prozent der Israelis und Palästinenser den Grundsätzen des Genfer Abkommens zu. Doch die wenigsten rechnen wohl damit, dass es jemals Realität wird. Wer weiß, wie sie sich sonst dazu verhalten würden. Erst einmal grundsätzlich zu sagen, dass man den Frieden wirklich will - das ist ja ein leichtes. Es gilt also, Überzeugungsarbeit zu leisten. Doch wie? Yossi Beilin:
Der entscheidende Vorteil an dem, was wir gemacht haben, ist die Transparenz. Das Dokument wurde an jeden Haushalt in Israel geschickt. Das Oslo-Abkommen haben die Leute nicht gekriegt, Camp David nicht, den Vertrag mit Jordanien nicht. Nie. Die Unterzeichner sind bekannt: Wir sagen nicht, jaja, da gibt es ein paar nette Palästinenser, die sich engagieren möchten. Diese Palästinenser sind da, es sind bekannte Leute, jeder weiß, wer sie sind.
Das allein aber genügt nicht. Misstrauen und Vorurteile gegenüber dem jeweils anderen sind auf beiden Seiten gewaltig. Seit dem Scheitern von Camp David im Jahr 2000 und dem Ausbruch der Zweiten Intifada glaubt kaum einer mehr daran, dass es auf der anderen Seite einen vertrauenswürdigen Verhandlungspartner gebe:
Seit drei Jahren meinen fast alle Israelis, dass Friedensmöglichkeiten nicht mehr existieren. Nach dem Scheitern der Verhandlungen im Jahr 2000 sind die Israelis und auch die Palästinenser so verzweifelt geworden, dass sie sagten: Wer immer noch von Friedensmöglichkeiten spricht, ist entweder naiv oder ein Heuchler. Also, bleibt uns nur eines übrig, uns gegen Gewalt zu verteidigen, also ist die Politik von Scharon richtig, weil es keine Alternative dazu gibt. Die Palästinenser sagen mehr oder weniger das Gleiche: Was uns übrig geblieben ist, ist Terror, Gewalt usw. Terror, Gewalt, Verteidigung, das war das einzige, was die beiden Bevölkerungen noch als realistisch empfinden wollten.
Die Leute sind so beladen mit Vorurteilen. Selbst wenn sie sehen, dass man ihre Bedingungen erfüllt, selbst dann können sie nicht glauben, dass es passiert. Dann sagen sie jaaaa - aber auf eine ganz talmudische Art - ja... Und dann vergleichen sie die arabische Version des Genfer Textes mit der hebräischen und sie finden ein Komma, das in der englischen nicht auftaucht und sagen: Na klar, jetzt verstehen wir, was hier gespielt wird. Du bist so naiv - und Herr Abed Rabbo ist ein großer Manipulator. Und er hat, geschickt wie er ist, das Komma an eine andere Stelle gesetzt - und dadurch wird alles anders! Unfug. Unfug!
Woher sollte das Vertrauen auch kommen? Jedes Selbstmordattentat ist ein Rückschlag. Solange das nicht aufhört, ist es kaum möglich, Vertrauen zu schaffen, meint Zahava Gal-On, die Fraktionsvorsitzender der Meretz-Partei in der Knesset. Sicherheit geht den Israelis über alles.
Es ist sehr schwer, mit dem Thema Sicherheit und den Attentaten umzugehen. Das ist schwierig, denn nach jedem Attentat sagen die Israelis: Schaut sie euch an. Sie wollen uns nur töten - und deshalb brauchen wir die Mauer. Aber so wie ich die Sache sehe, ist Frieden die einzige Möglichkeit, die Attentate zu stoppen. Denn die Besatzung, die Unterdrückung, die Siedlungen - das ist die Motivation für den Terror.
Von der Mauer und der Unmöglichkeit, unter solchen Umständen Menschen für den Frieden zu mobilisieren, weiß auch Professor Sari Nusseibeh, Präsident der Al-Quds Universität in Jerusalem und Initiator von Peace Now, zu berichten: Die Mauer - sie wird durch das Gelände der Universität verlaufen. Ursprünglich hatte das israelische Militär geplant, sie mitten auf dem Fußballplatz des Campus zu erreichten. Monatelanger Protest der Studenten hat das immerhin verhindert. Dennoch:
Wir haben es dann mit einer äußert negativen Aussage zu tun, in Form einer acht Meter hohen Mauer. Es ist genau das Gegenteil dessen, was ich versuche meinen Studenten beizubringen: nämlich Brücken zu bauen, um die andere Seite zu verstehen. Da versucht also der Präsident der Universität, den Studenten plausibel zu machen, dass man die jüdische Seite verstehen soll. Und in dem Augenblick, wo ich das tue, kommt die andere Seite und sagt: Ah! Unsere Antwort: Mauer. Das macht mein Leben etwas schwieriger.
Trotz allem setzen die Friedensaktivisten auf die Bereitschaft und die Macht der Menschen in der Region:
Ich kenne beide: Scharon und Arafat. Und ich vermute, wenn Sie sehen, dass der Boden bereitet ist, dann werden sie die notwendigen Schritte tun. Sie sind Politiker. Und Politiker haben normalerweise ein Problem damit, zu führen. Sie wollen gewählt werden, und deshalb können die nicht führen, sondern nur folgen: Sie folgen der Stimmung der Leute. Aber wenn sich diese Stimmung ändert; und wenn Scharon - ich nehme ihn als Beispiel -, wenn Scharon merken würde, dass die Leute dieses Abkommen wollen, dann würde er sich mit Leichtigkeit von der extremen Rechten lösen und loslegen. Das würde ihn endlich zum König Israels machen, der er gerne wäre: Derjenige, der den ersehnten Frieden gebracht hat. Ja, ich glaube, er würde es tun!
Die sind Politiker. Ich glaube nicht, dass sie den echten, glaubwürdigen Frieden wollen. Aber als Politiker wissen sie, dass sie realistisch sein und das tun müssen, was die Bevölkerung will, auf beiden Seiten. Und eigentlich haben wir schon die Ansätze gesehen: Wenn der Stellvertreter von Scharon sagt, wir müssen irgendwann die besetzten Gebiete verlassen und Siedlungen räumen - wo hat man jemals in der Likud-Partei so etwas gehört? Wenn Sharon selbst schon davon spricht - weil er den Umschwung in der Bevölkerung spürt. Und will sagen: Jaja, ich werde das schon erledigen, ohne es zu meinen. Aber sollte es so weitergehen, sollte sich die Bevölkerung nicht beruhigen, wird er etwas machen müssen, nicht nur Lippenbekenntnisse zollen.
Den zunächst vorsichtigen Andeutungen Ariel Scharons, man müsse wohl einige Siedlungen aufgeben, ist inzwischen die konkrete Ankündigung gefolgt, die Siedlungen in Gaza und einige in der West Bank zu räumen. Ob das eine Reaktion auf Genf ist oder eher der Versuch, von einer peinlichen Korruptionsaffäre abzulenken, die Scharon zur Zeit Schwierigkeiten bereitet - wer kann es wissen? Die israelische Parlaments-Abgeordnete Zahava Gal-On von der Merez-Partei glaubt aber zumindest, dass die Friedensbewegungen im Nahen Osten durch Genf einen Impuls erhalten haben und nun aus dem Winterschlaf erwacht sind:
Plötzlich gibt es so viele Initiativen in Israel. Genf hat vielen Initiativen eine neue Dynamik gegeben. Und allein schon durch die Art und Weise, wie jetzt diskutiert wird, verändert sich etwas.
Entscheidend, darin sind sich alle Beteiligten einig, ist die Unterstützung von außen, durch die internationale Gemeinschaft. Hilfe erhoffen sie sich von den Vereinigten Staaten - so diese sich trotz Wahlkampf dazu durchringen, von der die Europäischen Union und insbesondere von Deutschland.
Wie machen wir weiter? Nicht nur dadurch, dass wir unmittelbar mit unserer Bevölkerung sprechen, das tun wir tagtäglich, sondern dass wir Unterstützung vom Ausland bekommen, damit die Israelis sehen, dass das Ausland dieses Projekt ernst nimmt - also ist es keine oberflächliche Dummheit von irgendwelchen Träumern. Nein, ernste Leute wie Deutschland unterstützen so etwas: Rau, Schröder, Thierse, alle Parteien im Bundestag. Und dann sagen die Israelis: ah, interessant - die nehmen das ernst, und dann ist es vielleicht ernst. Ich würde nicht sagen, dass eine Reaktion aus jedem Land so empfunden werden wird, aber aus Deutschland ist es schon sehr beeindruckend.
Auf Einladung und Vermittlung der Friedrich-Ebert-Stiftung kamen die Unterzeichner des Genfer Abkommens in Berlin mit deutschen Spitzenpolitkern zusammen, die ihnen ausdrücklich Unterstützung zusicherten. Nun touren die Aktivisten weiter durch die Hauptstädte Europas, um für ihre Sache zu werben.
Das ist alles, was wir tun können im Moment: Wir versuchen den Diskurs in Palästina und weltweit zu beeinflussen. Und wir wollen - weltweit, eine Phase erreichen, wo, wenn man über den Konflikt spricht, man dann auch Genf erwähnt. Und das ist wichtig.
Das Wunder von Genf? Kann das Abkommen vom 1. Dezember der Zündfunke sein für ein Leuchtfeuer im Nahem Osten? Jasser Abed Rabbo:
Wir haben so viel Kritik geerntet - aber auch so viel Unterstützung! Die einen sind gegen uns, die anderen für uns. Aber wir sind so stolz darauf, dass Männer und Frauen aus allen Teilen der Gesellschaft und allen politischen Strömungen unsere Kampagne für den Frieden unterstützen. Und mit der Hilfe der einfachen Leute auf beiden Seiten werden wir es schaffen, die Bedingungen zu verändern.
Meine Generation sagt, wir möchten keinen Krieg mehr haben. Das ist nicht wichtig für uns, dass wir sind stark, für uns ist wichtig, dass wir haben normales Leben. Und deswegen ist es so schwierig, jetzt in Israel zu leben - wenn das hat viel viel Angst. Und meine Generation sagt: o.k. wir haben genug. Wir möchten etwas anderes.
Ein junger Israeli über Wunsch und Wirklichkeit:
Ein Typ, der mit meiner Schwester auf dem College war - er war einer der letzten Selbstmordattentäter. Diese Leute sind sehr religiös, sie haben ihren eigenen Glauben. Und wir akzeptieren das. Sie sind Araber wie wir. Sie tun das Richtige: Sie verteidigen ihr Land, und das ist ihr gutes Recht. Es ist das einzige Recht, das sie noch haben in diesen Tagen.
Junge Menschen aus Israel und Palästina sprechen über den Konflikt, der ihr Dasein bestimmt; über ihr Lebensgefühl, ihre Sorgen und Hoffnungen. Ein Wunsch ist ihnen allen gemein: Sie wollen Frieden. Wie aber ist er zu erreichen? Ist Frieden überhaupt möglich in dieser seit Jahrzehnten von Gewalt und Gegengewalt, Angst und Attentaten, Kriegen und Krisen geschüttelten Region? Camp David eins und zwei, Oslo, Taba; Tenet-Plan, Mitchell-Plan, Roadmap - Synonyme für gescheiterte Versuche. Und nun Genf. Eben dort wurde am 1. Dezember wurde unter großer öffentlicher Anteilnahme die Genfer Vereinbarung unterzeichnet, ein inoffizielles Abkommen. Die Initiatoren: hochrangige Politiker der israelischen Opposition und Spitzenpolitiker der palästinensischen Autonomiebehörde. Seit 2001 hatten sie im Geheimen verhandelt - und mit Erfolg, sagt Yasser Abed Rabbo, Mitglied im Exekutiv-Komitee der PLO.
Wir haben ein Modell einer friedlichen Einigung vorgestellt. Und wir glauben, dass es die Phase des Leidens verkürzen wird, dass es der Konfrontation ein Ende bereiten wird. Dieses Modell ist ein Vorbild für alle Länder im Nahen Osten, vielleicht sogar weltweit: Das ist die Art und Weise, wie man heute Konflikte löst: durch Verhandlung, Aussöhnung und ein tiefes Verständnis für die Interessen und Hoffnungen der anderen Seite. Das ist heute unsere Botschaft.
Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube, unken Beobachter. Das weiß auch Avi Primor, bis 1999 israelischer Botschafter in Deutschland und Mit-Initiator auf israelischer Seite. Der Diplomat argumentiert solchem Argwohn zum Trotz, die Geschichte habe oft genug bewiesen, dass die Aussöhnung zwischen Feinden, ja Erzfeinden aus der Zivilgesellschaft heraus angestoßen werden könne:
Die haben keine Chance, sagt man uns, weil es kein Regierungsprojekt ist. Normalerweise unterzeichnen Regierungen solche Verträge. Sehr oft in der Geschichte hat die Zivilbevölkerung der Regierung den Weg geebnet. Die Entwaffnung im Kalten Krieg hat damit begonnen, dass die Zivilbevölkerung auf beiden Seiten sich getroffen hat, so hat es auch in Südafrika und in Nordirland begonnen. In vielen Konflikten haben die Zivilbevölkerungen, die die Schnauze voll hatten, den Weg geebnet, dem die Regierung dann gefolgt ist.
Tatsächlich werden im Genfer Dokument erstmals alle strittigen Punkte im Detail ausgearbeitet: Grenzverlauf und Siedlungen, das Rückkehrrecht palästinensischer Flüchtlinge, Jerusalem. Dies sind die heiklen Kernfragen - fast alle früheren Friedensinitiativen haben sie aufgeschoben oder scheiterten daran. Zuletzt die Verhandlungen in Camp David und Taba im Jahr 2000. Yossi Beilin, ehemaliger israelischer Justizminister:
Und die Leute haben damals nach Taba gesagt: Wenn nicht mal ihr moderaten Leute Euch einigen könnt - wer um Himmels willen soll sich dann jemals einigen? Und dann haben wir uns vorgenommen zu beweisen, dass es möglich ist. Dass wir es schaffen können - wir, also mehr oder weniger die gleichen Leute wie in Taba. Wir wollten beweisen, dass Gott im Detail steckt - nicht der Teufel.
Was ist dabei herausgekommen? Im Grund genau das, wovon wohl jeder halbwegs realistische Mensch sagt, dass so, nur so oder sehr ähnlich der Frieden aussehen könnte: Es soll zwei Staaten geben, deren Grenze sich am Zustand vor dem Sechs-Tage-Kriege 1967 orientiert - das entspricht den UN-Sicherheitsrat-Resolutionen 242 und 338. Das im Sechs-Tage-Krieg besetzte Gebiet fällt fast vollständig an den palästinensischen Staat. Damit ist ein Großteil der Siedlungen zu räumen. Die Souveränität über Jerusalem wird geteilt. Und - dies war der heikelste Punkt: Die palästinensische Seite verzichtet auf ein generelles Rückkehrrecht für die Flüchtlinge des Krieges von 1948/49.
Also, Jerusalem war ein schwieriger Punkt, ein schmerzlicher, emotionaler Punkt. Aber mit den Flüchtlingen war es bedeutend schwieriger, obwohl die Palästinenser ganz gut verstehen, dass die Flüchtlinge nicht mehr nach Israel zurückkehren können. Zunächst einmal gibt es kein Palästina, wie sie es damals verlassen haben. Und Israel wird so was nie zulassen, weil das das Ende des israelischen Staates bedeuten würde. Aber das ist ein emotionaler Punkt, und sie wollten nicht klipp und klar sagen, dass es kein Rückehrrecht mehr gibt. Und wir konnten darauf nicht verzichten, weil die israelische Bevölkerung das als eine Lebensfrage empfindet.
Das ist eine sehr schmerzliche Frage. Wir haben trotzdem versucht, in diesem Dokument trotzdem, die Rechte der Flüchtlinge zu garantieren. In dem Dokument ist das Recht auf Rückkehr garantiert als ein Prinzip, es ist dennoch limitiert, was die Implementierung des Rechtes anbetrifft. Den Flüchtlingen werden verschiedene Varianten gegeben: in den palästinensischen Staat zurückzukehren, nach Israel zurückzukehren - das bedarf natürlich der Zustimmung der israelischen Regierung -, zu bleiben, wo sie sind, oder in Drittländer zu gehen.
Salah Abdel Shafi, Direktor des "Gaza Community Mental Health Programme". Ihm wie allen anderen Beteiligten ist bewusst, dass man sich mit Kompromissbereitschaft nicht nur Freunde macht. Anfeindungen und Drohungen blieben nicht aus. Israels Premier sprach von Subversion, der "Vertrag", so Scharon, käme einem israelischen Selbstmord gleich. Insbesondere die Idee einer geteilten Hauptstadt lässt sich auf beiden Seiten nur schwer vermitteln. General Suhair Manassr, Gouverneur von Bethlehem, berichtet von wutentbrannten und scheinheiligen Reaktionen: Als Verräter seien die Genfer Initiatoren beschimpft worden. Auf der israelischen Seite hieß es: Israel gibt Jerusalem auf. Auf der palästinensischen Seite war es umgekehrt. Nichts weiter als billige Slogans, deren sich Politiker beider Seiten bedienten, um Stimmung zu machen. Aber:
Wir haben nicht miteinander verhandelt als Leute, die versucht haben Gewinner zu sein und den anderen zum Verlierer zu machen. Wir haben versucht, Partner zu sein und anzuerkennen, dass Jerusalem wichtig für alle ist. Es ist nicht richtig, dass wir Ost-Jerusalem aufgegeben haben, es ist auch nicht richtig, dass wir Jerusalem ganz geteilt haben. Wir haben das offen gelassen für die Zukunft, wir haben Mechanismen eingebaut, dass jeder, der kommen will, auch kommen kann, dass Israelis und Palästinenser frei nach Jerusalem kommen können. Und in diesem Sinne bleibt Jerusalem vereint. Also, ich würde sagen: Jerusalem - politisch getrennt, und für die Menschen doch eine vereinte, offene Stadt. Das war die Lösung.
Für diese Lösung aber braucht es die Zustimmung der Bevölkerung. Nach aktuellen Umfragen stimmen zwar 40 Prozent der Israelis und Palästinenser den Grundsätzen des Genfer Abkommens zu. Doch die wenigsten rechnen wohl damit, dass es jemals Realität wird. Wer weiß, wie sie sich sonst dazu verhalten würden. Erst einmal grundsätzlich zu sagen, dass man den Frieden wirklich will - das ist ja ein leichtes. Es gilt also, Überzeugungsarbeit zu leisten. Doch wie? Yossi Beilin:
Der entscheidende Vorteil an dem, was wir gemacht haben, ist die Transparenz. Das Dokument wurde an jeden Haushalt in Israel geschickt. Das Oslo-Abkommen haben die Leute nicht gekriegt, Camp David nicht, den Vertrag mit Jordanien nicht. Nie. Die Unterzeichner sind bekannt: Wir sagen nicht, jaja, da gibt es ein paar nette Palästinenser, die sich engagieren möchten. Diese Palästinenser sind da, es sind bekannte Leute, jeder weiß, wer sie sind.
Das allein aber genügt nicht. Misstrauen und Vorurteile gegenüber dem jeweils anderen sind auf beiden Seiten gewaltig. Seit dem Scheitern von Camp David im Jahr 2000 und dem Ausbruch der Zweiten Intifada glaubt kaum einer mehr daran, dass es auf der anderen Seite einen vertrauenswürdigen Verhandlungspartner gebe:
Seit drei Jahren meinen fast alle Israelis, dass Friedensmöglichkeiten nicht mehr existieren. Nach dem Scheitern der Verhandlungen im Jahr 2000 sind die Israelis und auch die Palästinenser so verzweifelt geworden, dass sie sagten: Wer immer noch von Friedensmöglichkeiten spricht, ist entweder naiv oder ein Heuchler. Also, bleibt uns nur eines übrig, uns gegen Gewalt zu verteidigen, also ist die Politik von Scharon richtig, weil es keine Alternative dazu gibt. Die Palästinenser sagen mehr oder weniger das Gleiche: Was uns übrig geblieben ist, ist Terror, Gewalt usw. Terror, Gewalt, Verteidigung, das war das einzige, was die beiden Bevölkerungen noch als realistisch empfinden wollten.
Die Leute sind so beladen mit Vorurteilen. Selbst wenn sie sehen, dass man ihre Bedingungen erfüllt, selbst dann können sie nicht glauben, dass es passiert. Dann sagen sie jaaaa - aber auf eine ganz talmudische Art - ja... Und dann vergleichen sie die arabische Version des Genfer Textes mit der hebräischen und sie finden ein Komma, das in der englischen nicht auftaucht und sagen: Na klar, jetzt verstehen wir, was hier gespielt wird. Du bist so naiv - und Herr Abed Rabbo ist ein großer Manipulator. Und er hat, geschickt wie er ist, das Komma an eine andere Stelle gesetzt - und dadurch wird alles anders! Unfug. Unfug!
Woher sollte das Vertrauen auch kommen? Jedes Selbstmordattentat ist ein Rückschlag. Solange das nicht aufhört, ist es kaum möglich, Vertrauen zu schaffen, meint Zahava Gal-On, die Fraktionsvorsitzender der Meretz-Partei in der Knesset. Sicherheit geht den Israelis über alles.
Es ist sehr schwer, mit dem Thema Sicherheit und den Attentaten umzugehen. Das ist schwierig, denn nach jedem Attentat sagen die Israelis: Schaut sie euch an. Sie wollen uns nur töten - und deshalb brauchen wir die Mauer. Aber so wie ich die Sache sehe, ist Frieden die einzige Möglichkeit, die Attentate zu stoppen. Denn die Besatzung, die Unterdrückung, die Siedlungen - das ist die Motivation für den Terror.
Von der Mauer und der Unmöglichkeit, unter solchen Umständen Menschen für den Frieden zu mobilisieren, weiß auch Professor Sari Nusseibeh, Präsident der Al-Quds Universität in Jerusalem und Initiator von Peace Now, zu berichten: Die Mauer - sie wird durch das Gelände der Universität verlaufen. Ursprünglich hatte das israelische Militär geplant, sie mitten auf dem Fußballplatz des Campus zu erreichten. Monatelanger Protest der Studenten hat das immerhin verhindert. Dennoch:
Wir haben es dann mit einer äußert negativen Aussage zu tun, in Form einer acht Meter hohen Mauer. Es ist genau das Gegenteil dessen, was ich versuche meinen Studenten beizubringen: nämlich Brücken zu bauen, um die andere Seite zu verstehen. Da versucht also der Präsident der Universität, den Studenten plausibel zu machen, dass man die jüdische Seite verstehen soll. Und in dem Augenblick, wo ich das tue, kommt die andere Seite und sagt: Ah! Unsere Antwort: Mauer. Das macht mein Leben etwas schwieriger.
Trotz allem setzen die Friedensaktivisten auf die Bereitschaft und die Macht der Menschen in der Region:
Ich kenne beide: Scharon und Arafat. Und ich vermute, wenn Sie sehen, dass der Boden bereitet ist, dann werden sie die notwendigen Schritte tun. Sie sind Politiker. Und Politiker haben normalerweise ein Problem damit, zu führen. Sie wollen gewählt werden, und deshalb können die nicht führen, sondern nur folgen: Sie folgen der Stimmung der Leute. Aber wenn sich diese Stimmung ändert; und wenn Scharon - ich nehme ihn als Beispiel -, wenn Scharon merken würde, dass die Leute dieses Abkommen wollen, dann würde er sich mit Leichtigkeit von der extremen Rechten lösen und loslegen. Das würde ihn endlich zum König Israels machen, der er gerne wäre: Derjenige, der den ersehnten Frieden gebracht hat. Ja, ich glaube, er würde es tun!
Die sind Politiker. Ich glaube nicht, dass sie den echten, glaubwürdigen Frieden wollen. Aber als Politiker wissen sie, dass sie realistisch sein und das tun müssen, was die Bevölkerung will, auf beiden Seiten. Und eigentlich haben wir schon die Ansätze gesehen: Wenn der Stellvertreter von Scharon sagt, wir müssen irgendwann die besetzten Gebiete verlassen und Siedlungen räumen - wo hat man jemals in der Likud-Partei so etwas gehört? Wenn Sharon selbst schon davon spricht - weil er den Umschwung in der Bevölkerung spürt. Und will sagen: Jaja, ich werde das schon erledigen, ohne es zu meinen. Aber sollte es so weitergehen, sollte sich die Bevölkerung nicht beruhigen, wird er etwas machen müssen, nicht nur Lippenbekenntnisse zollen.
Den zunächst vorsichtigen Andeutungen Ariel Scharons, man müsse wohl einige Siedlungen aufgeben, ist inzwischen die konkrete Ankündigung gefolgt, die Siedlungen in Gaza und einige in der West Bank zu räumen. Ob das eine Reaktion auf Genf ist oder eher der Versuch, von einer peinlichen Korruptionsaffäre abzulenken, die Scharon zur Zeit Schwierigkeiten bereitet - wer kann es wissen? Die israelische Parlaments-Abgeordnete Zahava Gal-On von der Merez-Partei glaubt aber zumindest, dass die Friedensbewegungen im Nahen Osten durch Genf einen Impuls erhalten haben und nun aus dem Winterschlaf erwacht sind:
Plötzlich gibt es so viele Initiativen in Israel. Genf hat vielen Initiativen eine neue Dynamik gegeben. Und allein schon durch die Art und Weise, wie jetzt diskutiert wird, verändert sich etwas.
Entscheidend, darin sind sich alle Beteiligten einig, ist die Unterstützung von außen, durch die internationale Gemeinschaft. Hilfe erhoffen sie sich von den Vereinigten Staaten - so diese sich trotz Wahlkampf dazu durchringen, von der die Europäischen Union und insbesondere von Deutschland.
Wie machen wir weiter? Nicht nur dadurch, dass wir unmittelbar mit unserer Bevölkerung sprechen, das tun wir tagtäglich, sondern dass wir Unterstützung vom Ausland bekommen, damit die Israelis sehen, dass das Ausland dieses Projekt ernst nimmt - also ist es keine oberflächliche Dummheit von irgendwelchen Träumern. Nein, ernste Leute wie Deutschland unterstützen so etwas: Rau, Schröder, Thierse, alle Parteien im Bundestag. Und dann sagen die Israelis: ah, interessant - die nehmen das ernst, und dann ist es vielleicht ernst. Ich würde nicht sagen, dass eine Reaktion aus jedem Land so empfunden werden wird, aber aus Deutschland ist es schon sehr beeindruckend.
Auf Einladung und Vermittlung der Friedrich-Ebert-Stiftung kamen die Unterzeichner des Genfer Abkommens in Berlin mit deutschen Spitzenpolitkern zusammen, die ihnen ausdrücklich Unterstützung zusicherten. Nun touren die Aktivisten weiter durch die Hauptstädte Europas, um für ihre Sache zu werben.
Das ist alles, was wir tun können im Moment: Wir versuchen den Diskurs in Palästina und weltweit zu beeinflussen. Und wir wollen - weltweit, eine Phase erreichen, wo, wenn man über den Konflikt spricht, man dann auch Genf erwähnt. Und das ist wichtig.
Das Wunder von Genf? Kann das Abkommen vom 1. Dezember der Zündfunke sein für ein Leuchtfeuer im Nahem Osten? Jasser Abed Rabbo:
Wir haben so viel Kritik geerntet - aber auch so viel Unterstützung! Die einen sind gegen uns, die anderen für uns. Aber wir sind so stolz darauf, dass Männer und Frauen aus allen Teilen der Gesellschaft und allen politischen Strömungen unsere Kampagne für den Frieden unterstützen. Und mit der Hilfe der einfachen Leute auf beiden Seiten werden wir es schaffen, die Bedingungen zu verändern.