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Wurst aus Polen

Polens Wirtschaft sei ein Chaos, seine Bürger seien faul, oder sie nehmen Deutschen die Arbeitsplätze weg: Das Bild vom östlichen Nachbarn ist häufig von Stereotypen und üblen Vorurteilen geprägt. Eine Gruppe Leipziger Studierender engagiert sich daher für ein lebendiges und weit gefächertes Polenbild - etwa durch den Import von polnischer Grützwurst.

Von Carsten Heckmann |
    Jeden Dienstag und jeden Freitag steht Jaroslaw Panknin mit seinem rot-weißen Lieferwagen auf dem zentralen Leipziger Wochenmarkt; an anderen Tagen in verschiedenen Stadtteilen. Seit fast einem Jahr bietet er zwischen Landbäcker und Hofmolkerei polnische Wurstspezialitäten an. Der 37-Jährige weiß, was seine Wurst der deutschen voraus hat:

    " Die deutsche Wurst ist nicht schlecht. Das einzige, was in dieser Wurst fehlt, sind die Gewürze, der Geschmack. Das ist das Einzige. Grützwurst zum Beispiel. Diese Grützwurst hier in Deutschland ist richtig hart und nicht so richtig mit Geschmack. Wir verkaufen jetzt 50 bis 60 Kilo Grützwurst in der Woche, das ist schon richtig ein Rekord."

    Panknin hat eine Weile gebraucht, um sich einen Kundenstamm aufzubauen. Aber inzwischen brummt das Geschäft, kommen Deutsche wie Polen gern zu dem Händler aus Danzig. Ende August will er sogar einen kleinen Laden im Osten der Stadt aufmachen. Seine Kunden sind wirklich begeistert:

    " Wir sind früher nach Polen gefahren und haben dort Wurst gekauft - und warum muss ich jetzt nach Polen fahren, wenn der hierher kommt?

    Sie ist gut in der Qualität, der Preis stimmt, die Bedienung ist freundlich - was will man mehr?

    Ich mag besonders den Schinken und geräucherte Lende und geräucherte Geflügelwaren.

    Qualität, echte Qualität!

    Warum soll man das nicht auch mal probieren?"

    Das dachten sich auch die rund 50 Leipziger, die gestern Abend ins Polnische Institut der Stadt kamen, um Panknin kennen zu lernen und seine Waren zu kosten, von der altpolnischen Leberwurst über die berühmten Cabanossi bis hin zum schlesischen Knoblauchschinken. "Polnische Wurst in aller Munde" war die Veranstaltung überschrieben. Eingeladen hatte eine studentische Initiative namens "apropos polen:". Deren geistiger Vater, der Doktorand Rainer Mende, erklärt Sinn und Zweck des Engagements:

    " Hinter "apropos polen:" steckt die Grundidee, Informationen über Polen an ein möglichst breites Publikum zu vermitteln. Das heißt das Kernpublikum sind Studenten, aber alle anderen drum herum, die sich irgendwie für Polen interessieren, sind auch mit angesprochen. Und das auf eine Art und Weise, die das Ganze etwas leichter und unterhaltender schafft."

    Also gibt es in der Veranstaltungsreihe, die Mende und vier Polonistik-Studierende organisieren, neben Diskussionsrunden und Vorträgen auch Konzerte und Koch-Sessions. Und es darf auch mal ein nicht bierernst gemeinter Biervergleich stattfinden - oder eben ein appetitanregendes Wurst-Gespräch. Die Macher freuen sich, wenn dabei das ein oder andere Stereotyp auf der Strecke bleibt. So wie gestern, als Jaroslaw Panknin stolz verkündete, Arbeitsplätze für Deutsche zu schaffen statt sie ihnen wegzunehmen. Zu "apropos polen:" kommen aber ohnehin eher nicht die Menschen mit Vorurteilen, sondern die Neugierigen, die ihr Unwissen plagt. Sie lernen dazu - wie auch die Organisatoren selbst, berichtet Karoline Gil, die im Hauptfach Kulturwissenschaft und im Nebenfach Polonistik studiert:

    " Mir bringt das aus zwei Gesichtspunkten etwas. Einmal für die Kulturwissenschaft. Dass ich wirklich lerne, Projekte zu organisieren, einen Treff am Leben zu erhalten. Ich denke, das ist eine ganz, ganz wichtige Erfahrung. So kann man neben dem Studium auch diese praktische Erfahrung sammeln, und so was in der Richtung möchte ich auch später gerne machen. Andererseits bringt es mir auch sehr viel für die Polonistik. Dadurch, dass ich am Ball bleibe, auch hinhöre, wenn sich irgendwas Interessantes in Polen tut oder in Deutschland. Wen kann man einladen? Welche Ideen kann man entfalten? Man bleibt einfach in Kontakt und man lernt natürlich sehr, sehr viel über Polen."

    "apropos polen:" entstand vor drei Jahren und etablierte sich langsam, aber sicher als Veranstaltungsreihe, vor allem per Mundpropaganda. Die Studierenden kooperieren mit dem Polnischen Institut, können einen Raum in der Universität nutzen und auf die Unterstützung durch ihre Professoren bauen. Und sie sind nicht die Einzigen, die sich länderübergreifend engagieren: Kommilitonen aus der Westslawistik bereiten gerade die fünfte Auflage der Studentenkonferenz "interfaces" vor, die im Oktober Teilnehmer aus Leipzig, Breslau und Prag zusammenführen wird. So leisten auch die Studierenden einen Beitrag zu Leipzigs Osteuropa-Profil, das Stadt und Universität weiter ausbauen wollen.