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WWF-Auftragsstudie zum CETA-Abkommen
"Dieser Vorwurf irritiert"

Der Streit um das Freihandelsabkommen CETA geht weiter. Eine vom WWF in Auftrag gegebene Studie der Uni Kassel stellt fest, das Abkommen zwischen der EU und Kanada gefährde die Weiterentwicklung der Umweltpolitik in der EU, denn das Abkommen messe mit zweierlei Maß. Eine Annahme, die so nicht zutreffe, erklärte Christian Tietje, Professor für internationales Völker- und Wirtschaftsrecht an der Uni Halle, im DLF.

Christian Tietje im Gespräch mit Jule Reimer | 16.03.2015
    Demonstranten
    Christian Tietje, Professor für Völker- und Wirtschaftsrecht: Von CETA geht keine Gefahr für die EU-Umweltgesetzgebung aus. (dpa/picture-alliance/Wolfgang Kumm)
    Jule Reimer: Heute Nachmittag wird sich der Wirtschaftsausschuss des Bundestages erneut mit dem umstrittenen Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA befassen. Für das Abkommen gibt es ein Vorbild, nämlich CETA, das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada. Still und leise wurde es ausgehandelt, dann rief es so viel Protest hervor, dass die EU und die kanadische Regierung ihre Unterschrift erst mal vertagten.
    Jetzt warnt auch die internationale Umweltorganisation WWF vor dem CETA-Abkommen: Eine Studie der Uni Kassel stellt nämlich fest, CETA gefährde die Weiterentwicklung der Umweltpolitik in der EU, denn das Abkommen messe mit zweierlei Maß. Dem Investitionsschutz werde hohes Gewicht eingeräumt, Umweltanliegen und Arbeitsstandards eher als Hindernis dargestellt.
    Kurz vor dieser Sendung fragte ich Christian Tietje, Professor für internationales Völker- und Wirtschaftsrecht an der Uni Halle, ob er diese Kritik nachvollziehen kann.
    Christian Tietje: Ein zentrales Argument des Gutachtens, was ja nicht von Juristen verfasst wurde, lautet, der Staat kommt durch dieses Abkommen CETA und TTIP genauso in Begründungszwänge, und sein Recht zu regulieren, Umweltschutz beispielsweise, müsse er nunmehr nach dem Abkommen begründen, wenn er einzelne Maßnahmen ergreife. Das ist sozusagen das Problem und man sagt, Investoren müssen sich nicht dafür rechtfertigen, sich auf ihre Rechte zu berufen; der Staat muss sich aber, wenn er die Umwelt schützen will, dafür rechtfertigen.
    Dieser Vorwurf irritiert. Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten auch des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland ist es immer so, dass der Staat sich für seine Maßnahmen rechtfertigen muss und der Bürger, das Individuum, ob das nun ein Individuum, eine natürliche Person oder ein Unternehmen ist, sich nicht dafür rechtfertigen muss, frei zu handeln. Insofern ist der Grundansatz der Argumentation, wie ich finde, nicht überzeugend.
    Reimer: CETA will ja ausländischen Investoren ein Klagerecht vor internationalen Schiedsgerichten einräumen und die Urteile dieser Schiedsgerichte müssen dann auch umgehend umgesetzt in Form von Schadenersatzzahlungen. Kanada hat unter dem ähnlichen Freihandelsabkommen NAFTA - da sind die USA und Mexiko beteiligt - über 170 Millionen Kanadische Dollar gezahlt in solchen Verfahren. Aber für verletzte umwelt- und sozialpolitische Standards sieht CETA jetzt keine Einklagbarkeit zusätzlich zum inländischen Rechtsweg vor. Das klingt jetzt aber doch ungleich gewichtet?
    Tietje: Es ist so, dass wir sowohl innerstaatlich wie auch international bislang Klagerechte im öffentlichen Interesse nur ganz wenig oder gar nicht kennen. Das heißt, der Umweltschutz ist ein wichtiges legitimes öffentliches Interesse, genauso wie andere Dinge auch.
    Hier gibt es bislang keine vernünftige Möglichkeit, Klagen vorzusehen, denn die zentrale Frage ist immer, wer sollte klagen. Im innerstaatlichen Bereich haben wir Ansätze dafür; das sind Klagerechte beispielsweise für Umweltschutzverbände. Im internationalen Bereich ist das geringer ausgeprägt.
    Wir haben allerdings Mechanismen: Wir haben einen Mechanismus unter der OECD, der funktioniert auch. Hier gibt es die Möglichkeit für Gewerkschaften und andere interessierte Vereinigungen, beispielsweise die Einhaltung von Sozialstandards von Unternehmen bei ihrer internationalen Wirtschaftstätigkeit zu rügen und entsprechende Verfahren vor der OECD - das geht in Deutschland über das Bundeswirtschaftsministerium - einzuleiten. Insofern: Es gibt diese Möglichkeiten, ...
    Reimer: Aber sie sind dann viel schwieriger, sie sind viel komplizierter ausgestaltet?
    Tietje: In der Tat, weil wir dieses Grundproblem haben, dass es schwer ist, den Kläger zu identifizieren, wenn es um allgemeine öffentliche Interessen und Belange geht.
    Man kann über diese Dinge nachdenken. Es ist allerdings ein ganz neuer Ansatz dann in der internationalen Vertragsgestaltung. Und noch mal zweitens: Im Ansatz jedenfalls gibt es das für die OECD-Staaten schon relativ erfolgreich mit dem genannten OECD-Mechanismus.
    Reimer: Noch mal auf die Frage der Begründung. Künftig müssen die EU-Staaten die Notwendigkeit von Maßnahmen wie Ökosteuern umfassend begründen und das Verbot von Chemikalien und Schadstoffen zum Beispiel wissenschaftlich nachweisen, denn die reine Begründung der Vorsorge wird ja in Nordamerika nicht akzeptiert. Dort ist ja der Ansatz, man zahlt im Nachhinein hohen Schadenersatz, wenn irgendwas schiefläuft. Aber Vorsorge als Prinzip ist nicht akzeptiert.
    Tietje: Wir haben immer in einem internationalen Handelsvertrag, der ja zunächst darauf abzielt, den Handel zwischen den beteiligten Staaten fortschreitend zu liberalisieren im Interesse gesteigerter Wohlfahrtsgewinne, das Problem, dass wir einen Ausgleich finden müssen zwischen den widerstreitenden Interessen.
    Wenn wir eine Regel vorsehen, die sagt, wenn du, der eine Staat, Vorsorgegesichtspunkte ins Feld führst, dann darfst du das tun. Es gibt kein weiteres Hinterfragen dieses Handelns. Dann kann man eine solche Regelung lassen, denn das ist nicht überprüfbar. Wir brauchen einen Standard, der es überprüfbar macht, ob legitime Interessen hier ins Feld geführt werden, denn andernfalls würden wir einladen zu Protektionismus.
    Das ist das Grundproblem. Wir können nicht einfach unbesehen das Vorsorgeprinzip in einen Vertrag schreiben, weil dann die Gefahr besteht, dass dieses zu protektionistischen zwecken ausgenutzt wird, und leider haben wir vielfache historische Beispiele in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen, dass so agiert wird.
    "Jeder Staat muss sich für regulatorische Maßnahmen rechtfertigen"
    Reimer: Die Europäer haben gerade erst ursprüngliche vorgesehene Einfuhrbeschränkungen für kanadisches Erdöl aus Teersanden - das ist ein Verfahren, das als besonders umwelt- und klimaschädlich gilt - aufgeweicht. Die Kanadier haben die dazugehörige Bewertung der Europäer als unwissenschaftlich gegeißelt und sehr viel Lobbydruck ausgeübt. Und beim Fracking sind jetzt in Deutschland zum Beispiel doch Probebohrungen vorgesehen. Wenn jetzt hier die deutsche Regierung beim Fracking und die EU-Kommission bei den Teersandölen zurück zu einer Reregulierung wollten, wäre dies nach der Unterschrift unter CETA oder TTIP erschwert?
    Tietje: Es wäre nicht erschwert. Wenn man die Frage, ob man Maßnahmen begründen muss, schon als Erschwernis sieht, dann könnte man es anders bewerten. Aber ich denke noch mal: Jeder Staat dieser Welt muss sich für regulatorische Maßnahmen rechtfertigen.
    Es gibt kein unbegründetes Recht zum Ergreifen staatlicher Maßnahmen. Das wäre Willkürherrschaft. Aber in auch den von Ihnen genannten Fällen gibt es sehr, sehr gute Gründe, diese Maßnahmen zu ergreifen, Gründe im öffentlichen Interesse, sodass im Ergebnis keine Schwierigkeiten bestehen, wenn es tatsächlich Umwelt- oder Gesundheitsschutzbedenken gibt, diese Maßnahmen tatsächlich auch zu ergreifen.
    Reimer: Also doch keine Gefahr von CETA für die Umweltgesetzgebung?
    Tietje: So wie es in dem Gutachten, das Sie eingangs zitiert haben, dargestellt ist nicht.
    Reimer: In anderen Fällen?
    Tietje: Auch in anderen Fällen nicht. Wie gesagt, man kann immer darüber streiten. Wenn man dem Staat keine Verpflichtungen auferlegt, sich für sein Handeln zu rechtfertigen, dann hat man immer mehr Freiheiten staatlichen Handelns. Aber das ist etwas, was wir spätestens seit dem 19. Jahrhundert, indem wir den Staat nämlich rechtlich disziplinieren, überwunden haben.
    "Auch ein Parlament ist an die Verfassung und das Völkerrecht gebunden"
    Reimer: Und ein Parlament, das demokratische Beschlüsse fasst?
    Tietje: Auch ein Parlament, das demokratische Beschlüsse fasst, ist zunächst einmal an Völkerrecht gebunden, Völkerrecht, wie es beispielsweise im Wirtschaftsbereich seit 1995 in der Welthandelsorganisation existiert.
    Es gibt auch kein Recht eines Parlaments, im Verhältnis zu anderen Staaten - wir haben es hier mit internationalen Beziehungen zu tun - ohne Weiteres, ohne gute Gründe zu handeln, und insofern ändert sich die Situation auch hier nicht. Auch ein Parlament ist an die Verfassung und das Völkerrecht gebunden.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.