Mojib Latif: Was wir schaffen müssen ist, dass wir die Erwärmung auf einem Niveau stabilisieren, das nicht sehr weit entfernt ist von den natürlichen Schwankungen. Wir können es nicht mehr ganz schaffen, wir können ja heute schon die Erwärmung nachweisen. Aber wir können es schaffen, die Erwärmung auf ein halbwegs akzeptables Niveau zu bringen. wenn wir den Ausstoß von Treibhausgasen etwa um 50 % reduzieren innerhalb der nächsten 40 Jahre.
Der Klimagipfel in Kyoto 1997 könnte dafür ein Anfang sein; die Industriestaaten hatten sich darauf geeinigt, die Emissionen vor allem von CO² bis ins Jahr 2010 um 6 bis 8 Prozent zu reduzieren. Ein Anfang allerdings nur, so der WWF, wenn die Schlupflöcher, die die Vereinbarungen von Kyoto offen gelassen haben, nicht schnellstmöglich, also auf dem Klimagipfel in Den Haag Mitte November, geschlossen werden, so Regine Günther, Leiterin der Abteilung Klima und Energie beim WWF Deutschland:
Regine Günther: Also die Gefahr besteht, dass eben keine Treibhausgase reduziert werden wie angestrebt, bis 2010 um 5 %, sondern dass im schlimmsten Fall der Ausstoß von Treibhausgasen bis zu 50 % steigen wird.
Die Schlupflöcher sind also derzeit noch so groß, dass sie sogar für eine erhebliche Steigerung des Ausstosses von Treibhausgasen Tür und Tor öffnen. Schlupfloch Nummer Eins ist für den WWF die sogenannte hot air ; sie hat damit zu tun, dass Emissionsreduzierungen gehandelt werden können. Betroffen sind hier vor allem Russland und die Ukraine: Weil die Wirtschaft am Boden liegt, produzieren die Länder ohnehin weniger Treibhausgase als ursprünglich erwartet; und diese Minderproduktion können sie nach dem derzeitigen Stand der Dinge verkaufen; nicht im Sinne des Erfinders, so der WWF. Die Reduktion muss aktiv erreicht werden, dieses Schlupfloch muss geschlossen werden, so Stefan Singer vom WWF Europa in Brüssel:
Stefan Singer: Der Fall Russland und Ukraine zeigt, wie man ein im Prinzip sinnvolles Emissionshandelssystem ad absurdum führen kann.
Schlupfloch Nummer zwei schließt sich an: was tun, wenn ein Land mehr Zertifikate für Emissionen verkauft, als es tatsächlich einspart: noch gibt es keine wirkungsvollen Sanktionen, und die müssen schnellstmöglich her, damit das Protokoll nicht völlig zahnlos bleibt; und wirkungsvoll heißt für den WWF, dass nicht nur der Verkäufer bestraft wird, sondern auch der Käufer, der die falschen Zertifikate kauft.
Schlupfloch Nummer drei sind die sogenannten Senken: nach derzeitigem Stand der Dinge kann man nicht nur aktiv Emissionen reduzieren, sondern beispielsweise durch Aufforsten von Wald für eine höhere Absorption der Treibhausgase sorgen; auch hier sieht der WWF hohe Missbrauchsgefahr, haben sich die Staaten doch noch nicht einmal darauf geeinigt, wie Wald zu definieren ist.
Stefan Singer: Das kann Sinn machen, führt aber de facto dazu, dass jede Tonne Kohlenstoff, die rückgeführt wird aus der Atmosphäre in Wälder oder in den Boden, zusätzlich an die Atmosphäre wieder freigesetzt werden kann, weil, wenn ich woanders eine Tonne zurückführe, kann ich woanders die Schornsteine qualmen lassen. De facto, wenn Sie so wollen, ist das eine gewisse Art von Betrug an den Zielen, denn man geht davon aus, dass die Ziele für Reduktionen der Emissionen an die Atmosphäre berechnet werden.
Ausserdem könnte ein Wald, so Stefan Singer, wieder abgeholzt werden oder noch schlimmmer: verbrannt. weshalb der WWF gegenwärtig grundsätzlich gegen die Senken ist. Überhaupt, so Stefan Singer, sei die Fantasie vor allem der Industrieländer beim Finden von Schlupflöchern bemerkenswert:
Stefan Singer: Da haben bisher die Industrieländer sich alle negative Destruktivität gefallen lassen, muss man ganz offen sagen.
Will heißen: viel Arbeit für die Umweltschützer, überhaupt die NGO's in Den Haag, um das eine oder andere Loch wieder zu stopfen; um wenigsten die Reduzierung um 6 - 8 Prozent im Blick zu behalten; und die 50 Prozent, die langfristig nötig sind, wieder in den Blick zu bekommen.