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XENON-Experiment
Hinweis auf der Suche nach Dunkler Materie

Dunkle Materie macht rund fünfundachtzig Prozent der Substanz des Universums aus. Das XENON-Experiment forscht unter einem italienischen Gebirgsmassiv nach neuen Elementarteilchen und potenziellen Trägern von dunkler Materie - und hat nun erstmals mögliche Hinweise erhalten.

Von Frank Grotelüschen | 18.06.2020
Ein Wissenschaftler steht vor der Zeit-Projektionskammer des XENON1T-Experimtens zum Nachweis Dunkler Materie
Das Herzstück von XENON1T: der eigentliche Detektor, eine sogenannte Flüssig-Xenon-Zeit-Projektionskammer (Max-Planck-Institut für Kernphysik)
Das Experiment liegt im italienischen Gran-Sasso-Gebirgsmassiv, in einer Halle, über der sich 1.400 Meter Felsgestein türmen. Dadurch ist es nahezu perfekt abgeschirmt vor Störeinflüssen. Nur dann kann XENON funktionieren, so heißt das Experiment einer 160-köpfigen Arbeitsgruppe, zu der auch Manfred Lindner vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg zählt.
"Wir sind im Untergrund, um dort die primäre Aufgabe, die Suche nach dunkler Materie im Universum, zu verfolgen."
XENON sucht nach neuen Elementarteilchen - den Trägern der Dunklen Materie, die die Galaxien zusammenhält wie ein unsichtbarer Klebstoff. Basis ist ein großer Tank, gekühlt auf minus 100 Grad Celsius, gefüllt mit drei Tonnen flüssigem Xenon, einem Edelgas.
Ein "Überschuss an Ereignissen"
"Die Suche nach dunkler Materie ist etwas ähnliches wie ein Billardspiel mit einer unsichtbaren Kugel. Wir stellen sehr viele Xenon-Atome in den Weg. Und wenn ein unsichtbares Teilchen durchkommt, wird es Streuereignisse geben, die man sehen kann mit Lichtsensoren, die einzelne Lichtteilchen nachweisen können."
Bislang hat XENON zwar noch keine Anzeichen für Dunkle-Materie-Teilchen aufgespürt. Dafür aber vermelden die Fachleute nun, nach Analyse der jüngsten Messdaten, etwas anderes Aufregendes.
"Wir haben die Daten sehr sorgfältig analysiert und haben gefunden, dass in diesen Daten ein Überschuss an Ereignissen da ist."
Die hochempfindlichen Lichtsensoren haben also öfter angeschlagen als erwartet, sagt Kathrin Valerius vom Karlsruher Institut für Technologie.
Drei Ansätze könnten die Beobachtung erklären
"Das sind nur ein paar Dutzend Ereignisse, eine kleine Zahl, die man da findet. Aber die sind unerklärt. Man muss erst mal eine Erklärung herausfinden, wodurch diese zusätzlichen Events zustande gekommen sind."
Was könnte hinter dem unerwartet häufigen Aufblitzen der Lichtsensoren stecken? Die Fachleute haben drei Erklärungsversuche parat.
"Davon ist eines eine eher profane Erklärung. Die anderen beiden würden schon recht spektakuläre Physik beinhalten."
Die profane Erklärung: radioaktives Tritium. Es könnte schlicht sein, dass sich mehr von dem schweren Wasserstoff-Isotop in die Apparatur geschlichen hat als geplant, was den Überschuss an detektierten Ereignissen erklären würde.
Neutrinos mit unerwarteten Eigenschaften?
Spektakulärer wäre Erklärung Nummer zwei:
"Dass es sich um ein altbekanntes Teilchen, nämlich das Neutrino, handeln könnte, was aber andere Eigenschaften hat, als es nach dem Standardmodell haben könnte. Und zwar müsste das Neutrino, um diesen Überschuss zu erklären, mit einem Magnetfeld wechselwirken in einer stärkeren Art und Weise, als das von den Neutrinos heute bekannt ist und von ihm erwartet würde."
Neutrinos durchfluten den Raum in unvorstellbaren Mengen. Da sie kaum mit Materie interagieren, bekommen wir davon nichts mit. Die XENON-Daten könnten darauf hindeuten, dass das Neutrino deutlich magnetischer reagiert als gedacht - ein bemerkenswertes Resultat.
Noch bemerkenswerter wäre Erklärung Nummer drei. Demnach würde ein gänzlich neues Teilchen hinter der Sache stecken, das Axion, sagt Manfred Lindner.
"Diese Axionen sollten unter anderem in der Sonne produziert werden. Und ein Strom von Axionen soll sich zur Erde begeben. Sollte auch durch unseren Detektor fliegen und sollte eventuell streuen."
Eindeutige Zuordnung noch nicht möglich
Die Entdeckung eines neuen Teilchens wäre eine physikalische Sensation, zumal manche Theorien sogar davon ausgehen, dass Axionen hinter der dunklen Materie stecken. Doch welche der drei Erklärung könnte die richtige sein? Das können, meint Kathrin Valerius, nur neue und bessere Experimente klären.
"Da werden in den nächsten Monaten neue Instrumente an den Start gehen. Eines davon ist gerade der Nachfolger von Xenon. Der wird am gleichen Ort im Gran-Sasso-Labor in Italien gerade aufgebaut und hat ungefähr dreimal so viel aktives Volumen wie der vorherige."
Erste Resultate könnten im nächsten Jahr vorliegen. Und dann könnte klar sein, ob neue, aufregende Physik hinter der Sache steckt - oder doch nur eine schlichte radioaktive Verunreinigung.