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Xenotransplantation bei einer Hirntoten
Organspende vom Schwein - Bilanz eines umstrittenen Experimentes

Weltweit erstmals haben Chirurgen ein gentechnisch verändertes Schweineorgan an einen menschlichen Körper angeschlossen. 54 Stunden lang funktionierte die Niere im Körper einer Hirntoten. Transplantationsmediziner sehen darin einen wichtigen Fortschritt für die Verpflanzung von Tierorganen.

Von Michael Lange | 28.10.2021
Eine Operation am Transplantationszentrum des Uniklinikums Leipzig. Medizinisches Personal in OP-Kleidung steht am OP-Tisch, eine Person bedient einen Computer.
Eine Operation am Transplantationszentrum des Uniklinikums Leipzig - hier wird noch keine Xenotransplantation durchgeführt (dpa/Waltraud Grubitzsch)
Nach jahrelangen Tierversuchen haben New Yorker Chirurgen in der vergangenen Woche erstmals einen Versuch am Menschen gewagt. Empfängerin einer Schweineniere war jedoch keine nierenkranke Patientin, sondern eine Hirntote. Dennoch erklärte der leitende Chirurg Robert Montgomery vom Transplant Institute der New York University: "Wir haben die erste erfolgreiche Transplantation einer Schweineniere in einen Menschen durchgeführt."

Handelte es sich um einen Durchbruch für die Transplantation tierischer Organe?

Von einem Durchbruch für die so genannte Xenotransplantation kann nicht die Rede sein, eher von einem Zwischenschritt. Bisher wurde von der zuständigen Behörde FDA keine Genehmigung für die Transplantation von Tierorganen in Menschen erteilt. Experimente mit Hirntoten werden von der FDA nicht gefordert. Sie spielen für die Zulassung keine Rolle.

Warum führt man solch einen Zwischenschritt auf dem Weg zur Xenotransplantation durch?

Die Experimente sollen demonstrieren, dass die Verpflanzung gentechnisch veränderter Schweineorgane im Prinzip funktioniert. Der Transplantationspionier Professor Bruno Reichart von der LMU München vermutet jedoch einen anderen Grund für das Experiment mit einer Hirntoten. Er macht die Konkurrenz verschiedener Biotechnologiefirmen in den USA verantwortlich. Sie bräuchten nach vielen Jahren der Forschung dringend Erfolge, um ihre Investoren bei Laune zu halten.
Ein Mantelpavian (Papio hamadryas), liegt in Deutschland im Zoo Berlin auf einem Felsen.
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Kann man die Transplantation als Erfolg bezeichnen?

Sie verlief wie geplant. Die Operation dauerte zwei Stunden. Dabei wurde die Schweineniere an den Blutkreislauf der Hirntoten angeschlossen. Die Schweineniere wurde nicht in den Körper hinein transplantiert. Eine akute Abstoßungsreaktion fand nicht statt. Die Niere reinigte das Blut der Hirntoten und produzierte Urin. Die Laborwerte bestätigten eine gesunde Nierenfunktion. Nach 54 Stunden wurde das Experiment beendet. Die beteiligten Ärzte äußerten sich zufrieden mit dem Ergebnis ihres Experiments. Eine überprüfbare wissenschaftliche Publikation fehlt aber noch.

Das Schweineorgan wurde gentechnisch verändert. Welche Veränderung wurde durchgeführt?

Beim Spenderschwein schalteten Gentechniker ein Gen namens Alpha Gal aus. Es ist verantwortlich für ein Zuckermolekül auf der Zelloberfläche. Dadurch verhinderten sie eine akute Abstoßungsreaktion, wie sie ohne Genmanipulation bereits Stunden nach der Transplantation eines Tierorgans auftreten würde. Allerdings stellen die verpflanzten Schweinenieren nicht den aktuellen Stand der Forschung dar. Für Tierexperimente mit Pavianen werden längst Schweineorgane verwendet, bei denen mehrere Gene ausgeschaltet wurden. Diese zusätzlichen genetischen Veränderungen sollen auch eine langfristige Abstoßung nach Wochen oder Monaten verhindern.

Nach 54 Stunden wurde das Experiment abgebrochen. Hätte die Niere auch länger funktionieren können?

Bis zum Abbruch lief alles wie geplant. Das Experiment hätte verlängert werden können. Allerdings bestand eine große Gefahr, dass es später doch zu Abstoßungsreaktionen gekommen wäre. Wie lange eine Schweineniere in einem lebenden Menschen arbeiten würde, lässt sich nach diesem Experiment nicht vorhersagen. Um längere Überlebenszeiten zu erzielen, wären auf jeden Fall weitere genetische Veränderungen notwendig.

Ist jetzt der Weg frei für die Behandlung von ersten Patienten?

Mehrere Arbeitsgruppen stehen in den Startlöchern und wollen demnächst eine Zulassung für erste klinische Studien beantragen. Sie haben zahlreiche Tierversuche mit Pavianen als Organempfänger vorzuweisen. In München überlebten Paviane mehr als zwei Jahre mit einem Schweineherz, wenn das Pavianherz im Körper des Empfängertiers belassen wurde. Bruno Reichart möchte ein ähnliches "Huckepack-Verfahren" auch beim Menschen einsetzen. Er versichert: Das Herz sei keinesfalls komplizierter als die Niere und könne ebenso vom Schwein zum Menschen verpflanzt werden.

Wie ist dieses Menschenexperiment mit einer Hirntoten ethisch zu bewerten?

Die hirntote Frau hatte sich zu Lebzeiten freiwillig zur Organspende bereit erklärt. Ihre Organe konnten aber nicht zur Transplantation verwendet werden. Als die Angehörigen der hirntoten Frau gefragt wurden, stimmten sie dem Experiment zu. Weniger fragwürdig wäre es gewesen, wenn die Betroffene selbst zu Lebzeiten ihren Körper nach dem Tod nicht nur zur Organspende, sondern für die medizinische Forschung zur Verfügung gestellt hätte.
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