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Yeti der Teilchenforscher?

Physik. – Eine aufsehende Entdeckung in der Teilchenphysik gerät ins Zwielicht. Vor zwei Jahren meldeten Forscher, sie hätten das besonders schwere, auf fünf einzelnen Quarks zusammengesetzte Pentaquark entdeckt. Seither hat niemand diese Entdeckung nachvollziehen können. Auf der Teilchenphysik-Tagung "HEP 2005" in Lissabon waren daher viele skeptische Stimmen zu hören.

Von Frank Grotelüschen |
    "In der Grundlagenforschung sind wir immer an der Grenze zwischen Sein und Nichtsein. "

    Karin Daum hält es mit Hamlet. Wie Shakespeares Prinz wälzt die Physikerin der Universität Wuppertal fundamentale Probleme. Doch nicht um Leben und Tod geht es ihr, sondern schlicht um die Frage, aus was die Welt letztlich besteht. Materie - das weiß man - setzt sich aus Atomen zusammen. Atome haben einen Kern. Der besteht aus Protonen und Neutronen. Und die wiederum sind aus noch kleineren Bausteinen aufgebaut - den Quarks.

    Diese Quarks nun können nie alleine vorkommen, sondern immer nur im Paket. Bislang kennen die Physiker ausschließlich Teilchen, die aus zwei Quarks bestehen oder aus drei, etwa das Proton. Theoretisch aber könnte es auch andere Konstellationen geben - zum Beispiel ein Teilchen aus fünf Quarks, Pentaquark genannt. Vor zwei Jahren behaupteten vier Forscherteams, das Pentaquark aufgespürt zu haben. Die Fachleute waren begeistert. Doch heute urteilen die meisten anders. Daum:

    "Es ist an der Grenze dessen, dass es wirklich eindeutig ist. Die Frage ist bis heute nicht geklärt, ob das eindeutig ist."

    Ein Problem: Würde es denn existieren, wäre das Pentaquark kein stabiles Teilchen. Nach dem milliardsten Teil einer Milliardstel Sekunde zerfiele es in seine Bruchstücke. Das macht die Suche natürlich schwierig. Daum:

    "Wir müssen es aus den Bruchstücken rekonstruieren. Wie wenn man ein Auto zerkloppt, und dann versucht man das wieder zusammenzufügen, bis man sagt: Okay, das ist ein Auto gewesen. Genauso arbeiten wir auch."

    Allerdings könnte es auch sein, dass die aufgesammelten Bruchstücke zu einem Lastwagen gehören und nicht zu einem Auto. Doch es kommt für die Jäger des Pentaquark noch schlimmer. Kürzlich widerrief eine der Gruppen, die vor zwei Jahren das Pentaquark gefunden haben wollten, ihre Entdeckung. Das Jefferson Lab in den USA hatte noch mal genauer nachgemessen, sagt Karin Daum.

    "Der Schluss, den die Jefferson-Leute selber geben, ist, dass ihre erste Beobachtung, die sie vor zwei Jahren publiziert haben, doch wahrscheinlich nur eine Fehlmessung gewesen ist."

    Auch andere, zuvor unbeteiligte Experimente haben inzwischen nach dem Teilchenexoten gesucht. Der Erfolg war bescheiden. Nelli Puhaeva vom CERN in Genf:

    "Bei unserem Experiment haben wir sehr viele und sehr saubere Daten. Bei uns lassen wir Elektronen auf ihre Antiteilchen prallen, die Positronen. Und sollte das Pentaquark tatsächlich existieren, hätte es eigentlich in unseren Daten auftauchen müssen."

    Theoretisch könnte es allerdings sein, dass ein Beschleuniger, der Elektronen auf Positronen feuert, Pentaquarks gar nicht herstellen kann. Woanders schießt man Elektronen auf Wasserstoffkerne - und zwar mit dem Beschleuniger Hera in Hamburg. Sergej Chekanov:

    "Unser Experiment hat eine Spur gefunden, die auf das Pentaquark hindeutet. Doch ein anderes Experiment am selben Beschleuniger hat noch nichts beobachtet. Um also sicher zu gehen, brauchen wir noch mehr Daten. Und die sammeln wir gerade."

    Bis Mitte 2007 wollen Chekanov und seine Leute weitersammeln. Dann könnte sich die verworrene Situation vielleicht klären. Karin Daum jedenfalls verlässt allmählich der Mut:

    "Vor einem halben Jahr hätte ich noch gesagt, die Chancen sind 50:50 dafür, dass es existiert oder nicht existiert. Jetzt würde ich sagen, ist die Chance, dass es existiert, kleiner als 50 Prozent."

    Wer weiß - vielleicht ist das Pentaquark nur ein Fabelwesen, das die Physiker kräftig narrt. Im Moment jedenfalls droht es zum Yeti der Teilchenforscher zu werden: Manch einer wähnt sich ihm auf den Fersen, doch handfeste Beweise bleiben aus.