Freitag, 19. April 2024

Archiv


Yoga im Nationalsozialismus

Yoga ist in der westlichen Welt in. Vor allem in den Städten wachsen die Yoga-Studios wie Pilze aus dem Boden. Wenig bekannt aber ist, dass Yoga auch von führenden Personen im Nationalsozialismus praktiziert wurde, die diese altindische Philosophie und Körperbeherrschungsmethode als Grundlage für eine rein arische Religion schätzten.

Von Thomas Klatt | 11.04.2012
    Auf Yoga gibt es kein Copyright. Man müsse eben aufpassen, was unter diesem Namen alles angeboten werde, sagt Yoga-Lehrer und Buchautor Mathias Tietke.

    "Aus meiner Sicht ist es so, dass ein Teil durchaus qualifiziert ist. Es gibt mehr als 500 Unterrichtseinheiten, die man absolvieren muss, um das Zertifikat zu bekommen vom Berufsverband der Yogalehrenden. Es gibt aber, gerade in den Großstädten, ebenso viele Yogalehrerinnen, hauptsächlich, und auch Yogalehrer in der Minderzahl, die ihr Zertifikat am Wochenende oder in einem Kurs in den USA machen. Das ist eine Zertifizierung nach amerikanischem Muster, keiner kann überprüfen, was da passiert, es wird einem auch nicht vorgelegt. Und in diesem Spektrum gibt es halt reichlich Menschen, die einen Yoga vermitteln, der sehr sportlich ist, sportiv, wo es um das Einnehmen, das Abturnen von Yogahaltungen geht, aber ohne den Hintergrund und ohne die Essenz des Yoga."

    Zu Beginn des Yoga in Deutschland vor gut 200 Jahren wurde der körperbetonte Hatha-Yoga abgelehnt. Das sei eben für Europäer gar nicht zu bewältigen. Es zählte allein die rein geistig-philosophische Ebene, der Raja Yoga, der Königsyoga.

    "Das lässt sich festmachen insbesondere an dem Philosophen Schelling, der Mitte des 19. Jahrhunderts bereits Yoga klar definiert hat als Innigkeit, als Zurückziehen der Sinne, den Blick von den äußeren Dingen abziehen. Yoga leitet sich ja von Joch ab, das heißt, es geht um die Vorstellung, dass man die Kräfte bündelt, fokussiert, konzentriert, auf ein Ziel zusteuert. Die klassische Definition, etwa 2000 Jahre alt, bedeutet: Das Zur-Ruhe-Bringen der Bewegungen des Geistes."

    Schopenhauer, Nietzsche, August Wilhelm Schlegel, Novalis bis hin zu den Theosophen und Anthroposophen nahmen Yoga als reine Geistesbildung begeistert auf. Die Körperverrenkungen überließen sie lieber indischen Fakiren, die im Zirkus oder auf dem Jahrmarkt auftraten. Einem breiteren Publikum wurde Yoga aber erst ab den 1970er-Jahren bekannt. Und dazwischen?

    Mathias Tietke hat intensiv in den Archiven geforscht. Überraschend für ihn: Entgegen landläufiger Meinung und Aussagen in Lehrbüchern und Nachschlagewerken war Yoga im Dritten Reich alles andere als verboten. So betrieb der Russe Boris Sacharow bis zu seiner Ausbombung 1943 mitten in Berlin ungehindert eine Yoga-Schule mit mehr als hundert Schülern. Sacharow hielt auch Yoga-Vorträge zusammen mit dem Tübinger Indologen Jakob Wilhelm Hauer, der die Verbindung von Yoga und Nationalsozialismus suchte. Er lobte das Ideal des furcht- und emotionslosen arischen Kriegers.

    "Hauer hat die Überbrückung geschaffen, Yoga als etwas zu definieren am Beispiel der Heiligen Schrift der Inder, der Bhagavad Gita, was er die indoarische Metaphysik des Kampfes und der Tat nennt. Das ist das, was unter dem Yogaexperten und Indologen Jakob Wilhelm Hauer aus Yoga gemacht wurde."

    Schon weit vor der Nazi-Zeit war den meisten Yoga-Rezipienten in Deutschland die Ablehnung alles Jüdischen gemeinsam, sagt Tietke.

    "Das findet man zumindest schon bei Schopenhauer, von dem gern zitiert wird, dass die Upanishaden der Balsam für seine Seele war, der Trost für sein Leben. Dieser Satz wird immer wieder gern zitiert, aber nicht der Satz, der davor steht, dass damit diese ganze alte jüdische Litanei endlich abgelegt werden kann. Das findet man bei Schopenhauer, das findet man nachfolgend sehr deutlich bei Nietzsche, das findet man bei Chamberlain, das findet man bei Rosenberg: Wir haben die alten Schriften: den Rigveda, den Vedanta, die Bhagavad Gita. Das ist das, was den Übermenschen ausmacht, das ist etwas, das die arische Rasse ausmacht."

    Der arische Yoga wurde entdeckt. So wie Gott Krishna den Krieger Arjuna von all seinen Gewissensbissen befreit und ihn zum gnaden- und gefühllosen Töten selbst seiner Verwandten auf dem Schlachtfeld bringt, so soll dies Tausende Jahre später auch zum Vorbild für die arisch-germanischen Kämpfer im Zweiten Weltkrieg werden.

    "Die vorherrschende Ethik der Bhagavad Gita ist die der Kshatriya-Kaste. Die Kashtriya-Kaste ist die Kaste der Krieger. Und die Ethik, die dort vermittelt wird, lautet: Egal wer vor dir auf dem Schlachtfeld steht, egal wem du auf dem Schlachtfeld begegnest, schlachte den Gegner ab, weil das ist nur das Materielle, der physische Körper, doch es zählt das Geistige, es geht um einen höheren Zweck."

    Eine Kriegerethik, die manchen Nazis gerade recht kam. Berühmtester Bhagavad-Gita-Leser war SS-Reichsführer Heinrich Himmler.

    "Die arische Metaphysik des Kampfes und der Tat ist etwas, das für jemanden wie Himmler, der ohnehin offenbar Gewissensbisse hatte, zupass kam. Sodass er den finnischen Physiotherapeuten Felix Kersten immer wieder brauchte, damit er seine Verkrampfungen, seine Krämpfe weg massiert. Und ihm gegenüber hat er sich offenbart, dass dieses vierte Kapitel aus der Bhagavad Gita, wo es um den Yoga der Erkenntnis geht: Handle, aber hänge dich nicht an die Tat; töte, aber bleib dabei völlig gelassen, ihn fasziniert. Das war etwas, was ihm als Gewissensentlastung sehr zupass kam."

    Nationalsozialismus und Yoga waren also kein Widerspruch, sondern ließen sich kongenial zu einer Art neuen arischen Religion verbinden.

    "Himmler hat immer ganz großen Wert darauf gelegt, dass er nicht nur eine starke Truppe hat, die gut kämpfen kann und mit den Waffen gut umgeht, sondern dass er einen spirituellen Orden möchte. Etwas, was er immer wieder betont: Ihr könnt in die Häuser rein gehen, tötet die Familien, kämpft, aber wehe ich erwische einen, der eine Mark vom Boden aufhebt. Ihr habt absolut integer zu sein. Ihr habt ehrlich zu sein. Ihr seid Krieger, die eine Ethik vertreten. Ja. Kshatriya-Kaste, das müssen wir sein! Das findet sich dann auch in einem Gespräch mit Kersten, wenn dieser blöde Krieg zu Ende ist, dann wird er alle Nazigrößen darauf verpflichten, dass sie bei den Meditationsretreats bei Buttermilch und Schwarzbrot und der Lektüre der Bhagavad Gita den Weg nach innen finden und sich mit Yoga befassen."

    Goebbels, Göring und Himmler gemeinsam im Lotussitz vereint? Eine Vorstellung, die den meisten Lehrenden und Übenden in der heutigen Yoga-Szene unvorstellbar ist. Nicht nur dass gewaltbereite Hindu-Nationalisten sich weiterhin auf die Kriegerethik der Bhagavad Gita stützen. Matthias Tietke erlebt auch hierzulande den weiteren Missbrauch. Er selbst hat es während seiner eigenen Yoga-Ausbildung erfahren müssen.

    "Der körperliche Ansatz des Hatha-Yoga wird mitunter verknüpft mit einer Art Hinduismus-light. Es werden so folkloristische Elemente herausgenommen und dann findet eine Indoktrination statt. Ich hab dann zu hören bekommen, ich müsste nur lange genug meditieren um anzuerkennen, dass es das Karma der Juden war, vernichtet zu werden. Und das wäre die Sicht des Yoga. Und wenn ich das nicht einsehe, soll ich solange meditieren, bis ich dieses Wissen als richtig anerkenne."