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Zäh zwischen Holz und Honig

Physik. - Der Effekt findet seit mindestens fünfzig Jahren das lebhafte Interesse der Ingenieure, denn er könnte im Maschinenbau viel Gutes tun: Schwingungen dämpfen - was er in neuartigen, blitzschnell einstellbaren Dämpfern für Automobile bereits tut -, er könnte in Kunstmuskeln Eingang finden, virtuelle Ohrfeigen in wahrhaftig fühlbare wandeln und vieles mehr. Lange Zeit hatte die Technik mit Schwierigkeiten zu kämpfen, jetzt – so wurde auf dem diesjährigen Wolfsburger Adaptronics Congress dargelegt - ziehen elektrotheologische Flüssigkeiten in die Technik ein.

    Von Mathias Schulenburg

    Der Effekt ist so simpel wie verblüffend: Eben noch ist die Flüssigkeit beweglich wie Sirup, dann dreht Axel Rückert von der Darmstädter Firma Fludicon einen Knopf und die Flüssigkeit wird auf der Stelle hart wie Holz - der Hebel, der einen in der Flüssigkeit steckenden Stempel eben noch leicht bewegen konnte, ist blockiert:

    Der Witz an diesen Elektrofluiden ist, dass man ihr Fließverhalten über äußere elektrische Felder verändern, beeinflussen kann. Und so gelingt es, das Fließverhalten oder die Viskosität des Fluids von flüssig bis über eine Fließgrenze hinaus praktisch in einen festen Zustand zu überführen und das kann man z.B. nutzen in einem Ventil, wo sich das Fluid praktisch selbst den Weg absperren kann.

    Oder in der Haptik, der Kunst, in eine virtuelle Umgebung echte Kräfte einzubringen. So sollte mit elektrorheologischen Flüssigkeiten ein Datenhandschuh machbar werden, der sich blitzschnell versteift, wenn die dazu gehörenden virtuellen Finger ein virtuelles Hindernis berühren, was die echten Finger dann fühlen könnten. Bei allen Anwendungen am Menschen ist zu beachten, dass der Effekt ordentliche Spannungen benötigt. Es waren viele kleine scheinbar unscheinbare Verbesserungen, wie die Kontrollierbarkeit des Temperaturverhaltens, die Elektrorheofluiden zur technischen Reife verholfen haben: Rückert:

    Das Geheimnis ist die Rezeptur, wie man zu diesem Ergebnis kommt, aber das Fluid basiert auf einem Siliconöl derzeit, und hat Kunststoffpartikel gelöst, die dann dafür sorgen, dass diese Viskositätserhöhung dann auch eintritt wenn man das elektrische Feld hier anlegt.

    Die verwendeten Kunststoffpartikel haben einen Durchmesser von rund einem Mikrometer, im Ölgemisch nehmen sie einen Volumenanteil von 20 bis 60 Prozent ein. Wenn eine elektrische Spannung angelegt wird, bilden die Kunststoffpartikel widerstandsfähige Ketten. Rückert:

    Durch das elektrische Feld werden die Partikel, die sich in dem Fluid befinden, zu Dipolen, die sich dann wiederum im elektrischen Feld entsprechend ausrichten, und dieses Ausrichten führt dann zu einer Textur innerhalb des Fluids und das bewirkt wiederum die Viskositätserhöhung.

    Bis hin zur Blockade. Der Effekt, sagt Axel Rückert, kann viele Konstruktionen einfacher machen. So kann man Ventile bauen,

    die keine mechanisch bewegten Teile mehr haben. Das heißt, wir haben keine Reibung im Ventil, damit keinen Verschleiß, und das ist ein wesentlicher Vorteil. Und die Ventile sind zudem sehr schnell schaltbar, und ich kann damit auch kleinste Volumenströme noch sauber regeln. Das ist eine ganze Bandbreite von Vorteilen, die sich dann über die Ventilanwendung hinüber in andere Applikationen wie Dämpfer oder dann Aktoren nutzen lassen.

    Elektrorheologischen Flüssigkeiten dürfte eine lichte Zukunft gewiss sein, denn sie lassen die Phantasie der Ingenieure nicht ruhen. Das Patent Nr. 2 282 370 der University of Hull von 1995 etwa beschreibt, wie man elektrorheologisch sogar mit einer Ölpest fertig wird. Erst wird Kartoffelstärke über das Öl geschüttet - die Mischung hat elektrorheologische Eigenschaften. Dann senkt ein Hubschrauber eine Plattform mit vielen Elektroden in die Pampe und aktiviert einen Hochspannungsgenerator. Das Öl-Stärke-Gemisch erstarrt und wird zu einer Barke geflogen. Hochspannung aus, Öl fließt in Barke, Hubschrauber fliegt wieder zum Ölteppich und so weiter. Das Patent hat sich bislang nicht durchgesetzt, wohl weil sich Salzwasser und Elektrizität nicht vertragen.