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Zafer Senocak über "Unterwerfung"
"Geschrieben mit einem Schuss Untergang des Abendlandes"

Houellebecq zeichne in seinem Roman "Unterwerfung" einen raffinierten und weichgewaschenen Islam, der friedlich daherkomme, aber letztlich die Gesellschaft in die Hand nehme, urteilte Autor Zafer Senocak im DLF. Damit habe er die Angst der Menschen, die aktuell gegen eine angebliche Islamisierung auf die Straße gingen, literarisch ausgeformt.

Zafer Senocak im Gespräch mit Andreas Main |
    Eine Frau list in Michel Houellebecqs Roman "Soumission".
    Eine Frau list in Michel Houellebecqs Roman "Soumission". (BERTRAND GUAY / AFP)
    Andreas Main: Dieses am Freitag erscheinende Buch wollen wir jetzt einordnen mit dem Berliner Autor Zafer Senocak. Er ist 1961 in der Türkei geboren; er lebt seit 44 Jahren in Deutschland. Eines seiner Bücher: "Das Land hinter den Buchstaben. Deutschland und der Islam im Umbruch". Oder auch: "Deutschsein. Eine Aufklärungsschrift". Zafer Senocak sitzt in unserem Berliner Studio. Guten Morgen Herr Senocak.
    Zafer Senocak: Guten Morgen.
    Main: Jeder liest diesen Roman wie er will. Die einen fürchten, er schüre Islamfeindlichkeit; andere sehen in diesem Buch eine Streitschrift für den Islam, weil der nun mal stark sei und nicht so aufgeweicht wie die laizistisch-liberale Establishment. Zu welcher Position neigen Sie?
    Senocak: Zu keiner dieser Positionen. Es handelt sich um einen Roman. Das heißt, der Autor entwirft ein Modell für seine Figur, das man nicht unbedingt gleichsetzen kann mit dem Islam, mit Islamophobie, mit unseren Diskussionen. Das ist der Wert dieses Buches. Wenn man es schaffen könnte, hinter diese Schablonen zu schauen, dann könnte man die Tragik und die Melancholie einer einzelnen Figur wahrnehmen, die der Hauptfigur. Und darüber könnten wir dann diskutieren.
    Main: Dann ist es kein Islam-Roman?
    Senocak: Das ist ein Roman über uns, über Europa im 21. Jahrhundert, über die post-industrielle Gesellschaft, über die post-feministische Gesellschaft, über alles, was sozusagen schon passiert ist. Es ist natürlich geschrieben mit einem Schuss Untergang des Abendlandes, das muss man sagen. Das mag man negieren oder auch wenig kreativ finden, weil ja diese Einstellung, dass die Zivilisation zugrunde geht nun seit mindestens dem ausgehenden 18., beginnenden 19. Jahrhundert ja schon in der europäischen Kultur angesiedelt ist, wie wir wissen. Das nimmt Houellebecq ganz bewusst auf und exerziert dann diese Denkübung anhand seiner Hauptfigur eines Intellektuellen, der sozusagen aus einer zerrütteten Familie kommend, nicht schaffend eine Familie selber zu gründen, an seiner Einsamkeit und ein bisschen auch so an seiner Grundmelancholie zugrunde zu gehen droht.
    Main: Sie sind kein großer Freund eines politischen Islams, plädieren eher für eine mystisch-spirituelle Ausrichtung Ihrer Religion, wenn ich Sie richtig verstehe. Wie würden Sie beschreiben, wie Houellebecq an den Islam herantritt?
    Senocak: Eigentlich gar nicht, weil – es ist doch interessant bei unseren ganzen Debatten. Im Grunde genommen ist die westliche abendländische Kultur die dominierende Kultur. Wer sozusagen in dieser Kultur nicht zu Hause ist, sich dort nicht bewegt, ist eigentlich gar nicht auf der Welt. Was aber wissen wir von der islamischen Kultur? Das, was Houellebecq aufnimmt – interessanterweise, sind ja wieder die verschleierten Frauen, das Frauenbild, die paradiesischen Verhältnisse für die Männer, natürlich grob karikiert gezeichnet – das Übliche. Das ist ein bisschen der Islam der Islamisten und aber auch der Betrachter aus dem Westen. Das ist deckungsgleich, das ist auch gleichzeitig unsere Tragik. Verantwortung dafür tragen aber in erster Linie, bitte schön, die Muslime. Denn sie haben nämlich eine Reduktion ihrer Kultur zugelassen. Wenn Sie schauen – Sie haben die Mystik erwähnt – die großen Mystiker des 12./ 13. Jahrhunderts, die wirklich guten Biografien über diese Mystiker sind alle im Abendland geschrieben worden. Sie müssen einen Massignon lesen, um Halladsch zu verstehen. Das ist eben die große Herausforderung an die islamische Kultur. Das findet bei Houellebecq leider gar nicht statt, sondern wir haben das, was wir aus der Zeitung kennen. Einen raffinierten, so ein bisschen weichgewaschenen Islam, der so friedlich daher kommt, aber letztlich die Gesellschaft in die Hand nimmt. Also im Grunde genommen haben wir da die Angst der Menschen die jetzt gegen die "Islamisierung" [lacht] auf die Straße gehen ein bisschen auch literarisch umgeformt.
    "Ein Autor in der Tradition der kulturpessimistischen Literatur"
    Main: Sie sprechen jene Demonstranten an, die sich Pediga nennen. Ich sage mal so, ein Pediga-Anhänger wird diesen Roman allerdings auch nicht mögen. An welchen Punkten unterscheidet sich das Weltbild jener selbsternannten Patrioten, die meinen das Abendland retten zu müssen, vom Weltbild dieses Schriftstellers, wie es sich im Roman widerspiegelt?
    Senocak: Wie gesagt: Das ist ein Roman. Ich würde das jetzt nicht mit irgendwelchen politischen Parolen in Verbindung setzen wollen. Das müsste man die Pediga-Anhänger selber fragen. Wo wollen die sich da unterscheiden, da bin ich kein Experte. Aber ich würde einfach sagen, hier ist ein Autor am Werk, der in der Tradition der kulturkritischen, kulturpessimistischen Literatur schreibt, der sehr viel aufnimmt – auch vom Vergangenen und den vergangenen Jahrhunderten. Es gibt ja auch Ausflüge ins französische Mittelalter. Und der auf einer verzweifelten Suche auch ist mit der Figur – zumindest – nach einer Art von Identität. Da natürlich gibt es Überschneidungen. Die Identitätssuche auf eine gewissen parolenhaften Ebene, wie wir sie auf den Straßen finden, findet hier sozusagen eine literarische Entsprechung, die aber gleichzeitig sarkastisch – da haben Sie recht – negiert wird, weil die Identitätssuche am Ende beim Islam landet, also beim Gegner sozusagen. Das Interessante ist ja, dass die französischen Islamisten oder politisch islamisch Aktiven im Roman von Houellebecq alte Identitäre sind, also Rechtsradikale oder Rechte, die konvertiert sind. Und hier denken wir natürlich auch stark an die Kollaboration, an die Zeit, als die Nazis Frankreich besetzt haben. Ich glaube, da gibt es wirklich viele Anspielungen.
    Main: Ist womöglich Houellebecq auch im Grunde ein romantischer Sucher nach den laizistischen Wurzeln?
    Senocak: Würde ich nicht sagen. Ich glaube, er sucht gar nicht mehr, sondern er hat eigentlich die Suche aufgegeben. Was mich in diesem Buch ein bisschen gestört hat, ist so diese Art Verzweiflung, die aber gar nicht so als Verzweiflung rüberkommt, sondern als Sarkasmus letztlich. Es gibt so einen kleinen Ausspruch, wo er dann beschreibt, wie die Gesellschaft die Individualität abschafft, also diese sich islamisierende französische Gesellschaft sagt da einfach: Fuck autonomy. Das ist dann die Antwort darauf. Das ist mir einfach zu wenig, aber es ist eine Geisteshaltung natürlich. Die wird anhand der Figur schon glaubhaft dargestellt.
    Main: Sarkasmus kann ja manchmal verletzen. Gibt es Passagen in diesem Buch, wo Houellebecq religiöse Empfindungen normaler Muslime beleidigt?
    Senocak: Ach Gott, ich bin wirklich kein Experte für Beleidigungsfragen. Ich würde sagen, überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil, viele würden – glaube ich – (…) träumen von dem Islam, den der da beschreibt, der so listig an die Macht kommt. Und dann eigentlich eine faschistoide Gesellschaft errichtet, ohne den Namen faschistoid zu gebrauchen. Also eine Kontrolle ganz listiger Art, also wie die Universität da von Nicht-Muslimen sozusagen gereinigt wird, wie die Leute in die Pension geschickt werden mit hohen Pensionsansprüchen. Also alles auf so einer listigen Ebene. Und dann das Ganze europaweit bitte schön, Frankreich genügt ja nicht. Wer redet heute von einer Nation in unserer Welt, das muss gleich europaweit sein. Und der ganze Mittelmeerraum wird ja angeschlossen. So eine richtige Männerphantasie eigentlich, würde ich sagen, wie es ja einige Männerphantasien in diesem Buch gibt. Aber auch politisch eine Männerphantasie der Neuordnung der Welt, der Gesellschaft grundlegend. Was von links nicht mehr kommt, das macht jetzt der Islam.
    Der Roman ist eine Persiflage
    Main: Sie lachen viel über diesen "Islam-Roman" – ist wohl eher eine Persiflage für Sie?
    Senocak: Absolut. Es ist eine Persiflage. Was können wir daraus lernen? Das ist eine interessante Frage. Ich finde, man kann sehr viel lernen für die Geisteshaltung im 21. Jahrhundert vor allem von manchen – ich würde sagen – männlichen Zeitgenossen. Ich glaube, es wird nicht so offen darüber gesprochen. Zum Beispiel das Frauenbild in diesem Roman – man kann es ja schon als frauenfeindlich bezeichnen...
    Main: Pornografisch ist das Buch in großen Teilen.
    Senocak: Das weiß ich nicht. Ich finde die Beschreibung von Geschlechtsakten nicht unbedingt pornografisch. Aber die Frage ist, was hat der für eine Einstellung gegenüber Frauen, das ist natürlich interessant, – also die Hauptfigur, dass hier schon eine überzogene Frauenfeindlichkeit an den Tag kommt, die natürlich auch so ein bisschen erklärt wird. Die Beziehungen zur Familie, zur Mutter kommt überhaupt nicht gut weg, er fährt nicht einmal zur Beerdigung seiner Mutter. Es ist alles so stark Houellebecq, wenn man den Autor kennt, dann weiß man, dass das für ihn Schlüsselfragen sind.
    Main: Oft ist es ja so, dass mit einer gewissen Ahnungslosigkeit über den Islam geredet und geschrieben wird – auf allen Seiten. Tappt Houellebecq irgendwo in diese Falle? Gibt es echte Fehler? Oder anders gefragt: Wie gut ist "Unterwerfung" recherchiert?
    Senocak: Ja! Das macht er sehr raffiniert. Da gibt so doch diesen Satz, wo es heißt: Eigentlich weiß ich doch gar nichts über den Islam. Damit räumt er natürlich das Ganze auf, dass, wenn man liest, mein Gott schon wieder nur Burka, die vier, fünf, sieben Fragen, wie Islam wahrgenommen wird, als wären das die Hauptthemen – habe ich ja schon vorhin erwähnt – für die Islamisten als auch für die Islam-kritische Gemeinde. Nein, das räumt er eben auf, indem er sagt: Ich weiß eigentlich nichts darüber, ich habe keine Ahnung. Er muss sich ja auch diesen kleinen Katechismus, den der Unipräsident da geschrieben hat, zu Gemüte führen, wo dann wiederum die entsprechenden Fragen zur Polygamie und so weiter abgehandelt werden. Aber wenn man das jetzt vergleicht mit dem, wie der Protagonist mit der eigenen Kultur umgeht – also diese Klostergänge, die er da hat, diese Reisen in das französische Mittelalter in der Nähe von Portier...
    Main: ... in den Katholizismus...
    Senocak: ... in den romantisch gefärbten Katholizismus, der aber schon zerbrochen ist, wo er eben vergeblich Identität und Zuflucht sucht. Das ist natürlich mit großem Wissen geschwängert und das ist entsprechend auch dargestellt, ist auch große Literatur. Wie kann man das sozusagen ausgleichen auf der anderen Seite mit einer Darstellung von muslimischen kulturellen Landschaften? Das findet gar nicht statt, weil wir es auch gar nicht haben. Wir wissen es nicht, die Muslime selbst wissen es auch nicht.
    Main: Das ist ein Plädoyer, sich mit anderen Traditionen des Islam zu beschäftigen
    Senocak: Ja, absolut.