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Zahlen, bis der Arzt kommt

Die EU-Kommission kritisiert die weiterhin grassierende Korruption in Bulgarien. Nun bleibt Brüssel ein Druckmittel, nämlich dem Neumitglied die Subventionen zu kürzen, derzeit immerhin 4,5 Milliarden Euro, falls bestimmte Ziele aus dem Beitrittsvertrag nicht erreicht werden. Im Gesundheitswesen ist Korruption Alltag. Dirk Auer berichtet.

    In einem kleinen Café neben dem Krankenhaus Sveta Anna in Sofia: Es ist Mittag, die Sonne brennt vom Himmel. Hristo Slavkov lässt sich auf eine der freien Stühle nieder und tupft sich den Schweiß von der Stirn.

    "Ich komme gerade aus der sechsten Etage. Mein Bruder hatte eine Augenoperation. Die Ärzte haben gesagt, wir machen die Operation, aber Du musst 900 Leva - also 450 Euro - für die Linse zahlen. Sie haben natürlich behauptet, es müsste die teuerste Linse sein, aber bestimmt nur deshalb, weil sie von der Firma eine Provision bekommen."

    Solche Geschichten kann hier fast jeder erzählen. Offiziell ist die Behandlung in bulgarischen Krankenhäusern zwar kostenlos. Aber trotzdem kommt es immer wieder vor, dass die Patienten zur Kasse gebeten werden. Maria Indzhova wartet schon seit dem frühen Vormittag auf ihren Mann, der eigentlich nur schnell ein paar Papiere abholen wollte.

    "Ich habe einmal 200 Euro für eine Operation bezahlt. Das war vor acht Jahren. Wie ist das möglich? Du musst alles selbst besorgen, die Medikamente, das Verbandsmaterial. Und am Ende nehmen sie dann auch noch Geld von Dir. Und denken Sie nicht, dass sich da was geändert hat. Im Gegenteil: Es wird jeden Tag schlechter."

    Schlecht ist die Situation auch für die Ärzte selbst, die seit Wochen eine Gehaltserhöhung fordern. Zurzeit verdient ein Facharzt in Bulgarien etwa 250 Euro im Monat. Nicht verwunderlich, dass da mancher überlegt, wie er sein Einkommen aufbessern kann. Offene Zahlungsaufforderungen sind zwar selten. Aber, sagt Maria Indzhova:

    "Du gehst ins Krankenhaus, um Dich untersuchen zu lassen, bekommst keinen Termin, und dann schickt Dich der Arzt zu seiner eigenen Privatpraxis. So läuft das. Oder er schickt Dich zu einem Freund, und sie teilen sich dann das Geld."

    Laut einer neuen Studie vom Sofioter Zentrum für Demokratieforschung ist das Problem der Korruption zum ersten Mal zum Thema Nummer eins für die Bulgaren geworden. Das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen war zwar ohnehin nie groß. Durch eine Reihe von Skandalen seit dem EU-Beitritt, die zu Ministerrücktritten führten, wird es aber ständig weiter auf die Probe gestellt. Dennoch: Emil Tsenkov, Mitverfasser der Studie, die die Qualität der eingeleiteten Anti-Korruptionsmaßnahmen untersucht, will daraus keine voreiligen Rückschlüsse ziehen.

    "Korruption ist zum Schlüsselbegriff geworden für eigentlich alles, was in Bulgarien schief läuft. Wir haben eine unprofessionelle Bürokratie, wir haben auch kriminelle Praktiken bis in die obersten Etagen. Aber nicht alle diese Missstände haben etwas mit Korruption zu tun."

    Die Ergebnisse der Untersuchung fallen nämlich eigentlich gar nicht so schlecht aus für Bulgarien, betont Emil Tsenkov. So liege das Korruptionsniveau inzwischen auf einer Stufe mit Italien. In manchen Bereichen steht Bulgarien laut Studie sogar noch besser da als Griechenland, Tschechien oder die Slowakei.

    "Der Trend ist, dass eigentlich immer weniger Korruptionsfälle auftreten. Wenn man bedenkt, dass wir noch in den 90er Jahren absolutes Chaos und totale Korruption hatten, ist die Situation eigentlich gar nicht so schlecht. Das heißt nicht, dass sie gut ist. Wir bleiben natürlich auch kritisch gegenüber der Regierung und vor allem der Justiz, weil viele Reformen nicht so schnell umgesetzt werden, wie wir es erwarten. Entsprechend wird auch der EU-Bericht sehr kritisch ausfallen, was auch gut ist, weil Reformen in Bulgarien vor allem durch Druck von außen umgesetzt werden."

    Vor dem Krankenhaus hat das Warten von Maria Indzhova ein Ende. Ihr Mann hat endlich seine Papiere für seine Behandlung bekommen. Schlecht gelaunt bestellt er einen Kaffee.

    "Alles ist Lüge und Betrug. Nichts ist in Ordnung in Bulgarien. Den ganzen Vormittag habe ich gewartet, und morgen muss ich mein Auto anmelden. Das wird eine Katastrophe. Wer Geld hat, der zahlt 30 Euro, um schneller dran zu kommen. Und wer das nicht macht, der wartet eben den ganzen Tag."

    "Es wird einfach nicht besser","

    klagt seine Frau. Dimiter Indzhov will nicht wirklich widersprechen.

    ""Vielleicht wird es einmal besser werden, aber das werden wir nicht mehr erleben."