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Zahlen der Macht

Umfragen zum Wahlverhalten haben eine lange Tradition. Liegt ein Politiker vorne, erwähnt er sie gerne. Liegt er hinten, tut er sie als Stimmungsbild ab. Da die klassische Parteienbindung immer mehr abnimmt, ist auch das Wahlverhalten immer beweglicher.

Von Jens Rosbach |
    TV-Trailer Angela Merkel: "Das wird ein ganz ganz knappes Rennen. Und deshalb wird auch dieser Satz, der manchmal auch so ein bisschen belächelt wird, dass es auf jede Stimme ankommt, dieser Satz wird wieder sehr wahr werden."

    Sonntagabend - die Spitzenkandidaten von CDU und SPD, Merkel versus Steinbrück. Drei Wochen vor der Bundestagswahl ist fast jeder dritte Wähler unentschieden. So schaut ganz Deutschland auf die neuesten Berechnungen der Demoskopen: die Wahlumfragen.

    Callcenter-Agentin am Telefon: "Wenn man den Bundeskanzler direkt wählen könnte – für wen würden Sie sich entscheiden? Für Angela Merkel oder für Peer Steinbrück?"

    Politiker, Wähler und Medien im Bann der Prozentwerte. Doch: Sind Wahlumfragen nicht ungenau?

    "Dadurch, dass in diesen Callcentern immer eine sehr hektische Atmosphäre herrscht und ein sehr hoher Arbeitsdruck, schleichen sich Fehler ein, permanent und ... ja, man wird wirklich zur Maschine."

    Und dienen Wahlumfragen nicht Spekulationen?

    "Ja, aber das ist gefährlich. Wenn man sich eben allzu weit von der Wirklichkeit dann weg begeben sollte, dann leidet natürlich auch die Reputation."

    Werden Wahlumfragen nicht gar als Wahlkampfmunition genutzt?

    "Mit Umfragen wird natürlich auch versucht, Politik zu machen. Ist doch klar!"

    "Welche Partei würden Sie denn wählen, wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre?"

    Immer wieder: Fehler, Missdeutungen und politisches Kalkül. Dennoch stehen Wahlumfragen hoch im Kurs. So präsentierte die ARD gestern ihren Deutschlandtrend Extra. Laut der Statistik glauben 48 Prozent der Bürger, dass Angela Merkel das TV-Duell gewinnen wird. Lediglich 26 Prozent sind überzeugt, dass Herausforderer Peer Steinbrück am Sonntag siegt. Deutschlandtrend-Demoskop Richard Hilmer kennt die Bedeutung seiner Zahlen.

    "Wahlumfragen werden natürlich intensiv wahrgenommen - in normalen Zeiten ist das der Fall. Und in Wahlzeiten ist das noch mal verstärkt der Fall. Man wird sich sicherlich nicht in erster Linie an Umfragen orientieren. Das wäre sicherlich die schlechteste Konsequenz. Aber eine wichtige Orientierung stellen sie schon dar – in Zwischenwahlzeiten und eben auch kurz vor der Wahl."

    "Nun geht es um Ihre Meinung zu einigen Spitzenpolitikern. Wie ist das zum Beispiel mit dem grünen Fraktionsvorsitzenden Jürgen Trittin? Sind Sie mit seiner politischen Arbeit sehr zufrieden? Zufrieden? Weniger zufrieden? Oder gar nicht zufrieden? Zufrieden, ja?"

    Jens S. hat für verschiedene, teils renommierte Meinungsforschungsinstitute als Callcenter-Agent gearbeitet. Doch der 37-Jährige fühlte sich am Telefon häufig unwohl.

    "Manchmal ist es sehr unangenehm, irgendwo anzurufen und die Leute in ihrem Alltag zu stören. Man muss sich auch viele fiese Sachen anhören. Oder man merkt auch, dass am anderen Ende die Person anfängt, selber Strategien zu entwickeln, schnell durch das Gespräch zu kommen. Also dass die einfach nur noch sagen, mhm CDU, mhm CDU, mhm CDU – weil sie schnell durch das Gespräch kommen möchten."

    Der Berliner, der inzwischen als Pädagoge und Künstler arbeitet, hat erlebt, wie fehleranfällig die Erhebungen sind. Und wie der hohe Arbeitsdruck dazu führt, dass die Interviewer auch mal Frust ablassen wollen.

    "Also, ich kann mir schon vorstellen, dass es auch Callcenter-Agenten gibt, die ihr Kreuz an der Stelle setzen, wo ihr eigenes Herz schlägt. Weil sie die Hoffnung haben, dass sich die Wählerinnen und Wähler auch an diesen Meinungsforschungsergebnissen orientieren."

    "Sehr zufrieden? Zufrieden? Weniger zufrieden? Oder gar nicht zufrieden?"

    Ausreißer und Verzerrungen? Frank Brettschneider, Kommunikationswissenschaftler an der Universität Hohenheim, räumt ein: Die Callcenter lieferten tatsächlich fehlerbehaftete Daten.

    "Unterm Strich gleicht sich das aber in etwa aus. Weil diese schnellen Antworten in der Regel nicht in eine bestimmte Richtung gegeben werden, sodass die eine oder andere Partei davon profitiert. Auch die Institute können kein Interesse daran haben, dass ihren Ergebnissen kein Mensch mehr glaubt. Wenn die Glaubwürdigkeit weg ist, dann ist auch eine Geschäftsbasis weg."

    Allerdings: Bei Weitem nicht alle Umfragen sind für die Öffentlichkeit bestimmt. Ein Großteil der erforschten Meinung bleibt geheim.

    "Sehr viele Umfragen bleiben in der Schublade des Auftraggebers und werden von denen verwertet und nicht in der Öffentlichkeit diskutiert."

    "Jan, findest Du unser Video?"

    iPhones, Macbooks – und ein Dutzend tippender junger Leute. An einer Wand kleben kleine gelbe Kreativzettel: Liebe machen! Kater ausschlafen! Konfetti aus dem Haar kämmen! Und: Regieren! Mittendrin steht eine blonde Frau mit einer Kaffeetasse in der Hand - Steffi Lemke, 45, Wahlkampfchefin der Grünen. Lemke schimpft über die üblichen Wahlumfragen, die nur Partei-Prozente wieder geben – wie bei der Sonntagsfrage. Die Politikerin setzt lieber auf umfassende Untersuchungen. So hat sie im vergangenen Herbst - für eine sechsstellige Summe - eine qualitative Umfrage in Auftrag gegeben. Eine grüne Geheimstudie.

    "Die haben wir nicht veröffentlicht, weil sie für unsere Wahlkampagne Hinweise liefern sollte – und bisher hatte ich auch keine Anfragen von den gegnerischen Parteien, dass sie sie haben wollen."

    Die Untersuchung der Grünen erforscht das eigene Wählerpotenzial: Wie alt sind unsere Anhänger? Und welche Medien nutzen sie? Die Partei will sich vergewissern, dass sie mit ihren Wahlkampfthemen richtig liegt.

    "Wir haben wissen wollen, ob die Energiewende durch dieses Dauersperrfeuer der schwarzgelben Bundesregierung mit den Strompreisen für die Menschen zu einem Schreckgespenst geworden ist und wir haben herausgefunden, dass das nicht funktioniert hat, dass den Menschen die Energiewende nach wie vor extrem wichtig ist. Dass sie sie wollen, aber dass sie eine wollen, die ordentlich gemacht wird."

    Setzt die Umweltpartei ihre Umfrageergebnisse auch als Argument im Wahlkampf ein? Steffi Lemke verneint. Selbst die knappen Werte der FDP habe sie nicht instrumentalisiert.

    "Aber ich gehe fest davon aus, dass die FDP in der letzten Woche so eine Art Überlebenskampf ausrufen wird, diese Fünf-Prozent-Umfrage dazu benutzen wird, um zu sagen, wir müssen jetzt hier Wähler für uns werben, weil wir ansonsten aus dem Bundestag fliegen. Das heißt, auch da wird es genutzt werden – aber im Sinne von Angriff haben wir, glaube ich, das bisher nicht gemacht."

    Ein Geständnis hört man hingegen bei den Sozialdemokraten. Jedenfalls war es von Michael Donnermeyer zu hören. Dieser arbeitete bis vor Kurzem als SPD-Wahlkampfchef – bis ihm Spitzenkandidat Peer Steinbrück verschiedene PR-Pannen anlastete und im Juni feuerte. Zuvor - noch im Amt - räumte Donnermeyer ein:

    "Also mit Umfragen wird natürlich auch versucht, Politik zu machen. Ist doch klar! Wir setzen das auch ein. Das ist schon Politik machen damit."

    "Ja, das ist ein ganz typisches Reaktionsmuster – und zwar unabhängig von den Parteien."

    Beobachtet der Stuttgarter Wissenschaftler Frank Brettschneider.

    "Dann, wenn man in Umfragen vorne liegt, gerne die Reaktion: Das machen wir jetzt auch publik. Das wird dann in Wahlkampfreden eingebaut, zu sagen: Jüngste Umfragen zeigen, mit unserer Partei geht es aufwärts. Die gleichen Politiker und Politikerinnen werden Umfragen, wenn sie in ihnen hinten liegen, eher kleinreden und sagen: Ah, das sind nur Stimmungen, entscheidend ist der Wahltag. Das sind immer die gleichen Phrasen, immer die gleichen Sprüche – und sie sind auswechselbar."

    "Wen würden die Deutschen wählen, wenn schon diesen Sonntag Wahl wäre? Im Moment würden nach wie vor 41 Prozent der Befragten der Union ihre Stimme geben."

    Die Politik nutzt die Umfragen, um ihre Resonanz zu testen oder um Kampagnen vorzubereiten. Welche Bedeutung haben die präsentierten Trends für den Wähler? Lässt er sich von der Statistik beeinflussen - gerade beim Urnengang? Wissenschaftliche Studien dazu sind eindeutig. Erstens: Die aktuelle Stellung einer bevorzugten Partei hat keinen Einfluss auf die Wahlbeteiligung. Zweitens: Es gibt auch keinen Effekt, für welche Partei schließlich gestimmt wird. In dem Sinne, dass sich der Wähler an einen vermeintlichen Wahlsieger ranhängen will. Oder, dass er aus Mitleid einem vermeintlichen Verlierer seine Stimme gibt. Die einzig nachweisbare Wirkung der Umfrageergebnisse: Die Zahlen können taktierende Wähler motivieren, plötzlich von ihrer Wunschpartei zu einer anderen Partei zu wechseln – beziehungsweise ihre Zweitstimme einer anderen Partei zu geben. Sie wollen damit erreichen, dass eine bestimmte Koalition siegt.

    "Das ist keine besonders große Zahl von Wählern. Der Anteil beträgt maximal zwei Prozent. Aber bei einem knappen Wahlausgang sind diese zwei Prozent dann auch schon wieder viel und können darüber entscheiden, welche Koalition dann im Bundestag tatsächlich die Regierung stellt."

    Callcenter: "Für die derzeit schwierige Lage der FDP werden unterschiedliche Gründe genannt. Ich nenne Ihnen jetzt einige - und Sie sagen mir jeweils, ob sie diese als entscheidenden Grund ansehen, dass die FDP Wähler verloren hat oder nicht. Zum Beispiel ..."

    Wahlumfragen sind also nicht nur informativ für Parteien und Wähler – die Erhebungen können auch wahlentscheidend sein - machtentscheidend. Liegt da nicht die Versuchung nahe, die unabhängigen Studien zu manipulieren? Richard Hilmer vom Meinungsforschungsinstitut Infratest dimap hat es schon erlebt, dass ein Auftraggeber versucht, über die Fragestellung Einfluss auf das Ergebnis zu nehmen:

    "Beispielsweise sollten wir mal in einer großen deutschen Stadt eine Umfrage durchführen, ob eine Olympiade abgehalten werden solle oder nicht. Und da wurde verwiesen, dass die vorhergegangene Olympiade ja große Gewinne erwirtschaftet hat und danach die Frage: Wollen Sie oder wollen Sie nicht die Olympiade? Also das sind schon Frageformulierungen, die dann eben eine deutliche Verzerrung aufweisen. Deswegen veröffentlichen wir eben zu jeder Umfrage auch den Fragebogen in seiner Abfolge."

    Laut Hilmer ist diese tendenziöse Anfrage Anfang der 1990er-Jahre vom Berliner Senat gekommen. Allerdings habe sich kein weiterer Auftraggeber wieder so etwas erlaubt. Wie empfindlich Meinungsforscher auch immer auf Einflussnahmen reagieren - einigen von ihnen haftet selbst der Geruch einer Parteinähe an, seit Jahrzehnten schon. So soll das Institut für Demoskopie in Allensbach der CDU nahe stehen. Und das Berliner Institut Forsa gilt als SPD-nah – auch weil Forsa-Chef Manfred Güllner als Sozialdemokrat bekannt ist. Doch beide Einrichtungen weisen den Vorwurf politischer Schlagseite entschieden zurück. Kommunikationsforscher Brettschneider kann ebenfalls keine Verzerrungen feststellen bei den Statistiken dieser Institute.

    "Mal ist es die eine Partei, mal die andere Partei, die bevorzugt oder benachteiligt wird – gemessen an den Umfrageergebnissen anderer Institute. Ein wirklich systematisches Muster ist da meines Erachtens nicht erkennbar."

    Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Konkurrenz unter den Meinungsforschern für eine zuverlässige Kontrolle sorgt. Exemplarisch dafür ein Fall aus dem Jahre 1994: Damals hatte Forsa angeblich kurz vor der Bundestagswahl prophezeit, die FDP werde es nicht ins Parlament schaffen. Doch dann übersprangen die Liberalen mit 6,9 Prozent locker die Fünfprozenthürde. Der Eklat folgte: Die anderen Umfrageinstitute warfen Forsa unisono vor, mit Daten Politik zu machen. Institutschef Manfred Güllner verteidigte sich: Er sei bei seiner Prognose falsch zitiert worden von den Medien. Doch auch in den Folgejahren wurden Güllners Interpretationen immer wieder gerügt. Etwa als er 2008 einen SPD-Landespolitiker als "Kotzbrocken" bezeichnete. Typische Rechtfertigung des Forsa-Chefs:

    "Wir referieren ja nur das, was die Menschen uns sagen und wir können nicht irgendwo Leute ärgern, selbst wenn wir sie ärgern wollten. Und es gibt hier für mich keinen Grund, irgendeine der Parteien zu ärgern."

    "Die Berliner Runde, live aus dem ZDF-Hauptstadtstudio in Berlin!"

    Bundestagswahl 2005 - das Demoskopen-Desaster. Bei diesem Urnengang stand nicht ein einzelnes Institut, sondern die gesamte Umfrageforschung in der Kritik. Bei der Wahl, die schließlich zur Großen Koalition unter Angela Merkel führte, hatten die Erhebungen stark danebengelegen. Die Abweichungen lagen bei der Union bei bis zu acht Prozent. Verschätzt hatte sich auch die Forschungsgruppe Wahlen, die für das ZDF arbeitet. Chefredakteur Nikolaus Brender musste sich rechtfertigen. Noch-Kanzler Gerhard Schröder warf ihm live vor, die Erfolgsaussichten der SPD zuvor klein gerechnet zu haben.

    - Schröder: "Aber schauen Sie mal, in Ihren Sendungen ist gesagt worden: Frau Merkel ist bei 49, bei 45, bei 43 – jetzt ist sie bei 35! Oder etwas mehr."
    - Brender: "In unseren Sendungen ist das nachvollzogen worden, was in den Meinungsumfragen aller Institute beschrieben worden ist. Das ist nicht nur in unseren Sendungen gesendet worden, sondern in allen Zeitungen geschrieben ..."

    Die Meinungsforscher waren ratlos, auch Allensbach-Chefin Renate Köcher.

    "Über diese vielen Bundestagswahlen hinweg seit den 50er-Jahren, war die Maximal-Abweichung für eine der großen Parteien 1,9 Prozent. Also es gab bisher keine einzige Bundestagswahl, wo eine große Partei bei der Wahl dann so anders abgeschnitten hat als in den Umfragen, die in den letzten 14 Tagen vor der Wahl gemacht wurden."

    Was war 2005 geschehen? Viele Wähler hatten sich erst unmittelbar vor der Wahl für eine Partei entschieden. Ein Trend, der bis heute anhält. Denn die Bindung sozialer Gruppen an die Volksparteien nimmt ab. Demoskopen wissen: Einfache Formeln wie "katholisch gleich CDU" oder "gewerkschaftlich gleich SPD" gelten längst nicht mehr. Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen bilanziert, dass die Volatilität, das Hin und Her der Wechselwähler, mehr Erhebungen erfordert.

    "Wenn die Volatilität in der Bevölkerung zunimmt, muss ich auch öfters messen und berichten, damit ich korrekt diese Veränderung auch abbilden kann."

    Die Meinungsforscher gehen davon aus, dass sie künftig nicht mehr einfach nur die Sonntagsfrage stellen können, um verlässliche Daten zu erhalten. Sie müssen vielmehr die gesamte Bandbereite der politischen Einstellungen eines Befragten erheben, um sein Wahlverhalten abschätzen zu können. Richard Hilmer von Infratest-dimap hält es zudem für notwendig, seine Callcenter-Technik auszubauen. Denn seitdem viele Menschen hauptsächlich mobil telefonieren, erreicht der Demoskop mit dem bisherigen Hauptinstrument - dem Anruf auf das Festnetz - längst nicht mehr alle Bevölkerungsgruppen.

    "Beispielsweise war es im letzten Jahr nicht so ganz einfach, die Piraten abzubilden, weil eben genau diese jungen Männer in den Städten, die eben sehr wichtig waren als Wählergruppe für die Piraten, eben in den Stichproben eher unterrepräsentiert waren. Wir nutzen jetzt auch so eine Mischung aus Festnetz und Mobiltelefonen, um eben auch diejenigen Leute wieder zu erreichen, die eben nur mobil erreichbar sind."

    "Und mit dem Verteidigungsminister de Maiziere – sehr zufrieden? Zufrieden? Weniger zufrieden? Oder gar nicht zufrieden?"

    Analytiker gehen davon aus, dass das Interesse an detaillierten Wahlumfragen steigen wird - gerade wegen der vielen Wechsel-Wähler. Und dass die Medien immer mehr Polit-Statistiken in Auftrag geben. Forscher Brettschneider appelliert dabei an die Verantwortung der Zeitungen und Sender: Die Journalisten dürften die Umfragen nicht für eigene Zwecke ausnutzen.

    "Ja, Medien können damit auch Kampagnen machen. Sie können zumindest mal ein Thema auf die Tagesordnung setzen durch solche Umfragen. Wenn es etwa um Politiker geht, die in der Kritik stehen – nehmen wir mal zu Guttenberg oder nehmen wir mal den ehemaligen Bundespräsidenten Wulff. Hat der eigentlich noch Unterstützung in der Bevölkerung? Da können Umfragen dann auch zu einem Instrument werden, mit dem die Linie einer Zeitung gestützt wird. Das würde ich aber nicht in einen Topf werfen mit den Wahlumfragen, die mit einer stärkeren Kontrolle unterliegen, weil es standardisierte Fragen sind, die verwendet werden."

    Die Medien kennen die Brisanz der Wahlumfragen. Sie wissen, dass die Daten im politischen Alltagsgeschäft für die jeweiligen Interessen genutzt werden und den Vorwurf der Parteilichkeit einbringen können. So bleiben ARD und Deutschlandradio auch in diesem Jahr bei ihrer Praxis, ab dem neunten Tag vor der Wahl keine eigenen Statistiken mehr zu veröffentlichen. Selbst die Privatsender legen sich Zurückhaltung auf. RTL etwa verbreitet zwar noch in der Woche vor der Wahl aktuelle Umfragen. Chefredakteur Peter Kloeppel präsentiert aber lediglich statistische Korridore.

    "Also nicht: Die CDU kommt auf so und so viel Prozent. Sondern sie kommt auf einen Wert im Bereich zwischen dadada und jenem. Wir sind da grundsätzlich für mehr Transparenz als für weniger Transparenz."

    Mittlerweile setzt auch das ZDF auf diese Transparenz. Der Sender will erstmals noch am Donnerstag vor dem Wahlsonntag ein Politbarometer publizieren. Das verantwortliche Institut, die Forschungsgruppe Wahlen, begründet dies mit den vielen unentschiedenen und Wechselwählern.

    "Und von daher stellen wir eben fest, dass erhebliche Veränderungen an einem Mittwoch oder Donnerstag vor einer Wahl noch stattfinden. Und da entspricht es einfach unserem Verständnis, dass wir diese Veränderungen, die wir ja messen, nicht geheim halten, sondern auch der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen."

    Werden die neuesten Trends – direkt vor der Wahl – nicht den Wähler beeinflussen? Die Gefahr bestehe theoretisch, räumt Meinungsforscher Matthias Jung ein.

    "Nur muss man ja eigentlich sehen, dass auch eine Beeinflussung der Wahl - wenn sie denn vorliegt - vorhanden ist, wenn ich veraltete Umfrageergebnisse stehen lasse."

    Die Sozialwissenschaftler werden auch das TV-Duell am Sonntag genau analysieren – durch mehrere Umfragen. Obwohl wahrscheinlich Millionen den Fernseher einschalten werden, glauben die Forscher nicht an einen durchschlagenden Effekt für die Wahl: Die Zuschauer guckten zumeist nur, um ihre Meinung vom jeweiligen Kanzlerkandidaten zu bestätigen.

    "Es sei denn, einer der Kandidaten würde natürlich ganz eklatant floppen. Und es gebe dann auch nach dem Duell eine so starke Medienaufmerksamkeit, dass dann auch schon eine bleibende Wirkung stattfinden könnte. Aber das ist etwas, was wir bisher noch nicht erlebt haben."
    Die CDU Vorsitzende Angela Merkel und Bundeskanzler Gerhard Schröder treffen sich in der CDU Zentrale in Berlin zu Koalitionsgesprächen.
    Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder bemängelte nach der verlorenen Wahl, dass die Umfrageergebnisse für die CDU falsch waren. (AP)
    SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück und Bundeskanzlerin Merkel (CDU) streiten über die Politik der Bundesregierung.
    SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück und Bundeskanzlerin Merkel (CDU): Steinbrück liegt derzeit in den Umfragen hinten. (dpa / Wolfgang Kumm)