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Zahlenfresser à la Heisenberg

Informationstechnik. - Er soll die stärksten Verschlüsselungen knacken, riesige Datenbanken in Windeseile durchforsten und komplexere Simulationen denn je berechnen: der so genannte Quantencomputer. Doch bislang existiert der revolutionäre Computertypus nur als Konstrukt, mit dem sich Physiker weltweit beschäftigen. Der Wissenschaftsjournalist Frank Grotelüschen erklärt es im Gespräch mit Arndt Reuning

    Arndt Reuning: Herr Grotelüschen, der Sprung vom herkömmlichen zum Quantencomputer scheint ja fast vergleichbar zu sein mit dem Übergang vom Abakus zum Taschenrechner. Was ist denn das Besondere an diesen Quantencomputern?

    Frank Grotelüschen: "Der Quantencomputer funktioniert nach einem völlig anderen Prinzip, kann man sagen. Ein PC rechnet bekanntlich mit Bits, also Einheiten, die entweder auf Null oder Eins stehen. Der Quantencomputer hingegen basiert auf dem so genannten Quantenbit - kurz Q-Bit. Dieses Q-Bit kann nicht nur Eins oder Null repräsentieren, sondern auch Eins und Null zugleich - kann also sämtliche Werte dazwischen annehmen. Der Grund dafür ist in den seltsamen Regeln der Quantenphysik zu sehen, denn die lassen die Q-Bits in einem ständigen, sehr direkten Kontakt miteinander stehen. Jedes Quantenbit weiß sozusagen, was die anderen gerade treiben, im Unterschied zum herkömmlichen PC. Stellen Sie sich einfach einmal einen Elektriker vor, der im Bürokeller vor dem Sicherungskasten steht und herausfinden muss, welcher Schalter zu welcher Glühlampe gehört. Dazu drückt er einen Schalter und schaut dann oben nach, welche Lampe brennt. Und dieses Spielchen muss er für jede Lampe wiederholen. Der Elektriker nutzt also bei jedem Gang nur eine Information: "Licht an" oder "Licht aus". Anders ein gewitzter "Quanten"-Elektriker: Er schaltet immer zwei Lampen an, knipst aber eine davon nach kurzer Zeit wieder aus. Dann begibt er sich nach oben, sieht eine Lampe brennen und kann zusätzlich fühlen, welche der anderen warm ist. Der Experte nutzt also zwei Informationen gleichzeitig und muss nur halb so oft nach oben laufen wie sein Kollege. Ganz ähnlich funktioniert auch ein Quantencomputer: er nutzt eine versteckte Information, die ein normaler Computer nicht kennt."

    Reuning: Was kann dann ein solcher Quantencomputer, was ein Computer zuhause nicht kann?

    Grotelüschen: "Theoretisch hätte so ein Quantenrechner mit 100 Q-Bits genauso viel Rechenkraft wie alle konventionellen Computer auf der Welt zusammen, also phantastisch. Aber wenn man hier auf der Frühjahrstagung des Arbeitskreises Atome, Moleküle, Quantenoptik und Plasmen der Deutschen Physikalischen Gesellschaft in Frankfurt am Main Fachleute nach ersten Anwendungen fragt, dann werden doch eher Nischenanwendungen genannt. Im Prinzip könnte ein Quantencomputer riesige Zahlen im Handumdrehen in Primfaktoren zerlegen. Das wäre wichtig für das Knacken digitaler Sicherheitskodes, auf denen heute viele Verschlüsselungsmethoden basieren. Dass Rechner Jahre brauchen, um eine Bandwurmzahl zu zerlegen, und die Aussicht, dass Quantencomputer diese Schlüssel knacken könnten, das bietet zum Beispiel den Militärs die Aussicht, Geheimakten von Schurkenstaaten zu knacken. Hilfreich könnten diese Quantenrechner auch sein, wenn es darum geht, Datenbanken zu durchforsten: um eine Datenbank mit einer Million Einträgen zu durchsuchen, benötigt ein PC im Durchschnitt eine halbe Million Versuche - ein Quantencomputer würde nur 1000 Versuche brauchen, und wäre also viel schneller."

    Reuning: Gibt es denn schon Ansätze, wie man einen Quantencomputer verwirklichen könnte?

    Grotelüschen: "Bislang gibt es nur ganz primitive Prototypen, die nur simple Aufgaben knacken können. Denn Quanten sind von Natur aus extrem empfindlich. Das macht die Sache so schwierig. Man versucht es da mit Supraleitern oder mit Silizium. Am weitesten sind da die so genannten Ionenfallen. Dabei können Sie sich vorstellen, dass elektrische Felder geladene Atome regelrecht in der Schwebe halten. Laser zielen dann auf diese Ionen und programmieren sie - ein ziemlich aufwändiges Verfahren. Doch hier auf der Tagung in Frankfurt diskutieren Physiker eine neue Idee, wie es auch einfacher gehen könnte. Sie wollen keine Atome mehr in Fallen sperren, sondern einzelne Elektronen - also viel kleinere Teilchen. Man stelle sich vor, man hat also einen Siliziumchip - nicht größer als eine Briefmarke - in einem starken Magnetfeld. Auf diesem Chip stecken dann 50 oder 100 winzige Elektronenfallen - winzige konzentrische Kreiselektroden. Darin kreisen die Elektronen und jede dieser Fallen fungiert als Quantenbit. Damit die Quantenbits miteinander kommunizieren können - das ist ganz wesentlich - sind diese Bits durch spezielle supraleitende Drähte verbunden, die Strom verlustfrei transportieren können."

    Reuning: Wie weit sind Physiker jetzt schon mit dieser Neuentwicklung vorangeschritten?

    Grotelüschen: "Das steckt noch in den Vorbereitungen, muss man sagen. Das Problem: die supraleitende Verdrahtung klappt nicht so, wie man sich das vorstellt. Auf dem Papier sieht das zwar sehr gut aus, aber die experimentelle Überprüfung steht noch aus. Das ist noch unklar. Aber es gibt schon eine "Roadmap", einen Plan: man will das erste Q-Bit, also das erste einzelne Elektron in so einer winzigen Falle in einem Jahr geschafft haben. Danach will man mehrere Quantenbits zusammenschließen. Auf dem Papier sieht das wie gesagt sehr viel versprechend aus, und in vier oder fünf Jahren wird man wissen, ob dies der Königsweg ist. Man könnte damit die Anlage sehr kompakt bauen und auch sehr leicht ansteuern mit elektrischen Feldern."