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Zahnmedizin
Amalgam oder Kunststofffüllungen?

Seit Jahrzehnten füllt Amalgam Löcher in den Zähnen. Zuverlässig und kostengünstig - wäre da nicht das Problem, dass sich daraus im Laufe der Zeit Quecksilber löst. Deshalb wünschen sich viele Patienten lieber Kunststoff- oder Keramikfüllungen. Das ist einerseits eine Kostenfrage, andererseits ist aber auch nicht abschließend geklärt, ob Kunststofffüllungen wirklich risikolos sind.

Von Ralph Ahrens | 29.03.2016
    Die meisten kennen dies Geräusch. Ein Zahnarzt bohrt. Danach füllt er das gesäuberte Loch meist mit Kunststoff. Doch bei etwa jeder 20. von mehr als 50 Millionen Füllungen im Jahr verwenden Zahnärzte Amalgam. Jürgen Fedderwitz, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung:
    "Es ist sehr leicht zu verarbeiten. Es ist auch verhältnismäßig preisgünstig im Vergleich zu anderen Alternativmaterialien. Es hat gute Materialeigenschaften: Es ist druckbelastbar, es ist kantenstabil. Also eigentlich ein ideales Füllungsmaterial."
    Zahnärzte verwenden jährlich etwa vier Tonnen Amalgam - und da dieses Material zur Hälfte aus Quecksilber besteht, rund zwei Tonnen Quecksilber. Doch von diesem Schwermetall wird immer etwas freigesetzt, etwa wenn Amalgam verarbeitet oder aus Zähnen entfernt wird.
    Florian Schulze von der‘Weltweiten Allianz für quecksilberfreie Zahnmedizin: "Quecksilber aus Amalgam wird offiziell anerkannt als nicht zu verachtender Beitrag zur Umweltbelastung durch Quecksilber weltweit."
    Amalgam in Schweden verboten
    In Schweden dürfen Zahnärzte daher seit Juli 2009 kein Amalgam mehr verwenden. Zudem verdampft Quecksilber aus den Füllungen und kann über Lungenbläschen ins Blut gelangen. Auch beim Zähneknirschen oder Kaugummikauen löst sich etwas und gelangt über Speichel, Magen und Darm ins Freie. Insgesamt, so Schätzungen der EU-Kommission, verlieren Amalgamfüllungen in zehn Jahren etwa fünf Prozent des Quecksilbers. Florian Schulze:
    "Wir benötigen ein Amalgamverbot, um das bekannte Nervengift aus der Anwendung zu verbannen. Aber wir brauchen auch gleichzeitig eine sichere Alternative - alternative Füllungsmaterialien - die es auch gibt auf dem Markt auch in Hinblick auf Kosten. Aber die besser kontrolliert werden müssen."
    Aus Sicht der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung wird aus Amalgam aber so wenig Quecksilber frei, dass dies für Menschen risikolos sei. Zudem können Zahnärzte, so Jürgen Fedderwitz, Kunststofffüllungen nur mit Hilfe eines Chemikalienmix legen:
    "Das fängt an mit einem Phosphorsäuregel, mit dem also Zahnoberfläche, Schmelz und auch Dentin ein bisschen angeraut werden. Dann brauche ich eine Lösung, die die Oberfläche enteiweißt und dann brauche ich einen Haftvermittler, der dazu beiträgt, dass diese Füllung einen innigen Klebeverbund hat."
    "Amalgamverzicht für Zahngesundheit kontraproduktiv"
    Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung kennt daher bislang keine ideale Kunststofffüllung.
    "Das ist der Grund, weshalb wir ganz bewusst nicht sagen können, wir können im Jahr 2019 oder 2020 auf Amalgam verzichten. Das wäre für die Zahngesundheit im Moment kontraproduktiv."
    Amalgam sei auch das am besten untersuchte Füllmaterial, ergänzt Zahnarzt Fedderwitz. Bei Kunststofffüllungen sieht Florian Schulze von der Weltweiten Allianz für quecksilberfreie Zahnmedizin daher Forschungsbedarf.
    "Gerade für die Kunststofffüllungen benötigen wir ausreichend Studien. Wir brauchen klinische Untersuchungen, so dass man da nicht vom Regen in die Traufe kommt."
    Die EU müsse daher in der Medizinprodukte-Richtlinie, die sie jetzt überarbeitet, verlangen, dass Hersteller mehr über Inhaltsstoffe preisgeben und Risiken für Mensch und Umwelt abklären. Und es geht ums Geld. Zwar gibt es Kunststofffüllungen, die so haltbar sind wie Amalgam, meint das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Diese vorzubereiten und zu legen sei aber aufwändiger, meint Jürgen Fedderwitz, dies zeigten Zeitmessstudien.
    "Und dieser Mehraufwand, den ich mal mit dem Faktor drei bezeichnen will, der ist natürlich für die deutsche Gesetzliche Krankenversicherung ein Schreckensszenario."
    Gesetzliche Krankenkassen zahlen Zahnärzten jährlich rund 700 Millionen Euro für Amalgamfüllungen. Würden stattdessen Kunststofffüllungen gelegt, könnten es zwei Milliarden Euro sein. Diese Mehrausgaben würden die Kassen an ihre Mitglieder weitergeben und deren Beiträge könnten um ein halbes Prozent steigen.
    Doch dies bezweifelt Florian Schulze: "Wir denken, es ist durchaus möglich, auch ohne eine Kostensteigerung ein Amalgamverbot umzusetzen."
    Er verweist auf Schweden, wo Zahnärzte - vor dem Amalgamverbot - für das Vorbereiten und Verlegen von Kunststofffüllungen kaum mehr Zeit benötigen als für Amalgamfüllungen.